150 IV 405
Urteilskopf
150 IV 405
35. Auszug aus dem Urteil der II. strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg und B. (Beschwerde in Strafsachen)
7B_1024/2023 vom 26. Juni 2024
Regeste
Art. 118 Abs. 3 StGB; Art. 115-118, 122 Abs. 1 und 2 StPO ; Art. 31 ZGB; Beschwerdelegitimation des Erzeugers bei Verfahrenseinstellung wegen strafbaren Schwangerschaftsabbruchs.
Der Erzeuger eines abgetriebenen Fötus ist nicht selber Träger des durch Art. 118 Abs. 3 StGB geschützten Rechtsgutes. Mangels Rechtspersönlichkeit und Opfereigenschaft des ungeborenen Lebens gilt er nicht als Angehöriger im Sinne von Art. 116 Abs. 2 StPO. Infolge der fehlenden Parteistellung ist er nicht berechtigt, die Einstellung des Strafverfahrens gegen die Mutter wegen strafbaren Schwangerschaftsabbruchs mit Beschwerde anzufechten (E. 3).
A. A. erstattete am 20. September 2022 Strafanzeige gegen seine ehemalige Freundin B. unter anderem wegen strafbaren Schwangerschaftsabbruchs (Art. 118 Abs. 3 StGB). Am 12. April 2023 konstituierte er sich als Privatkläger im Straf- und Zivilpunkt.
Mit Verfügung vom 17. August 2023 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg das Strafverfahren gegen B. ein und verwies die Zivilklage auf den Zivilweg.
B. Das Kantonsgericht Freiburg trat am 29. November 2023 auf die von A. gegen die Einstellungsverfügung erhobene Beschwerde nicht ein, soweit diese die Verfahrenseinstellung wegen strafbaren Schwangerschaftsabbruchs betraf.
C. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. dem Bundesgericht unter anderem, es sei der Beschwerdeentscheid hinsichtlich des Nichteintretens aufzuheben und es sei die Staatsanwaltschaft anzuweisen, das Strafverfahren bezüglich des strafbaren Schwangerschaftsabbruchs wieder aufzunehmen und zur Anklage zu bringen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
3.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe ihm hinsichtlich des strafbaren Schwangerschaftsabbruchs zu Unrecht die Parteistellung abgesprochen. Als Kindsvater des "abgetöteten Fötus" sei er als "'Opfer' im Sinne von Art. 115 StPO" anzusehen und bereits aus diesem Grund legitimiert, Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens wegen strafbaren Schwangerschaftsabbruchs zu führen. Seine Beschwerdelegitimation ergebe sich auch aus Art. 116 Abs. 2 StPO.
3.2
Die geschädigte Person kann als Privatklägerin zivilrechtliche Ansprüche aus der Straftat adhäsionsweise im Strafverfahren geltend machen (Art. 122 Abs. 1 StPO). Das gleiche Recht steht auch den Angehörigen des Opfers zu, soweit sie gegenüber der beschuldigten Person eigene Zivilansprüche geltend machen (Art. 122 Abs. 2 StPO).
Geschädigt ist, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist, wer mithin Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten Rechtsguts ist (Art. 115 Abs. 1 StPO; BGE 145 IV 433 E. 3.6; BGE 143 IV 77 E. 2.1 f. mit Hinweisen). Als Rechtsgutsträger kommen Personen im personenrechtlichen Sinne, d.h. natürliche und juristische Personen, in Frage (vgl. statt aller: ANNETTE DOLGE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Bd. I, 3. Aufl. 2023, N. 53 zu Art. 122 StPO).
Als Opfer gilt die geschädigte Person, die durch die Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 116 Abs. 1 StPO). Machen die Angehörigen eines Opfers Zivilansprüche geltend, so stehen ihnen die gleichen Rechte zu wie dem Opfer (Art. 117 Abs. 3 StPO). Als Angehörige des Opfers gelten seine Ehegattin oder sein Ehegatte, seine Kinder und Eltern sowie die Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahe stehen (Art. 116 Abs. 2 StPO).
3.3.1 Gemäss den vorinstanzlichen Ausführungen erfolgte die am 17. Mai 2022 vorgenommene Abtreibung in der 15. oder 16. Schwangerschaftswoche aufgrund der von den Ärzten bejahten Gefahr einer schweren seelischen Notlage der beschuldigten Person.
3.3.2 Nach Art. 118 Abs. 3 StGB wird die Frau, die ihre Schwangerschaft nach Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode abbricht, abbrechen lässt oder sich in anderer Weise am Abbruch beteiligt, ohne dass die Voraussetzungen von Art. 119 Abs. 1 erfüllt sind, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Gemäss Art. 119 Abs. 1 StGB ist der Abbruch einer Schwangerschaft straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist.
Geschütztes Rechtsgut des Art. 118 Abs. 3 StGB ist das menschliche Leben während der Schwangerschaft. Einbezogen sind Art. 118-120 StGB ; TRECHSEL/GETH, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Trechsel/Pieth [Hrsg.], 4. Aufl. 2021, N. 2 vor Art. 118 StGB; GIAN EGE, in: StGB, Annotierter Kommentar, Damian K. Graf [Hrsg.], 2020, N. 1 zu Art. 118 StGB).
BGE 150 IV 405 S. 408
grundsätzlich alle Embryonen und Föten bis zur Menschwerdung, auch solche, die nicht lebensfähig sind (SCHWARZENEGGER/HEIMGARTNER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2019, N. 1 vor Art. 118 StGB; QUELOZ/MUNYANKINDI, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. II, 2017, N. 7 vor
3.3.3 Die Rechtsordnung bestimmt, wer Person ist (EUGEN HUBER, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Erläuterungen zum Vorentwurf des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Bd. I, 2. Aufl. 1914, S. 45). Nach der gesetzlichen Konzeption des Zivilgesetzbuchs beginnt die Persönlichkeit mit dem Leben nach der vollendeten Geburt und endet mit dem Tode (Art. 31 Abs. 1 ZGB). "Die Persönlichkeit beginnt" - so plastisch der Gesetzesredaktor - (durch das eigene Leben des Kindes) "ausserhalb des Mutterschosses" (HUBER, a.a.O., S. 73; derselbe, Sten. Bull. 1905 N 471, in: Berner Kommentar, Materialien zum Zivilgesetzbuch, Bd. IV, 2023, S. 61). Vor der Geburt ist das Kind nur unter dem Vorbehalt rechtsfähig, dass es lebendig geboren wird (Art. 31 Abs. 2 ZGB). Das Kind, das tot geboren wird, erwirbt mithin keine Rechtsfähigkeit (statt aller: BUCHER/AEBI-MÜLLER, in: Berner Kommentar, 2. Aufl. 2017, N. 40 zu Art. 11 ZGB).
3.3.4 Daraus lässt sich schliessen, dass das von Art. 118 StGB geschützte ungeborene Leben de lege lata keine Persönlichkeit im Rechtssinne aufweist. Wird dieses ungeborene Leben im Mutterschosse durch Schwangerschaftsabbruch beendet, konnte es nach Art. 31 ZGB niemals Persönlichkeit erlangen. Damit ist das ungeborene Leben aber auch keine geschädigte Person im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO und folglich auch kein Opfer gemäss Art. 116 Abs. 1 StPO.
3.4 Diese Grundsätze hat die Vorinstanz ihrem Entscheid zutreffend zugrunde gelegt. Sie ist gestützt darauf zum Schluss gelangt, dass der Beschwerdeführer weder selber Träger des geschützten Rechtsgutes von Art. 118 StGB ist, noch - mangels Opfereigenschaft des ungeborenen Lebens - als Angehöriger im Sinne von Art. 116 Abs. 2 StPO gelten kann. Sie trat damit mangels Parteistellung des Beschwerdeführers mit Bezug auf den Vorwurf des strafbaren Schwangerschaftsabbruchs zu Recht nicht auf die Beschwerde ein.
Referenzen
BGE: 145 IV 433, 143 IV 77
Artikel: Art. 118 Abs. 3 StGB, Art. 118 StGB, Art. 116 Abs. 2 StPO, Art. 31 ZGB mehr...