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Urteilskopf

89 II 2


2. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. März 1963 i.S. J. gegen O.

Regeste

Besuchsrecht. Art. 156 Abs. 3 ZGB.
Das Besuchsrecht kann, wenn dem Interesse des berechtigten Elternteils an dessen Ausübung bedeutende höherwertige Interessen der Kinder entgegenstehen, gänzlich aufgehoben werden, sofern nicht eine diese Kindesinteressen wahrende, besondere Besuchsordnung (Sicherheitsmassnahmen) möglich ist und eine solche Regelung dem Bedürfnis entspricht, die innere Verbundenheit des getrennten Elternteils mit seinen Kindern aufrechtzuerhalten.

Sachverhalt ab Seite 2

BGE 89 II 2 S. 2

A.- Am 15. Dezember 1953 schied das Bezirksgericht Zürich die Ehe O.-W., wies die beiden ihr entsprossenen Kinder Marcel, geb. 1950, und Rita, geb. 1951, unter Anordnung einer vormundschaftlichen Aufsicht der Mutter zur Pflege und Erziehung zu und räumte dem Vater das Recht ein, die Kinder bis zu deren Eintritt in die Schulpflicht
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einen halben Tag und von da an einen Tag im Monat zu besuchen oder auf seine Kosten zu sich auf Besuch zu nehmen.
Im Frühjahr 1954 wurden die beiden Kinder in einem Kinderheim in Mogelsberg (Kt. St. Gallen) untergebracht. Während fünf Jahren ihres dortigen Aufenthaltes kümmerte sich O. in keiner Weise um sie; weder übte er sein Besuchsrecht aus, noch unterhielt er sonst irgendwelchen Kontakt mit ihnen. Auch vernachlässigte er seine Unterstützungspflicht, indem er von den ihm durch das Scheidungsgericht auferlegten Unterhaltsbeiträgen von monatlich Fr. 70.- für jedes Kind insgesamt bloss Fr. 160.-- bezahlte. Im Jahre 1959 wandte er sich dann erstmals an die Gerichte, um das ihm zustehende, angeblich von der Leitung des Kinderheims oder von der Mutter hintertriebene Besuchsrecht auszuüben. Ein erstes Gesuch vom 12. Januar zog er indessen am 14. Februar 1959 zurück, während ein weiteres gegen die Heimleitung gerichtetes Begehren am 10. Juli 1959 abgewiesen wurde. Das gleiche Schicksal war einem Gesuch vom 20. August 1959, dem zufolge der Mutter verboten werden sollte, ihn an der Ausübung des Besuchsrechtes zu hindern, beschieden, da die letztere erklären liess, sie sei mit den Besuchen einverstanden.
Nachdem diese sich im Jahre 1957 mit J. wieder verheiratet und im April 1961 die beiden Kinder in den ehelichen Haushalt aufgenommen hatte, wandte sich O. am 31. Dezember 1961 erneut an den Befehlsrichter mit dem Begehren, es seien ihm die Kinder zum Besuch herauszugeben. Am 16. März 1962 zog er jedoch das Gesuch wieder zurück.
Am 24. Juni 1960 wurde O. vom Bezirksgericht Horgen wegen wiederholter und fortgesetzter Unzucht mit Kindern zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde bedingt aufgeschoben unter Ansetzung einer Probezeit von fünf Jahren. O. hatte sich an zwei Knaben im Alter von 13 und 14 Jahren, von denen
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der eine der Sohn seiner damaligen Freundin war, sittlich vergangen.

B.- Am 19. Mai 1961 klagte Frau J. gegen O. mit dem Begehren um Aufhebung des diesem im Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 15. Dezember 1953 eingeräumten Besuchsrechtes. Das Bezirksgericht Horgen hiess am 8. Juni 1962 die Klage gut und hob das Besuchsrecht des O. gänzlich auf, weil Gefahr bestehe, dass der Beklagte auch seine eigenen Kinder verführe, und weil diesen jedes Gefühl der Zusammengehörigkeit mit ihm fehle.
Auf die Berufung des Beklagten wies das Obergericht des Kantons Zürich die Klage am 15. Oktober 1962 ab und ordnete dessen Besuchsrecht in teilweiser Gutheissung der Widerklage in der Weise, dass O. das Recht eingeräumt wurde, die Kinder je am letzten Sonntag des Monats, im Sommer von 13 bis 19 Uhr und im Winter von 12 bis 18 Uhr, gemeinsam zu besuchen oder zu sich auf Besuch zu nehmen.

C.- Die Klägerin hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Gutheissung ihrer Klage und Abweisung der Widerklage.
O. beantragt Abweisung der Berufung.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Gemäss Art. 156 Abs. 3 ZGB hat der Ehegatte, dem die Kinder entzogen werden, ein Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr mit ihnen. Dass dieses Recht, dessen Hauptinhalt das sog. Besuchsrecht bildet und das dem nicht gewalthabenden Elternteil um seiner Persönlichkeit willen zusteht, diesem unter Umständen ganz abgesprochen werden kann, sagt das Gesetz nicht, folgt jedoch aus dem allgemeinen Grundsatz, dass jedes Recht seine Grenze an fremden Rechten findet (s. BGE 86 II 377). Die Ausübung eines Rechtes, durch die in ein fremdes Recht eingegriffen wird, ist denn auch nur dann rechtmässig und vom Richter zu schützen, wenn dieser Eingriff die angemessene
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Massnahme zur Wahrung eines nach den Umständen wertvolleren Gutes darstellt. Das gilt auch bezüglich der Persönlichkeitsrechte, die insoweit keiner Sonderregel unterliegen (JÄGGI, Fragen des privatrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit, ZSR 1960, II, S. 214 a).
a) Die Rechtsprechung und mit ihr ein Teil des Schrifttums vertreten den Standpunkt, dass das Besuchsrecht gänzlich aberkannt werden könne, wenn sich seine Ausübung auf keine Weise unter Wahrung der körperlichen und sittlichen Entwicklung der Kinder ordnen lasse, wenn also schwerwiegende Gründe im Interesse der Kinder diese Massnahme gebieten (BGE 72 II 10; HAFTER, Kinder aus geschiedenen Ehen, S. 165; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 2. Auflage, S. 121; KISTLER, Das Recht auf persönlichen Verkehr, in Zeitschrift für Vormundschaftswesen, 1952, S. 122/3; ROSSEL/MENTHA, Manuel du droit civil suisse, 2. Auflage, S. 275 Nr. 405bis; anderer Meinung: TUOR, Das schweizerische ZGB, 5. Auflage, S. 148; EGGER, Kommentar, N. 21 zu Art. 156 lehnt einen Entzug des Rechtes durch den Richter ab, hält jedoch eine Verwirkung für möglich, wenn die Kindesinteressen es durchaus erfordern). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die körperliche und sittliche Gesundheit der Kinder, welche durch Art. 28 Abs. 1 ZGB gewährleistet ist, ein höherwertiges Gut darstellt als die mit dem Besuchsrecht bezweckte innere Verbundenheit des nicht gewalthabenden Elternteils mit ihnen. Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der Rechtsanschauung in der Schweiz benachbarten Staaten. So kann im deutschen und im österreichischen Rechte der Verkehr des berechtigten Elternteils mit dem Kinde ausgeschlossen werden, wenn dies aus besondern Gründen dem Wohle des Kindes dient (VON GODIN, Kommentar, N. 10 zu § 75 des deutschen Ehegesetzes; KLANG/GSCHNITZER, Kommentar, Ziff. V zu § 142 ABGB), und den gleichen Weg ist die französische Praxis gegangen (PLANIOL/RIPERT/BOULANGER, Traité de droit civil, 1956, Bd. I, S. 841, Nr. 2277 Ziff. 5). Am Grundsatze,
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dass das dem nicht gewalthabenden Elternteil nach Art. 156 Abs. 3 ZGB zustehende natürliche Recht (BGE 72 II 10) aufgehoben werden darf, wenn bedeutende höherwertige Interessen der Kinder es unbedingt erfordern, ist somit festzuhalten.
b) Daraus folgt nun aber nicht, dass umgekehrt dem berechtigten Elternteil das Besuchsrecht trotz einem solchen Interessenkonflikt stets gewahrt bleiben müsse, wenn eine Verletzung jener Kindesinteressen durch entsprechende Sicherheitsmassnahmen vermieden werden kann. Das Besuchsrecht ist, wie alle Elternrechte, zweckbezogen (MERZ, Berner Kommentar, N. 302 zu Art. 2 ZGB). Es findet seine Begründung in der Überlegung, dass die innere Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern über die Scheidung hinaus weiterbesteht und dass demzufolge die Eltern Anspruch darauf haben, diese natürliche Bindung durch einen angemessenen Verkehr mit den Kindern aufrechtzuerhalten. Die Ausübung dieses Persönlichkeitsrechtes hat demnach nur einen vernünftigen Sinn, wenn sie bestimmt und geeignet ist, jene innere Verbundenheit zu erhalten. Wo es an dieser Voraussetzung fehlt, sei es, dass der nicht gewalthabende Elternteil aus zweckwidrigen Motiven auf der Ausübung seines Rechtes beharrt (z.B. aus Rechthaberei, zur Schikane des andern Elternteils usw.), sei es, dass diese zum vorneherein als nutzlos erscheint, weil es an der innern Verbundenheit der Kinder mit dem getrennten Elternteil völlig fehlt (s. über die zweckwidrige und nutzlose Rechtsausübung, MERZ, a.a.O. N. 285 ff. und 340 ff.), da rechtfertigt es sich nicht, das Besuchsrecht, das ohne besondere Vorkehren gegen bedeutende Interessen der Kinder verstiesse, mit allen möglichen Sicherheitsmassnahmen zu umgeben (z.B. Besuche in Anwesenheit Dritter oder unter Aufsicht von Amtspersonen, nur gemeinsam usw.), um dem berechtigten Elternteil mindestens formell und ohne Nachteil für die Kinder seine Ausübung zu ermöglichen. Eine Ausübung des Besuchsrechtes, die ihres ethischen Gehalts entbehrt, verdient
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keinen besonderen Schutz. In diesem Sinne bedarf der im EntscheideBGE 72 II 10ausgesprochene Satz, dass das Besuchsrecht nur dann gänzlich entzogen werden dürfe, wenn sich seine Ausübung auf keine Weise unter Wahrung der körperlichen und sittlichen Entwicklung der Kinder ordnen lasse, der Verdeutlichung.

2. Im vorliegenden Falle wurde dem Beklagten im Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes Horgen vom 15. Dezember 1953 das Besuchsrecht zugestanden. Eine Aufhebung dieses Rechts kommt daher nur in Frage, wenn die seitherige Entwicklung der Verhältnisse eine andere Regelung für geboten erscheinen lässt, wenn sich die Verhältnisse seit jenem Urteil so wesentlich geändert haben, dass eine Beibehaltung der bisherigen Ordnung zu einer erheblichen Schädigung höherwertiger Kindesinteressen führen würde (Art. 157 ZGB;BGE 43 II 476,BGE 54 II 75). Diese Voraussetzung ist hier entgegen der Auffassung des Obergerichts erfüllt.
a) O. hat sich im Jahre 1959 in schwerwiegender Weise an zwei Knaben im Alter von 13 und 14 Jahren sittlich vergangen. Aus den Strafakten und insbesondere aus dem Urteil des Bezirksgerichtes Horgen vom 24. Juni 1960 sowie dem psychiatrischen Gutachten der Heilanstalt Burghölzli vom 28. Mai 1960 ergibt sich, dass der Beklagte ein verlogener, asozialer, uneinsichtiger und mit einer bisexuellen Triebrichtung behafteter Psychopath ist. Seine beiden Kinder, von denen insbesondere der Knabe heute in das Alter eintritt, das die beiden Opfer des O. hatten, wären unzweifelhaft in ihrer sittlichen Entwicklung in hohem Grade gefährdet, wenn sie dem unheilvollen Einfluss des Beklagten, und sei es auch nur für einige Stunden im Monat, preisgegeben würden. Darüber hilft nicht hinweg, dass sexuelle Verfehlungen des O. an seinen eigenen Kindern nicht nachgewiesen sind. Zur Zeit der Scheidung der Parteien waren die Kinder zwei und drei Jahre alt, und seither ist der Beklagte mit ihnen nicht mehr zusammengetroffen. Die Annahme der Vorinstanz aber, dass den
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Beklagten die Bande des Blutes von unzüchtigen Handlungen an den eigenen Kindern abhalten dürften, vermag nicht zu überzeugen. Den blutmässigen Banden zwischen dem Beklagten und seinen Kindern entsprechen keine gefühlsmässige Bindungen, und zudem hat sich O., wie die erste Instanz zutreffend feststellte, gerade am Kinde seiner Freundin, das ihm unter den damaligen Verhältnissen näher stand als die eigenen Kinder, in brutaler Weise vergangen. Schliesslich zwingt auch die Tatsache, dass der Strafrichter dem Beklagten den bedingten Strafvollzug gewährt hat, nicht zu einem andern Schluss. Nicht nur hat das Bezirksgericht Horgen dem Verurteilten diese Rechtswohltat bloss mit schweren Bedenken gewährt, sondern man muss sich angesichts des Umstandes, dass der im Strafverfahren beigezogene Psychiater zum Schluss gelangte, auf Grund der Charakterstruktur des O. sei "mit einer gewissen Rückfallsgefahr in ähnliche Delikte zu rechnen", auch fragen, ob der Strafrichter sich bei seinem Entscheide wirklich von dem durch das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz hat leiten lassen, dass der bedingte Strafvollzug nur gewährt werden darf, wenn begründete Aussicht auf eine dauernde Besserung des Verurteilten besteht (statt vielerBGE 74 IV 196,BGE 77 IV 69). Doch wie dem auch sei, muss jedenfalls der Zivilrichter, der über das Besuchsrecht zu befinden hat, an die Vertrauenswürdigkeit des berechtigten Elternteils einen strengen Massstab anlegen und darf über jenes Gefahrenmoment nicht hinwegsehen. Denn wo so hochwertige Rechtsgüter wie die seelische Gesundheit und sittliche Unversehrtheit von Kindern auf dem Spiele stehen, bedarf es keiner besonders grossen Wahrscheinlichkeit ihrer Verletzung, um eine Beschränkung oder sogar eine vollständige Aufhebung des Besuchsrechtes zu rechtfertigen. Übrigens handelt es sich hier nicht nur darum, die Kinder vor direkten sexuellen Angriffen zu bewahren, sondern auch von einer üblen sittlichen Beeinflussung zu schützen, hat doch der Beklagte, wie sich aus den Strafakten ergibt, einem
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der von ihm missbrauchten Knaben zum Teil unter dem Vorwand der sexuellen Aufklärung eine unzüchtigen Photographie gezeigt und ihm sein Tagebuch mit unzüchtigen Eintragungen zum Lesen überlassen. Ihm seine nun bald ins Pubertätsalter eintretenden Kinder vorbehaltlos anzuvertrauen, wäre daher auch aus diesen Gründen nicht zu verantworten. Dazu kommt, dass O. nach der eigenen Feststellung der Vorinstanz für die Kinder ein Unbekannter ist. Sie anzuhalten, einen völlig fremden Mann als Vater zu besuchen, könnte, insbesondere bei dem empfindsamen älteren Kinde, einen seelischen Schock auslösen. Abgesehen davon ist der Beklagte gegen die Mutter der Kinder feindselig eingestellt, und er weist, wie das bei Psychopathen seiner Art häufig vorkommt, deutlich querulatorische Züge auf, die sich bei seiner Einsichtslosigkeit sehr zum Nachteil der Kinder auswirken könnten. Dass diesbezüglich begründeter Anlass zu Befürchtungen besteht, erhellt beispielsweise deutlich aus der Rekursschrift des Beklagten an das Obergericht Zürich vom 21. Oktober 1961, in der er sich unter anderem auf den Standpunkt stellte, dass "er ein gerichtliches Verbot zur Ausübung eines eventuellen Besuchsrechtes" nicht zu achten brauche, um dann wörtlich zu drohen: "Wenn es sein muss, werde ich die Kinder schon finden, wo sie auch je sich aufhalten mögen. Nur kann damit ein Skandal verbunden werden zum Schaden der Kinder ... von dem ich aber, wenn es sein muss, nicht zurückschrecken werde".
b) Steht demnach das Interesse des Beklagten an der Ausübung seines Besuchsrechtes in klarem Widerspruch zu Interessen der Kinder, die bei Abwägung der in Frage stehenden Rechtsgüter unzweifelhaft als die schutzwürdigeren erscheinen, so muss jenes Recht weichen, sofern nicht eine die Kindesinteressen wahrende Besuchsordnung getroffen werden kann und eine solche Regelung einem durch den ethischen Gehalt des Besuchsrechtes getragenen Bedürfnis entspricht.
Die Vorinstanz glaubt auf eine völlige Aufhebung des
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Besuchsrechtes verzichten und den Bedenken gegen dessen Ausübung dadurch genügend Rechnung tragen zu können, dass der Beklagte berechtigt wird, die Kinder bloss gemeinsam zu besuchen oder zu sich auf Besuch zu nehmen. Dieser Weg ist jedoch nicht gangbar. Abgesehen davon, dass damit keine zureichende Gewähr für einen sicheren Schutz der Kinder gegen eine nachteilige Beeinflussung in ihrer seelischen und sittlichen Entwicklung geboten ist, indem es O. beispielsweise ein leichtes wäre, das Mädchen unter irgendeinem Vorwand wegzuschicken, um in dessen Abwesenheit den Knaben nach seiner Art "aufzuklären", rechtfertigt es sich auch deswegen nicht, dem Beklagten um jeden Preis durch irgendwelche Sicherheitsmassnahmen die Ausübung des Besuchsrechtes zu ermöglichen, weil diese des wahren Sinnes entbehrte. Wie bereits bemerkt, haben die heute elf- und zwölfjährigen Kinder des Beklagten von der Existenz ihres wahren Vaters überhaupt keine Kenntnis und leben offenbar im Glauben, der zweite Ehemann ihrer Mutter sei ihr Vater. Damit steht fest, dass es - und daran ändern auch die bestehenden Bande des Blutes nichts - an jeder inneren Verbundenheit zwischen dem Beklagten und seinen Kindern fehlt. Diese Tatsache kann nicht mit dem Hinweis darauf entkräftet werden, dass O. versicherte, er habe bis 1959 die monatliche Reise nach Mogelsberg zu einem zweistündigen Besuch aus gesundheitlichen Gründen nicht verantworten können. Selbst wenn es sich dabei nicht um eine blosse Ausrede des vom Psychiater als verlogen bezeichneten Beklagten handelte, wären diesem noch andere Wege offengestanden, um den Kontakt mit seinen Kindern aufrechtzuerhalten (z.B. Erkundigungen bei der Heimleitung, Überweisung von Geschenken an Festtagen usw.). Er kümmerte sich indessen während fünf Jahren in keiner Weise um sie und hat auch an ihren Unterhalt seit dem Scheidungsurteil insgesamt bloss Fr. 160.-- bezahlt. Dass die Ausübung des Besuchsrechtes nicht von der Erfüllung der Unterhaltspflichten abhängig gemacht werden darf, hindert nicht, die Tatsache
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ihrer Vernachlässigung als Indiz für die Gleichgültigkeit des Beklagten gegenüber seinen Kindern im Rahmen des Ganzen mit zu berücksichtigen. Jedenfalls aber bleibt, wie immer man auch das Verhalten des O. würdigen mag, objektiv die Tatsache bestehen, dass dieser seit 1953 keine Beziehungen mehr zu seinen Kindern unterhalten hat und dass es zwischen ihnen und ihrem Vater an jener innern Verbundenheit fehlt, deren Pflege und Erhaltung gerade der Zweck des Besuchsrechtes ist. Zu glauben, dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit könne erst noch geschaffen werden, ist eine Illusion, wenn man sich vergegenwärtigt, in welche Lage die Kinder bei der von der Vorinstanz getroffenen Lösung versetzt würden. Einmal ständen sie dem Beklagten als einem für sie völlig unbekannten Manne gegenüber, den als Vater anzuerkennen für sie ohnehin schwer wäre. Zum andern würde die Mutter in begreiflicher Sorge um ihre Kinder versuchen, diese über den Charakter des Beklagten ins Bild zu setzen, während O. wiederum bestrebt wäre, sich in einem andern Lichte zu zeigen. Die Kinder würden hierdurch in eine zwiespältige Haltung gedrängt, aus der heraus die Begründung eines echten Vertrauensverhältnisses zu dem unbekannten Vater nicht denkbar ist. Vielmehr bärge die Konfliktsituation, der sie damit ausgesetzt würden, die Gefahr in sich, dass sie auch noch in ihren Beziehungen zur Mutter unsicher würden, was für ihre seelische Entwicklung höchst nachteilig wäre.
Bei dieser Sachlage ist es gegeben, das Besuchsrecht des Beklagten aufzuheben, zumal man sich angesichts seiner oben angeführten Äusserung (Erw. 2 a i.f.) in der Rekursschrift an das Obergericht auch des Eindrucks nicht erwehren kann, dass er nicht aus Liebe und Anhänglichkeit zu den Kindern für sein Besuchsrecht sich zur Wehr setzt, sondern dass es sich um eine Rechthaberei handelt, deren Motive allem Anschein nach in der Feindschaft gegen die Mutter der Kinder und in der Tatsache ihrer zweiten Ehe zu suchen sind.
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Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 15. Oktober 1962 aufgehoben und in Abänderung von Ziffer 3 des Scheidungsurteils des Bezirksgerichtes Zürich vom 15. Dezember 1953 festgestellt, dass dem Berufungsbeklagten gegenüber seinen Kindern kein Besuchsrecht zusteht.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2

Dispositiv

Referenzen

BGE: 86 II 377

Artikel: Art. 156 Abs. 3 ZGB, Art. 28 Abs. 1 ZGB, Art. 2 ZGB, Art. 157 ZGB