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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_644/2023  
 
 
Urteil vom 27. September 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter von Werdt, 
Bundesrichterin De Rossa, 
Gerichtsschreiber Zingg. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Regionales Betreibungsamt Kulm, 
Hauptstrasse 22, 5726 Unterkulm. 
 
Gegenstand 
Berechnung des Existenzminimums, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als obere betreibungsrechtliche Aufsichtsbehörde, vom 14. August 2023 (KBE.2023.15). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den Beschwerdeführer laufen Pfändungen beim Regionalen Betreibungsamt Kulm bis längstens 17. Mai 2023. Mit Verfügung vom 22. März 2023 setzte das Betreibungsamt die pfändbare Lohnquote für Februar 2023 auf Fr. 321.15 fest. 
Mit Eingabe vom 31. März 2023 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde beim Bezirksgericht Kulm. Mit Entscheid vom 16. Juni 2023 wies das Bezirksgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. Dieser Entscheid wurde dem Beschwerdeführer am 19. Juni 2023 zugestellt. 
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 30. Juni 2023 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau. Das Bezirksgericht verzichtete auf Vernehmlassung und das Betreibungsamt liess sich nicht vernehmen. Mit Entscheid vom 14. August 2023 trat das Obergericht auf die Beschwerde infolge Verspätung nicht ein. 
Dagegen hat der Beschwerdeführer am 1. September 2023 Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Das Bundesgericht hat die Akten beigezogen, aber keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerde zulässigerweise auf Französisch verfasst (Art. 42 Abs. 1 BGG). Das vorliegende Urteil ergeht jedoch in der Sprache des angefochtenen Entscheids und damit auf Deutsch (Art. 54 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass seine Beschwerde an das Obergericht verspätet war. Er erklärt die Gründe, die zur Verspätung um einen Tag geführt haben (Nachtarbeit, Schlafmangel und Kopfschmerzen). Er macht jedoch nicht geltend, er habe deshalb beim Obergericht um Wiederherstellung der Rechtsmittelfrist ersucht. Hingegen beruft er sich auf Art. 29 Abs. 1 BV und das Verbot des überspitzten Formalismus. Zudem bringt er vor, das Obergericht sei mit der Einholung von Vernehmlassungen am 4. Juli 2023 bereits auf die Sache eingetreten. Zudem wäre es wichtig, die Interpretation von Art. 93 SchKG zu kennen. 
 
 
4.  
Art. 29 Abs. 1 BV verbietet überspitzten Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung. Überspitzter Formalismus ist gegeben, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt. Wohl sind im Rechtsgang prozessuale Formen unerlässlich, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Nicht jede prozessuale Formstrenge steht demnach mit Art. 29 Abs. 1 BV im Widerspruch. Überspitzter Formalismus ist nur gegeben, wenn die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder verhindert (BGE 145 I 201 E. 4.2.1; 142 I 10 E. 2.4.2; 142 IV 299 E. 1.3.2). Wird auf eine verspätete Eingabe nicht eingetreten, stellt dies grundsätzlich keinen überspitzten Formalismus dar. Eine strikte Anwendung der Fristenregeln ist gerechtfertigt aus Gründen der Gleichbehandlung, des öffentlichen Interesses am Funktionieren der Justiz und der Rechtssicherheit (Urteil 4A_207/2019 vom 17. August 2020 E. 4.3, nicht publ. in: BGE 146 III 413). 
Der Beschwerdeführer kann demnach aus Art. 29 Abs. 1 BV nichts zu seinen Gunsten ableiten. Die strikte Anwendung des Fristenrechts durch das Obergericht ist nicht zu beanstanden. Es besteht insbesondere kein Raum für eine Abwägung zwischen dem Interesse an der Fristeinhaltung und dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an der Klärung der von ihm aufgeworfenen Fragen zu Art. 93 SchKG. Daran ändert die Berufung des Beschwerdeführers auf die obergerichtliche Verfügung vom 4. Juli 2023 nichts. Mit ihr lud das Obergericht das Bezirksgericht zur Einreichung eines Amtsberichts und der Akten und das Betreibungsamt zur allfälligen Vernehmlassung ein. Diese Verfügung stellt keinen Zwischenentscheid über die Eintretensfrage dar. Es ist sodann nicht untersagt, einen Nichteintretensentscheid infolge Unzulässigkeit eines Rechtsmittels erst dann zu fällen, nachdem bereits Vernehmlassungen eingeholt worden sind. Vorliegend ist ohnehin nicht erstellt, dass das Obergericht die Verspätung zum Zeitpunkt des Erlasses der genannten Verfügung und damit vor Vorliegen der Akten bereits hätte erkennen können. 
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. 
 
5.  
Es rechtfertigt sich ausnahmsweise, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Aargau, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als obere betreibungsrechtliche Aufsichtsbehörde, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. September 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Escher 
 
Der Gerichtsschreiber: Zingg