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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
5A_600/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 21. März 2014  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter von Werdt, Präsident, 
Bundesrichterin Hohl, 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, Schöbi, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Paul Eitel, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Y.___ _____.  
 
Gegenstand 
Errichtung einer Beistandschaft (nondum conceptus), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 28. Juni 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
 
A.a. Am 25. September 1990 verfasste A.________ (geb.1909) ein Testament, mit dem sie ihrem einzigen gesetzlichen Erben, B.________, ihr Grundstück Nr. xxx, Grundbuch C.________ als Vorerbschaft übertrug mit der Pflicht, es bei seinem Ableben seinen zukünftigen Nachkommen, bei deren Fehlen seiner künftigen Frau auszuhändigen. Des weiteren setzte sie X.________ als Willensvollstrecker ein.  
 
A.b. A.________ verstarb am 28. Januar 1997. B.________ erwirkte in der Folge die Eintragung als Eigentümer des Grundstücks Nr. xxx, Grundbuch C.________ ohne Vormerkung der testamentarisch verfügten Auslieferungspflicht an die Nacherben. Am 21. November 2012 reichte B.________ beim Friedensrichteramt Luzern gegen seine potentiellen Nacherben im Nachlass der A.________ ein Schlichtungsgesuch betreffend negative Feststellungsklage ein. Er beantragte damit, es sei festzustellen, dass er im Nachlass von A.________ als Alleinerbe nicht mit einer Nacherbschaft belastet sei.  
 
B.   
Bereits zuvor, nämlich am 21. Juni 2012, beantragte X.________ in seiner Eigenschaft als Willensvollstrecker bei der damaligen Vormundschaftsbehörde der Stadt Y.________ die Errichtung einer Beistandschaft zur Sicherung der Anwartschaft der nicht vorhandenen Nacherben im Nachlass von A.________. Mit Entscheid vom 29. August 2012 wies die angerufene Instanz das Begehren ab. Der gegen diesen Entscheid erhobenen Beschwerde von X.________ gab das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern mit Entscheid vom 20. Dezember 2012 nicht statt. Die von X.________ dagegen beim Kantonsgericht Luzern erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde blieb erfolglos (Urteil vom 28. Juni 2013). 
 
C.   
X.________ hat den Entscheid des Kantonsgerichts vom 28. Juni 2013 mit Eingabe vom 22. August 2013 (Postaufgabe) beim Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen angefochten. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, für die potentiellen Nacherben des B.________ im Nachlass der A.________ eine Beistandschaft zu errichten und durch die zuständige Erwachsenenschutzbehörde einen Beistand ernennen zu lassen. 
 
 Das Kantonsgericht und die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Y.________ schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdeführer hat repliziert. Weitere Eingaben gingen nicht ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid eines oberen kantonalen Gerichts in seiner Eigenschaft als Rechtsmittelinstanz (Art. 75 Abs. 1 und 2 BGG; Art. 90 BGG) über die Bestellung bzw. die Verweigerung der Bestellung eines Beistands. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit nicht vermögensrechtlicher Natur, die in engem Zusammenhang mit dem Zivilrecht steht (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Der Beschwerdeführer hat am kantonalen Verfahren als Partei teilgenommen (Art. 76 Abs. 1 lit. a BGG). Zudem wird er aufgrund des Urteils der Vorinstanz im Ergebnis dazu verpflichtet, als Willensvollstrecker bzw. als Partei (Beklagter) dem vom Vorerben angehobenen Verfahren beizutreten. Er verfügt damit über ein schützenswertes Interesse an der Beschwerde (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.  
 
1.2. Die unteren kantonalen Instanzen haben das Begehren des Beschwerdeführers um Bestellung eines Beistandes für die noch nicht vorhandenen Erben am 29. August 2012 (Vormundschaftsbehörde der Stadt Y.________) bzw. am 20. Dezember 2012 (Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern) abgewiesen. Am 1. Januar 2013 ist das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht vom 19. Dezember 2008 in Kraft getreten (AS 2011 725, BBl 2006 7001), das mit Bezug auf die hier strittigen Massnahmen ab diesem Datum sofort anwendbar war (Art. 14 Abs. 1 SchlTZGB). Konnten somit ab dem 1. Januar 2013 nur noch die im neuen Recht vorgesehenen Massnahmen verfügt werden, hat das Kantonsgericht zu Recht das neue Recht angewendet.  
 
2.   
In ihrer letztwilligen Verfügung vom 25. September 1990 hat A.________ ihr Grosskind als Vorerben dazu verpflichtet, das Grundstück Nr. xxx, Grundbuch C.________ bei seinem Ableben seinen zukünftigen, d.h. im Zeitpunkt des Erbgangs noch nicht lebenden Nachkommen (nondum concepti) bzw. seiner künftigen Ehefrau auszuhändigen (Art. 545 Abs. 1 ZGB). Im vorliegenden Fall gilt es zu prüfen, ob dem  nondum conceptusein Beistand für das vom Vorerben angehobene Verfahren bestellt werden kann. Nicht Gegenstand der vorliegenden Prüfung ist demgegenüber die vom Kantonsgericht ebenfalls beantwortete Frage, ob das vom Vorerben angehobene Verfahren überhaupt zulässig sei. Dieses ist nunmehr hängig (Art. 62 Abs. 1 ZPO) und es obliegt den dafür zuständigen Gerichtsbehörden, die Zulässigkeit der negativen Feststellungsklage zu beurteilen.  
 
3.   
Nach der geltenden Rechtsordnung kann die Erbschaft oder eine Erbschaftssache auf dem Wege der Nacherbeneinsetzung oder des Nachvermächtnisses einer Person zugewendet werden, die zur Zeit des Erbfalls nicht lebt bzw. nicht gezeugt worden ist (Art. 545 Abs. 1 ZGB). 
 
3.1. Mit Bezug auf die Frage der Bestellung eines Beistands hat das Bundesgericht in BGE 73 II 85/86 unter dem Recht von 1912 in einem obiter dictum zur Interessenwahrung von Destinatären einer Stiftung die Bestellung einer Beistandschaft für zukünftige Generationen erwogen; dabei hat es allerdings nicht präzisiert, welche Bestimmung als gesetzliche Grundlage für eine solche Beistandschaft dienen könnte. Unter dem Recht von 1912 hat sich die Lehre zur hier strittigen Frage verschiedentlich geäussert: Für HANS MICHAEL RIEMER (Beistandschaften für mögliche Personen, insbesondere für mögliche Erben, in: Familie und Recht, Festgabe Bernhard Schnyder, 1995, S. 563) kam die Bestellung eines Beistands - wohl unter Berufung auf die zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung - nötigenfalls auch für den noch nicht gezeugten Nacherben (  nondum conceptus) infrage. Der gleichen Auffassung war PAUL EITEL (Die Funktionen der [nach Erbrecht oder Vormundschaftsrecht] "zuständigen Behörden" bei der Nacherbeneinsetzung, AJP 5/2000 S. 630/634 ff.), wobei dieser Autor zur umfassenden Wahrung der Interessen der  nondum concepti die Beistandschaft gemäss Art. 393 Ziff. 3 ZGB in der Fassung von 1912 (Vermögensverwaltungsbeistandsschaft infolge Ungewissheit der Erbfolge; nachfolgend aArt. 393 Ziff. 3 ZGB) meinte. Demgegenüber war ein anderer Teil der Lehre der Ansicht, eine Vermögensverwaltungsbeistandschaft nach aArt. 393 Ziff. 3 ZGB sei in jedem Fall nur für namentlich bekannte Erben möglich; bei mutmasslichem Vorhandensein namentlich unbekannter Erben sei dagegen die Erbschaftsverwaltung anzuordnen (SCHNYDER/MURER, Berner Kommentar, 3. Aufl. 1984, N. 11 zu aArt. 393 ZGB; Ernst Langenegger, Basler Kommentar 4. Aufl. 2010 N. 3 zu aArt. 393 ZGB).  
 
3.2. Mit Bezug auf das neue Recht hält Rudolf Bak (Herabsetzungs- und Ungültigkeitsklage gegen noch nicht gezeugte Nacherben [nondum concepti], AJP 2013 S. 446) dafür, die Einsetzung des  nondum conceptus als Nacherben gestützt auf Art. 545 Abs. 1 ZGB könne mit dem bundesrechtlich eingeräumten Pflichtteils- und Ungültigkeitsschutz (Art. 519/531 ZGB) des Vorerben kollidieren. Sowohl die Herabsetzungs- als auch die Ungültigkeitsklage sei innerhalb einer einjährigen Verwirkungsfrist zu erheben. In einem allfälligen Testamentsanfechtungsverfahren gelte es daher, dem  nondum conceptus die Parteifähigkeit zuzuerkennen. Zur Gewährleistung der Prozessfähigkeit sei ferner die Zulässigkeit bzw. Notwendigkeit eines Vertretungsbeistandes gemäss Art. 394 ZGB (in der Fassung gemäss Ziff. I 1 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 2008 in Kraft seit. 1. Januar 2013, AS 2011 725, BBl 2006 7001, nachfolgend: geltende Fassung) zu befürworten.  
 
3.3. Im Gegensatz zum alten Vormundschaftsrecht beschränkt sich das am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Erwachsenenschutzrecht bei den behördlichen Massnahmen auf Beistandschaften für volljährige natürliche und somit rechtsfähige Personen (Art. 390 Abs. 1 ZGB 1. Satz). Beistandschaften für juristische Personen und Sammelvermögen sind im neuen Recht nicht mehr zu finden ( MEIER/LUKIC, Introduction au nouveau droit de la protection de l'adulte, 2011, S. 17 Rz. 33; HELMUT HENKEL, Basler Kommentar Erwachsenenschutz, 2012, N. 1 zu Art. 390 ZGB; DANIEL ROSCH in: Das neue Erwachsenenschutzrecht, 2011, N. 1 zu Art. 390 ZGB). Eine aArt. 393 Ziff. 3 ZGB (Vermögensverwaltungsbeistandschaft infolge Ungewissheit der Erbfolge) entsprechende Norm ist nicht Gesetz geworden. Hingegen wurde mit der Revision die neue Bestimmung des Art. 544 Abs. 1bis ZGB geschaffen, die den Art. 544 ZGB ergänzt. Danach ernennt die Kindesschutzbehörde dem Kind vor der Geburt (  nasciturus ) einen Beistand, falls es seine Interessen erfordern. Damit soll die Kindesschutzbehörde künftig namentlich einer allfälligen Interessenkollision zwischen Mutter und ungeborenem Kind Rechnung tragen können. Nach Auffassung des Bundesrates wurde folglich die Regelung von aArt. 393 Ziffer 3 ZGB überflüssig (Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, BBl 2006 S. 7106 zu Art. 544 Abs. 1bis neu). Damit wurde indes übersehen, dass die genannte Bestimmung zwei Sachverhalte, nämlich die Verwaltung des Vermögens bei Ungewissheit der Erbfolge einerseits und die Wahrung der Interessen des Kindes vor der Geburt anderseits regelte. Da nach dem geltenden Recht (Art. 545 Abs. 1 ZGB) eine Erbschaftssache auf dem Wege der Nacherbeneinsetzung oder des Nachvermächtnisses einer zurzeit des Erbgangs noch nicht gezeugten Person zugewendet werden kann, gilt es, die Wahrung ihrer Interessen auch unter dem geltenden Recht sicherzustellen.  
 
3.4. Gemäss Art. 554 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB ist die Erbschaftsverwaltung anzuordnen, wenn das Vorhandensein von Erben ungewiss ist. Art. 554 Abs. 1 Ziffer 3 ZGB sieht die Erbschaftsverwaltung für den Fall vor, dass nicht alle Erben bekannt sind. Nach Art. 490 Abs. 2 ZGB erfolgt die Auslieferung der Erbschaft an den Vorerben nur gegen Sicherstellung, sofern ihn der Erblasser nicht ausdrücklich von dieser Pflicht befreit hat. Bei Grundstücken kann die Sicherstellung durch Vormerkung der Auslieferungspflicht im Grundbuch geleistet werden. Vermag der Vorerbe eine Sicherstellung nicht zu leisten oder gefährdet er die Anwartschaft des Nacherben, ist die Erbschaftsverwaltung anzuordnen (Art. 490 Abs. 3 ZGB).  
 
3.5. Da es im konkreten Fall einzig darum geht, sich gegen die Klage des Vorerben zur Wehr zu setzen, rechtfertigt es sich nicht, eine Erbschaftsverwaltung gestützt auf Art. 490 Abs. 3 bzw. Art. 554 Abs. 1 Ziff. 2 oder 3 ZGB anzuordnen bzw. den Willensvollstrecker mit dieser Aufgabe zu betrauen. Die Wahrnehmung der Interessen des  nondum conceptus im Prozess durch einen Beistand in analoger Anwendung von Art. 544 Abs. 1bis ZGB sowie die Vormerkung der Auslieferungspflicht des Vorerben im Grundbuch genügen im konkreten Fall, um dem Bedürfnis nach Sicherstellung berechtigter Interessen gerecht zu werden.  
 
4.   
Damit ist die Beschwerde im Sinn der Anträge gutzuheissen, wobei die Anordnung der Beistandschaft und die Ernennung des Beistands der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Y.________ zu übertragen ist. Im vorliegenden Fall werden keine Kosten erhoben, da dem Kanton Luzern keine Kosten auferlegt werden können (Art. 66 Abs. 4 BGG). Er hat indes den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
5.   
Zu Regelung der Kosten und Entschädigungen des kantonalen Beschwerdeverfahrens ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil aufgehoben. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Y.________ wird angewiesen, für die potentiellen Nacherben des B.________ im Nachlass der A.________ (1909-1997) zur Wahrung ihrer Interessen eine Beistandschaft zu errichten und einen Beistand zu ernennen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Luzern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Regelung der Kosten und Entschädigungen des kantonalen Beschwerdeverfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Y.________ und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. März 2014 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: von Werdt 
 
Der Gerichtsschreiber: Zbinden