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Urteilskopf

151 I 19


2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Gesundheitsamt des Kantons Bern (GA) und Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_172/2024 vom 27. Mai 2024

Regeste

Art. 10 Abs. 2 und Art. 29a BV; Art. 25 und 25a VwVG; Art. 40 lit. c MedBG; Feststellungsbegehren betreffend die Verbindlichkeit einer persönlichen "Abwahl" der medizinethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaften (SAMW) im Rahmen von Behandlungsverhältnissen sowie die aufsichtsrechtlichen Folgen der Nichtbeachtung dieser Richtlinien durch FMH-Mitglieder.
Voraussetzungen des Anspruchs auf Erhalt einer Feststellungsverfügung (E. 6). Verhältnis zwischen Selbstbestimmungsrecht der Patienten und ärztlichen Berufspflichten im Allgemeinen (E. 7.2). Es besteht kein schutzwürdiges Interesse daran, feststellen zu lassen, ob ein Patient die medizinethischen Richtlinien der SAMW für die ihn behandelnden Ärzte rechtsgültig für unanwendbar erklären kann; die Abwahlerklärung schafft bereits eine hinreichend klare rechtliche Ausgangslage und lässt sich durch eine Patientenverfügung ergänzen (E. 7.3). Die aufsichtsbehördliche (Nicht-)Berücksichtigung der SAMW-Richtlinien anlässlich der allfälligen künftigen Ergreifung von Disziplinarmassnahmen gegenüber den Beschwerdeführer behandelnden FMH-Mitgliedern ist weder einer Feststellungs- noch einer Verfügung über Realakte zugänglich (E. 8).

Sachverhalt ab Seite 20

BGE 151 I 19 S. 20

A.

A.a Der Verein "FMH Verbindung der Schweizerischen Ärztinnen und Ärzte" (im Folgenden: FMH) ist im Handelsregister des Kantons Bern eingetragen und verfolgt den Zweck, die Schweizerische Ärzteschaft in gesamtschweizerischen Angelegenheiten gegenüber der Bevölkerung, den Behörden und weiteren Institutionen zu vertreten. Als Berufsverband der diplomierten Ärztinnen und Ärzte setzt er sich gemäss Handelsregister für ein effizientes und patientenbezogenes Gesundheitswesen ein.
BGE 151 I 19 S. 21

A.b Die FMH setzte per 1. Juli 1997 eine seither mehrfach aktualisierte Standesordnung in Kraft, welche das Verhalten von Ärztinnen und Ärzten gegenüber Patientinnen und Patienten regelt. Zur Konkretisierung der ärztlichen Verhaltenspflichten verweist die Standesordnung in Art. 18 der Fassung aus dem Jahr 2023 auf die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Unter anderem werden die Richtlinien "Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz", "Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantation und Vorbereitung der Organentnahme", "Zwangsmassnahmen in der Medizin", "Palliative Care" und "Umgang mit Sterben und Tod" für anwendbar erklärt.

A.c A. (geboren 1936) leidet an einem metastasierenden nicht-kleinzelligen Bronchuskarzinom sowie an einem Pankreaskarzinom. Mit Eingabe vom 17. Februar 2023 stellte er beim Gesundheitsamt der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern (GSI) ein Gesuch mit folgenden Anträgen:
"1. Es sei dem Gesuchsteller seitens der zuständigen Amtsstelle folgendes schriftlich zu bestätigen:
a) Die Amtsstelle nimmt Kenntnis davon, dass der Gesuchsteller für sich in Bezug auf die Zukunft und beliebige Ärzte, sämtliche SAMW-Richtlinien, welche ethische Forderungen und/oder Postulate enthalten, gültig abgewählt hat, und dass diese demzufolge für seine medizinischen Behandlungen im Kanton Bern nicht angewendet werden dürfen.
b) Dem Gesuchsteller wird bestätigt, dass aus der blossen Nichtbeachtung von SAMW-Richtlinien durch im Kanton Bern praktizierende FMH-Mitglieder sich keine aufsichtsrechtlichen Verfahren gegen und Sanktionierungen von FMH-Mitgliedern ergeben.
2. (...)
3. (...)"

B. Mit Verfügung vom 27. März 2023 trat das Gesundheitsamt auf das Gesuch von A. mit der Begründung nicht ein, dass weder es selbst noch eine andere Behörde für dessen Behandlung zuständig sei. Hiergegen gelangte A. mit Beschwerde an die GSI, welche die Verfügung des Gesundheitsamts mit Entscheid vom 4. September 2023 bestätigte. Eine gegen den Beschwerdeentscheid der GSI gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern - nachdem das Bundesgericht eine von A. am 20. Februar 2024 erhobene Rechtsverweigerungs- und Rechtsverzögerungsbeschwerde gutgeheissen hatte (Urteil 2C_119/2024 vom 1. März 2024) - mit Urteil vom 11. März 2024 ab.
BGE 151 I 19 S. 22

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 8. April 2024 verlangt A. im Hauptantrag die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und eine inhaltliche Beurteilung seines Gesuchs durch das Bundesgericht. Im Eventualantrag verlangt er die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und die Rückweisung der Streitsache an die GSI bzw. ans Gesundheitsamt mit der Weisung, auf sein Gesuch vom 17. Februar 2023 einzutreten.
(...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

6. Die vom Bundesgericht frei zu prüfende Frage (nicht publ. E. 3.4), ob Anspruch auf eine Feststellungsverfügung besteht, ist anhand der von Lehre und Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien zu beantworten.

6.1 Verfügungen zielen als einseitige Akte verwaltungsbehördlicher Rechtsanwendung darauf ab, einen konkreten Lebenssachverhalt gestützt auf öffentliches Recht verbindlich zu regeln. Die entsprechende Regelung kann entweder gestaltend oder feststellend und entweder nur für ganz bestimmte Personen (Individualverfügung) oder für eine immerhin nach spezifischen Merkmalen bestimmbare Vielzahl an Adressaten (Allgemeinverfügung) verbindlich sein (vgl. zum Ganzen: Urteile 2C_603/2023 vom 21. Februar 2024 E. 5.3; 9C_575/2022 vom 5. Juli 2023 E. 4.2.1 mit Hinweisen; TSCHANNEN/MÜLLER/KERN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2022, Rz. 639 ff., 653 ff., 682 ff.; zu den Strukturmerkmalen der Allgemeinverfügung auch DANIELA THURNHERR, Die Allgemeinverfügung, in: 8. Forum für Verwaltungsrecht, Brennpunkt "Verfügung", 2022, S. 166 ff.). Der zu regelnde Sachverhalt muss aber auf jeden Fall hinlänglich konkretisiert sein; es muss mithin klar sein, welche Rechte und/oder Pflichten begründet, geändert, aufgehoben oder festgestellt werden sollen. Beansprucht eine staatliche Anordnung für eine unbestimmte Vielzahl an Adressaten und Tatbeständen Verbindlichkeit, d.h. ohne Rücksicht auf einen Einzelfall, handelt es sich bei ihr um einen Erlass bzw. Rechtssatz (Urteil 9C_575/2022 vom 5. Juli 2023 E. 4.2.2 mit Hinweisen).

6.2 Nach der Praxis des Bundesgerichts zu Art. 25 VwVG (SR 172.021) setzt der Erlass einer Feststellungsverfügung im
BGE 151 I 19 S. 23
Wesentlichen voraus, dass die gesuchstellende Person ein rechtliches oder tatsächliches sowie aktuelles und praktisches Interesse an der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses hat (BGE 146 V 38 E. 4.2; Urteil 2C_357/2020 vom 20. August 2020 E. 3.4.1 mit Hinweisen). Im Kanton Bern, dessen allgemeine Verfahrensordnung keine das Feststellungsverfahren regelnden Bestimmungen enthält, gilt Art. 25 VwVG analog (vgl. MARKUS MÜLLER, in: Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern, 2. Aufl. 2020, N. 72 zu Art. 49 VRPG/BE).

6.3 Obschon sich die Feststellungsverfügung auf eine konkretisierte Sachlage beziehen muss (E. 6.1 hiervor), kann sie einen zukünftigen Sachverhalt bzw. künftige Anwendungsfälle umfassen. Voraussetzung ist, dass der Sachverhalt bereits hinreichend bestimmt ist (vgl. BGE 135 II 60 E. 3.3.3; BGE 131 II 13 E. 2.2; GREGOR BACHMANN, Die Feststellungsverfügung, in: 8. Forum für Verwaltungsrecht, Brennpunkt "Verfügung", 2022, S. 159 f.; ders., Anspruch auf Verfahren und Entscheid, 2019, S. 37 Fn. 178; ISABELLE HÄNER, in: Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVG], 3. Aufl. 2023, N. 16 zu Art. 25 VwVG). Die Abgrenzung des Rechtsschutzinteresses gestaltet sich bei in die Zukunft gerichteten Feststellungsbegehren bisweilen schwierig (HÄNER, a.a.O., N. 16 zu Art. 25 VwVG). Jedenfalls darf die Feststellungsverfügung nicht dazu dienen, eine bloss theoretische oder abstrakte Rechtsfrage zu klären (BGE 137 II 199 E. 6.5; vgl. auch RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Öffentliches Prozessrecht, 4. Aufl. 2021, Rz. 1281).

6.4 Ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung eines künftigen Rechtsverhältnisses ist gegeben, wenn dem Gesuchsteller die Fortdauer der Ungewissheit unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar ist, weil sie ihn in seiner Entscheidungsfreiheit einschränkt (BGE 142 V 2 E. 1.1 mit Hinweisen; Urteile 1C_116/2021 vom 1. Februar 2022 E. 5; 2C_608/2017 vom 24. August 2018 E. 6.3). Von einer unzumutbaren Ungewissheit ist insbesondere dann auszugehen, wenn die Entscheidungsfreiheit, auf die sich der Gesuchsteller - wie vorliegend der Beschwerdeführer - vertretbar beruft, grundrechtlich geschützt und der Staat somit in erhöhtem Mass (auch) zu deren prozeduraler Absicherung verpflichtet ist (vgl. in diesem Zusammenhang BGE 147 I 1 E. 3.2 mit Hinweisen; Urteil 2C_272/2012 vom 9. Juli 2012 E. 4.3; RAINER J. SCHWEIZER, in: Die schweizerische
BGE 151 I 19 S. 24
Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 4. Aufl. 2023, N. 20 zu Art. 35 BV).
An einem schutzwürdigen Interesse am Erhalt einer Feststellungsverfügung fehlt es, wenn die Interessen des Gesuchstellers ebenso gut durch den (späteren) Erlass einer Gestaltungsverfügung gewahrt werden können. Die Feststellungsverfügung ist gegenüber der Gestaltungsverfügung subsidiär (Urteil 1C_377/2019 vom 1. Dezember 2020 E. 10.2, nicht publ. in: BGE 147 I 280; vgl. auch BGE 137 II 199 E. 6.5 mit Hinweisen; HÄNER, a.a.O., N. 20 zu Art. 25 VwVG).

7. In einem ersten Schritt ist auf das Rechtsbegehren gemäss Ziff. 1a des Gesuchs vom 17. Februar 2023 einzugehen.

7.1 Dieses Rechtsbegehren zielt auf die Feststellung des Bestands eines durch seine "Abwahl" der SAMW-Richtlinien begründeten Rechtsverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und allen im Kanton Bern praktizierenden Ärztinnen und Ärzten ab, welches aus deren - die generell-abstrakte Berufspflicht gemäss Art. 40 lit. c des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2006 über die universitären Medizinalberufe (Medizinalberufegesetz, MedBG; SR 811.11) konkretisierenden - Verpflichtung bestünde, ihn im Rahmen bestehender und allfälliger künftiger öffentlich- und privatrechtlicher Behandlungsverhältnisse nicht nach Massgabe der SAMW-Richtlinien medizinisch zu behandeln (wiewohl der Beschwerdeführer diese Unterlassungspflicht eher als Dispensation begreift). Gleichsam das Spiegelbild dieser Verpflichtung der Ärzteschaft wäre das subjektive Recht des Beschwerdeführers, nicht nach Massgabe der besagten Richtlinien medizinisch behandelt zu werden.

7.2 Dass das Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers auch dem Privatrecht unterstehende Rechtsverhältnisse beschlägt, steht dem Erlass einer Feststellungsverfügung durch das Gesundheitsamt nicht von vornherein entgegen. Eine Aufsichtsbehörde kann den von ihr Beaufsichtigten unter Wahrung des Verhältnismässigkeitsgebots auch darüber einzelfallbezogene Weisungen erteilen, wie sie sich in einer bestimmten privatrechtlichen Rechtsbeziehung zu verhalten haben, sofern die betreffenden Anordnungen der Konkretisierung öffentlich-rechtlicher Vorgaben dienen, an welche die Beaufsichtigten gebunden sind (vgl. BGE 136 II 457 E. 6.2 f.). In Zusammenhang mit der Aufsicht über Medizinalpersonen sind als derlei öffentlich-rechtliche Vorgaben namentlich die in Art. 40 MedBG statuierten Berufspflichten relevant. Aufgrund der in Art. 40 lit. c MedBG
BGE 151 I 19 S. 25
verankerten Pflicht der Ärztinnen und Ärzte, die Rechte der Patientinnen und Patienten zu wahren, können sich Anordnungen der kantonalen Aufsichtsbehörde (vgl. Art. 41 Abs. 2 Satz 1 MedBG) nach dem Gesagten auch auf die Rechtsfolgen einer bestimmten Ausübung des aus Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK fliessenden Rechts der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung im privatrechtlichen Behandlungsverhältnis beziehen (vgl. zur ärztlichen Berufspflicht zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Patientinnen und Patienten etwa YVES DONZALLAZ, Traité de droit médical, Bd. II [nachfolgend: Bd. II], 2021, Rz. 5483; VIRGILIA RUMETSCH, Medizinalberufegesetz [MedBG], in: Gesundheitsrecht, SBVR Bd. VIII/1, 2. Aufl. 2023, Rz. 543). Ärztinnen und Ärzte nehmen im Rahmen privatrechtlicher Behandlungsverhältnisse zwar keine staatlichen Aufgaben wahr; sie agieren hier aber dennoch von Gesetzes wegen teilweise grundrechtsgebunden (vgl. in diesem Kontext Art. 35 BV; zum Gesetzgeber als Adressaten grundrechtlicher Schutzpflichten z.B. KIENER/KÄLIN/WYTTENBACH, Grundrechte, 3. Aufl. 2018, § 4 Rz. 21-26).

7.3 Die von der Vorinstanz verneinte Frage, ob der zukünftige Sachverhalt, auf den sich das Feststellungsbegehren gemäss Ziff. 1a des Gesuchs des Beschwerdeführers vom 17. Februar 2023 bezieht, hinreichend konkretisiert ist (E. 6.3 hiervor), kann offengelassen werden, da der Beschwerdeführer jedenfalls kein schutzwürdiges Interesse (E. 6.4 hiervor) an der beantragten Feststellung hat.

7.3.1 Im Urteil 2C_119/2024 vom 1. März 2024 hat das Bundesgericht festgehalten, dass es aufgrund der gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers naheliegend sei, dass in absehbarer Zeit höchstpersönliche Entscheidungen über Behandlungsalternativen, den Umgang mit Palliativmedizin und allenfalls in Bezug auf das Lebensende getroffen werden müssen; die entsprechenden Fragen bzw. die damit einhergehende Ungewissheit berührten seine verfassungs- und konventionsrechtlich geschützte Persönlichkeitsentfaltung (E. 4.3 mit Hinweis auf Urteil 2C_608/2017 vom 24. August 2018 E. 6.5.2; Urteil des EGMR Pretty gegen Vereinigtes Königreich vom 29. April 2002 [Nr. 2346/02], § 65 ff.;SCHWEIZER/BONGIOVANNI, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 4. Aufl. 2023, N. 54 zu Art. 10 BV). Diese Ausführungen bezogen sich auf den Anspruch des Beschwerdeführers auf gerichtlichen Rechtsschutz innert angemessener Frist. Im vorliegenden Verfahren stellt sich hingegen die anders gelagerte, materiell-rechtliche Frage,
BGE 151 I 19 S. 26
ob der Beschwerdeführer mit einer - auch unter grundrechtlichen Gesichtspunkten - unzumutbaren Ungewissheit konfrontiert ist. Diese Frage ist zu verneinen.

7.3.2 Der Beschwerdeführer hat die besagte Ungewissheit über den Inhalt seiner laufenden und künftigen Behandlungsverhältnisse bereits selber beseitigt, indem er die medizinethischen Richtlinien der SAMW in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts unmissverständlich "abgewählt" hat. Damit hat der Beschwerdeführer für sich und die ihn in Gegenwart und Zukunft behandelnden Medizinalpersonen eine hinreichend klare rechtliche Ausgangslage geschaffen. Die SAMW-Richtlinien stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein privates Regelwerk dar (vgl. BGE 150 IV 255 E. 3.3.3; Urteil 6B_646/2020 vom 9. Dezember 2021 E. 1.6), das zwar zur Auslegung von Rechtsnormen beigezogen werden kann (BGE 148 I 1 E. 6.2.2 mit Hinweisen); zugleich und wiederum nach der Rechtsprechung gehen die Bestimmungen des positiven Rechts aber vor (BGE 148 I 1 E. 6.2.2 mit Hinweis). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass jeder Heileingriff eine Persönlichkeitsverletzung darstellt und widerrechtlich ist, wenn keine Einwilligung des (hinreichend aufgeklärten) Patienten vorliegt (vgl. Urteil 6B_730/2017 vom 7. März 2018 E. 2.3 mit Hinweisen; grundlegend: BGE 117 Ib 197 E. 2), und dass die Missachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten auch dann als schwerer Eingriff in dessen persönliche Freiheit zu qualifizieren ist, wenn die fragliche ärztliche Handlung in seinem therapeutischen Interesse liegt (BGE 148 I 1 E. 6.2.3 mit Hinweisen). Hieraus folgt, dass die den Beschwerdeführer behandelnden Medizinalpersonen seinen Willen in Bezug auf die Frage, ob und wie ein bestimmter Heileingriff bzw. eine bestimmte medizinische Behandlung vorzunehmen sei, jederzeit respektieren müssen (vgl. auch Art. 4 Abs. 1 der FMH-Standesordnung: "Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patienten und Patientinnen zu erfolgen"; dazu BGE 148 I 1 E. 6.2.2).

7.3.3 Hinzu kommt, dass sich die Respektierung des Willens des Beschwerdeführers für den Fall, dass er urteilsunfähig werden sollte, durch die Errichtung einer Patientenverfügung (Art. 370 ff. ZGB) absichern liesse. Durch die Patientenverfügung kann eine Person für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie zustimmt oder nicht (Art. 370 Abs. 1 ZGB). Die Patientenverfügung ist nach der gesetzgeberischen Konzeption ein
BGE 151 I 19 S. 27
Instrument zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts von Patientinnen und Patienten (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht], BBl 2006 7001 ff., 7011 f.). Sie eignet sich auch dazu, persönliche Werthaltungen festzulegen (vgl. dazu DONZALLAZ, Traité de droit médical, Bd. III, 2021, Rz. 7624 ff.). Die dem Beschwerdeführer offenstehende Möglichkeit, seine persönlichen Präferenzen in Form einer Patientenverfügung festzulegen, ist bei der Beurteilung des schutzwürdigen Interesses ebenfalls zu berücksichtigen.

7.3.4 Von einer fortdauernden oder gar unzumutbaren Ungewissheit über die Rechtsgültigkeit der seitens des Beschwerdeführers getätigten Abwahlerklärung kann vor dem Hintergrund des Gesagten nicht die Rede sein. Das Vorliegen eines schutzwürdigen Feststellungsinteresses ist mit der Vorinstanz zu verneinen.

7.4 Die Vorinstanz beging durch ihre Bestätigung des Nichteintretens auf das Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers gemäss Ziff. 1a seines Gesuchs vom 17. Februar 2023 keine formelle Rechtsverweigerung. Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.

8. Fraglich ist weiter, wie das Rechtsbegehren gemäss Ziff. 1b des Gesuchs vom 17. Februar 2023 zu beurteilen ist.

8.1 Laut diesem Begehren soll das Gesundheitsamt dem Beschwerdeführer bestätigen, dass im Kanton Bern praktizierenden FMH-Mitgliedern wegen Nichtbeachtung der medizinethischen Richtlinien der SAMW keine aufsichtsrechtlichen Massnahmen drohen. Damit zielt der Beschwerdeführer prima vista auf die autoritative Prüfung einer abstrakten Rechtslage ohne Bezug zu einem hinreichend konkretisierten Sachverhalt ab. Eine solche Bestätigung hätte Rechtssatzcharakter und kann folglich nicht Gegenstand einer Feststellungs- bzw. einer feststellenden Allgemeinverfügung sein (E. 6.1 hiervor).

8.2 Sowohl der Beschwerdeführer wie auch die Vorinstanz gehen implizit davon aus, dass das Rechtsbegehren gemäss Ziff. 1b des Gesuchs vom 17. Februar 2023 - entgegen seinem Wortlaut - so zu interpretieren sei, als beziehe es sich bloss auf die Rechtsfolgen der Nichtbeachtung der SAMW-Richtlinien durch FMH-Mitglieder, die mit dem Beschwerdeführer in einem Behandlungsverhältnis stehen bzw. stehen werden. Auch insofern fehlt es an einem hinreichend konkretisierten (künftigen) Sachverhalt: Die medizinethischen
BGE 151 I 19 S. 28
Richtlinien der SAMW sind ein weitläufiges privates Regelwerk mit diversen Empfehlungen und Stellungnahmen zu verschiedenen Themen, über deren gesundheitsaufsichtsrechtliche Tragweite sich ohne Bezugnahme auf die Umstände eines konkreten Einzelfalls, in welchem die Anordnung von Disziplinarmassnahmen wegen Verletzung ärztlicher Berufspflichten (vgl. Art. 43 i.V.m. Art. 40 MedBG sowie Art. 17a Abs. 1 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Bern vom 2. Dezember 1984 [GesG/BE; BSG 811.01]) zur Diskussion steht,keine regelungs- bzw. verfügungsfähige behördliche Aussage machen lässt.

8.3 Unbestritten ist, dass allfällige künftige (Disziplinar-)Rechtsverhältnisse zwischen dem Gesundheitsamt und der den Beschwerdeführer behandelnden Ärzteschaft materiell dem Bundesrecht unterstehen. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, regelt Art. 40 MedBG die Berufspflichten von Personen, die in eigener fachlicher Verantwortung einen universitären Medizinalberuf ausüben, abschliessend, wobei die in Art. 18 der Standesordnung der FMH für anwendbar erklärten SAMW-Richtlinien für alle FMH-Mitglieder verbindlich seien und ihnen darüber hinaus im Kontext der Anwendung von Art. 40 MedBG generell die Funktion einer Auslegungshilfe zukommen könne (vgl. BGE 142 I 195 E. 3.1; Urteil 2C_782/2017 vom 27. März 2018 E. 2.3; RUMETSCH, a.a.O., Rz. 482 ff.). Angesichts dieses intrikaten Zusammenspiels zwischen gesetzlicher Ordnung und Standesregeln ist eine Feststellung konkreter Rechte und/oder Pflichten der Ärzteschaft in Zusammenhang mit sämtlichen medizinischen Behandlungen, die der Beschwerdeführer derzeit benötigt und in Zukunft benötigen könnte, nicht vorstellbar.
Sodann beschlägt das diesbezügliche Begehren des Beschwerdeführers - zumal von fachlich eigenverantwortlich tätigen Ärztinnen und Ärzten begangene Berufspflichtverletzungen ausschliesslich gestützt auf Art. 43 i.V.m. Art. 40 MedBG aufsichtsrechtlich sanktioniert werden können (eine Disziplinarordnung für der fachlichen Aufsicht unterstehende Ärztinnen und Ärzte kennt der Kanton Bern nicht; vgl. zur Kompetenzordnung Urteil 2C_236/2020 vom 28. August 2020 E. 3.3.2; DONZALLAZ, Bd. II, a.a.O., Rz. 5730) - lediglich den Meinungsbildungsprozess der Aufsichtsbehörde in allfälligen künftigen, seine medizinische Behandlung betreffenden Disziplinarverfahren, was von vornherein nicht Gegenstand einer (materiellen) Verfügung sein kann. Das seitens des Beschwerdeführers Anbegehrte
BGE 151 I 19 S. 29
liefe letztlich auf die Abgabe eines Versprechens der Aufsichtsbehörde hinaus, anlässlich einer dereinst möglicherweise erfolgenden Ergreifung aufsichtsrechtlicher Massnahmen gegenüber bestimmten Ärztinnen und Ärzten - im Sinne eines "Berücksichtigungsverbots" - gewisse Überlegungen nicht anzustellen. Dazu, welche Begründungselemente sie im Hinblick auf einen in Zukunft allenfalls zu fällenden Entscheid heranziehen könnte, kann sich eine Behörde in der Form einer unverbindlichen Auskunft äussern; einer materiellen Verfügung zugänglich ist eine solche Mitteilung jedoch nicht (vgl. Urteil 2C_1176/2013 vom 17. April 2015 E. 1.2.2, nicht publ. in: BGE 144 II 233; zur Unterscheidung zwischen Feststellungsverfügung und behördlicher Auskunft WEBER-DÜRLER/KUNZ-NOTTER, in: VwVG, Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2. Aufl. 2019, N. 5 zu Art. 25 VwVG mit Hinweis u.a. auf BGE 130 V 388 E. 2.5).

8.4 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Vorinstanz einen Anspruch auf Erlass einer Feststellungsverfügung zu Recht verneinte. Damit ist die Beschwerde in diesem Punkt aber noch nicht abzuweisen. Denn auch ohne verfügungsfähigen Regelungsgegenstand besteht unter Umständen ein Anspruch auf Erlass einer Verfügung.

8.4.1 Macht der Gesuchsteller plausibel geltend, dass ihn eine staatliche Handlung oder Unterlassung ohne Verfügungscharakter in seinen Rechten verletzt oder ihn bei der Erfüllung von Pflichten in unzulässiger Weise beeinträchtigt, muss er über diese Handlung oder Unterlassung - sofern sie nach der einschlägigen Verfahrensordnung nicht ausnahmsweise direkt anfechtbar ist - eine Verfügung verlangen können. Dieser aus Art. 29a BV fliessende Anspruch auf Erlass einer Verfügung über behördliche Realakte wird im Verfahrensrecht des Bundes in Art. 25a VwVG sowie in zahlreichen kantonalen Verfahrensgesetzen in Anlehnung an die bundesrechtliche Regelung konkretisiert (vgl. zum Ganzen: BERNHARD WALDMANN, Anspruch auf den Erlass einer Verfügung, in: 8. Forum für Verwaltungsrecht, Brennpunkt "Verfügung", 2022, S. 71, 77 ff.). Existiert in einem Kanton keine entsprechende Norm, kann dieser Anspruch gegebenenfalls auch im Rahmen eines (atypischen) Feststellungsverfahrens eingelöst werden (in diesem Sinn mit Blick auf Art. 13 EMRK bereits BGE 121 I 87 E. 1b). In jedem Fall vorausgesetzt ist ein schutzwürdiges Interesse am Erhalt der anbegehrten Verfügung (vgl. Art. 25 Abs. 2 und Art. 25a Abs. 1 VwVG; vgl. ferner Art. 50 Abs. 2 des Gesetzes des Kantons Bern vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege [VRPG/BE; BSG 155.21]).
BGE 151 I 19 S. 30
Neben einem schutzwürdigen Interesse setzt der Erhalt einer Verfügung über einen Verwaltungsrealakt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 29a BV (und Art. 25a VwVG) eine hinlänglich intensive Betroffenheit in schützenswerten individuellen Rechtspositionen voraus (vgl. BGE 143 I 336 E. 4.1 f.; BGE 140 II 315 E. 4.3 f.). Eine schützenswerte Rechtsposition kann sich aus dem Verfassungs-, Gesetzes- oder Verordnungsrecht in allen Rechtsbereichen ergeben (BGE 143 I 336 E. 4.3 mit Hinweisen) und besteht jedenfalls dann, wenn in vertretbarer Weise geltend gemacht wird, es bestehe ein Anspruch auf ein bestimmtes staatliches Handeln oder Unterlassen, der durch den strittigen Realakt verletzt werde (BGE 143 I 336 E. 4.3.1 mit Hinweisen). Des Weiteren müssen sowohl die schützenswerte Rechtsposition wie auch das schutzwürdige Interesse derjenigen Person zukommen, welche um Rechtsschutz nachsucht; es muss sich mithin um eigene Rechtspositionen bzw. Interessen handeln (vgl. BGE 146 I 145 E. 4.1; Urteil 2C_122/2009 vom 22. September 2009 E. 3). Dieses Erfordernis korrespondiert mit der allgemeinen Rechtsschutzvoraussetzung der besonderen Betroffenheit durch den strittigen Akt (vgl. etwa Art. 12 Abs. 1 VRPG/ BE und Art. 48 Abs. 1 lit. b VwVG): Zwecks Ausschlusses des Popularrechtsschutzes muss der Gesuchsteller von diesem besonders, d.h. stärker als jedermann, betroffen sein; seine Betroffenheit muss sich von derjenigen der Allgemeinheit abheben (BGE 147 I 280 E. 6.2.1 mit Hinweis).

8.4.2 Aufsichtsrechtliche Disziplinarverfahren dienen dem öffentlichen Interesse an der korrekten Berufsausübung durch die Beaufsichtigten und nicht der Verwirklichung individueller Bedürfnisse (vgl. Urteil 2C_985/2021 vom 16. November 2022 E. 4.7 mit Hinweis; vgl. auch BGE 142 II 451 E. 3.4.3). An der Beschreitung des Rechtswegs gegen aufsichtsbehördliche Verfügungen und Realakte können demgemäss grundsätzlich nur der Aufsicht unterstehende und von einer Massnahme direkt adressierte Rechtssubjekte ein schutzwürdiges Interesse haben. Durch die von ihm als rechtswidrig empfundene potentielle Berücksichtigung der SAMW-Richtlinien durch das Gesundheitsamt im Rahmen der allfälligen (gestützt auf Art. 43 MedBG erfolgenden) künftigen Ergreifung von Disziplinarmassnahmen gegenüber Medizinalpersonen, die den Beschwerdeführer behandelt haben, ist dieser weder in einer eigenen schützenswerten Rechtsposition berührt noch hat er ein schutzwürdiges Interesse daran, eine Berücksichtigung der besagten Richtlinien zu verhindern.
BGE 151 I 19 S. 31
Es mag zutreffen, dass die Unsicherheit hinsichtlich der genauen rechtlichen Tragweite der SAMW-Richtlinien dazu führen kann, dass sich Ärztinnen und Ärzte dem Risiko staatlicher Sanktionierung wegen Verletzung ihrer Berufspflichten ausgesetzt sehen, wenn sie sich nicht richtlinienkonform verhalten. Durch diese Problematik unmittelbar betroffen ist aber nur das Verhältnis zwischen Aufsichtsbehörde und Ärzteschaft; den Beschwerdeführer tangiert sie bloss indirekt und klar nicht mit der erforderlichen Intensität. Zudem hat der Beschwerdeführer bereits Vorkehrungen getroffen, um die besagte Unsicherheit in Bezug auf an seiner Person vorzunehmende medizinische Behandlungen zu beseitigen (E. 7.3 hiervor).

8.4.3 Der Beschwerdeführer begründet seine vor Bundesgericht vorgetragenen Begehren auch damit, dass ihm daran gelegen sei, den Ärztinnen und Ärzten, die ihn jetzt und in Zukunft behandeln (werden) und Mitglieder der FMH sind, die Angst vor "illegitimen vereinsrechtlichen Sanktionen" zu nehmen. Er spricht damit die von der Vorinstanz erläuterte Situation an, dass die als Verein im Sinn der Art. 60 ff. ZGB konstituierte FMH von ihren Mitgliedern zu verantwortende Verstösse gegen die FMH-Standesordnung, zu welcher auch die medizinethischen Richtlinien der SAMW gehören, vereinsintern sanktionieren kann. Dieser aus Sicht des Beschwerdeführers unbefriedigenden Situation ist nach den überzeugenden Darlegungen der Vorinstanz mit einer Feststellungsverfügung der Aufsichtsbehörde jedoch nicht beizukommen. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung ist es ihr verwehrt, unmittelbar in das Zivilrechtsverhältnis zwischen der FMH und ihren Mitgliedern einzugreifen (vgl. BGE 136 II 457 E. 6.3 mit Hinweis). Ein solcher Eingriff wäre zwar unter Umständen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsnorm zulässig, wenn den FMH-Mitgliedern gegenüber der FMH gewisse öffentlich-rechtliche Rechte zustünden, über deren Wahrung die Aufsichtsbehörde zu wachen hätte. Entgegen der Einschätzung des Beschwerdeführers ist dies indessen nicht der Fall: Die FMH ist als solche nicht Adressatin der in Art. 41 MedBG verankerten Berufspflichten.

8.5 Durch ihre Bestätigung des Nichteintretens auf das Begehren des Beschwerdeführers gemäss Ziff. 1b seines Gesuchs vom 17. Februar 2023 hat die Vorinstanz demnach keine formelle Rechtsverweigerung begangen. Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet.

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Sachverhalt

Erwägungen 6 7 8

Referenzen

BGE: 148 I 1, 143 I 336, 137 II 199, 147 I 280 mehr...

Artikel: Art. 25 VwVG, Art. 40 MedBG, Art. 25 und 25a VwVG, Art. 40 lit. c MedBG mehr...