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Ecriture agrandie
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_258/2023  
 
 
Urteil vom 7. Juli 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Ergänzungsleistungen, 
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 6. April 2023 (200 23 132 EL). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
A.________ bezieht seit Februar 2019 Ergänzungsleistungen zu einer Invalidenrente (Verfügungen vom 7. Juni 2019 und 24. Juni 2022). Mit Verfügung vom 17. Oktober 2022 teilte ihm die Ausgleichskasse des Kantons Bern mit, ab Mai 2023 werde bei der Berechnung der Ergänzungsleistung ein Mindesteinkommen angerechnet (Art. 14a ELV), da die eingereichten Unterlagen zu den Arbeitsbemühungen nicht den Anforderungen entsprächen. Hiergegen erhob A.________ am 24. Oktober 2022 Einsprache. 
Am 21. Februar 2023 reichte A.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern eine Rechtsschrift ein, die er mit "Klage auf Nötigung im Amt von Schutzbefohlenen, Unterschlagung von Versicherungsgeldern und versicherungswirksamen Dokumenten gegen die Ausgleichskasse Bern" überschrieb. Das Gericht qualifizierte die Eingabe als Rechtsverzögerungs- resp. Rechtsverweigerungsbeschwerde hinsichtlich des bei der Ausgleichskasse hängigen Einspracheverfahrens (verfahrensleitende Verfügung vom 1. März 2023). Mit Eingabe vom 6. März 2023 führte A.________ aus, seine "Klage" beziehe sich auf die im Titel seiner Eingabe angegebenen Punkte, nicht aber auf eine Rechtsverzögerung oder Rechtsverweigerung. 
Am 31. März 2023 erliess die Ausgleichskasse einen Entscheid, in dem sie die Einsprache vom 24. Oktober 2022 gegen die Verfügung vom 17. Oktober 2022 abwies. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schrieb das Verfahren als gegenstandslos geworden ab, soweit es auf die Eingabe vom 21. Februar 2023 eintrat (Urteil vom 6. April 2023). 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Auf die Rechtsverzögerungs- resp. -verweigerungsbeschwerde sei einzugehen, ebenso auf "die vorsätzliche Nötigung im Amt von Schutzbefohlenen durch die Mitarbeiter der Ausgleichskasse Bern". Die auf falschen Berechnungen der Ergänzungsleistung beruhenden Verfügungen der Ausgleichskasse seien zur korrekten Neuberechnung an diese zurückzuweisen. 
 
2.  
 
2.1. Im angefochtenen Urteil bleibt die Vorinstanz (entgegen der am 6. März 2023 abgegebenen Erklärung des Beschwerdeführers) dabei, der Beschwerdeführer mache sinngemäss eine Rechtsverzögerung resp. -verweigerung geltend. Da der Einspracheentscheid vom 31. März 2023 inzwischen vorliege, sei das schutzwürdige Interesse des Beschwerdeführers insoweit dahingefallen und das Verfahren abzuschreiben. Soweit er daneben sinngemäss eine Verantwortlichkeitshaftung der Ausgleichskasse geltend mache, sei festzuhalten, dass sich die Organhaftung nach kantonalem Recht richte (Art. 25 ELG). Dieses sehe vor, dass Begehren auf Schadenersatz oder Genugtuung bei der Ausgleichskasse selbst zu stellen seien. Die Verwaltung erlasse dann eine Verfügung dazu. Hier sei aber keine solche Verfügung angefochten; abgesehen davon wäre das urteilende Gericht gar nicht funktionell zuständige Beschwerdeinstanz. Diesbezüglich sei auf die Eingabe des Beschwerdeführers also nicht einzutreten.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer rügt eine "vorsätzlich falsche" Berechnung der Ergänzungsleistung. Zu Unrecht habe die Beschwerdegegnerin die Leistung mit der Begründung herabgesetzt, es fehle an nachgewiesenen Arbeitsbemühungen. Ungeachtet eines medizinischen Gutachtens, in dem seine gesundheitlichen Beschwerden und die damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit deutlich dargelegt seien, werde ihm ein Einkommen aus gesundheitlich unzumutbaren Hilfsarbeiten angerechnet. Zumindest hätte die Vorinstanz auf die Rechtsverzögerungs- resp. -verweigerungsbeschwerde eingehen müssen.  
Die Art und Weise, wie die Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin mit Versicherten umgingen, komme einer Nötigung gleich. So sei seine Einsprache zunächst "unterschlagen" und erst nach Involvierung des kantonalen Gerichts wieder aufgefunden worden. Soweit die Vorinstanz nicht selbst zur Beurteilung der Nötigung im Amt zuständig sei, hätte sie die Sache an das zuständige Gericht weiterleiten müssen. Vor Abschreibung der Sache habe der vorinstanzliche Richter zudem immer wieder mit der EL-Behörde telefonischen Kontakt gehabt. Wenn er auf diese Weise während des Verfahrens Inhaltliches mit einer Verfahrenspartei diskutiere, mache ihn dies befangen. 
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, das angefochtene Urteil vom 6. April 2023 sei während des gesetzlichen Fristenstillstands um die Osterfeiertage - zu früh - erlassen worden; dies mit der Folge, dass sein (wesentlicher und wichtiger) Nachtrag vom 7. April 2023 nicht mehr berücksichtigt worden sei. 
 
3.  
 
3.1. Materielle Fragen zum EL-Anspruch des Beschwerdeführers waren nicht Gegenstand des durch die Eingabe vom 21. Februar 2023 an das kantonale Gericht ausgelösten vorinstanzlichen Verfahrens; ebensowenig sind sie es folglich im bundesgerichtlichen Verfahren. Sie werden vielmehr gegebenenfalls in einem auf die Anfechtung des Einspracheentscheids vom 31. März 2023 folgenden, separaten Beschwerdeverfahren behandelt; auf ein solches bezieht sich die verfahrensleitende Verfügung des kantonalen Gerichts vom 17. Mai 2023, die der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 24. Mai 2023eingereicht hat. Soweit der Beschwerdeführer ausserhalb des Verfahrensgegenstandes liegende Vorbringen erneuert, ist auf die entsprechenden Anträge nicht einzutreten.  
 
3.2. Die Vorinstanz behandelt die Eingabe des Beschwerdeführers vom 21. Februar 2023 im Wesentlichen als Rechtsverzögerungsbeschwerde. Nachdem er im Verlauf des kantonalen Prozesses einen entsprechenden Beschwerdewillen zunächst verneint hat (Schreiben vom 6. März 2023), wendet sich der Beschwerdeführer im Rechtsmittel an das Bundesgericht gegen die vorinstanzliche Abschreibung zufolge Gegenstandslosigkeit, indem er vorbringt, auf die Rechtsverzögerungs- resp. -verweigerungsbeschwerde sei einzugehen. Indessen sagt er nicht, weshalb die Vorinstanz das Verfahren zu Unrecht als gegenstandslos abgeschrieben haben sollte. Diesbezüglich ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG).  
 
3.3. Unbegründet sind die Vorbringen bezüglich "Nötigung" und "Unterschlagung" von Unterlagen. Der Beschwerdeführer bezieht sich vor allem darauf, dass die Beschwerdegegnerin dem kantonalen Gericht erst mitgeteilt hatte, die Verfügung vom 25. August 2022 sei rechtskräftig (Aktennotiz der Vorinstanz vom 22. Februar 2023), dann aber doch bestätigte, dass eine Einsprache vom 24. Oktober 2022 hängig sei (Aktennotiz der Vorinstanz vom 23. Februar 2023). Bei diesem Vorgang handelte es sich um ein Missverständnis, das durch die unzutreffende Auskunft einer unzuständigen Amtsperson entstanden ist. Im Übrigen ist, was den Vorwurf der Nötigung betrifft, nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz die Eingabe des Beschwerdeführers an eine zuständige Behörde hätte weiterleiten sollen. Sie hat nicht gegen die Weiterleitungspflicht nach Art. 30 ATSG verstossen. Insoweit ist die Beschwerde abzuweisen.  
 
3.4. Den Befangenheitsvorwurf gegenüber dem vorinstanzlichen Richter substantiiert der Beschwerdeführer nicht ausreichend. Ohnehin war im vorinstanzlichen Verfahren nichts zu behandeln, das durch eine Absprache hätte beeinflusst werden können. Die Beschwerde ist in diesem Punkt ohne Weiteres abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.  
 
4.  
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, das angefochtene Urteil sei verfrüht erlassen worden, was Verfahrensrechte verletze (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Gerichtsferien, d.h. der damit verbundene Fristenstillstand, spielen dabei keine Rolle. Begründet ist jedoch das Vorbringen des Beschwerdeführers, der Urteilszeitpunkt (6. April 2023) habe sein Recht auf Stellungnahme verletzt, weil seine Eingabe vom 7. April 2023 dadurch unberücksichtigt geblieben ist: 
 
4.1. Die Parteien eines Gerichtsverfahrens haben (im Rahmen des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Art. 29 Abs. 1 und 2 BV und Art. 6 EMRK) einen unbedingten Anspruch darauf, zu sämtlichen Eingaben der Gegenpartei Stellung zu nehmen, falls sie dies wünschen. Das Replikrecht besteht unabhängig davon, ob die Eingabe neue oder wesentliche Vorbringen enthält. Es ist Sache der Parteien zu entscheiden, ob sie eine Entgegnung für erforderlich halten oder nicht (BGE 146 III 97 E. 3.4.1; 144 III 117 E. 2.1; 142 III 48 E. 4.1.1; 138 I 484 E. 2.1). In aller Regel ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gegeben, wenn das Gericht nur wenige Tage nach Mitteilung der Eingabe entscheidet (Urteil 9C_214/2013 vom 31. August 2013 E. 3.3).  
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur (BGE 144 IV 302 E. 3.1 mit Hinweisen). Ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels führt eine Verletzung des Replikrechts grundsätzlich zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (Urteil 9C_718/2022 vom 8. Juni 2023 E. 3 f.). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht schrankenlos: Sofern nicht ersichtlich ist, inwiefern die Gehörsverletzung sich überhaupt auf das Verfahren auswirken konnte, besteht kein Anlass zur Aufhebung des gehörsverletzenden Entscheids (BGE 143 IV 380 E. 1.4.1). Das Bundesgericht sieht (selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs) von der Aufhebung des gehörsverletzenden Entscheids und der Rückweisung an die Vorinstanz ab, wenn dies zu einem formalistischen Leerlauf und zu einer unnötigen Verzögerung führen würde, die mit dem Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht vereinbar wären (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3). Aus dem Umstand allein, dass die vom Berechtigten vertretenen Standpunkte haltlos sind, darf aber nicht geschlossen werden, die Rückweisung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs führe zwangsläufig zu einem formalistischen Leerlauf (Urteil 9C_148/2023 vom 8. Mai 2023 E. 2.2.2 und 2.2.3). 
 
4.2. Die Beschwerdegegnerin hat am 31. März 2023 zur Eingabe des Beschwerdeführers kurz Stellung genommen. Die Vorinstanz hat diese Vernehmlassung am 4. April 2023 zur Kenntnis an den Beschwerdeführer versendet. Schon zwei Tage darauf, am 6. April 2023, hat sie das angefochtene Urteil erlassen. Der Beschwerdeführer reichte am 7. April 2023 ein weiteres Schreiben ein. Die Vorinstanz retournierte diese Eingabe unter Hinweis auf das bereits ergangene Urteil an den Beschwerdeführer.  
Das kantonale Gericht durfte am 6. April 2023 noch nicht davon ausgehen, der Beschwerdeführer verzichte auf eine Stellungnahme. In Anwendung der in E. 4.1 dargestellten Rechtsprechung ist es trotzdem nicht angezeigt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ein solches Vorgehen wäre angesichts der vorliegend konkret zu beurteilenden Situation von vornherein nicht zielführend. Das angefochtene Urteil stellt im Wesentlichen einzig eine Gegenstandslosigkeit des (Rechtsverzögerungs-) Verfahrens fest, nachdem die Beschwerdegegnerin den Einspracheentscheid erlassen hat. Die Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin vom 31. März 2023, zu welcher der Beschwerdeführer nicht mehr replizieren konnte, beschränkt sich im Wesentlichen denn auch auf den Antrag, die Beschwerde sei als gegenstandslos geworden abzuschreiben. Angesichts dieser Umstände ist ausgeschlossen, dass dem Beschwerdeführer aus einer Rückweisung irgendein praktischer Nutzen entstehen könnte. In diesem Sinn ist die Beschwerde abzuweisen. 
 
5.  
Insgesamt ist die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. 
Umständehalber rechtfertigt es sich, dem Beschwerdeführer keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. Juli 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub