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Urteilskopf

151 II 46


3. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Schweizerische Exportrisikoversicherung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_160/2023 / 2C_162/2023 vom 21. Januar 2025

Regeste

aArt. 15 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 sowie Art. 21a Abs. 1 und 2 SERVG; Art. 120 und 156 OR; Schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV); Fabrikationsrisiko- und Lieferantenkreditversicherung sowie Fabrikationskreditversicherung; öffentlich-rechtliche Verträge; gesetzliche und vertragliche Entschädigungsvoraussetzungen; Verrechnungseinrede; Einwendung der Nichterfüllungsfiktion.
Streitgegenstand und Rechtliches (E. 5).
Da die Entschädigungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, hat die Exporteurin keinen Anspruch auf die eingeklagte Versicherungsleistung aus der Lieferantenkreditversicherung (E. 7).
Der Anspruch der Schweizerischen Exportrisikoversicherung auf Erstattung ihrer erbrachten Versicherungsleistung zugunsten des Finanzinstituts aus der Fabrikationskreditversicherung (Regress) ist ausgewiesen. Dagegen kann die Exporteurin weder die Verrechnungseinrede noch die Einwendung der Nichterfüllungsfiktion erheben (E. 8).

Sachverhalt ab Seite 47

BGE 151 II 46 S. 47

A. Die A. AG ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich. Sie bezweckt unter anderem die Produktion, Verwertung, Verbreitung und Vermittlung sowie den Einkauf, Verkauf und Verleih von Inhalten für die Telekommunikationsdienste und elektronische Medien aller Art im In- und Ausland. Die Gesellschaft erbringt alle damit zusammenhängenden Dienstleistungen, insbesondere den Betrieb von Kommunikationsnetzen und die Beratung sowie den Erwerb von Lizenzrechten und Patenten.
Die Schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV) ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes mit eigener Rechtspersönlichkeit. Die SERV bietet in Ergänzung zur Privatwirtschaft Versicherungen für Exportrisiken nach Massgabe des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Schweizerische Exportrisikoversicherung (Exportrisikoversicherungsgesetz, SERVG [SR 946.10]) an.

A.a Die A. AG vereinbarte anfangs 2014 mit dem Transport- und Kommunikationsministerium des U. (nachfolgend: Besteller) ein Exportgeschäft. Das Exportgeschäft hatte die Lieferung und Installation eines Seenot- und Sicherheitsfunknetzes für die Seeschifffahrt in den U. Hoheitsgewässern sowie den Betrieb des Telekommunikationsnetzwerks während 15 Jahren zum Gegenstand. Die Erfüllung der
BGE 151 II 46 S. 48
Exportleistung sollte vom 20. Dezember 2013 bis zum Leistungsende am 14. Februar 2015 dauern, wobei am 14. Februar 2015 auch die Inbetriebsetzung des Netzwerks stattfinden sollte. Grundlage des Exportgeschäfts war das Rahmenabkommen vom 17. März 2014 zwischen der A. AG und dem Besteller.
Zudem schloss die A. AG am 10. April 2014 mit der B. AG (nachfolgend: Finanzinstitut) einen Vertrag über einen Fabrikationskredit bis zu USD 86 Mio. ab. Gemäss dieser Vereinbarung durfte die A. AG den Fabrikationskredit für Kosten im Zusammenhang mit dem Exportgeschäft benutzen. Sie verpflichtete sich, (spätestens) ab dem 30. April 2016 den bis zu diesem Zeitpunk beanspruchten Kreditbetrag zuzüglich der darauf aufgelaufenen, kapitalisierten Kreditzinsen sowie weiterer Finanzierungsnebenkosten in 16 vierteljährlichen Raten zurückzuzahlen.

A.b Gleichzeitig mit dem Abschluss des Fabrikationskreditvertrags gab die A. AG am 10. April 2014 gegenüber der SERV eine "Ermächtigungs- und Verpflichtungserklärung" (nachfolgend auch: Erklärung oder EVE) ab. Darin ermächtigte sie das Finanzinstitut, zur Absicherung des Fabrikationskredits bei der SERV einen Antrag auf Abschluss einer Fabrikationskreditversicherung zu stellen. Überdies verpflichtete sich die A. AG gegenüber der SERV, ihr sämtliche Zahlungen, welche die SERV gestützt auf die Fabrikationskreditversicherung an das Finanzinstitut leistet, auf erste Aufforderung hin und zuzüglich 5 % Zins seit der Zahlung zu erstatten. Die Erklärung enthält eine Bestimmung, wonach die A. AG auf Einreden und Einwendungen gegen die Erstattungsverpflichtung verzichtet.

A.c Am 11. April 2014 schlossen die A. AG und die SERV eine Fabrikationsrisiko- und Lieferantenkreditversicherung ab. Die SERV versicherte damit das Exportgeschäft der A. AG. Laut Versicherungspolice VP 14-7071/1 belief sich der massgebliche Auftragswert des Exportgeschäfts auf USD 180 Mio. Versichert wurde die Forderung gegenüber dem Besteller (Lieferantenkredit) in der Höhe von USD 146'147'047.- (Auftragswert von USD 180 Mio. abzüglich einer Anzahlung von 20 % in der Höhe von USD 36 Mio. und zuzüglich der Versicherungsprämie von USD 2'147'047.-). Infolge Verzögerungen beim Exportgeschäft wurde die Versicherungspolice dreimal mit Blick auf die Abwicklungsdaten für das Leistungsende und die Inbetriebsetzung des Netzwerks angepasst. Massgebend ist die letzte Fassung VP 14-7071/4 vom 30. Januar 2017.
BGE 151 II 46 S. 49
Ebenfalls am 11. April 2014 versicherte die SERV gegenüber dem Finanzinstitut die Rückzahlung des Fabrikationskredits durch die A. AG mit einer Fabrikationskreditversicherung. Laut der Versicherungspolice VP 14-7073/1 deckte die Fabrikationskreditversicherung die Erfüllung der im Fabrikationskreditvertrag vereinbarten Rückzahlungsansprüche des Finanzinstituts gegen die A. AG für die ausbezahlten Kreditbeträge (einschliesslich der Zinsforderungen und der Erstattungsansprüche für Finanzierungsnebenkosten) bis zum versicherten Betrag von USD 86 Mio. zum Deckungssatz von 95 %. In der Folge wurde die Versicherungspolice viermal abgeändert, wobei jeweils die neuere Version die vorangehende ersetzte. Massgebend ist die letzte Fassung VP 14-7073/5 vom 30. Januar 2017.

A.d Zwischen April 2014 und Dezember 2015 stellte die A. AG 14 Kreditbenutzungsanträge, die das Finanzinstitut antragsgemäss ausführte. Der Gesamtbetrag der per 29. Februar 2016 ausstehenden Kapitalschuld belief sich gemäss Aufstellung des Finanzinstituts vom 25. Februar 2016 auf USD 77'151'464.54. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus den ausbezahlten Kreditbeträgen im Total von USD 74'098'660.33, den bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen, kapitalisierten Kreditzinsen (total USD 1'612'574.86), den in der betreffenden Kapitalisierungsperiode angefallenen Prämien für die Fabrikationskreditversicherung der SERV (total USD 1'302'318.30) und den "Commitment Fees" für den nicht beanspruchten Kreditbetrag (total USD 137'911.05). Daraus errechnete das Finanzinstitut 16 Rückzahlungsraten in der Höhe von USD 4'821'966.53, wobei die letzte Rate eine Rundungsdifferenz von + 0.06 USD aufwies, fällig ab dem 30. April 2016 in vierteljährlicher Periodizität.
Nachdem die A. AG die ersten drei Raten vom 30. April 2016, 31. Juli 2016 und 31. Oktober 2016 zusammen mit den nach Massgabe des Fabrikationskreditvertrags weiterhin geschuldeten Zinsen und Finanzierungsnebenkosten bezahlt hatte, geriet sie ab dem 31. Januar 2017 mit ihren Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzinstitut in Zahlungsrückstand. Am 13. Dezember 2017 schloss die A. AG mit dem Finanzinstitut eine Stundungsvereinbarung ab.

B. Im Jahr 2017 machten sowohl die A. AG aus der Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4 (vgl. Bst. B.a hiernach) als auch die SERV aus der Fabrikationskreditversicherung VP 14-7073/5 respektive aus der Erklärung vom 10. April 2014 (vgl. Bst. B.b hiernach) gegeneinander Ansprüche geltend.
BGE 151 II 46 S. 50
B.a Mit E-Mail vom 21. Juli 2017 stellte die A. AG bei der SERV einen Antrag auf Entschädigung aus der Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4. Sie gab an, der Totalbetrag der seit Februar 2015 fälligen Zahlungsansprüche gegenüber dem Besteller von mindestens x Mio. pro Jahr belaufe sich per 31. Juli 2017 auf mindestens y Mio. bzw. USD 35.2 Mio. Sie legte ihrem Antrag unter anderem eine Abnahmebestätigung ("Acceptance Certificate") vom 3. Juli 2014 bei.

B.a.a Mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 teilte die SERV der A. AG mit, dass sie derzeit den Entschädigungsantrag nicht genehmigen könne, da der Bestand der zu entschädigenden Forderung nicht nachgewiesen sei. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, das Rahmenabkommen vom 17. März 2014 setze für die Entstehung des Zahlungsanspruchs voraus, dass das zu erstellende Netzwerk von vier Standorten aus voll betriebsbereit sei. Dieser Nachweis sei nicht erbracht worden. Am 5. März 2018 verlangte die SERV von der A. AG den Nachweis, dass die zur Entschädigung beantragten Forderungen gegenüber dem Besteller in Rechnung gestellt und fällig geworden seien. Mit Schreiben vom 26. April 2018 reichte die A. AG zwei als "pro forma" bezeichnete Rechnungen mit Datum vom 17. Februar 2016 und 21. Februar 2017 ein. Nach weiteren Abklärungen lehnte die SERV mit Schreiben vom 14. Mai 2018 den Entschädigungsantrag der A. AG ab.
In der Folge setzte die A. AG die verlangte Entschädigungsforderung im Betrag von Fr. 227'910'000.- (USD 226'102'706.-) in Betreibung, woraufhin das Betreibungsamt Zürich 7 am 15. Mai 2019 den Zahlungsbefehl ausstellte. Die SERV erhob am 21. Mai 2019 Rechtsvorschlag gegen die gesamte Forderung.

B.a.b Am 29. Mai 2019 erhob die A. AG gegen die SERV (Anerkennungs-)Klage beim Bundesverwaltungsgericht (Verfahren B-2722/ 2019). Sie verlangte von der SERV die Zahlung einer Versicherungsleistung aus der Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4 in der Höhe von USD 118'366'018.63 zuzüglich Zins. Zur Begründung brachte sie im Wesentlichen vor, die Lieferantenkreditversicherung decke die Erfüllung der sich aus dem Rahmenabkommen vom 17. März 2014 ergebenden Ansprüche gegenüber dem Besteller für die Errichtung des Netzwerks. Die versicherte Forderung sei durch die vorbehaltlos unterzeichnete Abnahmebestätigung vom 3. Juli 2014 nachgewiesen.
BGE 151 II 46 S. 51

B.a.c Mit Klageantwort vom 16. September 2019 beantragte die SERV, die Klage sei vollumfänglich abzuweisen. Sie machte im Wesentlichen geltend, der Bestand der von der A. AG behaupteten Forderung gegenüber dem Besteller erweise sich in hohem Masse als zweifelhaft. Die A. AG habe nicht nachweisen können, dass sie die geschuldeten Vertragsleistungen erbracht habe. Dieser Nachweis sei aber erforderlich, zumal die A. AG die Erstellung der Betriebsbereitschaft des Netzwerks laufend und offenbar bis heute verzögert habe. Die Abnahmebestätigung vom 3. Juli 2014 erweise sich als simuliert.

B.a.d Mit Replik vom 29. November 2019 präzisierte die A. AG ihre Rechtsbegehren und bezifferte namentlich den von der SERV aus der Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4 geforderten Betrag auf Fr. 117'508'177.38. Mit Duplik vom 30. April 2020 hielt die SERV an ihren Rechtsbegehren sowie an ihrer Argumentation fest. Am 19. November 2021 führte der Instruktionsrichter eine Vorbereitungsverhandlung durch. Am 13. April 2022 fand in den Räumlichkeiten des Bundesverwaltungsgerichts die Hauptverhandlung statt.

B.a.e Mit Urteil vom 24. Januar 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht die Klage der A. AG im Verfahren B-2722/2019 ab.

B.b Ab Oktober 2017 gelangte das Finanzinstitut auf der Grundlage der Fabrikationskreditversicherung VP 14-7073/5 mit sechs Entschädigungsanträgen an die SERV und machte nicht erfüllte Forderungen aus dem Fabrikationskreditvertrag mit der A. AG von insgesamt USD 66'471'741.69 geltend. Die SERV entsprach diesen Anträgen in Anwendung des Deckungssatzes von 95 % und richtete dem Finanzinstitut eine Versicherungsleistung im Betrag von USD 63'148'154.62 aus.

B.b.a Zwischen Dezember 2017 und Dezember 2018 leistete die A. AG noch vereinzelte Zahlungen (Rückflüsse) an das Finanzinstitut. Letzteres rechnete in der Folge mit der SERV über diese Zahlungseingänge ab und überwies ihr Teile davon. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2018 forderte die SERV die A. AG auf, ihr die gestützt auf die Fabrikationskreditversicherung VP 14-7073/5 an das Finanzinstitut ausbezahlten Leistungen von USD 61'628'159.36 (Totalbetrag von USD 63'148'154.62 abzüglich der bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Rückflüsse in der Höhe von USD 1'519'995.26) zuzüglich aufgelaufener Zinsen und Kosten umgehend zu erstatten. Die A. AG kam dieser Zahlungsaufforderung nicht nach und lehnte
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mit Schreiben vom 2. Januar 2019 jede Verantwortung für den Eintritt des Schadenfalls ab.
Am 29. Januar 2019 setzte die SERV die geltend gemachte Erstattungsforderung beim Betreibungsamt Zürich 11 in Betreibung, wobei sie die in US-Dollar lautenden Forderungen zu dem von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) veröffentlichten Tageskurs (USD 1 = Fr. 0.9918) in Franken umrechnete. Als Forderungsgrund nannte sie "Art. 21a Abs. 2 SERVG" sowie die "Ermächtigungs- und Verpflichtungserklärung vom 10. April 2014". Am 4. Februar 2019 stellte das Betreibungsamt Zürich 11 den Zahlungsbefehl aus und am 6. Februar 2019 der A. AG zu. Die A. AG erhob am 13. Februar 2019 Rechtsvorschlag gegen die gesamte Erstattungsforderung.

B.b.b Am 27. Mai 2019 erhob die SERV gegen die A. AG (Anerkennungs-)Klage beim Bundesverwaltungsgericht (Verfahren B-2576/ 2019). Zur Begründung brachte sie im Wesentlichen vor, die A. AG sei gegenüber dem Finanzinstitut ihren Verpflichtungen aus dem Fabrikationskreditvertrag nicht nachgekommen. Deshalb sei die SERV gegenüber dem Finanzinstitut nach Massgabe der Fabrikationskreditversicherung VP 14-7073/5 entschädigungspflichtig geworden. Für die ausgerichtete Versicherungsleistung sei die A. AG gestützt auf Art. 21a Abs. 2 SERVG sowie nach Ziff. 2.6 EVE gegenüber der SERV erstattungspflichtig.

B.b.c Mit Klageantwort vom 16. September 2019 beantragte die A. AG, es sei die Klage vollumfänglich abzuweisen. Sie machte im Wesentlichen geltend, die SERV habe den Schadenseintritt beim Finanzinstitut, für welchen sie vorliegend die Erstattung der Entschädigungsleistungen fordere, aus mehreren Gründen selbst verursacht. Infolge groben Selbstverschuldens der SERV sei der Kausalzusammenhang zu jeglichem schadensrelevanten Handeln der A. AG unterbrochen worden, womit die Erstattungspflicht entfalle. Ausserdem erklärt die A. AG die Verrechnung mit der von ihr beim Bundesverwaltungsgericht eingeklagten Entschädigungsforderung, die ihr aus der Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4 zukomme (Verfahren B-2722/2019).

B.b.d Mit Replik vom 15. Januar 2020 respektive mit Duplik vom 30. April 2020 halten die SERV und die A. AG an ihren Rechtsbegehren sowie an ihrer Argumentation fest. Am 19. November 2021 führte der Instruktionsrichter eine Vorbereitungsverhandlung durch. Am 13. April 2022 fand in den Räumlichkeiten des Bundesverwaltungsgerichts die Hauptverhandlung statt.
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B.b.e Mit Urteil vom 24. Januar 2023 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Klage der SERV im Verfahren B-2576/2019 teilweise gut. Die A. AG wurde verpflichtet, der SERV zu bezahlen:
USD 19'985'693.92 zuzüglich Zins zu 5 % seit 13. Dezember 2017,
USD 4'994'257.75 zuzüglich Zins zu 5 % seit 31. Januar 2018,
USD 4'365'715.24 zuzüglich Zins zu 5 % seit 30. April 2018,
USD 4'382'009.94 zuzüglich Zins zu 5 % seit 31. Juli 2018,
USD 4'695'503.62 zuzüglich Zins zu 5 % seit 31. Oktober 2018,
USD 22'242'226.10 zuzüglich Zins zu 5 % seit 7. Dezember 2018,
USD 1'455.09 zuzüglich Zins zu 5 % seit 18. Dezember 2018,
USD 279.84 zuzüglich Zins zu 5 % seit 18. Dezember 2018,
USD 559.65 zuzüglich Zins zu 5 % seit 18. Dezember 2018,
Fr. 413.30 (Betreibungskosten).
Im Mehrbetrag wies es die Klage ab. Der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 429492 des Betreibungsamts Zürich 11 wurde beseitigt im Umfang von:
Fr. 19'821'811.23 zuzüglich Zins zu 5 % seit 13. Dezember 2017,
Fr. 4'953'304.84 zuzüglich Zins zu 5 % seit 31. Januar 2018,
Fr. 4'329'916.35 zuzüglich Zins zu 5 % seit 30. April 2018,
Fr. 4'346'077.45 zuzüglich Zins zu 5 % seit 31. Juli 2018,
Fr. 4'657'000.49 zuzüglich Zins zu 5 % seit 31. Oktober 2018,
Fr. 22'059'839.85 zuzüglich Zins zu 5 % seit 7. Dezember 2018,
Fr. 1'443.15 zuzüglich Zins zu 5 % seit 18. Dezember 2018,
Fr. 277.55 zuzüglich Zins zu 5 % seit 18. Dezember 2018,
Fr. 555.05 zuzüglich Zins zu 5 % seit 18. Dezember 2018.
Im Mehrbetrag wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Beseitigung des Rechtsvorschlags ab.

C. Mit Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 9. März 2023 gelangt die A. AG sowohl gegen das Urteil B-2576/ 2019 vom 24. Januar 2023 (Verfahren 2C_160/2023) als auch gegen das Urteil B-2722/2019 vom 24. Januar 2023 (2C_162/2023) an das Bundesgericht.

C.a Im Verfahren 2C_160/2023 beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Urteils B-2576/2019 vom 24. Januar 2023. Es sei die Klage der SERV abzuweisen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
BGE 151 II 46 S. 54
Mit Verfügung vom 4. April 2023 hat die Abteilungspräsidentin der Beschwerde im Verfahren 2C_160/2023 antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

C.b Im Verfahren 2C_162/2023 beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Urteils B-2722/2019 vom 24. Januar 2023 und die Rückweisung zur Neubeurteilung an die Vorinstanz. Die SERV sei zu verpflichten, ihr USD 117'508'177.38 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 14. Mai 2019 zu bezahlen. In der Betreibung Nr. 182135 des Betreibungsamts Zürich 7 seien der Rechtsvorschlag in der Höhe von Fr. 118'447'067.71 aufzuheben sowie die Rechtsöffnung in der Höhe von Fr. 118'447'067.71 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 14. Mai 2019 und in der Höhe der Betreibungskosten von Fr. 413.30 zu erteilen. Eventualiter sei die SERV zu verpflichten, ihr USD 53'504'617.30 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 14. Mai 2019 zu bezahlen. In der Betreibung Nr. 182135 des Betreibungsamts Zürich 7 seien der Rechtsvorschlag in der Höhe von Fr. 53'910'061.92 aufzuheben sowie die Rechtsöffnung in der Höhe von Fr. 53'910'061.92 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 14. Mai 2019 und in der Höhe der Betreibungskosten von Fr. 413.30 zu erteilen.
(...)
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:
II. Gegenstand der Verfahren 2C_160/2023 und 2C_162/2023 sowie Prüfprogramm

5. Gegenstand des Verfahrens 2C_162/2023 ist eine Forderung der Beschwerdeführerin gegen die Beschwerdegegnerin in der Höhe von USD 117'508'177.38 aus der Lieferantenkreditversicherung VP 14- 7071/4. Mit der Lieferantenkreditversicherung hat die Beschwerdeführerin unter anderem das Delkredererisiko ihres Exportgeschäfts abgesichert (vgl. E. 7.7.7 hiernach; vgl. auch Art. 12 Abs. 1 lit. d SERVG).
Gegenstand des Verfahrens 2C_160/2023 ist die Erstattung der von der Beschwerdegegnerin gestützt auf die Fabrikationskreditversicherung VP 14-7073/5 an das Finanzinstitut ausbezahlten Versicherungsleistung (Regress). Die Erstattungsforderung gegenüber der Beschwerdeführerin stützt die Beschwerdegegnerin auf den gesetzlichen Anspruch gemäss Art. 21a Abs. 2 SERVG (vgl. E. 8.2 hiernach) sowie auf die Bestimmungen in der "Ermächtigungs- und Verpflichtungserklärung" vom 10. April 2014 (vgl. Bst. A.b hiervor).
BGE 151 II 46 S. 55

5.1 Die SERV versichert im Grundsatz Exportgeschäfte schweizerischer Exporteure gegen Rückstände im Zahlungseingang oder gegen andere aus Forderungen gegenüber ausländischen Schuldnern resultierende Verluste, die auf die Verwirklichung bestimmter Exportrisiken zurückzuführen sind (vgl. Art. 5 lit. b SERVG; Art. 11 Abs. 1 SERVG; Art. 13 Abs. 1 lit. a und lit. c SERVG; Botschaft vom 11. Februar 2009 zu einem Bundesgesetz über die befristete Ergänzung der Versicherungsleistungen der Schweizerischen Exportrisikoversicherung [SERV], BBl 2009 1051 ff., 1052 f.; vgl. auch E. 7.3.1 hiernach). Mit dem Bundesgesetz vom 20. März 2009 über die befristete Ergänzung der Versicherungsleistungen der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (AS 2009 1175 f.; 2012 509 f.) erweiterte der Gesetzgeber das Instrumentarium der SERV unter anderem um die Fabrikationskreditversicherung: Gewährt ein Finanzinstitut einer Exporteurin einen Kredit zur Finanzierung der Erbringung ihrer im Rahmen des Exportgeschäfts geschuldeten Leistungen, kann die SERV gemäss Art. 21a Abs. 1 SERVG gegenüber dem Finanzinstitut die Zahlungsverpflichtungen der Exporteurin versichern, sofern das betreffende Exportgeschäft von der SERV versichert ist. Die SERV wird gegenüber dem Finanzinstitut entschädigungspflichtig, wenn der Exporteur den Kredit nicht zurückzahlt (vgl. Botschaft vom 21. Mai 2014 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Schweizerische Exportrisikoversicherung [Exportrisikoversicherungsgesetz, SERVG], BBl 2014 4057 ff., 4070). Mit dieser zusätzlichen Deckungsart übernimmt die SERV zugunsten der Finanzinstitute Risiken, die nicht im Ausland begründet sind, sondern im Bonitätsbereich der schweizerischen Versicherungsnehmerin liegen (vgl. BBl 2009 1054). Die Fabrikationskreditversicherung ergänzt somit das Kreditangebot von Finanzinstituten, wenn diese dem Exporteur ohne die Deckung der SERV keinen Kredit für die Erbringung der Exportleistung gewähren würden (vgl. BBl 2014 4070 f.).

5.2 Unter den Verfahrensbeteiligten ist zu Recht unbestritten, dass es sich bei der Lieferantenkreditversicherung sowie bei der Fabrikationskreditversicherung um öffentlich-rechtliche Verträge handelt, da im Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse im April 2014 diese Form gesetzlich vorgeschrieben war (vgl. aArt. 15 Abs. 1 SERVG [AS 2006 1801 ff., 1804]; in Kraft bis 31. Dezember 2015). Erst seit dem 1. Januar 2016 gewährt die SERV die Versicherung in der Regel durch Verfügung (vgl. Art. 15 Abs. 1 SERVG [AS 2015 2217 ff., 2218]). Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt gemäss Art. 35 lit. a VGG
BGE 151 II 46 S. 56
(SR 173.32) auf Klage als erste Instanz Streitigkeiten aus öffentlich-rechtlichen Verträgen des Bundes, seiner Anstalten und Betriebe und der Organisationen im Sinne von Art. 33 lit. h VGG. Die Beschwerdegegnerin ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl. Art. 3 Abs. 1 SERVG). Das Klageverfahren richtet sich nach den Art. 3-73 BZP (SR 273) und Art. 79-85 BZP (vgl. Art. 44 Abs. 1 VGG), wobei das Bundesverwaltungsgericht den Sachverhalt von Amtes wegen feststellt (vgl. Art. 44 Abs. 2 VGG; vgl. auch Art. 3 Abs. 2 BZP).

5.3 Für die Auslegung öffentlich-rechtlicher Verträge ist wie bei einem privatrechtlichen Vertrag in erster Linie auf den übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien abzustellen (sog. subjektive Vertragsauslegung). Die subjektive Vertragsauslegung bezieht sich auf den Willen der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Lässt sich ein übereinstimmender Parteiwille nicht feststellen, ist der Vertrag derart auszulegen, wie er nach dem Vertrauensgrundsatz verstanden werden durfte und musste (sog. objektive Vertragsauslegung). Die objektive Vertragsauslegung ergibt sich nicht allein aus dem Wortlaut, sondern kann sich namentlich auch aus dem verfolgten Ziel, der Interessenlage der Parteien oder aus den Gesamtumständen ergeben (vgl. BGE 144 V 84 E. 6.2.1; Urteil 2C_1085/ 2019 vom 8. Mai 2020 E. 4). Was die Parteien beim Vertragsabschluss gewusst, gewollt oder tatsächlich verstanden haben, ist eine Tatfrage. Die tatsächliche Ermittlung des subjektiven Parteiwillens beruht auf einer Beweiswürdigung, die der bundesgerichtlichen Überprüfung nur in den Schranken von Art. 105 BGG zugänglich ist. Die Vertragsauslegung nach dem Vertrauensgrundsatz ist hingegen eine Rechtsfrage. Entsprechend Art. 95 BGG werden öffentlich-bundesrechtliche Verträge frei überprüft (vgl. BGE 144 V 84 E. 6.2.2; BGE 133 III 675 E. 3.3; Urteile 2C_1085/2019 vom 8. Mai 2020 E. 4; 2C_528/2019 vom 5. Dezember 2019 E. 3.4; 1C_613/2015 vom 10. August 2016 E. 2.1 f.).

5.4 Während die Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4 zwischen der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin besteht, ist die Beschwerdeführerin nicht Versicherungsnehmerin respektive Vertragspartei der Fabrikationskreditversicherung VP 14-7073/5 zwischen der Beschwerdegegnerin und dem Finanzinstitut.

5.4.1 Allerdings kann die Fabrikationskreditversicherung nur gewährt werden, wenn die SERV auch das dem Fabrikationskredit zugrunde liegende Exportgeschäft versichert (vgl. BBl 2014 4070). Das
BGE 151 II 46 S. 57
Exportgeschäft hat die Beschwerdeführerin mit der Fabrikationsrisiko- und Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4 bei der Beschwerdegegnerin versichern lassen (vgl. Bst. A.c hiervor). Somit liegen zwar zwei Forderungen mit unterschiedlichen vertraglichen Grundlagen und Anspruchsvoraussetzungen vor. Jedoch bedingt die Vertragsbeziehung zwischen der Beschwerdegegnerin und dem Finanzinstitut (Fabrikationskreditversicherung) das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen der Beschwerdegegnerin und der Beschwerdeführerin (Fabrikationsrisiko- und Lieferantenkreditversicherung). Ausserdem ist die Beschwerdeführerin, wie die Vorinstanz zu Recht erwägt, in die Fabrikationskreditversicherung indirekt eingebunden, da sie sich im Rahmen der "Ermächtigungs- und Verpflichtungserklärung" vom 10. April 2014 verpflichtet hat, sämtliche Zahlungen, welche die Beschwerdegegnerin gestützt auf die Fabrikationskreditversicherung an das Finanzinstitut leistet, auf erste Aufforderung hin und zuzüglich 5 % Zins seit Zahlung zu erstatten.

5.4.2 Überdies knüpft die Beschwerdeführerin mit ihrer Kritik am angefochtenen Urteil B-2576/2019 zur Erstattungsforderung der Beschwerdegegnerin unmittelbar an das Vorliegen einer eigenen Forderung aus der Lieferantenkreditversicherung an, die mit dem angefochtenen Urteil B-2722/2019 beurteilt worden ist: Erstens habe sie im bundesverwaltungsgerichtlichen Verfahren B-2576/2019 gegen die Erstattungsforderung der Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 120 OR die Verrechnung mit ihrer Forderung aus der Lieferantenkreditversicherung erklärt. Zweitens stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, dass sie ihren Pflichten aus dem Fabrikationskredit gegenüber dem Finanzinstitut hätte nachkommen können, wenn die Beschwerdegegnerin die (im Verfahren B-2722/ 2019 eingeklagte) Versicherungsleistung aus der Lieferantenkreditversicherung erbracht hätte. Mit anderen Worten habe die Beschwerdegegnerin dem Finanzinstitut lediglich eine Versicherungsleistung aus der Fabrikationskreditversicherung ausrichten müssen, da sie gegenüber der Beschwerdeführerin keine Versicherungsleistung aus der Lieferantenkreditversicherung erbracht habe. Die Beschwerdegegnerin habe sich treuwidrig verhalten, weshalb ihrer Erstattungsforderung die Einwendung der Nichterfüllungsfiktion gemäss Art. 156 OR entgegenstehe. Die Vorinstanz habe in bundesrechtswidriger Weise sowohl die Verrechnungseinrede nicht zugelassen als auch die Einwendung der Nichterfüllungsfiktion als unbegründet beurteilt (vgl. auch E. 8.5 hiernach).
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5.4.3 Die im Verfahren 2C_160/2023 erhobenen Rügen betreffend die Verrechnungseinrede sowie betreffend die Einwendung der Nichterfüllungsfiktion bedürfen nach dem Gesagten vorab der Klärung, ob die Beschwerdegegnerin aus der Lieferantenkreditversicherung eine Versicherungsleistung hätte erbringen müssen. Entsprechend ist in einem ersten Schritt die Forderung der Beschwerdeführerin aus der Lieferantenkreditversicherung im Verfahren 2C_162/2023 zu prüfen (vgl. nicht publ. E. 6. f.), bevor die Verrechnungseinrede und Einwendung der Nichterfüllungsfiktion gegen die Erstattungsforderung der Beschwerdegegnerin beurteilt werden können (vgl. E. 8 hiernach).
III. Forderung der Beschwerdeführerin aus der Lieferantenkreditversicherung (Verfahren 2C_162/2023)
(...)

7. Die Beschwerdeführerin beanstandet mit Blick auf die vorinstanzliche Beurteilung der Forderung aus der Lieferantenkreditversicherung eine Verletzung von Art. 17 Abs. 1 SERVG, da die Vorinstanz die Beschwerdegegnerin nicht zur Zahlung der eingeklagten Versicherungsleistung von USD 117'508'177.38 verpflichtet habe.

7.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Verweigerung der Versicherungsleistung für die Forderung gegenüber dem Besteller, deren Bestand zweifelsfrei feststehe, sei bundesrechtswidrig. Der Bestand sei mit der Abnahmebestätigung vom 3. Juli 2014 hinreichend nachgewiesen, so wie dies Art. 17 Abs. 1 SERVG verlange. Neben Art. 17 Abs. 1 SERVG werde auch Ziffer 5 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Lieferantenkreditversicherungen der Beschwerdegegnerin verletzt. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die Forderung nicht hinreichend nachgewiesen sei, wäre es ihr unzumutbar den Rechtsweg im U. zu beschreiten, um den Bestand der Forderung gerichtlich feststellen zu lassen. Sie habe, so die Beschwerdeführerin weiter, selbst konkrete Erfahrungen im Zusammenhang mit dem U. Justizsystem gemacht und die Unzumutbarkeit dieses Rechtswegs im vorinstanzlichen Verfahren substanziiert dargelegt.

7.2 Wird eine notleidende Forderung oder ein Schaden angemeldet, so leistet die SERV den in der Versicherung festgelegten Anteil am nachgewiesenen Verlust oder Zahlungsrückstand (vgl. Art. 17 Abs. 1 SERVG).

7.2.1 Das Bundesgericht musste sich bisher noch nicht mit Art. 17 Abs. 1 SERVG im Detail auseinandersetzen. Allerdings äusserte es
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sich bereits zu Art. 11 des Bundesgesetzes vom 26. September 1958 über die Exportrisikogarantie (ERGG; AS 1959 391 ff.) - der Vorgängerbestimmung von Art. 17 Abs. 1 SERVG (vgl. Botschaft vom 24. September 2004 zum Bundesgesetz über die Schweizerische Exportrisikoversicherung, BBl 2004 5795 ff., 5836). Dabei erwog das Bundesgericht, dass eine Entschädigung grundsätzlich nur infrage kommt, wenn Bestand und Umfang der Forderung des schweizerischen Exporteurs verbindlich feststehen, sei es weil diese vom Schuldner anerkannt wird, sei es weil darüber gerichtlich befunden wurde. Wird die Forderung des Exporteurs mit grundsätzlich tauglichen rechtlichen Einwänden bestritten und ist der Rechtsweg möglich und zumutbar, so ist der Bestand der Forderung verbindlich abzuklären, bevor auf die Exportrisikogarantie gegriffen werden kann. Ein Schadenfall könnte immer noch namentlich dann eintreten, wenn ein dem Exporteur günstiges Gerichtsurteil nicht befolgt würde oder das Urteil selbst klarerweise politisch motiviert wäre. Gedeckt wären dabei nebst dem Verlust der eigentlichen Garantiesumme auch ein allfälliger Verspätungsschaden sowie andere Kosten, die zum Zwecke der Schadensminderung angefallen sind (vgl. BGE 118 Ib 100 E. 3b).

7.2.2 Eine vergleichbare Regelung ergibt sich aus den unbestrittenermassen anwendbaren Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Lieferantenkreditversicherungen in der Version vom 31. März 2012 (nachfolgend: AGB-L; vgl. E. 3.3.1 des angefochtenen Urteils B-2722/2019). Die Lieferantenkreditversicherung deckt die Erfüllung der im Exportvertrag als Gegenleistung für erbrachte Lieferungen und Leistungen vereinbarten Forderungen des Exporteurs bis zu dem in der Versicherungspolice festgelegten Höchstbetrag (Ziff. 1.1 AGB-L; vgl. auch Art. 11 Abs. 1 SERVG). Sie erfasst das politische Risiko, das Transferrisiko, die höhere Gewalt und das Delkredererisiko (Ziff. 3.1-3.4 AGB-L; vgl. auch Art. 12 Abs. 1 SERVG). Die Leistung einer Entschädigung aus der Lieferantenkreditversicherung setzt voraus, dass die versicherte Forderung rechtsbeständig, fällig und frei von Einreden und Einwendungen ist (Ziff. 5.1.1 AGB-L). Das versicherte Risiko muss eingetreten und ein Schaden entstanden sein, wobei zwischen Risikoeintritt und Schaden ein Kausalzusammenhang bestehen muss (Ziff. 5.1.2 AGB-L). Ferner wird vorausgesetzt, dass keine Leistungsausschlussgründe bestehen (Ziff. 5.1.4 AGB-L), die Karenzfrist abgelaufen ist und das Entschädigungsgesuch innerhalb der Verwirkungsfrist von zwei Jahren seit Eintritt des
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Versicherungsfalls eingereicht wurde (Ziff. 5.1.5 AGB-L). Hinsichtlich der Modalitäten und Anforderungen für die Nachweiserbringung haben die Verfahrensbeteiligten in den Ziff. 5.3 und Ziff. 5.4 AGB-L sodann folgende Regelung vereinbart (vgl. E. 3.3.2 des angefochtenen Urteils B-2722/2019):
"5.3 Wird die zur Entschädigung beantragte Forderung oder eine in der Versicherungspolice dokumentierte Mithaftung eines Dritten bestritten, kann die SERV verlangen, dass der Nachweis des Bestands, der Fälligkeit und der Freiheit von Einreden und Einwendungen durch ein Urteil des zuständigen Gerichts erbracht wird. Gleiches gilt, wenn das Vorliegen rechtlicher Hindernisse bekannt ist.
5.4 Eine Entschädigungszahlung ist ausgeschlossen, solange das Vorliegen der Entschädigungsvoraussetzungen nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist."

7.3 Umstritten ist zunächst, welche (formellen) Anforderungen die Beschwerdegegnerin an den von der Beschwerdeführerin zu erbringenden Nachweis des Bestands, der Fälligkeit und der Einrede- und Einwendungsfreiheit der versicherten Forderung stellen darf. Angesichts der unterschiedlichen Auffassung der Verfahrensbeteiligten ist der öffentlich-rechtliche Vertrag - namentlich Ziff. 5 AGB-L - nach dem Vertrauensgrundsatz auszulegen (vgl. E. 5.3 hiervor).

7.3.1 Nach Ziff. 5.4 AGB-L (e contrario) in Verbindung mit Ziff. 5.1.1 AGB-L setzt eine Leistung aus der Lieferantenkreditversicherung voraus, dass der Bestand, die Fälligkeit sowie die Einrede- und Einwendungsfreiheit der versicherten Forderung "zweifelsfrei nachgewiesen" sind. Der Gehalt dieser vertraglichen Regelung deckt sich im Grundsatz mit den in der dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung genannten Anspruchsvoraussetzungen (vgl. E. 7.2.1 hiervor ["Bestand und Umfang der Forderung des schweizerischen Exporteurs verbindlich feststehen"]). Der Zweck des Erfordernisses des zweifelsfreien Nachweises ist darin zu erblicken, dass die Beschwerdegegnerin weder zuständig noch dazu in der Lage ist, über die versicherte Forderung materiell zu befinden. Ausserhalb eines Versicherungsfalls prüft die Beschwerdegegnerin die Verträge betreffend das versicherte Exportgeschäft grundsätzlich nicht (vgl. Art. 11 Abs. 1 der Verordnung vom 25. Oktober 2006 über die Schweizerische Exportrisikoversicherung [SERV-V; SR 946.101]). Sie hat sich auf die im Versicherungsantrag gemachten Angaben zu verlassen (vgl. Art. 9 Abs. 1 SERV-V). Meldet die Versicherungsnehmerin eine notleidende Forderung an, hat sich die Beschwerdegegnerin im Rahmen der Prüfung der Entschädigungsvoraussetzungen wiederum auf
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die Angaben der Versicherungsnehmerin abzustützen, während der Schuldner der versicherten Forderung am Entschädigungsverfahren nicht beteiligt ist. Daher kann die Beschwerdegegnerin nur auf die von der Versicherungsnehmerin vorgetragene Sachdarstellung abstellen, soweit diese im Sinne des Regelbeweismasses als nachgewiesen erscheint - d.h., wenn nach objektiven Gesichtspunkten keine ernsthaften Zweifel am Bestand und am Umfang der versicherten Forderung bestehen (vgl. BGE 149 III 218 2.2.3; BGE 141 III 569 E. 2.2.1; BGE 130 III 321 E. 3.2).

7.3.2 Ziff. 5.3 ABG-L regelt die Modalitäten der Nachweisführung. Rein nach dem Wortlaut ist die Befugnis der Beschwerdegegnerin, die Erbringung des Forderungsnachweises mittels eines Urteils des zuständigen Gerichts zu verlangen, auf den Fall beschränkt, dass die versicherte Forderung "bestritten wird". Wie sich schon aus der Verknüpfung mit Ziff. 5.4 AGB-L ergibt, kann daraus im Umkehrschluss jedoch nicht abgeleitet werden, die Nichtbestreitung der Forderung dispensiere die Beschwerdeführerin vom Erfordernis, deren Bestand zweifelsfrei nachzuweisen. Unter Berücksichtigung des teleologischen und systematischen Kontexts dieser Regelung ist Ziff. 5.3 AGB-L (i.V.m. Ziff. 5.4 AGB-L) so auszulegen und unter dem Blickwinkel des Vertrauensgrundsatzes so zu verstehen (vgl. E. 5.3 hiervor), dass die Beschwerdegegnerin eine verbindliche - in der Regel gerichtliche - Feststellung des Bestands, der Fälligkeit oder der Einrede- und Einwendungsfreiheit der versicherten Forderung dann verlangen kann, wenn sich aus der eingereichten Dokumentation (Ziff. 5.2 AGB-L) begründete Zweifel an der Sachdarstellung der Versicherungsnehmerin ergeben. Hierfür ist allerdings nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergänzend vorauszusetzen, dass die Beschreitung des Rechtswegs möglich und zumutbar ist (vgl. BGE 118 Ib 100 E. 3b).

7.4 Wie bereits im Rahmen der Beurteilung der Sachverhaltsrüge dargelegt (vgl. nicht publ. E. 6.4), stellt die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich fest, dass sich die Sachdarstellungen der Beschwerdeführerin zum Stand des Exportgeschäfts und zum Zeitpunkt des Abschlusses der Projektphase 1 erheblich widersprechen. Es misslingt der Beschwerdeführerin somit bereits in tatsächlicher Hinsicht, den Bestand ihrer Forderung (mit der Abnahmebestätigung vom 3. Juli 2014) nachzuweisen. Es stellt sich vor diesem Hintergrund nicht (mehr) die rechtliche Frage, ob sich die Abnahmebestätigung vom 3. Juli 2014 im Lichte ihres Beweiswerts eignet, um den
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Bestand, die Fälligkeit sowie die Einrede- und Einwendungsfreiheit der versicherten Forderung gegenüber dem Besteller hinreichend - d.h. zweifelsfrei im Sinne von Ziff. 5.4 AGB-L bzw. verbindlich im Sinne der Rechtsprechung - nachzuweisen. Vor diesem Hintergrund kann die Beschwerdegegnerin, wie die Vorinstanz zutreffend erwägt, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensgrundsatzes die gerichtliche Feststellung des Bestands, der Fälligkeit oder der Einrede- und Einwendungsfreiheit der versicherten Forderung aus dem Exportgeschäft verlangen.

7.5 Zu prüfen bleibt im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, ob die Beschreitung des Rechtswegs im U. möglich und zumutbar ist.

7.5.1 Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, die Beschreitung des Rechtswegs im U. sei unzumutbar, da bei einer Klageeinleitung gegen den Staat mit Gegenmassnahmen ("Repressalien") gerechnet werden müsse und sie aus eigener Erfahrung von den Unzulänglichkeiten des Justizsystems im U. wisse. Die Vorinstanz hält der Beschwerdeführerin demgegenüber entgegen, es ergebe sich aus der ins Recht gelegten (internen) E-Mail-Korrespondenz zwischen der Klägerin und der Anwaltskanzlei im U., dass andere Parteien gerichtlich gegen das Transport- und Kommunikationsministerium vorgegangen seien, z. B. im Zusammenhang mit dem neuen Flughafen in V.

7.5.2 Vor Bundesgericht macht die Beschwerdeführerin im Kern geltend, sie habe im vorinstanzlichen Verfahren die Zumutbarkeit des Rechtswegs im U. substanziiert bestritten. Damit zeigt die Beschwerdeführerin indes nicht auf, dass sich der Rechtsweg im U. als unmöglich oder unzumutbar erweist. Ohnehin ist die Unzumutbarkeit des Rechtswegs nur restriktiv anzunehmen, da es der Versicherungsnehmerin im Zuge der Vertragsverhandlungen beim Exportgeschäft, auf welche die Beschwerdegegnerin keinen Einfluss hat, möglich ist, einen vertraglichen Gerichtsstand ausserhalb des Exportlands oder einen alternativen Streitschlichtungsmechanismus zu vereinbaren. Die vorinstanzliche Auffassung, wonach die Beschwerdegegnerin gestützt auf Ziff. 5.3 AGB-L von der Beschwerdeführerin einen Nachweis der Forderung durch ein gerichtliches Urteil des zuständigen Gerichts verlangen könne, ist daher nicht zu beanstanden.

7.6 Nach dem Dargelegten fehlt es am nachgewiesenen Verlust oder Zahlungsrückstand gemäss Art. 17 Abs. 1 SERVG, womit die
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Vorinstanz zu Recht verneint, dass die Forderung rechtsbeständig, fällig und frei von Einreden und Einwendungen ist (Ziff. 5.1.1 AGB-L). Da die Entschädigungsvoraussetzung von Ziff. 5.1.1 AGB-L in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 SERVG nicht erfüllt ist, hat die Beschwerdeführerin folglich keinen Anspruch auf die eingeklagte Versicherungsleistung von USD 117'508'177.38 aus der Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4. Das angefochtene Urteil B-2722/2019 ist zu bestätigen.
IV. Erstattungsforderung der Beschwerdegegnerin infolge Versicherungsleistung aus der Fabrikationskreditversicherung (Verfahren 2C_160/2023)

8. Die Beschwerdeführerin rügt mit Blick auf die vorinstanzliche Beurteilung der Erstattungsforderung der Beschwerdegegnerin in der Höhe von USD 60'667'701.15 eine Verletzung von Art. 120 OR in Verbindung mit Art. 27 ZGB sowie von Art. 156 OR jeweils in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 ZGB, Art. 5 Abs. 3 BV und Art. 9 BV.

8.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe den Verzicht in der "Ermächtigungs- und Verpflichtungserklärung" vom 10. April 2014 falsch ausgelegt. Das vorinstanzliche Verständnis der Erklärung verletze Bundesrecht, da die Beschwerdeführerin auf die Geltendmachung der Verrechnungseinrede in Sinne von Art. 120 OR gegenüber der Beschwerdegegnerin nicht verzichtet habe. Ein Verzicht auf die Verrechnungseinrede würde eine übermässige Bindung im Sinne von Art. 27 ZGB darstellen. Es gehe nicht an, dass die Beschwerdegegnerin an das Finanzinstitut leiste, die Erstattungsforderung bei der Exporteurin eintreibe, aber nicht über den Entschädigungsanspruch der Exporteurin entscheide respektive die Exporteurin auf den Gerichtsweg verweise, ohne dass die Verrechnungseinrede zulässig sei. Neben der Verrechnungseinrede habe die Vorinstanz in bundesrechtswidriger Weise auch die Einwendung der Nichterfüllungsfiktion gemäss Art. 156 OR rechtswidrig beurteilt. Die Beschwerdegegnerin habe dem Finanzinstitut lediglich eine Versicherungsleistung aus der Fabrikationskreditversicherung leisten müssen, weil sie gegenüber der Beschwerdeführerin keine Versicherungsleistung aus der Lieferantenkreditversicherung erbracht habe. Die Beschwerdegegnerin habe sich treuwidrig verhalten, weshalb ihrer Erstattungsforderung die Einwendung der Nichterfüllungsfiktion gemäss Art. 156 OR entgegenstehe.

8.2 Hat die SERV dem Finanzinstitut eine Entschädigung geleistet, so hat ihr gemäss Art. 21a Abs. 2 SERVG die Exporteurin diese in vollem Umfang zuzüglich Zinsen und Kosten zu erstatten.
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8.2.1 Art. 21a Abs. 2 SERVG trat am 1. Januar 2016 in Kraft (vgl. AS 2015 2217 ff., 2218 und 2220). Im Zeitpunkt der erstmaligen Gewährung der Fabrikationskreditversicherung am 11. April 2014 sowie der Abgabe der Erklärung vom 10. April 2014 stand noch Art. 3 des Bundesgesetzes vom 20. März 2009 über die befristete Ergänzung der Versicherungsleistungen der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (AS 2009 1175 f.; 2012 509 f.) in Kraft, dessen Regelungen zur Fabrikationskreditversicherung auf den 1. Januar 2016 in Art. 21a SERVG überführt wurden. Dabei wurde in Art. 21a Abs. 2 SERVG einzig der Ausdruck "in vollem Umfang" durch den Zusatz "zuzüglich Kosten und Zinsen" ergänzt. Die weiteren Änderungen der Regelungen waren redaktioneller Natur. Da die vorliegend massgebende Fassung VP 14-7073/5 vom 30. Januar 2017 stammt, findet Art. 21a Abs. 2 SERVG mit Bezug auf die Erstattungsforderung der Beschwerdegegnerin Anwendung.

8.2.2 Art. 21a Abs. 2 SERVG verpflichtet die Exporteurin, Entschädigungen, welche die SERV gestützt auf eine Fabrikationskreditversicherung dem Finanzinstitut geleistet hat, "in vollem Umfang zuzüglich Zinsen und Kosten zu erstatten". Aufgrund der Gesetzessystematik ist Art. 21a Abs. 2 SERVG als lex specialis gegenüber der Vorschrift von Art. 19 Abs. 1 SERVG zu betrachten, welche die Grundnorm des versicherungsrechtlichen Regresses für alle Versicherungen der SERV bildet (vgl. BBl 2014 4085). Laut Art. 19 Abs. 1 SERVG gehen im Versicherungsfall die notleidende Forderung samt Nebenrechten und das Eigentum an nicht ausgeliefertem Exportgut im Ausmass ihrer Zahlung an die SERV über. In dieser Konstellation tritt die SERV, soweit sie die Versicherungsnehmerin entschädigt hat, mittels Legalzession in deren Position (Subrogation) und kann im eigenen Namen deren Ansprüche gegen einen Drittschuldner geltend machen. Demgegenüber gewährt Art. 21a Abs. 2 SERVG der SERV schon von Gesetzes wegen einen Rückerstattungsanspruch für Entschädigungsleistungen aus den Fabrikationskreditversicherungen. In der entsprechenden Botschaft wird dazu ausgeführt, was folgt (BBl 2014 4085):
"Als Spezialnorm erleichtert Absatz 2 [von Art. 21a] der SERV den Regress [...], indem der Anspruch ein gesetzlicher ist; dadurch entstehen ihr keine Risiken in Bezug auf den Bestand und die Höhe der Kreditforderung des Finanzinstituts gegenüber dem Exporteur namentlich aus möglichen Einreden und Einwendungen."

8.3 Die Beschwerdeführerin bestreitet weder im vorinstanzlichen noch im bundesgerichtlichen Verfahren, dass die
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Beschwerdegegnerin die Rückzahlung des Kredits aus dem Fabrikationskreditvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und dem Finanzinstitut mit der Fabrikationskreditversicherung VP 14-7073/5 versicherte und gestützt darauf das Finanzinstitut entschädigte, nachdem es zu einem Zahlungsausfall gekommen war. Dass die Vorinstanz die Regelung von Art. 21a Abs. 2 SERVG als solche rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewendet hätte, ist demnach nicht umstritten. Im Sinne der Rechtsanwendung von Amtes wegen ist festzuhalten (vgl. Art. 106 Abs. 1 BGG), dass die Vorinstanz im Lichte des Dargelegten zu Recht einen gesetzlichen Erstattungsanspruch der Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 21a Abs. 2 SERVG anerkannte (vgl. E. 8.2 hiervor).

8.4 Dasselbe Ergebnis resultiert im Übrigen aus der Erklärung vom 10. April 2014, die die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin abgegeben hat. Die Regelung in Ziff. 2.6 EVE lautet unbestrittenermassen wie folgt (E. 3.3.2 des angefochtenen Urteils B-2576/ 2019):
"Wir verpflichten uns, der SERV sämtliche Zahlungen, die sie gestützt auf die Fabrikationskreditversicherung an das Finanzierungsinstitut leistet, auf erste Anforderung vollumfänglich und zuzüglich 5 Prozent Zins seit Zahlung der SERV zu erstatten. Wir können dagegen keine Einreden oder Einwendungen erheben und verzichten insbesondere auf das Recht, die Erstattungsverpflichtung mit Gegenforderungen zu verrechnen."
Die vertraglich vereinbarte Erstattungsverpflichtung deckt sich weitgehend mit dem in Art. 21a Abs. 2 SERVG gesetzlich normierten Regressanspruch. Wie die Vorinstanz zu Recht erwägt, weist Ziff. 2.6 EVE hinsichtlich der Verzinsungspflicht einen gegenüber Art. 21a Abs. 2 SERVG erweiterten Regelungsgehalt auf, da darin auch der Zinssatz (5 %) und der Beginn des Zinsenlaufs ("seit Zahlung der SERV") definiert werden. Zudem enthält Ziff. 2.6 EVE einen Fälligkeitstermin für die Erstattungsverpflichtung ("auf erste Anforderung"), während es in Art. 21a Abs. 2 SERVG einer entsprechenden Regelung mangelt. Indessen sind in Ziff. 2.6 EVE die Kosten als Teil der Erstattungspflicht, anders als bei Art. 21a Abs. 2 SERVG ("zuzüglich Zinsen und Kosten"), nicht erwähnt.

8.5 Als Zwischenfazit ist daher festzuhalten, dass die Erstattung, die die Beschwerdegegnerin von der Beschwerdeführerin fordert, eine ausgewiesene und unbestrittene gesetzliche sowie vertragliche Grundlage hat. Die Beschwerdeführerin stellt sich vor Bundesgericht lediglich auf den Standpunkt, sie dürfe gegen die Forderung der
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Beschwerdegegnerin die Einrede nach Art. 120 OR und die Einwendung im Sinne von Art. 156 OR erheben (vgl. auch E. 5.4.2 hiervor).

8.5.1 Wenn zwei Personen einander Geldsummen oder andere Leistungen, die ihrem Gegenstande nach gleichartig sind, schulden, so kann gemäss Art. 120 Abs. 1 OR jede ihre Schuld, insofern beide Forderungen fällig sind, mit ihrer Forderung verrechnen. Der Schuldner kann die Verrechnung geltend machen, auch wenn seine Gegenforderung bestritten wird (vgl. Art. 120 Abs. 2 OR; vgl. auch BGE 132 III 342 E. 4.2 f.; Urteil 4A_371/2023 vom 27. Februar 2024 E. 11.2.1).
Vorliegend erhebt die Beschwerdeführerin erfolglos die Einrede der Verrechnung der Erstattungsschuld mit ihrer Forderung aus der Lieferantenkreditversicherung. Die Beschwerdeführerin hat nach dem bereits Gesagten keinen Anspruch auf die eingeklagte Versicherungsleistung von USD 117'508'177.38 aus der Lieferantenkreditversicherung VP 14-7071/4, da die Entschädigungsvoraussetzung von Ziff. 5.1.1 AGB-L in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 SERVG nicht erfüllt ist (vgl. E. 7 hiervor). Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Forderung aus der Lieferantenkreditversicherung, die sie mit der Erstattungsforderung der Beschwerdegegnerin verrechnen möchte, besteht somit nicht. Eine Verrechnung ist nicht möglich. Daher kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführerin im Rahmen von Ziff. 2.6 EVE auf die Verrechnungseinrede verzichtet und die Vorinstanz deshalb die Verrechnungseinrede in rechtskonformer Weise nicht zugelassen hat (vgl. auch E. 3.5.3.1 des angefochtenen Urteils B-2576/2019).

8.5.2 Eine Bedingung gilt nach Art. 156 OR als erfüllt, wenn ihr Eintritt von dem einen Teile wider Treu und Glauben verhindert worden ist (vgl. auch BGE 133 III 527 E. 3.3.3; BGE 113 II 31 E. 2b). Der Anwendungsbereich der Bestimmung ist nicht auf bedingte Verträge insgesamt beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf einzelne bedingte Rechte und Pflichten der Vertragsparteien (vgl. Urteil 4A_517/2020 vom 27. April 2021 E. 6.1).
Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, hätte die Beschwerdegegnerin ihre Pflichten aus der Lieferantenkreditversicherung vertragskonform erfüllt, hätte die Beschwerdeführerin die Rückzahlungen aus dem Fabrikationskredit zugunsten des Finanzinstituts bedienen können. Die Beschwerdegegnerin habe den Schadensfall bei der Fabrikationskreditversicherung selbst und damit
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treuwidrig im Sinne von Art. 156 OR erwirkt. Auch diese Einwendung erhebt die Beschwerdeführerin ohne Erfolg: Da die Entschädigungsvoraussetzung von Ziff. 5.1.1 AGB-L in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 SERVG nicht erfüllt war, traf die Beschwerdegegnerin keine vertragliche Pflicht zur Ausrichtung einer Versicherungsleistung aus der Lieferantenkreditversicherung. Sie verhinderte damit nicht die Rückzahlung des Fabrikationskredits und bewirkte somit auch nicht den Eintritt des Versicherungsfalls bei der Fabrikationskreditversicherung. Es ist kein treuwidriges Verhalten im Sinne von Art. 156 OR zu erkennen, das die Beschwerdeführerin gegen die Erstattungsforderung der Beschwerdegegnerin einwenden kann (vgl. auch E. 4 des angefochtenen Urteils B-2576/2019).

8.6 In Anbetracht des Ausgeführten ist der Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Erstattung ihrer Versicherungsleistung aus der Fabrikationskreditversicherung gestützt auf Art. 21a Abs. 2 SERVG in Verbindung mit Ziff. 2.6 EVE ausgewiesen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann sie gegen die Forderung der Beschwerdegegnerin keine der vorgetragenen Einreden und Einwendungen erheben. Eine Verletzung von Art. 120 OR in Verbindung mit Art. 27 ZGB sowie von Art. 156 OR jeweils in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 ZGB, Art. 5 Abs. 3 BV und Art. 9 BV liegt nicht vor. Das angefochtene Urteil B-2576/2019 ist zu bestätigen.

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Artikel: Art. 21a Abs. 2 SERVG, Art. 120 und 156 OR, Art. 17 Abs. 1 SERVG, Art. 120 OR mehr...