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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_179/2022  
 
 
Urteil vom 29. November 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiberin Hänni. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Kettiger, 
 
gegen  
 
Bundesverwaltungsgericht, 
Kreuzackerstrasse 12, Postfach, 9023 St. Gallen, 
Beschwerdegegner 
 
Bundesamt für Justiz, Direktionsbereich Öffentliches Recht, 
3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Rechtsverzögerung/Rechtsverweigerung; Meinungsaustauschverfahren, 
 
Beschwerde betreffend Meinungsaustauschverfahren. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ bewarb sich im Herbst 2017 beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) als Expertin für die Schweiz im beratenden Ausschuss für das Rahmenabkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995 (SR 0.441.1). Der Vorsteher des EDA unterbreitete am 22. Januar 2018 dem Generalsekretär des Europarats einen Wahlvorschlag mit zwei Personen; die Kandidatur von A.________ wurde dabei nicht berücksichtigt. 
Am 6. April 2018 reichte A.________ beim EDA ein Gesuch um Erlass einer Verfügung nach Art. 25a VwVG (SR 172.021) ein und beantragte, es sei festzustellen, die Nichtberücksichtigung ihrer Kandidatur verletze unter anderem die Rechtsgleichheit und das Diskriminierungsverbot. Das EDA trat auf das Gesuch nicht ein. 
Auf die dagegen durch A.________ am 22. Oktober 2018 erhobene Beschwerde trat das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 25. Juni 2019 (B-6019/2018) nicht ein. Es verneinte seine Zuständigkeit, weil der Wahlvorschlag des EDA vom 22. Januar 2018 eine auswärtige Angelegenheit im Sinne von Art. 32 Abs. 1 lit. a VGG betreffe. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 10. Juli an den Bundesrat beantragte A.________, dieser habe die beim Bundesverwaltungsgericht eingereichte Beschwerde zu beurteilen. Der Bundesrat hiess die Beschwerde vom 22. Oktober 2018 am 8. Mai 2020 gut und wies die Sache zur materiellen Entscheidung an das EDA zurück. 
Mit Verfügung vom 10. Juni 2020 wies das EDA das Gesuch von A.________ vom 6. April 2018 ab. Dagegen erhob A.________ mit Eingabe vom 17. August 2020 Beschwerde beim Bundesrat. 
 
C.  
Mit Schreiben vom 30. September 2020 eröffnete der Bundesrat, vertreten durch das Bundesamt für Justiz (BJ), ein Meinungsaustauschverfahren mit dem Bundesverwaltungsgericht betreffend die Zuständigkeit der Behandlung der durch A.________ am 17. August 2020 eingereichten Beschwerde, dies gestützt auf Art. 8 Abs. 2 VwVG (SR 172.021) und Art. 37 des Bundesgesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 17. Juni 2005 (VGG; SR 173.32). Der Bundesrat vertrat dabei die Meinung, diese falle in die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts. 
Am 13. April 2021 stellte das BJ A.________ eine interne Stellungnahme des Präsidenten der Abteilung II des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Zuständigkeitsfrage zu und gab ihr Gelegenheit, sich dazu zu äussern. 
 
D.  
Mit Eingabe vom 11. Mai 2021 stellte A.________ beim Bundesverwaltungsgericht einen Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung über die Zuständigkeit. Gleichzeitig beantragte sie beim Bundesrat die Sistierung des dort hängigen Verfahrens. Mit Zwischenverfügung vom 25. Mai 2021 sistierte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesrat, "bis über die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 11. Mai 2021 an das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig entschieden ist". 
 
E.  
Mit Eingabe vom 16. März 2022 erhebt A.________ eine Rechtsverzögerungs- bzw. Rechtsverweigerungsbeschwerde beim Bundesgericht und beantragt, das Bundesverwaltungsgericht sei anzuweisen, innert längstens 6 Wochen seit Erlass des bundesgerichtlichen Urteils eine Zwischenverfügung oder einen Endentscheid zu erlassen. Eventuell sei die Beschwerde als Aufsichtseingabe im Sinne von Art. 9 des Reglements des Bundesgerichts betreffend die Aufsicht über das Bundesstrafgericht, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundespatentgericht vom 11. September 2006 (AufRBGer; SR 173.110.132) zu behandeln und es sei eine Rechtsverzögerung festzustellen. Die Beschwerdeführerin stellt ausserdem ein Ausstandsgesuch gegen Bundesrichterin Marianne Ryter. 
Mit Eingabe vom 13. April 2022 beantragt das Bundesverwaltungsgericht, die Beschwerde sei gegenstandslos abzuschreiben. Eventualiter sei die Beschwerde abzuweisen. Ebenfalls am 13. April 2022 nahm das Bundesverwaltungsgericht gegenüber dem Bundesrat formell Stellung betreffend Meinungsaustausch über die Zuständigkeit. 
Mit Schreiben vom 25. April 2022 und mit Replik vom 31. August 2022 äusserte sich die Beschwerdeführerin erneut zum Beschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gemäss Art. 94 BGG kann gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern eines anfechtbaren Entscheids Beschwerde geführt werden. Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung kann somit Rechtsverzögerungs- bzw. Rechtsverweigerungsbeschwerde nicht gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern jedes beliebigen, sondern nur eines anfechtbaren Entscheids geführt werden. Der Entscheid, dessen Verweigerung oder Verzögerung geltend gemacht wird, muss unmittelbar beim Bundesgericht anfechtbar sein (Urteil 1C_189/2012 vom 18. April 2012 E. 1.3). Es gilt vorab zu prüfen, ob dieses Erfordernis vorliegend erfüllt ist.  
 
1.2. Die vorliegende Rechtsverzögerungs- bzw. Rechtsverweigerungsbeschwerde betrifft ein Meinungsaustauschverfahren zwischen dem Bundesrat und dem Bundesverwaltungsgericht gemäss Art. 8 Abs. 2 VwVG. Das Meinungsaustauschverfahren kommt zur Anwendung, wenn die angerufene Behörde Zweifel an ihrer Zuständigkeit hat. Der Meinungsaustausch ist von Amtes wegen einzuleiten und besteht in der Regel in einer einmaligen Stellungnahme beider bzw. aller Behörden, deren Zuständigkeit zur Diskussion gestellt wird (FLÜCKIGER in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, N. 36 zu Art. 8; DAUM/BIERI in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], VwVG Kommentar, 2. Aufl. 2019, N. 32 zu Art. 8). Beim Meinungsaustausch handelt es sich um ein verwaltungsinternes Verfahren (FLÜCKIGER, a.a.O., N. 37 zu Art. 8; DAUM/BIERI, a.a. O., N. 30 zu Art. 8); die Stellungnahmen stellen keine Verfügungen dar. Die Parteien sind am Meinungsaustauschverfahren grundsätzlich nicht beteiligt und können keine Parteirechte geltend machen (BGE 126 II 126 E. 3).  
 
1.3. Die Beschwerdeführerin führte im August 2020 Beschwerde beim Bundesrat gegen eine Verfügung des EDA. Da dieser seine Zuständigkeit in der Sache als zweifelhaft erachtete, eröffnete er im September 2020 ein Meinungsaustauschverfahren mit dem Bundesverwaltungsgericht gemäss Art. 8 Abs. 2 VwVG. In einem Schreiben legte der Bundesrat dar, weshalb er das Bundesverwaltungsgericht in der Sache für zuständig erachtete. Dieses stellte dem Bundesrat im März 2021 zunächst eine interne Stellungnahme des Präsidenten der Abteilung II des Bundesverwaltungsgerichts zu. Im Mai 2022 stellte es dem Bundesrat schliesslich eine formelle Stellungnahme zu. Mit letzterer Stellungnahme wurde das Meinungsaustauschverfahren, das zu keiner Einigung führte, abgeschlossen. Die Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts ist ein verwaltungsinterner Akt und stellt keine anfechtbare Verfügung dar. Gegen sie bzw. den Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht während längerer Zeit keine Stellungnahme abgegeben hatte, kann somit keine Rechtsverweigerungs- bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde geführt werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass eine Dauer von insgesamt fast 20 Monaten für einen Meinungsaustausch als ungewöhnlich lang erscheint.  
Vor diesem Hintergrund ist auch das Bemühen der Beschwerdeführerin um eine anfechtbare Verfügung des Bundesverwaltungsgerichts nicht relevant. Das Beschwerdeverfahren ist vor dem Bundesrat hängig; das Bundesverwaltungsgericht musste somit lediglich im verwaltungsinternen Verfahren mit dem Bundesrat zur Zuständigkeitsfrage Stellung nehmen, nicht jedoch eine anfechtbare Verfügung gegenüber der Beschwerdeführerin erlassen. 
 
1.4. Nach dem Gesagten ist die Rechtsverzögerungs- bzw. Rechtsverweigerungsbeschwerde abzuweisen.  
Das Verfahren ist im Übrigen weiterhin vor dem Bundesrat hängig; es liegt nicht am Bundesgericht, diesem vorzuschreiben, wie er in der Sache weiter vorzugehen hat und es ist auch nicht zuständig, Verfahrensanordnungen zu treffen. Auf den Antrag der Beschwerdeführerin, das BJ sei anzuweisen, die Sistierung des vor dem Bundesrat hängigen Verfahren sei aufrecht zu erhalten, kann mangels Zuständigkeit nicht eingetreten werden. 
 
2.  
Sodann stellt die Beschwerdeführerin ein Ausstandsbegehren gegen Frau Bundesrichterin Marianne Ryter. Die vorliegende Beschwerde wird von der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung behandelt. Als Mitglied der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung wirkt Frau Bundesrichterin Marianne Ryter von vornherein nicht in den Spruchkörpern der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung mit. Das Ausstandsgesuch ist somit gegenstandslos. 
 
3.  
Eventualiter stellt die Beschwerdeführerin den Antrag, die Beschwerde sei als Aufsichtseingabe zu behandeln und es sei eine Rechtsverzögerung festzustellen. Gemäss Art. 9 AufRBGer ist die Verwaltungskommission des Bundesgerichts zuständig für Aufsichtseingaben, mit denen der Geschäftsgang des Bundesverwaltungsgerichts gerügt wird. Die vorliegende Beschwerde ist daher der Verwaltungskommission zur gutscheinenden Behandlung zu überwiesen. 
 
4.  
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG) und es ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Ausstandsgesuch wird als gegenstandslos abgeschrieben. 
 
3.  
Die Beschwerde wird als Aufsichtsanzeige an die Verwaltungskommission des Bundesgerichts überwiesen. 
 
4.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
5.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundesamt für Justiz und der Verwaltungskommission des Bundesgerichts schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. November 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni