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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_201/2024  
 
 
Urteil vom 23. April 2024  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 7. Februar 2024 (STBER.2024.2). 
 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:  
 
1.  
Der Amtsgerichtspräsident von Solothurn-Lebern büsste den Beschwerdeführer am 30. August 2023 wegen Verkehrsregelverletzung (Mangel an Aufmerksamkeit beim Rückwärtsfahren und pflichtwidriges Verhalten bei Unfall) mit Fr. 600.--. Die Urteilsanzeige wurde ihm am 5. September 2023 zugestellt, worauf der Beschwerdeführer am 11. September 2023 rechtzeitig Berufung anmeldete. Das begründete Urteil wurde mit Gerichtsurkunde vom 15. Dezember 2023 versandt, dem Beschwerdeführer am 18. Dezember 2023 zur Abholung gemeldet, bei der Post innert Frist jedoch nicht abgeholt und in der Folge an das Richteramt Solothurn-Lebern retourniert. Am 9. Januar 2024 wurde es dem Beschwerdeführer zur Information per A-Post zugestellt. Am 23. Januar 2024 stellte der Strafkammerpräsident des Obergerichts des Kantons Solothurn fest, nach der Berufungsanmeldung sei innert Frist keine Berufungserklärung eingegangen, und er beantragte, auf die Berufung sei nicht einzutreten. Dem Beschwerdeführer wurde das rechtliche Gehör bis 6. Februar 2024 gewährt. Er reichte am 3. Februar 2024 eine Berufungserklärung ein und ersuchte zudem sinngemäss um Wiederherstellung der Frist. Mit Beschluss vom 7. Februar 2024 wies das Obergericht des Kantons Solothurn das Wiederherstellungsgesuch ab und trat auf die Berufung kostenfällig nicht ein. Der Beschwerdeführer wendet sich an das Bundesgericht. 
 
2.  
Im Verfahren vor Bundesgericht kann es nur um die Frage gehen, ob die Vorinstanz die Wiederherstellung unzulässig verneinte und auf die Berufung wegen Verspätung zu Unrecht nicht eintrat. Soweit sich der Beschwerdeführer mit der materiellen Seite der Angelegenheit befasst, kann sich das Bundesgericht dazu nicht äussern, weil sie nicht Verfahrensgegenstand war bzw. ist. 
 
3.  
Nach Art. 399 Abs. 1 StPO ist die Berufung dem erstinstanzlichen Gericht innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils schriftlich oder mündlich zu Protokoll anzumelden. Die Partei, die Berufung angemeldet hat, reicht dem Berufungsgericht gemäss Art. 399 Abs. 3 StPO innert 20 Tagen seit Zustellung des begründeten Urteils eine schriftliche Berufungserklärung ein. 
Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (sog. Zustell- oder Zustellungsfiktion). 
Die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akten zugestellt werden können, welche das Verfahren betreffen (BGE 146 IV 30 E. 1.1.2; 141 II 429 E. 3.1; 138 III 225 E. 3.1; 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 IV 286; je mit Hinweisen). Von einer verfahrensbeteiligten Person wird namentlich verlangt, dass sie für die Nachsendung ihrer an die bisherige Adresse gelangenden Korrespondenz besorgt ist und der Behörde gegebenenfalls längere Ortsabwesenheiten mitteilt oder eine Stellvertretung ernennt (vgl. BGE 146 IV 30 E. 1.1.2; 141 II 429 E. 3.1; 139 IV 228 E. 1.1; 6B_1083/2021, 6B_1084/2021 vom 16. Dezember 2022 E. 5.2, nicht publ. in: BGE 149 IV 105). Diese Obliegenheit beurteilt sich nach den konkreten Verhältnissen und dauert nicht unbeschränkt an (Urteil 6B_324/2020 vom 7. September 2020 E. 1.2 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat hinsichtlich der gebotenen Aufmerksamkeitsdauer verschiedentlich einen Zeitraum von bis zu einem Jahr seit der letzten verfahrensrechtlichen Handlung der Behörde als vertretbar bezeichnet (Urteile 6B_826/2023 vom 26. Oktober 2023 E. 2.2; 6B_674/2019 vom 19. September 2019 E. 1.4.3). 
Hat eine Partei eine Frist versäumt und würde ihr daraus ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen, so kann sie die Wiederherstellung der Frist verlangen; dabei hat sie glaubhaft zu machen, dass sie an der Säumnis kein Verschulden trifft (Art. 94 Abs. 1 StPO). 
 
4.  
Die gegen den vorinstanzlichen Beschluss erhobene Kritik ist unbegründet, soweit sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen überhaupt zu genügen vermag (Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
4.1. Der Beschwerdeführer meldete am 11. September 2023 Berufung an. Damit hat er ein Prozessrechtsverhältnis begründet und musste daher - wie die Vorinstanz in Anwendung von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO zutreffend ausführt - mit weiterer gerichtlicher Post rechnen, dies umso mehr, als bereits in der ihm zugestellten Urteilsanzeige darauf hingewiesen wurde, im Falle einer Berufungsanmeldung sei zu beachten, dass nach Zustellung des begründeten Urteils nochmals eine Frist von 20 Tagen für die Berufungserklärung einzuhalten sei. Das begründete Urteil wurde mit Gerichtsurkunde am 15. Dezember 2023 und damit nur rund 3 Monate nach Einreichung der Berufungsanmeldung bzw. rund 3 1/2 Monate nach Urteilsanzeige versandt und dem Beschwerdeführer am 18. Dezember 2023 zur Abholung gemeldet. Diese Zeitspanne liegt deutlich im Rahmen der zu erwartenden Aufmerksamkeitsdauer. Entsprechend verfängt der Einwand des Beschwerdeführers nicht, er habe mit gerichtlichen Zustellungen nicht gerechnet bzw. nicht rechnen müssen, weil "monatelang" nichts eingegangen sei.  
 
4.2. Ebenso wenig vermag der Beschwerdeführer aus den Umständen, dass er seine Ferien einschliesslich die Feiertage an Ostern und Weihnachten bei seiner Familie verbringt, er aus diesem Grund und wegen des Ablaufs des temporären Arbeitsverhältnisses vom 15. Dezember 2023 bis 19. Januar 2024 in Deutschland weilte und daher zum Zeitpunkt des Zustellversuchs vom 18. Dezember 2023 und damit auch während der Abholfrist landesabwesend war, etwas zu seinen Gunsten abzuleiten. Angesichts seiner aus dem Prozessrechtsverhältnis fliessenden Pflicht, die Entgegennahme gerichtlicher Sendungen zu gewährleisten (BGE 141 II 429 E. 3.1; Urteil 1B_605/2021 vom 3. März 2022 E. 2.1; je mit Hinweisen), hätte er die Vorinstanz über seine Abwesenheit während der Vorweihnachts- und Weihnachtszeit bis 19. Januar 2024 informieren oder sonstige geeignete Vorkehrungen für die Zeit seiner geltend gemachten Ortsabwesenheit treffen können und müssen. Dass er solche Massnahmen für die Zustellbarkeit von gerichtlicher Post getroffen hätte, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanz musste auch nicht von sich aus berücksichtigen, dass er während der Vorweihnachts- bzw. Weihnachtszeit allenfalls ferien- bzw. ortsabwesend sein könnte (Urteile 6B_826/2023 vom 26. Oktober 2023 E. 4.2, 6B_758/2022 vom 9. November 2022 E. 4.2, 6B_368/2022 vom 29. Juni 2022 E. 5, 6B_940/2013 vom 31. März 2014 E. 2.2.5). Die StPO kennt, anders als das BGG, keine Gerichtsferien (Art. 89 Abs. 2 StPO). Es liegt in der Natur der Sache, dass nach Einreichung eines Rechtsmittels Frist ansetzende gerichtliche Mitteilungen erfolgen können und mit solchen folglich zu rechnen ist. Wer daher wenige Wochen bzw. wenige Monate nach der Erhebung eines Rechtsmittels für längere Zeit vorübergehend abwesend ist und dies dem Gericht weder anzeigt noch jemanden mit der Entgegennahme von Postsendungen betraut, kann sich folglich - wie die Vorinstanz zutreffend erkennt - auch nicht auf ein unverschuldetes Hindernis berufen, wenn er wegen fehlender Kenntnisnahme einer Fristansetzung nicht rechtzeitig zu handeln vermag (vgl. Urteile 6B_1488/2022 vom 16. Juni 2023 E. 3.2, 6B_428/2014 vom 5. Juni 2014 E. 1).  
 
4.3. Dass das begründete Urteil mit Gerichtsurkunde und nicht mit gewöhnlicher Post versandt wurde, findet seinen Grund in Art. 85 Abs. 2 StPO. Danach stellen die Strafbehörden ihre Post eingeschrieben oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung zu. Die nachträgliche Zustellung des begründeten Urteils durch die erste Instanz mit gewöhnlicher A-Post diente lediglich zu Informationszwecken und zeitigte keinen Einfluss auf Beginn und Ende des Fristenlaufs für die Einreichung der Berufungserklärung. Darauf wurde der Beschwerdeführer im Begleitschreiben vom 9. Januar 2024 hingewiesen.  
 
5.  
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Wegen des relativ geringen Aufwands ist eine reduzierte Entscheidgebühr angemessen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. April 2024 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill