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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_278/2023  
 
 
Urteil vom 4. September 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiber Walther. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8 (Neuwiesen), 8400 Winterthur, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Tobias Figi, Fankhauser Rechtsanwälte, Rennweg 10, 8001 Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung, Einstellung der Anspruchsberechtigung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. März 2023 (AL.2023.00033). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1979 geborene A.________ meldete sich am 20. April 2020 zur Arbeitsvermittlung an; mit Formular vom 4. Mai 2020 beantragte er zudem Arbeitslosenentschädigung ab dem 1. Juli 2020. Mit Verfügung vom 31. August 2020 stellte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich ihn wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit ab dem 1. August 2020 für die Dauer von 31 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein, woran sie mit Einspracheentscheid vom 11. Februar 2021 festhielt. Auf Beschwerde des A.________ hin hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid mangels selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit auf (Urteil vom 19. März 2022). Die dagegen von der Arbeitslosenkasse erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil 8C_315/2022 vom 23. Januar 2023 insoweit gut, als es das Selbstverschulden des A.________ an seiner Arbeitslosigkeit bejahte und die Sache zur Beurteilung der Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung an das Sozialversicherungsgericht zurückwies. 
 
B.  
In der Folge änderte das Sozialversicherungsgericht den Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 11. Februar 2021 insofern ab, als es die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf fünf Tage reduzierte (Urteil vom 20. März 2023). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Arbeitslosenkasse erneut, in Aufhebung des angefochtenen Urteils sei ihr Einspracheentscheid zu bestätigen. 
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schliesst sich diesem Antrag an. A.________ lässt die Abweisung der Beschwerde beantragen. Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4).  
 
1.2. Die vom Beschwerdegegner mit Vernehmlassung vom 10. Juli 2023 erstmals ins Recht gelegte Stellungnahme seiner ehemaligen Arbeitgeberin vom 22. Mai 2023 datiert nach dem angefochtenen Urteil. Als unzulässiges echtes Novum ist sie daher nicht zu berücksichtigen (Art. 99 Abs. 1 BGG; zum Ganzen vgl. BGE 143 V 19 E. 1.2 mit Hinweisen), wobei sie ohnehin nicht entscheidwesentlich wäre (E. 6 hiernach).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der Arbeitslosenkasse auf 31 Tage festgelegte Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf fünf Tage reduzierte. 
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat die massgebenden rechtlichen Grundlagen zur Einstellung in der Anspruchsberechtigung - namentlich zur Regel, wonach schweres Verschulden vorliegt, wenn die versicherte Person ohne entschuldbaren Grund eine zumutbare Arbeitsstelle ohne Zusicherung einer neuen Arbeitsstelle aufgegeben oder eine zumutbare Arbeit abgelehnt hat (Art. 45 Abs. 4 AVIV) - zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).  
 
3.2. Der Begriff des entschuldbaren Grundes nach Art. 45 Abs. 4 AVIV ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Handhabung als Rechtsfrage grundsätzlich der uneingeschränkten Überprüfung durch das Bundesgericht unterliegt (Urteil 8C_522/2022 vom 23. Februar 2023 E. 6.1 mit Hinweisen).  
 
4.  
Im bereits genannten Urteil 8C_315/2022 vom 23. Januar 2023 erwog das Bundesgericht, der Beschwerdegegner habe nach einem Gespräch mit dem Arbeitgeber vom 11. Dezember 2019 wählen können, ob letzterer das Arbeitsverhältnis auf Ende Juni oder erst auf Ende Dezember 2020 kündigen würde. In beiden Fällen wäre der Beschwerdegegner - wenn auch in unterschiedlichen Teams und Tätigkeitsgebieten - als kaufmännischer Angestellter und bei gleichem Lohn weiterbeschäftigt worden. Indem er sich vor diesem Hintergrund für die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nur bis Ende Juni 2020 entschied, ohne auf diesen Zeitpunkt bereits eine Anschlusslösung gefunden zu haben, sei seine (krankheitsbedingt erst per) 1. August 2020 eingetretene Arbeitslosigkeit im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG selbstverschuldet. In diesem Zusammenhang verwarf das Bundesgericht auch die Argumentation des Beschwerdegegners, er habe sich aufgrund der Schadenminderungspflicht für die kürzere Option entscheiden müssen, weil nur diese eine Chance auf Weiterbeschäftigung geboten und er durch den gewonnenen Einblick ins Prozessmanagement auch seinen Lebenslauf aufgewertet habe (vgl. E. 4.3 des genannten Urteils). 
 
5.  
Im vorliegend angefochtenen Urteil betreffend die noch strittige Dauer der Einstellung in der Anspruchsberchtigung vermerkte das kantonale Gericht nun, die Arbeitslosenkasse begründe die Einstelldauer von 31 Tagen mit einem pauschalen Hinweis auf die "gesamte Situation". Dies werde dem Verschulden des Beschwerdegegners indes nicht gerecht, weil dadurch die vorhandenen Milderungsgründe nicht genügend berücksichtigt würden. Da er durch seinen Entscheid eine frühere Kündigung durch den Arbeitgeber herbeigeführt habe, komme infolge schweren Verschuldens zwar (grundsätzlich) der von Art. 45 Abs. 3 lit. c AVIG vorgesehene Sanktionsrahmen von 31 bis 60 Tagen zur Anwendung. Zu berücksichtigen sei jedoch auch, dass er nicht ohne Weiteres eine vom Arbeitgeber angebotene, befristete Verlängerung des Arbeitsverhältnisses abgelehnt, sondern mit seinem Entscheid für die sechs Monate kürzere Verlängerung jene Option gewählt habe, bei welcher überhaupt eine - wenn auch geringe - Chance bestand, eine neue unbefristete Anstellung zu erhalten. Auch habe sich der Beschwerdegegner mit Blick auf den Arbeitsmarkt und seinen Lebenslauf praktisch für die kürzere Verlängerung entscheiden müssen, da diese eher seinem Profil entsprochen habe und daher besser geeignet gewesen sei, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt intakt zu halten. In Abänderung des Einspracheentscheids sei die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung deshalb auf fünf Tage zu reduzieren, was einer Sanktion im unteren Bereich des leichten Verschuldens entspreche. 
 
6.  
Die Einwände der Arbeitslosenkasse sind begründet. Zwar kann von der Regel gemäss Art. 45 Abs. 4 lit. a AVIV, wonach die Aufgabe einer zumutbaren Arbeitsstelle ohne Zusicherung einer neuen Arbeitsstelle ein schweres Verschulden darstellt, abgewichen werden, wenn entschuldbare Gründe vorliegen, die das Verschulden nur als mittelschwer oder leicht erscheinen lassen (zum Ganzen vgl. BGE 130 V 125 E. 3.2 und E. 3.5). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz genügt es für die Annahme eines solchen entschuldbaren Grundes jedoch nicht, dass bei der vom Beschwerdegegner gewählten Option eine - ohnehin nur geringe (vgl. E. 5 hiervor) - Chance auf eine Weiterbeschäftigung bestand. Nicht gefolgt werden kann dem kantonalen Gericht auch, soweit es, wohl gestützt auf E. 4.3.4 des Urteils 8C_315/2022 vom 23. Januar 2023, pauschal dafür hielt, der Beschwerdegegner habe sich mit Blick auf den Arbeitsmarkt und sein Fähigkeitsprofil für die gewählte Option entscheiden müssen. Entscheidend ist, dass der Beschwerdegegner auch bei der zweiten Option in seiner bisherigen Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter weiterbeschäftigt worden und die Arbeitslosigkeit dabei frühestens auf Ende Dezember 2020 eingetreten wäre, womit ihm ein weiteres halbes Jahr zur Verfügung gestanden hätte, um eine Anschlusslösung zu finden und damit die Arbeitslosigkeit allenfalls ganz zu vermeiden. Der Umstand, dass die vom Beschwerdegegner gewählte Option bzw. die dabei gewonnene Einsicht ins Prozessmanagement allenfalls zu einem Mehrwert im Lebenslauf geführt hat, ist vor diesem Hintergrund nicht geeignet, sein Verschulden an der letztlich von ihm selbst verursachten und verschuldeten Arbeitslosigkeit als nur mittelschwer oder gar als leicht erscheinen zu lassen. Soweit der Beschwerdegegner schliesslich einen entschuldbaren Grund darin sieht, dass er zum Zeitpunkt seiner Entscheidung für die kürzere Option Ende 2019 nicht mit dem tatsächlichen Eintritt der Arbeitslosigkeit gerechnet habe, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Daran ändert auch der zwischenzeitliche Eintritt der Covid-19-Pandemie nichts. 
Indem die Vorinstanz gleichwohl die in Art. 45 Abs. 3 lit. c AVIV für schweres Verschulden vorgesehene Einstelldauer unterschritt, verletzte sie nach dem Gesagten Bundesrecht. Die von der Arbeitslosenkasse verfügte Einstelldauer von 31 Tagen stellt die Untergrenze für schweres Verschulden dar, weshalb sich weitere Ausführungen zur Einstelldauer erübrigen. 
 
 
7.  
Die Beschwerde der Arbeitslosenkasse ist offensichtlich begründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. b BGG gutzuheissen ist. Das kantonale Urteil ist aufzuheben und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 11. Februar 2021 ist zu bestätigen. 
 
8.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. März 2023 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 11. Februar 2021 bestätigt. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 4. September 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Walther