Urteilskopf
151 II 68
4. Auszug aus dem Urteil der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Kanton Schwyz gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (Klage)
9E_1/2023 vom 12. August 2024
Regeste
Art. 120 Abs. 2 BGG; Art. 20 der Verordnung vom 22. August 1967 über die Anrechnung ausländischer Quellensteuern, vormals Verordnung über die pauschale Steueranrechnung; Art. 57 f. VStG; Zulässigkeit der Klage eines Kantons gegen den Bund im Bereich der (pauschalen) Steueranrechnung.
Die ESTV ist im Bereich der (pauschalen) Steueranrechnung nicht befugt, die Kürzung des Anspruchs eines Kantons gegen den Bund in einer Verfügung festzusetzen, welche die Klage beim Bundesgericht nach Art. 120 Abs. 2 BGG ausschliessen würde (E. 1).
A.a Mit Entscheid vom 6. April 2020 gewährte die Steuerverwaltung des Kantons Schwyz A. für ausländische Quellensteuern, die von Dividenden aus einer qualifizierten Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft abgezogen worden waren, für das Jahr 2018 eine sogenannte pauschale Steueranrechnung von Fr. 967'917.-. Die für die Anrechnung infrage kommende ausländische Sockelsteuer (d.h. residuale Quellensteuer nach Reduktion gemäss einschlägigem Doppelbesteuerungsabkommen [DBA]) hatte Fr. 1'272'941.- betragen. Der Entscheid erwuchs in Rechtskraft und die Steuerverwaltung des Kantons Schwyz zahlte A. am 6. April 2020 den Betrag von Fr. 967'917.- aus.
A.b Als Teil der Jahresendabrechnung vom Dezember 2020 stellte der Kanton Schwyz dem Bund im Zusammenhang mit dem Entscheid vom 6. April 2020 den Betrag von Fr. 529'629.- in Rechnung. Mit Schreiben vom 30. August 2021 teilte die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) der Steuerverwaltung des Kantons Schwyz zusammengefasst mit, dass die Lastenverteilung zwischen dem Kanton Schwyz und dem Bund "nach der Grundregelung" von Art. 20 Abs. 1 der Verordnung vom 22. August 1967 über die pauschale Steueranrechnung (SR 672.201; nachfolgend: VO PStA; Titel geändert mit Verordnung vom 13. November 2019 [AS 2019 3873; in Kraft seit dem 1. Januar 2020] in: Verordnung vom 22. August 1967 über die Anrechnung ausländischer Quellensteuern [nachfolgend: VO StA]) zu erfolgen und der Bund somit nur ein Drittel der erfolgten pauschalen Steueranrechnung zu tragen habe. Es bestehe keine Grundlage für eine Lastenverteilung nach Massgabe der effektiven Steuersätze, soweit Fälligkeiten vor dem 1. Januar 2020 betroffen seien.
B. Nach weiterer Korrespondenz und einer hybrid abgehaltenen Sitzung mit Vertretern beider Steuerverwaltungen teilte die ESTV mit "Kürzungsverfügung" vom 20. Dezember 2022 mit, dass die Belastung des Bundes im Zusammenhang mit der A. ausgerichteten pauschalen Steueranrechnung von Fr. 529'629.- um Fr. 206'990.- auf Fr. 322'639.- (ein Drittel von Fr. 967'917.-) zu kürzen sei.
C.a Mit "verwaltungsrechtlicher Klage" vom 8. September 2023 gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft beantragt der Kanton Schwyz (vertreten durch seine Steuerverwaltung) dem
BGE 151 II 68 S. 70
Bundesgericht, die von der ESTV erlassene Kürzungsverfügung vom 20. Dezember 2022 sei aufzuheben und die von der kantonalen Steuerverwaltung Schwyz in Sachen A. erfolgte interne Belastung des Bundes mit Fr. 529'629.- sei zu bestätigen. Die Schweizerische Eidgenossenschaft (vertreten durch die ESTV) beantragt die Abweisung der Klage.
C.b Der Kanton Schwyz und die Eidgenossenschaft haben je eine weitere Stellungnahme zur Sache eingereicht. Des Weiteren haben die Parteien auf Einladung des Instruktionsrichters hin auf die Durchführung einer mündlichen Vorbereitungsverhandlung und alsdann auch auf die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung verzichtet. Ausserdem hat die ESTV auf Einladung des Instruktionsrichters hin mit Eingabe vom 5. März 2024 einen Bundesratsbeschluss vom 1. März 2024 eingereicht, der die ESTV zur Prozessführung im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft bevollmächtigt und alle bisherigen Verfahrenshandlungen der ESTV namens der Schweizerischen Eidgenossenschaft genehmigt. Mit derselben Eingabe stellt die ESTV namens der Eidgenossenschaft den "formellen Antrag, dass die ESTV von Gesetzes wegen zur Führung des Verfahrens 9E_1/2023 vor dem Bundesgericht legitimiert sei".
Das Bundesgericht heisst die Klage teilweise gut.
Aus den Erwägungen:
1.1 Nach
Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG ist das Bundesgericht als einzige Instanz zuständig für die Beurteilung von Klagen aus zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen Bund und Kantonen oder zwischen Kantonen. Die Klage ist indessen gemäss
Art. 120 Abs. 2 BGG unzulässig, "wenn ein anderes Bundesgesetz eine Behörde zum Erlass einer Verfügung über solche Streitigkeiten ermächtigt" (frz. "[...] si une autre loi fédérale habilite une autorité à rendre une décision sur de telles contestations [...]"; ital. "[...] se un'altra legge federale abilita un'altra autorità a pronunciare su tali controversie [...]"; sog. Subsidiarität der Klage gegenüber der Beschwerde;
BGE 141 III 84 E. 4;
BGE 138 V 445 E. 1.1). Gegen die Verfügung ist grundsätzlich letztinstanzlich die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig (vgl.
BGE 150 II 273 E. 1.4.5).
1.2 Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger geltend, dass die Beklagte einen grösseren Teil der Last aus der pauschalen Steueranrechnung zu tragen habe, als dies die ESTV in der "Kürzungsverfügung" vom 20. Dezember 2022 mitgeteilt habe. Die Beklagte stellt die Zuständigkeit des Bundesgerichts zwar nicht grundsätzlich infrage. Sie ist jedoch der Auffassung, dass die ESTV für den Erlass einer Verfügung zuständig sei und es aus teleologischen Überlegungen sowie aus Gründen der Praktikabilität vorzuziehen sei, von einem Ausschluss des Klageverfahrens auszugehen und stattdessen die Beschwerde an das Bundesgericht gegen die Verfügung der ESTV zuzulassen.
1.3 Die Zulässigkeit der Klage hängt nach dem Wortlaut von
Art. 120 Abs. 2 BGG davon ab, ob die ESTV nach einem Bundesgesetz zum Erlass einer Verfügung ermächtigt war. Zur Beantwortung dieser Frage sind die einschlägigen gesetzlichen Grundlagen zu identifizieren (E. 1.4) und auszulegen (E. 1.5).
1.4.1 Die DBA verpflichten die Schweiz regelmässig, zur Vermeidung der Doppelbesteuerung den hierzulande ansässigen Personen Entlastung zu gewähren, wenn der andere Vertragsstaat nach dem DBA bestimmte Einkünfte besteuern darf (vgl. z.B. Art. 24 Abs. 2 des Abkommens vom 11. August 1971 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen [DBA CH-DE; SR 0.672.913.62]). Für viele Arten von Einkünften erfolgt diese Entlastung, indem die Schweiz (bzw. Bund, Kanton und Gemeinde) die betroffenen Einkünfte von der Besteuerung ausnimmt und sie lediglich satzbestimmend berücksichtigt (sog. Freistellungsmethode mit Progressionsvorbehalt; vgl.
BGE 150 II 417 E. 2.4.2). Für Dividenden aus dem anderen Vertragsstaat gewährt die Schweiz stattdessen eine "pauschale Steueranrechnung" (vgl. zum Charakter dieser Entlastungsmethode
BGE 145 II 339 E. 4.4 mit Hinweisen) bzw. seit dem 1. Januar 2020 eine Anrechnung ausländischer Quellensteuern.
1.4.2 Der Bundesgesetzgeber hat die Regelung des Verfahrens dieser Entlastung dem Bundesrat übertragen (vgl.
Art. 35 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 18. Juni 2021 über die Durchführung von internationalen Abkommen im Steuerbereich [StADG; SR 672.2]; in Kraft seit 1. Januar 2022; zuvor: Art. 2 Abs. 1 lit. e des
BGE 151 II 68 S. 72
Bundesgesetzes vom 22. Juni 1951 über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung [DBAG; AS 1951 889]). Der Bundesrat hat gestützt hierauf die bereits erwähnte Verordnung (vgl. oben Sachverhalt Bst. A.b) erlassen. Nach Art. 2 Abs. 1 VO PStA bzw. VO StA können in der Schweiz ansässige natürliche und juristische Personen für die in Übereinstimmung mit einem DBA in einem Vertragsstaat erhobene begrenzte Steuer von aus diesem Vertragsstaat stammenden Erträgen eine pauschale Anrechnung beantragen. Als Erträge kommen unter anderem Dividenden infrage (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO PStA bzw. VO StA). Die Entlastung erfolgt für die von Bund, Kantonen und Gemeinden erhobenen Steuern gesamthaft und wird in einem Betrag vergütet, der entweder ausbezahlt oder mit den Steuern des Bundes, des Kantons oder der Gemeinde verrechnet wird (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 1 VO PStA bzw. VO StA). Für den Vollzug sind die Kantone zuständig (Art. 15 VO PStA bzw. VO StA; vgl. auch
Art. 46 Abs. 1 BV). Soweit die pauschale Steueranrechnung (bzw. Anrechnung ausländischer Quellensteuern) auf Steuern des Bundes entfällt, haben die Kantone Anspruch darauf, dass dieser ihre Auslagen in Form der gewährten Entlastungszahlungen bzw. -verrechnungen ersetzt. Der Umfang dieses Anspruchs ist in Art. 20 VO PStA bzw. VO StA geregelt. Gemäss Art. 20 Abs. 4 VO PStA bzw. Art. 20 Abs. 3 VO StA sind auf die Abrechnung der Kantone mit dem Bund und auf die Pflicht zur Rückleistung zu Unrecht erfolgter Auszahlungen oder Verrechnungen die Art. 57 und 58 des Verrechnungssteuergesetzes vom 13. Oktober 1965 (VStG; SR 642.21) anwendbar.
1.4.3 Art. 57 und 58 VStG regeln die Abrechnung der Kantone über die von ihnen gewährten Verrechnungssteuerrückerstattungen, die ihnen der Bund zu erstatten hat. Diese Bestimmungen sehen vor, dass die ESTV gegenüber dem Kanton eine vorsorgliche Kürzung dieses Anspruchs des Kantons anordnen kann, wenn dieser bzw. sein Verrechnungssteueramt eine Rückerstattung zu Unrecht gewährt hat (vgl.
Art. 57 Abs. 3 VStG). Teilt die ESTV einem Kanton eine solche vorsorgliche Kürzung mit, hat dieser zwei Handlungsoptionen.
1.4.4 Er kann erstens seinerseits von demjenigen, der in den Genuss der beanstandeten Rückerstattung gekommen ist, die Rückleistung verlangen, indem er innerhalb einer Frist von sechs Monaten seit
BGE 151 II 68 S. 73
Eröffnung der vorsorglichen Kürzung einen Entscheid erlässt (
Art. 58 Abs. 1 VStG). Dies wird der Kanton tun, wenn er die vorsorgliche Kürzung für zutreffend oder wenn er sie zwar für unzutreffend hält, aber seine Rechte gegenüber der betroffenen Person wahren will. Die betroffene Person kann den Entscheid des Kantons innert 30 Tagen bei der kantonalen Rekurskommission anfechten (
Art. 58 Abs. 2 VStG). Erkennt die Rekurskommission, dass keine Rückleistungspflicht besteht, fällt die vorsorgliche Kürzung der ESTV dahin; schützt die Rekurskommission den Rückleistungsanspruch ganz oder zum Teil, so wird die vorsorgliche Kürzung in diesem Umfang endgültig (
Art. 58 Abs. 3 VStG). Auf diese Weise entfaltet der Entscheid der Rekurskommission also Wirkung nicht nur gegenüber der betroffenen Person und dem Kanton, sondern auch gegenüber der ESTV bzw. dem Bund; der ESTV ist deshalb Gelegenheit zu geben, am Beschwerdeverfahren teilzunehmen (Art. 58 Abs. 2 i.V.m.
Art. 54 Abs. 3 VStG).
1.4.5 Wenn der Kanton der Auffassung ist, dass die vorsorgliche Kürzung durch die ESTV zu Unrecht erfolgt ist, kann er zweitens ergänzend zur oder an Stelle der Rückforderung bei der betroffenen Person Klage gegen den Bund beim Bundesgericht erheben. Falls der Kanton die Rückleistung gegen die betroffene Person ohne Zustimmung der ESTV gar nicht oder in seinem rechtskräftigen Entscheid nicht in der vollen Höhe geltend gemacht hat, setzt ihm das Gesetz für die Klageanhebung eine Frist von neun Monaten nach Eröffnung der vorsorglichen Kürzung (
Art. 58 Abs. 4 VStG).
1.4.6 Bei der pauschalen Steueranrechnung kann es kraft der Verweisung in Art. 20 Abs. 4 VO PStA bzw. Art. 20 Abs. 3 VO StA wie bei der Verrechnungssteuer nach
Art. 57 und 58 VStG zu einer Kürzung der Ersatzansprüche kommen, die einem Kanton gegen den Bund aus dem Vollzug des Bundesrechts zustehen. Da der Bund die Kantone für die zu Recht geleisteten Rückerstattungen der Verrechnungssteuer vollständig zu entschädigen hat, besteht bei der Verrechnungssteuer nur dann Anlass für eine vorsorgliche Kürzung, wenn eine Rückerstattung nach Meinung der ESTV zu Unrecht erfolgt ist. Im Kontext der pauschalen Steueranrechnung kommt dagegen eine Kürzung nicht nur bei der Gewährung einer zu hohen pauschalen Steueranrechnung durch den Kanton infrage, sondern auch dann, wenn der Kanton den Betrag der pauschalen Steueranrechnung korrekt bestimmt, aber die Lasten unter den Gemeinwesen zuungunsten des Bundes falsch festgelegt hat und die Rechnung an
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den Bund aus diesem Grund zu hoch ausgefallen ist. Wenn sich die ESTV wie vorliegend auf diesen zweitgenannten Kürzungsgrund stützt, gibt es für den Kanton keinen Grund, gegenüber dem Empfänger der pauschalen Steueranrechnung einen Rückleistungsentscheid nach Art. 20 Abs. 4 VO PStA in Verbindung mit
Art. 58 Abs. 1 VStG zu erlassen. Der Streit beschränkt sich in diesem Fall nämlich auf das Verhältnis zwischen Bund und Kanton.
1.5.1 Gesetzesbestimmungen sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde grundsätzlich gebunden. Abweichungen vom klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (
BGE 149 IV 376 E. 6.6;
BGE 149 II 442 E. 4.3.3;
BGE 148 V 265 E. 5.3.3).
1.5.2 Art. 120 Abs. 2 BGG definiert nicht, was unter einer Verfügung zu verstehen ist, welche die Klage an das Bundesgericht ausschliessen kann. Das Bundesgericht hat wiederholt festgehalten, dass die Entstehungsgeschichte dieser Norm kaum Aufschlüsse erlaubt, weil sie erst über eine parlamentarische Kommission Eingang in die Vorlage fand und im Parlament nicht diskutiert wurde (vgl.
BGE 150 II 273 E. 1.4.1;
BGE 141 III 84 E. 4.1; je mit Hinweisen auf die Ratsprotokolle). Gemeinhin wird unter dem Begriff der Verfügung diejenige Handlungsform einer Verwaltungsbehörde verstanden, mit der diese Rechte und Pflichten des Verfügungsadressaten im Einzelfall regelt (vgl.
Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren [VwVG; SR 172.021];
BGE 141 I 201 E. 4.2). Als Verfügungen gelten also autoritative, einseitige, individuell-konkrete Anordnungen der Behörde, die in Anwendung von Verwaltungsrecht ergangen, auf Rechtswirkungen ausgerichtet sowie verbindlich und erzwingbar sind (
BGE 150 I 183 E. 3.4.1;
BGE 151 II 68 S. 75
BGE 141 II 233 E. 3.1;
BGE 139 V 143 E. 1.2). Die Verfügung schliesst das nicht-streitige Verfahren ab und bildet das notwendige Anfechtungsobjekt für das Rechtsmittelverfahren. Auf diese Weise verbindet die Verfügung das Verwaltungsrecht, die Verwaltung, die es anwendet, und die rechtsunterworfene Person. Indem die Verfügung der betroffenen Person den Rechtsweg öffnet (vgl.
Art. 29a BV), bildet sie auch das Scharnier zwischen dem (nicht-streitigen) Verwaltungsverfahren und dem streitigen Verfahren (
BGE 149 V 250 E. 7.2.1 mit Hinweisen auf BENOÎT BOVAY, Procédure administrative, 2. Aufl. 2015, S. 329; MARKUS MÜLLER, in: Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, 2. Aufl. 2020, N. 1 zu Art. 49 VRPG; vgl. auch UHLMANN/KRADOLFER, in: Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 2023, N. 2 zu
Art. 5 VwVG). Anders als die deutsche Fassung verwenden die romanischen Fassungen von
Art. 120 Abs. 2 BGG den weiteren Begriff des Entscheids ("décision"; "decisione").
1.5.3 Nach
Art. 58 Abs. 1 und 2 VStG erlässt das kantonale Verrechnungssteueramt gegenüber demjenigen, der in den Genuss einer beanstandeten Rückerstattung gelangt ist, einen anfechtbaren Entscheid, wenn es die Rückleistung verlangen will. Dabei handelt es sich zweifelsohne um eine Verfügung im soeben beschriebenen Sinn. Demgegenüber wird aus dem Wortlaut von
Art. 57 und 58 VStG nicht restlos klar, ob die ESTV gegenüber dem Kanton in einer formellen Verfügung über die Kürzung entscheiden kann. Jedenfalls fehlen in diesen Normen Hinweise darauf, dass der Kanton die vorsorgliche Kürzung mittels Beschwerde anfechten könnte. Im Gegenteil bestimmt
Art. 58 Abs. 4 VStG ausdrücklich, dass er direkt das Bundesgericht mittels Klage nach
Art. 120 BGG anzurufen hat (vgl. auch TEUSCHER/ARNOLD, in: Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, 3. Aufl. 2024, N. 7 zu
Art. 58 VStG).
1.5.4 Die übrigen Auslegungsmethoden rechtfertigen vorliegend nicht, vom Wortlaut von
Art. 58 Abs. 4 VStG abzuweichen und den Kantonen gestützt auf
Art. 120 Abs. 2 BGG den Klageweg zu versperren. Bereits der systematische Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen des VStG spricht gegen eine Verfügungskompetenz der ESTV im Bereich der Abrechnung zwischen Bund und Kantonen.
Art. 34 Abs. 1 VStG verleiht der ESTV nämlich nur für die "Erhebung und Rückerstattung" der Verrechnungssteuer die Kompetenz, alle "Weisungen, Verfügungen und Entscheide" zu erlassen,
BGE 151 II 68 S. 76
die nicht ausdrücklich einer andern Behörde vorbehalten sind. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich diese subsidiäre, generelle Verfügungskompetenz der ESTV über die Bereiche der Steuererhebung (erster Abschnitt des Gesetzes [
Art. 4-20a VStG] sowie
Art. 38-47 VStG unter der Marginalie "B. Verfahren, I. Steuererhebung") und der Rückerstattung (zweiter Abschnitt des Gesetzes [
Art. 21-33 VStG] sowie
Art. 48-57 VStG unter der Marginalie "B. Verfahren, II. Steuerrückerstattung") hinaus auch auf die Abrechnung zwischen Bund und Kantonen erstreckt, die im dritten Abschnitt des Gesetzes über Behörden und Verfahren unter einer separaten Überschrift geregelt ist ("C. Abrechnung zwischen Bund und Kantonen":
Art. 57-60 VStG). Umso weniger spricht im Bereich der pauschalen Steueranrechnung für eine Verfügungskompetenz der ESTV, ist der Vollzug doch in die Hände der Kantone gelegt (Art. 15 VO StA bzw. VO PStA) und fehlt dementsprechend eine subsidiäre Generalkompetenz der ESTV, wie sie
Art. 34 Abs. 1 VStG für die Verrechnungssteuer vorsieht.
1.5.5 Aus der Entstehungsgeschichte von
Art. 57 und 58 VStG lassen sich jedenfalls keine überzeugenden Argumente für eine Verfügungskompetenz der ESTV gegenüber dem Kanton gewinnen. Zwar sprach der Bundesrat in der Botschaft von einer "Kürzungsverfügung des Bundes". Diese "Verfügung" sollte jedoch "zunächst nicht die Bedeutung eines formellen Entscheids" haben und die vorsorgliche Kürzung sollte erst "nach Ablauf der Frist von sechs Monaten einem Entscheide" gleichstehen; dieser werde endgültig, "sofern der Kanton nicht innert weiterer drei Monate durch verwaltungsrechtliche Klage den ihm vom Bund vorenthaltenen Betrag geltend macht" (vgl. Botschaft vom 18. Oktober 1968 betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer [Botschaft VStG], BBl 1963 II 953, 982). Die gewählte Regelung hat indessen wenig gemeinsam mit einem klassischen Verfügungsverfahren und erinnert eher an ein Anfechtungsverfahren, bei dem der Kanton ohne formelles Anfechtungsobjekt aktiv werden muss, um seiner Rechte nicht verlustig zu gehen (vgl. für ein ähnliches Verfahren
Art. 31 ff. des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG; SR 851.1]). Auf jeden Fall bezweckte die Neuregelung eine Abkehr vom ursprünglichen System von 1943, in welchem zwei separate Verfügungsverfahren nebeneinander stattfanden, nämlich eines zwischen dem Kanton und der betroffenen Person und ein Zweites, in welchem die ESTV gegenüber dem Kanton eine formelle Verfügung
BGE 151 II 68 S. 77
über die Kürzung erliess, die der Kanton mit Einsprache und alsdann mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechten musste (vgl. Art. 14 Abs. 3 des Bundesratsbeschlusses vom 1. September 1943 über die Verrechnungssteuer [VStB; BS 6 326]; Botschaft VStG, a.a.O.).
1.5.6 Unter teleologischen Gesichtspunkten ist sodann zu berücksichtigen, dass es ein Ziel der Justizreform war, das Bundesgericht durch eine Reduktion der Direktprozesse zu entlasten (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4202, 4351; vgl. auch Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 1, 498). Die Subsidiarität der Klage nach
Art. 120 Abs. 2 BGG verhindert Direktprozesse vor dem Bundesgericht und dient also offenkundig diesem Ziel der Justizreform (vgl. FRANÇOIS CHAIX, in: Commentaire romand, Constitution fédérale, 2021, N. 29 zu
Art. 189 BV). Nicht zuletzt mit Blick auf diese Zielsetzung hat das Bundesgericht festgehalten, dass die direkte Klage beim Bundesgericht im Verhältnis zwischen Bund und Kantonen generell nur einschränkend zuzulassen (vgl.
BGE 141 III 84 E. 4.2;
BGE 136 IV 139 E. 2.4) und der Beschwerdeweg nicht nur bei Verfügungsverfahren, sondern auch bei Anfechtungsverfahren der Klage beim Bundesgericht grundsätzlich vorzuziehen ist (vgl. zu
Art. 31 ff. ZUG BGE 138 V 445 E. 1.1 mit Hinweisen). Allerdings hat das Bundesgericht auch betont, dass die Beurteilung von Streitigkeiten zwischen Bund und Kantonen zu seinen verfassungsmässigen Aufgaben gehört (
Art. 189 Abs. 2 BV) und deshalb gewährleistet sein muss, dass der Kanton auf dem Beschwerdeweg überhaupt an das Bundesgericht gelangen kann, unter Vorbehalt bestimmter besonderer Konstellationen, in denen der Bundesgesetzgeber in verbindlicher Weise (
Art. 190 BV) den Zugang an das Bundesgericht ausgeschlossen hat (
BGE 150 II 273 E. 1.4.4 und 1.4.5 mit Hinweisen). Aus diesen Präjudizien kann abgeleitet werden, dass die Subsidiarität der Klage nach
Art. 120 Abs. 2 BGG zwar nicht immer eine Verfügung einer Verwaltungsbehörde, aber doch zumindest ein formelles Anfechtungsobjekt voraussetzt, das letztinstanzlich mittels Beschwerde an das Bundesgericht getragen werden kann, sofern der Bundesgesetzgeber den Zugang zum Bundesgericht nicht ausnahmsweise ausgeschlossen hat. Im Einklang mit der breiteren Terminologie der romanischen Fassungen von
Art. 120 Abs. 2 BGG ("[...] une autre loi fédérale habilite une autorité à rendre une décision [...]"; "[...] un'altra legge federale abilita un'altra autorità a
BGE 151 II 68 S. 78
pronunciare [...]") kann also mit anderen Worten nicht nur die Verfügungskompetenz einer Verwaltungsbehörde, sondern auch die bundesgesetzlich vorgesehene Entscheidungszuständigkeit einer anderen Justizbehörde die direkte Klage an das Bundesgericht ausschliessen.
Für den hier vorliegenden Fall, in welchem einzig das Verhältnis zwischen Bund und Kanton im Streit liegt, sehen
Art. 57 und 58 VStG im Unterschied zum Anfechtungsverfahren, welches das Bundesgericht bereits zu beurteilen hatte (
Art. 34 Abs. 2 ZUG; vgl.
BGE 141 III 84 E. 4.3;
BGE 138 V 445 E. 1.1;
BGE 136 V 351 E. 2.3), indessen nicht vor, dass ein anderes Gericht als das Bundesgericht die Kürzung erstinstanzlich beurteilen könnte. Das Bundesverwaltungsgericht, das als einzige andere Gerichtsbehörde des Bundes hierfür infrage kommen könnte, ist dafür offenkundig nicht unmittelbar zuständig (vgl. zur sehr engen Klagezuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts Art. 35 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht [VGG; SR 173.32]; vgl. auch zur weiten Beschwerdezuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts
Art. 31 VGG). Die kantonale Rekurskommission ist nach
Art. 58 Abs. 2 VStG zwar zuständig für die Beurteilung der Beschwerde der betroffenen Person gegen den Entscheid des kantonalen Verrechnungssteueramts. Hingegen sieht
Art. 58 VStG nicht vor, dass diese Justizbehörde auch einen Streit beurteilen könnte, der nur Bund und Kanton betrifft.
1.6 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen (Art. 20 Abs. 4 VO PStA i.V.m.
Art. 57 und 58 VStG) die ESTV nicht ermächtigen, die Kürzung des Anspruchs des Kantons gegenüber dem Bund dergestalt zu verfügen, dass die Klage des Kantons beim Bundesgericht nach
Art. 120 Abs. 2 BGG ausgeschlossen wäre. Auch keine andere Bundesverwaltungsbehörde und kein anderes Gericht des Bundes als das Bundesgericht sind kompetent, über eine solche Kürzung bzw. über den Anspruch des Kantons gegen den Bund zu entscheiden. Die Zuständigkeit der kantonalen Behörden und Gerichte kommt im Bereich der pauschalen Steueranrechnung in Betracht, wenn die Streitigkeit über die Abrechnung auch den Empfänger der pauschalen Steueranrechnung betrifft, nicht aber, wenn wie hier ausschliesslich das Verhältnis zwischen Bund und Kanton im Streit liegt. Die Klage des Kantons Schwyz nach
Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG ist demgemäss zulässig und das Bundesgericht für ihre Behandlung zuständig.
BGE 151 II 68 S. 79
Damit ist zugleich gesagt, dass die "Kürzungsverfügung" der ESTV kein Entscheid sein kann, der direkt oder über das Bundesverwaltungsgericht (vgl.
Art. 31 VGG) auf dem Beschwerdeweg an das Bundesgericht getragen werden kann respektive muss. Abgesehen davon, dass nach dem Gesagten bereits fraglich ist, ob dieser "Kürzungsverfügung" überhaupt der Charakter eines Entscheids zukommt, würde sie auch die Voraussetzungen für ein Anfechtungsobjekt nach
Art. 86 BGG nicht erfüllen (vgl. allerdings jüngst
BGE 150 II 273 E. 1.4.5, wonach Beschwerden an das Bundesgericht gegen Entscheide über Streitigkeiten zwischen Bund und Kanton oder zwischen Kantonen lediglich unter den Voraussetzungen des 4. Kapitels des BGG stehen). Auf jeden Fall beurteilt das Bundesgericht eine zulässige Klage direkt in der Sache, und zwar als erste und einzige Instanz. Ungeachtet ihrer rechtlichen Qualifikation kann die "Kürzungsverfügung" der ESTV nicht Gegenstand des Klageverfahrens sein. Demgemäss kann dem Antrag des Klägers auf Aufhebung der "Kürzungsverfügung" von vornherein nicht stattgegeben werden. Er ist unzulässig.
1.7 In Klageverfahren vor Bundesgericht werden die Kantone üblicherweise von ihrer Regierung, die Eidgenossenschaft vom Bundesrat vertreten (vgl.
BGE 117 Ia 202 E. 1c). Die Steuerverwaltung des Kantons Schwyz und - auf Aufforderung des Instruktionsrichters hin - die ESTV haben mit Beschlüssen des Schwyzer Regierungs- respektive des Bundesrats belegt, dass sie in der vorliegenden Sache zur Prozessführung im Namen des Kantons Schwyz respektive der Eidgenossenschaft berechtigt sind. Gleichwohl stellt die ESTV namens der Beklagten den Antrag, "dass die ESTV von Gesetzes wegen zur Führung des Verfahrens 9E_1/2023 vor dem Bundesgericht legitimiert sei". Im Lichte der äusserst ausführlichen Begründung in der Stellungnahme vom 5. März 2024 ist dieser Antrag wohl so zu verstehen, dass die Beklagte die Vertretungsbefugnis der ESTV im Hinblick auf künftige Verfahren festgestellt sehen möchte. Abgesehen davon, dass bereits zweifelhaft ist, ob ein solcher Antrag ausserhalb der Klageantwort überhaupt noch gestellt werden kann (vgl.
Art. 120 Abs. 3 BGG i.V.m.
Art. 29 des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess [BZP; SR 273]), ist nicht ersichtlich, welches schutzwürdige Interesse die Beklagte an dieser Feststellung haben könnte (vgl. zu dieser allgemeinen prozessrechtlichen Voraussetzung
BGE 151 I 19 E. 6.4;
BGE 147 I 280 E. 6.2.1;
BGE 146 V 38 E. 4.3.2). Es ist ihr auf jeden Fall zumutbar, in den äusserst
BGE 151 II 68 S. 80
seltenen Klageverfahren auf dem Gebiet der (pauschalen) Steueranrechnung sich entweder vom Bundesrat vertreten oder diesen die ESTV zur Prozessführung autorisieren zu lassen, jedenfalls solange sich die Prozessführungs- bzw. Vertretungsbefugnis der ESTV nicht eindeutig aus den gesetzlichen Grundlagen ergibt. Auf den Feststellungsantrag der Beklagten ist demgemäss mangels schutzwürdigen Interesses nicht einzutreten.
1.8 Die Parteien haben ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen öffentlichen Verhandlung verzichtet. Das Bundesgericht hat deshalb im Einklang mit seiner Praxis (vgl.
BGE 137 III 593 E. 1.3) keine Verhandlung angesetzt. Es entscheidet aufgrund der eingereichten Stellungnahmen und der weiteren Akten.
1.9 Im Übrigen geben die Prozessvoraussetzungen zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass. Abgesehen vom Antrag auf Aufhebung der "Kürzungsverfügung" ist auf die Klage einzutreten.