Urteilskopf
150 I 195
20. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ETHZ, vertreten durch Prof. Dr. Lorenz Hurni, Prorektor Studium und ETH-Beschwerdekommission (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_313/2023 vom 19. April 2024
Regeste
Art. 10 Abs. 2 BehiG;
Art. 30 und 29a BV; Art. 37a Abs. 1 ETH-Gesetz; Kostenpflicht bei mutwilligem oder leichtsinnigem Verhalten im Verfahren nach BehiG; materielle Rechtskraft im öffentlichen Recht; Anforderungen an ein Gericht nach
Art. 30 BV.
Die Kostenpflicht nach Art. 10 Abs. 2 BehiG wird ausgelöst durch mutwillige oder leichtsinnige Prozessführung (E. 5). Zwischen "mutwilliger" und "leichtsinniger" Prozessführung ist nicht zu unterscheiden. Die Kostenpflicht setzt eine objektive und eine subjektive Komponente voraus. In objektiver Hinsicht vertritt eine mutwillig oder leichtsinnig prozessierende Partei einen offensichtlich unbegründeten oder aussichtslosen Standpunkt. In subjektiver Hinsicht muss ihr dieses Vorgehen vorwerfbar sein (E. 5.6). Die erneute Verfahrensanhebung ist im konkreten Fall nicht als mutwillig bzw. leichtsinnig zu qualifizieren (E. 6): Im öffentlichen Recht können allenfalls dem Urteil einer gerichtlichen Behörde die Wirkungen der materiellen Rechtskraft zukommen. Die Verfügung einer Verwaltungsbehörde hingegen entfaltet nicht bzw. nicht in gleichem Umfang materielle Rechtskraftwirkungen (E. 6.3). Die ETH-Beschwerdekommission war im betreffenden Zeitpunkt keine gerichtliche Behörde (E. 6.5). Es liegt daher keine res iudicata vor. Die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) verleiht das Recht, eine Rechtsstreitigkeit zumindest einmal einem Gericht im Sinn von Art. 30 BV zu unterbreiten (E. 6.6 und 6.7).
A.a A. verunfallte 1995 und leidet seither unter kognitiven Einschränkungen. Seit Herbst 2019 studiert er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) Umweltnaturwissenschaften im Masterstudiengang.
BGE 150 I 195 S. 197
A.b Am 21. September 2020 reichte A. bei der ETH Zürich ein Gesuch um Ausstellung einer Parkkarte ein. (...) Die ETH Zürich wies das Gesuch mit Verfügung vom 19. November 2020 ab. Die dagegen geführte Beschwerde von A. wies die ETH-Beschwerdekommission mit Entscheid vom 16. September 2021 ab (...). Dieser Beschwerdeentscheid blieb unangefochten.
B.a Am 15. Oktober 2021 reichte A. ein zweites Gesuch um Ausstellung einer Parkkarte für die Zeit vom 10. bis 23. Januar 2022 ein. (...) Er benötige für diese Zeit eine Parkkarte, um direkt beim "CAB" oder "CHN" parkieren zu können. (...)
B.b Mit Verfügung vom 11. November 2021 wies die ETH das Gesuch ab. Die ETH-Beschwerdekommission trat auf die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 25. August 2022 nicht ein, da eine "res iudicata" vorliege, und auferlegte A. die Verfahrenskosten wegen mutwilliger bzw. leichtsinniger Prozessführung.
B.c Gegen den Entscheid vom 25. August 2022 gelangte A. an das Bundesverwaltungsgericht, das mit Urteil vom 17. April 2023 die Beschwerde abwies und ihm Kosten von Fr. 500.- wegen mutwilliger bzw. leichtsinniger Prozessführung auferlegte.
C. A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil vom 17. April 2023 mit dem Antrag, ihm seien keine Kosten für das Verfahren vor der ETH-Beschwerdekommission und dem Bundesverwaltungsgericht aufzuerlegen.
(...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
5. Die Verfahren vor der ETH-Beschwerdekommission und vor dem Bundesverwaltungsgericht fielen unstrittig in den Geltungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes vom 13. Dezember 2002 (BehiG; SR 151.3). Nach
Art. 10 Abs. 1 BehiG sind diese Verfahren grundsätzlich unentgeltlich. Nach
Art. 10 Abs. 2 BehiG kann jedoch einer Partei, die sich mutwillig oder leichtsinnig verhält, Verfahrenskosten auferlegt werden. Fraglich ist, was unter einem mutwilligen oder leichtsinnigen Verhalten zu verstehen ist.
5.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene
BGE 150 I 195 S. 198
Auslegungen möglich, so muss das Gericht unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente nach der wahren Tragweite der Norm suchen. Dabei hat es insbesondere den Willen des Gesetzgebers zu berücksichtigen, wie er sich namentlich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (historische Auslegung). Weiter hat das Gericht nach dem Zweck, dem Sinn und den dem Text zugrunde liegenden Wertungen zu forschen, namentlich nach dem durch die Norm geschützten Interesse (teleologische Auslegung). Wichtig ist auch der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt, und das Verhältnis, in welchem sie zu anderen Gesetzesvorschriften steht (systematische Auslegung). Das Bundesgericht befolgt bei der Auslegung von Gesetzesnormen einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es ab, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (
BGE 149 II 43 E. 3.2 mit Hinweisen).
5.2 Der Wortlaut von
Art. 10 Abs. 2 BehiG ist in allen drei Amtssprachen im Wesentlichen sinngleich. Die Kostenpflicht wird ausgelöst durch ein vorwerfbares Prozessgebaren ("mutwillig oder leichtsinnig"; "de manière téméraire ou témoigne de légèreté"; "in modo temerario o con leggerezza"). Weitergehende Anhaltspunkte für den Normsinn können dem Wortlaut nicht abgewonnen werden.
5.3 Das BehiG entstand als indirekter Gegenvorschlag auf die Volksinitiative "Gleiche Rechte für Behinderte" (vgl. Botschaft vom 11. Dezember 2000 zur Volksinitiative "Gleiche Rechte für Behinderte" und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen, BBl 2001 1715 ff.). Der bundesrätliche Entwurf enthielt keine Bestimmung zur Kostenpflicht von Verfahren nach dem BehiG. Erst im Verlauf der parlamentarischen Diskussion kam diese Thematik auf. Die zuständige Kommission des Nationalrats schlug in der Sitzung vom 25. November 2002 eine entsprechende Bestimmung vor, die materiell
Art. 10 Abs. 2 BehiG entspricht (Art. 7d: "Les procédures aux articles 7 et 7a sont en principe gratuites. Des frais de procédures peuvent toutefois être mis à la charge de la partie qui agit de manière téméraire ou témoigne de légèreté"), und welche diskussionslos angenommen wurde (AB 2002 N 1728). Der Stände- schloss sich dem Nationalrat an, ohne dass die Kostenpflicht problematisiert worden wäre (AB 2002 S 1072). Auch aus der Entstehungsgeschichte ergeben sich demnach keine weiterführenden Hinweise auf den Normsinn.
5.4 Verschiedene Bundesgesetze sehen eine Kostenpflicht bei bös- oder mutwilliger Prozessführung vor (z.B.
Art. 33 Abs. 2 BGG;
BGE 150 I 195 S. 199
Art. 60 Abs. 2 VwVG [SR 172.021];
Art. 20a Abs. 2 Ziff. 5 SchKG;Art. 13 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann [Gleichstellungsgesetz, GlG;SR 151.1];
Art. 115 Abs. 1 ZPO [SR 272]). Andere Erlasse knüpfendie Kostenauflage an ein mutwilliges oder leichtsinniges Verhalten (z.B. Art. 61 lit. f
bis ATSG [SR 830.1];
Art. 74 Abs. 2 BVG [SR831.40]).
Art. 10 Abs. 2 BehiG verwendet ebenfalls das Begriffspaar"mutwillig" und "leichtsinnig", weshalb für dessen Konkretisierung von besonderem Interesse ist, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung gleich formulierte Schwesterbestimmungen auslegt.
Die sozialversicherungsrechtliche Rechtsprechung, die auch im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht zur Anwendung kommt (vgl. Urteil 5A_131/2013 vom 25. Juni 2013 E. 6.1), differenziert in langjähriger Praxis nicht zwischen einem mutwilligen oder leichtsinnigen Verhalten. Mutwillig oder leichtsinnig ist, wenn eine Partei Tatsachen wider besseres Wissen als wahr behauptet oder ihre Stellungnahme auf einen Sachverhalt abstützt, von dem sie bei der ihr zumutbaren Sorgfalt wissen müsste, dass er unrichtig ist. Mutwillig ist ferner das Festhalten an einer offensichtlich gesetzeswidrigen Auffassung. Leichtsinnige oder mutwillige Prozessführung liegt aber so lange nicht vor, als es der Partei darum geht, einen bestimmten, nicht als willkürlich erscheinenden Standpunkt durch das Gericht beurteilen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht die Partei im Laufe des Verfahrens von der Unrichtigkeit ihres Standpunkts überzeugen und zu einem entsprechenden Verhalten (Beschwerde- oder Klagerückzug) veranlassen will. Die Erhebung einer aussichtslosen Beschwerde darf einer leichtsinnigen oder mutwilligen Beschwerdeführung nicht gleichgesetzt werden. Das Merkmal der Aussichtslosigkeit für sich alleine lässt einen Prozess noch nicht als leichtsinnig oder mutwillig erscheinen. Vielmehr bedarf es zusätzlich des subjektiven - tadelnswerten - Elements, dass die Partei die Aussichtslosigkeit bei der ihr zumutbaren vernunftgemässen Überlegung ohne Weiteres erkennen konnte, den Prozess aber trotzdem führt. Mutwillige Prozessführung kann ferner darin begründet sein, dass eine Partei eine ihr in dieser Eigenschaft obliegende Pflicht (Mitwirkungs- oder Unterlassungspflicht) verletzt (
BGE 128 V 323 E. 1b; Urteile 9C_388/2023 vom 23. Oktober 2023 E. 3.2; 9C_318/2022 vom 29. Juni 2023 E. 3; 9C_62/2022 vom 22. November 2022 E. 5.1).
BGE 150 I 195 S. 200
5.5 Der Gesetzgeber sanktioniert mutwilliges und leichtsinniges Verhalten im Verfahren, weil dadurch die Behörden unnötig belastet werden. Wer mutwillig und leichtsinnig vorgeht, nimmt die ihm zur Verfügung gestellten prozessualen Mittel nicht sachgerecht in Anspruch. Insofern konkretisiert die Kostenpflicht bei mutwilligem und leichtsinnigem Verhalten den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (
Art. 5 Abs. 3 BV) sowie das Rechtsmissbrauchsverbot (vgl.
BGE 127 III 178 E. 2a;
BGE 111 Ia 148 E. 4). Als aus "ethischer Betrachtung geschöpfte[r] Grundregel" (
BGE 83 II 345 E. 2) verlangt Treu und Glauben von den Berechtigten, ihre prozessualen Möglichkeiten entsprechend einem "verkehrsüblichen" Redlichkeitsstandard wahrzunehmen (vgl. BENJAMIN SCHINDLER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 4. Aufl. 2023, N. 63 zu
Art. 5 BV). Einerseits soll eine Partei einen aussichtslosen Prozess nicht allein deshalb führen, weil er kostenlos ist (vgl.
BGE 138 III 217 E. 2.2.4). Andererseits verstösst eine Partei gegen Treu und Glauben, wenn sie Rechtsmittel aus sachfremden Überlegungen und insofern zweckfremd ergreift. Ein derartiges Verhalten rechtfertigt eine Kostenauflage (vgl. Urteil 5A_880/2017 vom 6. November 2017 E. 2).
5.6 Um Wertungswidersprüche zu vermeiden und eine über formale Grenzen der Rechtsgebiete hinausreichende kohärente Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Verfahrensrecht zu gewährleisten, ist für die Auslegung von
Art. 10 Abs. 2 BehiG von der zitierten Rechtsprechung (E. 5.4 f.) auszugehen. Daraus ergibt sich zunächst, dass begrifflich nicht zwischen "mutwilliger" und "leichtsinniger" Prozessführung zu unterscheiden ist. Eine entsprechende Abgrenzung wäre ohnedies nur schwer möglich. Die Kostenpflicht nach
Art. 10 Abs. 2 BehiG setzt sodann eine objektive und eine subjektive Komponente voraus. Erst die Kombination dieser beiden Komponenten rechtfertigt die Sanktion. In objektiver Hinsicht vertritt eine mutwillig oder leichtsinnig prozessierende Partei einen offensichtlich unbegründeten oder aussichtslosen Standpunkt. In subjektiver Hinsicht muss ihr dieses Vorgehen vorwerfbar sein. Die mutwillig oder leichtsinnig prozessierende Partei trifft subjektiv den Vorwurf, sie "hätte es besser wissen müssen". Massstab ist der Grundsatz von Treu und Glauben (
Art. 5 Abs. 3 BV; vgl. E. 5.4 f.).
6. Im konkreten Fall ist umstritten, ob die Vorinstanz
Art. 10 Abs. 2 BehiG korrekt angewendet hat.
BGE 150 I 195 S. 201
6.1 Die Vorinstanz erwog zusammengefasst, die ETH-Beschwerdekommission sei zu Recht nicht auf die Beschwerde eingetreten. Es liege Anspruchsidentität zwischen den beiden Gesuchen des Beschwerdeführers vor und der Entscheid der ETH-Beschwerdekommission vom 16. September 2021 stelle eine "res iudicata" dar. Deshalb sei die erneute Verfahrensanhebung in derselben Sache als mutwillig bzw. leichtsinnig zu qualifizieren. Aus den gleichen Gründen erachtete die Vorinstanz das bei ihr eingeleitete Beschwerdeverfahren als mutwillig bzw. leichtsinnig und auferlegte dem Beschwerdeführer ebenfalls Kosten von Fr. 500.-.
6.2 Der Beschwerdeführer kritisiert die vorinstanzlichen Erwägungen und hält diesen entgegen, sein Gesuch aus dem Jahr 2020 habe sich auf einen anderen Gegenstand bezogen als jenes aus dem Jahr 2021. Zudem habe er nach Vorliegen des ersten Entscheids der ETH-Beschwerdekommission kein (Rechtsschutz-)Interesse an einem Weiterzug gehabt, da der Blockkurs im Januar 2021 aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht vor Ort habe stattfinden können.
6.3 Materielle Rechtskraft bedeutet Massgeblichkeit eines formell rechtskräftigen Urteils in jedem späteren Verfahren unter denselben Parteien. Sie hat eine positive und eine negative Wirkung. In positiver Hinsicht bindet die materielle Rechtskraft das Gericht in einem späteren Prozess an alles, was im Urteilsdispositiv des früheren Prozesses festgestellt wurde (
BGE 142 III 210 E. 2). In negativer Hinsicht verbietet die materielle Rechtskraft jedem späteren Gericht, auf eine Sache einzutreten, deren Streitgegenstand mit der rechtskräftig beurteilten Sache identisch ist ("res iudicata";
BGE 142 III 210 E. 2.1; Urteile 1C_2/2023 vom 2. Juni 2023 E. 3.3; 2C_774/2018 vom 13. Mai 2019 E. 3.1; je mit Hinweisen). Im öffentlichen Recht können allenfalls dem Urteil einer gerichtlichen Behörde die Wirkungen der materiellen Rechtskraft zukommen; dementsprechend kann ein Gerichtsurteil eine "res iudicata" für ein späteres Verfahren sein (vgl.
BGE 144 I 11 E. 4.2; Urteil 2C_865/2018 vom 13. Mai 2019 E. 3.1). Die Verfügung einer Verwaltungsbehörde hingegen entfaltet nicht bzw. nicht in gleichem Umfang wie ein Gerichtsurteil materielle Rechtskraftwirkungen. Sie erwächst zwar nach ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist in
formelle Rechtskraft und regelt ein Rechtsverhältnis im Prinzip verbindlich (Urteile 2C_ 685/2023 vom 22. März 2024 E. 3.3; 2C_455/2023 vom 22. März 2024 E. 5.1, beide mit Hinweis auf TSCHANNEN/MÜLLER/KERN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2022, § 31 Rz. 827 und 838 ff.).
BGE 150 I 195 S. 202
Eine Behörde kann aber ungeachtet dessen auf eine materiell unrichtige Verfügung zurückkommen, wenn das Interesse an der richtigen Durchführung des objektiven Rechts höher zu gewichten ist als jenes an der Wahrung der Rechtssicherheit bzw. des Vertrauensschutzes (
BGE 137 I 69 E. 2.3;
BGE 121 II 273 E. 1a/aa; Urteil 2C_418/ 2019 vom 12. September 2019 E. 5.1.1). Vorbehalten bleibt zudem die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen die Wiedererwägung von rechtskräftigen Verfügungen zu verlangen (vgl.
BGE 146 I 185 E. 4.1;
BGE 138 I 61 E. 4.3;
BGE 136 II 177 E. 2.1; Urteile 2C_812/2022 vom 12. Januar 2024 E. 6.2; 1C_185/2019 vom 12. November 2019 E. 4.1; 2C_349/2012 vom 18. März 2013 E. 5; BENOÎT BOVAY, Procédure administrative, 2. Aufl. 2015, S. 391 ff.; MOOR/POLTIER, Droit administratif, Bd. II, 3. Aufl. 2011, S. 399 ff.).
6.4 Gemäss Art. 37 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH-Gesetz; SR 414.110) kann gegen Verfügungen der ETH und der Forschungsanstalten bei der ETH-Beschwerdekommission Beschwerde geführt werden. Der Bundesrat wählt die sieben Mitglieder der ETH-Beschwerdekommission. Mindestens vier Mitglieder müssen dem ETH-Bereich angehören (Art. 37a Abs. 1 ETH-Gesetz). Die Präsidentin oder der Präsident, die Vizepräsidentin oder der Vizepräsident sowie eines der fünf weiteren Mitglieder der Beschwerdekommission dürfen nicht dem ETH-Bereich angehören (
Art. 2 Abs. 2 der Verordnung vom 1. Oktober 2021 über die ETH-Beschwerdekommission [VETHBK; SR 414.110.21]).
Diese Bestimmungen über die organisatorische Ausgestaltung der ETH-Beschwerdekommission sind seit 1. November 2021 in Kraft (AS 2021 603). Bis zu diesem Zeitpunkt setzte sich die ETH-Beschwerdekommission aus sieben durch den ETH-Rat gewählten Mitgliedern zusammen (aArt. 37a Abs. 1 ETH-Gesetz). Aufgrund dieser personellen Verflechtung zwischen der ETH und der ETH-Beschwerdekommission wurde diese in der Lehre als zwar organisatorisch verselbständigte, nicht aber als unabhängige, den Anforderungen an ein Gericht im Sinn von
Art. 30 BV genügende Rechtsmittelinstanz qualifiziert (PETER UEBERSAX, in: Verfassungsrecht der Schweiz, Bd. III, 2020, S. 1781 Rz. 50; SCHINDLER/LOUIS, Erstinstanzlicher Rechtsschutz gegen universitäre Prüfungsentscheidungen, ZBl 112/2011 S. 525 f.). Die Stärkung der Unabhängigkeit der ETH-Beschwerdekommission gegenüber der ETH war denn auch eines der Motive, die zur Änderung von Art. 37a Abs. 1 ETH-Gesetz per
BGE 150 I 195 S. 203
1. November 2021 führte (AB 2020 N 913; AB 2020 S 966; vgl. bereits, wenngleich in anderem Zusammenhang, die Botschaft vom 27. November 2019 zur Änderung des ETH-Gesetzes, BBl 2020 715 ff., 729).
6.5 Der erste Entscheid der ETH-Beschwerdekommission betreffend die Parkiererlaubnis des Beschwerdeführers erging im September 2021 und daher noch unter altem Recht. Mit der zitierten Lehre und mit Blick auf die Entstehung von Art. 37a Abs. 1 ETH-Gesetz in der seit 1. November 2021 geltenden Fassung ist davon auszugehen, dass die ETH-Beschwerdekommission zumindest bis zum 1. November 2021 keine richterliche Unabhängigkeit genoss. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Argumentation der Vorinstanz, es liege eine "res iudicata" vor, als unzutreffend. Da die ETH-Beschwerdekommission jedenfalls im September 2021 keine gerichtliche Behörde war, kann ihrem Entscheid vom 16. September 2021 nicht die Bindungswirkung eines gerichtlichen Urteils zukommen. Ob darüber hinaus die beiden Gesuche örtlich und sachlich identisch sind, wie die Vorinstanz annimmt, erscheint fraglich.
6.6 Dem Beschwerdeführer könnte nur dann mutwillige Prozessführung vorgeworfen werden, wenn sein Verhalten subjektiv tadelnswert wäre (E. 5.6 hiervor). Davon kann nicht ausgegangen werden. Die Rechtsweggarantie (
Art. 29a BV) verleiht dem Beschwerdeführer das Recht, eine ihn betreffende Rechtsstreitigkeit zumindest einmal einem Gericht im Sinn von
Art. 30 BV zu unterbreiten (
BGE 149 I 2 E. 2.1;
BGE 147 IV 518 E. 3.1;
BGE 144 I 181 E. 5.3.2.1). Da die ETH-Beschwerdekommission jedenfalls bis zu ihrer organisatorischen Neugestaltung den Anforderungen an ein Gericht nach
Art. 30 BV nicht genügte (E. 6.4 f. hiervor), war die umstrittene Parkierregelung im Zeitpunkt der zweiten Gesuchstellung noch nicht gerichtlich beurteilt worden. Dem Beschwerdeführer muss es bei dieser Ausgangslage offenstehen, den von ihm geltend gemachten Anspruch erstmals einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Daher kann ihm weder die erneute Gesuchstellung im Jahr 2021 noch das daran anschliessende Durchlaufen des Instanzenzugs subjektiv vorgeworfen werden. Anzufügen ist, dass dem Beschwerdeführer auch nicht der unterbliebene Weiterzug des Entscheids der ETH-Beschwerdekommission aus dem Jahr 2021 angelastet werden kann. Wie er nachvollziehbar darlegt, fand aufgrund der Covid-19-Pandemie der Blockkurs nicht vor Ort statt. Der Weiterzug des ersten Entscheids der ETH-Beschwerdekommission hätte sich als nicht sinnvoll erwiesen.
BGE 150 I 195 S. 204
6.7 Demnach liegt keine "res iudicata" vor und dem Beschwerdeführer kann in subjektiver Hinsicht kein mutwilliges Verhalten im Sinn von
Art. 10 Abs. 2 BehiG angelastet werden. Indem das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf die Kriterien der unentgeltlichen Rechtspflege dem Beschwerdeführer gleichwohl Kosten auferlegte, hat es
Art. 10 Abs. 2 BehiG bundesrechtswidrig angewendet. Die Beschwerde ist insofern begründet.