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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_574/2022  
 
 
Urteil vom 10. Februar 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Beusch, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 20. Oktober 2022 (VSBES.2021.82). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1996 geborene A.________ meldete sich am 19. April 2016 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 28. Oktober 2016 verneinte die IV-Stelle Solothurn einen Anspruch auf berufliche Massnahmen und auf eine Invalidenrente, da der Versicherte seit dem 2. August 2016 seine zuvor unterbrochene kaufmännische Ausbildung wieder uneingeschränkt fortführen könne. 
Am 15. Mai 2019 meldete sich der Versicherte erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an; die IV-Stelle tätigte medizinische Abklärungen und sprach ihm mit Verfügung vom 30. März 2021 ab 1. November 2019 eine halbe und ab 1. Februar 2020 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. 
 
B.  
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 20. Oktober 2022 ab, soweit es auf sie eintrat. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, ihm sei unter Aufhebung des kantonalen Urteils spätestens ab Juni 2017 eine Rente der Invalidenversicherung bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % und spätestens ab 1. Februar 2020 ein ganze Rente zuzusprechen, eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es einen Rentenanspruch des Versicherten der Zeit vor dem 1. November 2019 verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19.6.2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die hier angefochtene Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar.  
 
3.2. Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung setzt unter anderem voraus, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität unmittelbar bedroht ist. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.  
 
3.3. Der Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung entsteht gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Art. 29 Abs. 1 ATSG, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt. Die Rente wird in Anwendung von Art. 29 Abs. 3 IVG vom Beginn des Monats an ausbezahlt, in dem der Rentenanspruch entsteht.  
 
4.  
 
4.1. Vorinstanz und Verwaltung setzten den Rentenbeginn auf den 1. November 2019 fest, berechneten diesen mithin ausgehend von der Anmeldung vom 15. Mai 2019 in Anwendung der Art. 29 Abs. 1 und 3 IVG. Das kantonale Gericht erwog in diesem Zusammenhang, der Versicherte hätte sich zwar bereits am 19. April 2016 erstmalig bei der Invalidenversicherung angemeldet gehabt, allerdings sei ein Leistungsanspruch mit Verfügung vom 28. Oktober 2016 rechtskräftig verneint worden, weshalb der ersten Anmeldung zur Berechnung des Rentenbeginns keine Bedeutung mehr zukomme. Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, er habe die Verfügung vom 28. Oktober 2016 nie erhalten. Mangels korrekter Eröffnung dieser Verfügung sei für den Beginn der Frist gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG auf die erste Anmeldung vom 19. April 2016 abzustellen. Zudem wäre eine allfällige Eröffnung der Verfügung aufgrund seiner damaligen Handlungs- und Urteilsunfähigkeit als nichtig zu betrachten.  
 
4.2. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Verfügung vom 28. Oktober 2016 nicht mit eingeschriebener Post versendet wurde, so dass sich deren Empfang durch den Versicherten nicht direkt nachweisen lässt. Gemäss den grundsätzlich verbindlichen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung ist indessen dennoch davon auszugehen, dass ihm diese Verfügung zugegangen und ihm somit korrekt eröffnet wurde. Dabei hat das kantonale Gericht namentlich erwogen, es erscheine unwahrscheinlich, dass eine versicherte Person, welche sich bei der Invalidenversicherung angemeldet habe, aber nichts von der Leistungsablehnung wisse, sich erneut anmelde, ohne sich zunächst zumindest danach zu erkundigen, wann mit der Erledigung ihres ersten Leistungsgesuchs gerechnet werden könne. Was der Beschwerdeführer gegen diese Feststellungen vorbringt, vermag sie nicht als willkürlich oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Die Tatsache, dass das Anmeldeformular vom 19. April 2016 seine Unterschrift trägt, legt Nahe, dass er Versicherte von der ersten Anmeldung wusste. Als reichlich konstruiert erscheint das Vorbringen, wonach die Anmeldung von der Case-Managerin der SWICA vorgenommen wurde und er nichts von ihr wusste, würde doch dies bedeuten, dass ihm das Formular gleichsam zur Unterschrift untergeschoben wurde. Entgegen seinen Ausführungen kann indessen auf Weiterungen zu dieser Sachverhaltsdarstellung verzichtet werden. Diese würde zwar erklären, weshalb sich der Versicherten vor der zweiten Anmeldung nicht nach der ersten erkundigte, gleichzeitig wäre aber damit auch die Gültigkeit der ersten Anmeldung zu verneinen. Handelte es sich aber beim Formular vom 19. April 2016 um eine ohne seinen Willen eingereichte Scheinanmeldung, so wäre bereits aus diesem Grund für die Berechnung des Rentenbeginns nach Art. 29 Abs. 1 IVG das Datum der ersten gültigen Anmeldung, mithin der 15. Mai 2019 einzusetzen. Somit wäre letztlich auch bei einem Abstellen auf die Sachverhaltsdarstellung des Versicherten die vorinstanzliche Betrachtungsweise im Ergebnis zu bestätigen.  
 
4.3. Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, er sei im Zeitpunkt der bestrittenen Zustellung der Verfügung im Oktober/November 2016 handlungs- und urteilsunfähig gewesen zu sein, so dass selbst eine allfällig erfolgte Eröffnung der Verfügung als nichtig zu betrachten sei. Gemäss der grundsätzlich verbindlichen vorinstanzlichen Feststellung fehlen indessen substanzielle Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Urteilsfähigkeit im Herbst 2016. Was der Versicherte gegen diese Feststellung vorbringt, vermag sie nicht als willkürlich oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Insbesondere stützen sich die Angaben der ihn seit dem Jahre 2019 behandelnden Psychiaterin Dr. med. B.________ vom 13. September 2021 auf allgemeine Überlegungen zur gestellten Diagnose, nicht aber auf nachvollziehbaren echtzeitlichen Angaben. Damit erscheint es nicht als willkürlich, dass das kantonale Gericht diesen Bericht nicht als hinreichenden Anhaltspunkt für eine eingeschränkte Urteilsfähigkeit im Herbst 2016 angesehen und auf weitere Abklärungen zu diesem Punkt (vgl. auch BGE 144 V 111 E. 3 mit Hinweisen) verzichtet hat.  
 
4.4. Verletzte die Vorinstanz demnach kein Bundesrecht, als sie zur Berechnung des Rentenbeginns in Anwendung von Art. 29 Abs. 1 und 3 IVG von der Massgeblichkeit der Anmeldung vom 15. Mai 2019 ausging, so ist die Zusprache einer Rente (erst) ab dem 1. November 2019 nicht zu beanstanden. Entsprechend ist die Beschwerde abzuweisen.  
 
5.  
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 10. Februar 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold