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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_159/2023  
 
 
Urteil vom 18. April 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Müller, Kölz, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Corinne Saner, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Anordnung von Ersatzmassnahmen, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, 
vom 14. Februar 2023 (BKBES.2022.146). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
In der Zeit vom 2. April bis zum 21. Mai 2022 kam es in verschiedenen Gemeinden des Bezirks Wasseramt im Kanton Solothurn zu insgesamt 13 Bränden an verschiedenen Objekten. Am 21. Mai 2022 brannte es zudem im Schulhaus Kriegstetten. Das Videomaterial der Überwachungsanlage zeigte, wie eine Person das Schulhaus betritt und kurz vor Brandausbruch wieder verlässt. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn geht gestützt auf weitere Abklärungen davon aus, dass es sich dabei um A.________ handelte, der im Rahmen eines Festes für das Essen und Trinken verantwortlich gewesen war und deshalb über einen Schlüssel zum Schulhaus verfügte. Am 25. Mai 2022 wurde gegen ihn eine Strafuntersuchung wegen Brandstiftung (Art. 221 StGB) in 14 Fällen eröffnet (darunter ein Fall wegen qualifizierter Brandstiftung). Gleichentags wurde er vorläufig festgenommen. 
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das kantonale Zwangsmassnahmengericht am 27. Mai 2022 Untersuchungshaft bis am 26. August 2022 an. Ein späteres Gesuch um Haftverlängerung hiess es mit Verfügung vom 1. September 2022 teilweise gut und verlängerte die Untersuchungshaft bis zum 26. Oktober 2022. Eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Solothurn mit Beschluss vom 19. Oktober 2022 gut. Es hob die Verfügung des Haftgerichts auf und ordnete die Haftentlassung an. Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin Beschwerde beim Bundesgericht ein. Dieses hiess das Rechtsmittel mit Urteil 1B_555/2022 vom 25. November 2022 teilweise gut und stellte fest, dass der Beschluss des Obergerichts Art. 221 in Verbindung mit Art. 237 StPO verletze. Es hielt in Würdigung der konkreten Umstände des Falls fest, dass das Obergericht hätte Ersatzmassnahmen prüfen und anordnen müssen. 
Auf ein in der Folge von der Staatsanwaltschaft eingereichtes Gesuch ordnete das Zwangsmassnahmengericht am 7. Dezember 2022 für die Dauer von sechs Monaten Ersatzmassnahmen an. Diese umfassen eine Alkoholabstinenz (Dispositiv-Ziffer 1 lit. a), ein Electronic Monitoring (Dispositiv-Ziffer 1 lit. b) und eine Bewährungshilfe (Dispositiv-Ziffer 2). Dispositiv-Ziffer 1 lit. a lautet wie folgt: 
 
"A.________ wird verpflichtet, vollständig auf den Konsum von Alkohol zu verzichten. 
Die Alkoholabstinenzkontrolle erfolgt unangekündigt mindestens zwei bis maximal fünf Mal pro Kalendermonat an verschiedenen Tagen zu unterschiedlichen Zeiten mittels Atemalkoholtest durch die Polizei Kanton Solothurn. Ergibt der Atemalkoholtest ein positives Resultat, wird der Staatsanwaltschaft Kompetenz eingeräumt, eine Blutprobe anzuordnen. 
 
Die Alkoholabstinenzkontrolle erfolgt weiter durch eine quartalsweise abzunehmende Haarprobe. Diese ist über ein geeignetes Institut im Auftrag der Staatsanwaltschaft auswerten zu lassen." 
 
Die von A.________ gegen Dispositiv-Ziffer 1 lit. a der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 7. Dezember 2022 erhobene Beschwerde wies das Obergericht mit Beschluss vom 14. Februar 2023 ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 20. März 2023 beantragt A.________, der Beschluss des Obergerichts vom 14. Februar 2023 und Dispositiv-Ziffer 1 lit. a der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 7. Dezember 2022 seien aufzuheben. 
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdeführer hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Mit Ersatzmassnahmen verbundene Eingriffe in die Grundrechte des Beschuldigten können nachträglich nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es verhält sich insoweit gleich wie bei der Untersuchungshaft. Der angefochtene Entscheid ist daher geeignet, für den Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur zu bewirken. Er stellt deshalb einen gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG anfechtbaren Zwischenentscheid dar (Urteil 1B_105/2014 vom 24. April 2014 E. 1.4, nicht publ. in BGE 140 IV 74). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist vorbehältlich einer hinreichenden Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Strafprozessuale Zwangsmassnahmen setzen voraus, dass der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte verhältnismässig ist. Sie können nur ergriffen werden, wenn die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der untersuchten Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (Art. 197 Abs. 1 lit. c und lit. d StPO).  
 
2.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, gemäss dem psychiatrischen Gutachten vom 11. August 2022 bestehe lediglich ein mittelbarer Zusammenhang zwischen seinem Alkoholkonsum und den Anlasstaten. Der Gutachter attestiere ihm unter anderem eine gute soziale Leistungsfähigkeit und ein gutes Verstehen normalpsychologischer Zusammenhänge bei Fehlen eingeschliffener krimineller Verhaltensweisen. Das Electronic Monitoring müsse vor diesem Hintergrund als wirksam und ausreichend angesehen werden, um die ohnehin schon geringe Wiederholungsgefahr zu bannen. Hinzu komme, dass sein Alkoholkonsum erwiesenermassen lediglich moderat sei. Die angeordnete quartalsweise Abgabe einer Haarprobe könne die Wiederholungsgefahr ohnehin nicht senken, da der zeitliche Abstand zwischen dem zu vermeidenden Alkoholkonsum und dessen Entdeckung viel zu gross wäre. Auch wegen der Kosten von rund Fr. 1'000.-- für jede Haaranalyse sei diese Massnahme unverhältnismässig.  
 
2.3. Das Bundesgericht hat sich im Urteil 1B_555/2022 vom 25. November 2022 mit der vom Beschwerdeführer ausgehenden Wiederholungsgefahr auseinandergesetzt. Darauf kann verwiesen werden (a.a.O., E. 7). Zusammenfassend hielt es fest, die Brandstiftungen, die dem Beschwerdeführer vorgeworfen würden und hinsichtlich derer teilweise nicht nur ein dringender Tatverdacht, sondern eine erdrückende Beweislast bestehe, hätten grundsätzlich eine hohe Sicherheitsrelevanz. Dies sei bei den Anforderungen an die Legalprognose zu berücksichtigen (a.a.O., E. 7.3). Da eine relevante, wenn auch nicht ausgeprägte, d.h. die Inhaftierung rechtfertigende, Wiederholungsgefahr zu bejahen sei, hätte das Obergericht deshalb Ersatzmassnahmen prüfen und anordnen müssen (a.a.O., E. 7.4).  
 
2.4. Das Obergericht legt in seinem neuen, hier angefochtenen Entscheid dar, der Gutachter habe beim Beschwerdeführer einen schädlichen Alkoholmissbrauch diagnostiziert. Dass dieser lediglich einen mittelbaren Zusammenhang zu den Anlasstaten habe, indem er enthemmend wirke, sei nicht entscheidend, solange die Wiederholungsgefahr durch die Alkoholabstinenz verringert werden könne. Dies sei zu bejahen, schlage doch der Gutachter zur Verminderung des Risikos von weiteren Brandstiftungen in erster Linie die Alkoholabstinenz vor. Der Beschwerdeführer habe denn auch bei einer erheblichen Anzahl der ihm zur Last gelegten Brände kurz vorher Alkohol konsumiert. Auch nach seiner Haftentlassung habe er in bedeutenden Mengen Alkohol getrunken. An diesem Ergebnis vermöge die angeordnete und vom Beschwerdeführer akzeptierte GPS-Überwachung (Electronic Monitoring) nichts zu ändern. Der Gutachter erwähne zwar dazu, dass die bisherigen Befunde nicht gegen eine Anpassung des Verhaltens aufgrund der Überwachung sprächen. Dies heisse aber nicht, dass das Electronic Monitoring zur Risikominimierung ausreichend wäre. Es sei und bleibe insbesondere der schädliche Gebrauch von Alkohol, der sich bei der Legalprognose negativ auswirke.  
 
2.5. Die Kritik des Beschwerdeführers an diesen Erwägungen ist nicht stichhaltig. Gestützt auf die Feststellungen der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die verordnete Alkoholabstinenz eine positive Wirkung auf die Wiederholungsgefahr hat. Ob diese Wirkung als direkt oder indirekt zu qualifizieren ist, ist nicht entscheidend. Angesichts der hohen Sicherheitsrelevanz der Anlasstaten (Brandstiftung) ist es zudem nicht unverhältnismässig, wenn das Obergericht die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers weniger stark gewichtete und das Electronic Monitoring allein nicht als ausreichend erachtete. Schliesslich ist auch die Kritik unzutreffend, dass die Haaranalyse unwirksam sei, weil sie nur mit grosser zeitlicher Verzögerung auf einen möglichen Alkoholkonsum folge. Gleich wie beim Electronic Monitoring entfaltet auch diese Form der Kontrolle eine präventive Wirkung auf die betroffene Person, da sich diese der Gefahr einer späteren Entdeckung einer Verletzung der Auflage bewusst sein muss. Auch die Kosten der lediglich quartalsweise vorzunehmenden Haaranalyse lassen diese Massnahme nicht als unzumutbar erscheinen.  
 
3.  
 
3.1. Weiter kritisiert der Beschwerdeführer die Art und Weise, wie die Kontrollen bisher durchgeführt worden seien. Die Polizei sei entgegen einer früheren Zusicherung teilweise ohne telefonische Kontaktaufnahme bei ihm zu Hause vorgefahren, dies auch am 8. Januar 2023, einem Sonntagmorgen. Weiter habe ihm ein Polizeimitarbeiter am 27. Dezember 2022 telefonisch angekündigt, eine Polizeipatrouille käme für die Kontrolle an seinen Arbeitsplatz, wobei er habe erwirken können, dass das Treffen und die Kontrolle schliesslich bei einem nahegelegenen Kreisel erfolgt seien. Sein Nachbar habe ihm später erzählt, dass zwei Polizisten an jenem Tag nach ihm gesucht hätten und um sein Haus gelaufen seien.  
 
3.2. Das Obergericht hält dazu fest, die Staatsanwaltschaft habe der Vertreterin des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 mitgeteilt, die Polizei werde ihn telefonisch kontaktieren, um ihn zu einer bestimmten Zeit für die Atemalkoholprobe auf den Polizeiposten zu bestellen. Dieses Vorgehen, so das Obergericht weiter, erweise sich als angemessen. Sollte ein Treffen auf dem Polizeiposten ausnahmsweise nicht möglich sein, könnte der Beschwerdeführer auch an einen anderen Ort aufgeboten werden. Es sei zu vermeiden, dass die Kontrollen zu irgendeiner Tages- oder Nachtzeit bei ihm zu Hause oder an seinem Arbeitsplatz erfolgten, sei es doch nachvollziehbar, dass dies für ihn sehr unangenehm sei. Der Beschwerdeführer habe indessen sicherzustellen, dass er unter seiner Rufnummer erreichbar sei, sodass ein Ort zur Atemalkoholprobe vereinbart werden könne. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Eingabe vom 31. Januar 2023 erwähne, habe sie auf die Anliegen des Beschwerdeführers bezüglich der örtlichen Durchführung der Kontrollen reagiert und diese der Polizei zur Kenntnis gebracht, welche die Kontrollen nun so diskret wie möglich umsetzen werde.  
 
3.3. Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft auf die Kritik des Beschwerdeführers bereits eingegangen ist. Das Obergericht hat zudem verdeutlicht, wie eine den Ruf und die Privatsphäre des Beschwerdeführers möglichst schonende Kontrolle der Alkoholabstinenz abzulaufen hat. Der Beschwerdeführer setzt sich damit in seiner Beschwerdeschrift nicht auseinander und behauptet auch nicht, das beanstandete Vorgehen habe sich seit der Antwort der Staatsanwaltschaft auf seine Kritik wiederholt. Erst in seiner Replik macht er geltend, er sei an arbeitsfreien Tagen vergleichsweise früh angerufen worden (z.B. am Samstag, dem 11. März 2023, um 8:28 Uhr) und die Polizei sei für Rückrufe schwierig erreichbar gewesen. Abgesehen davon, dass diese Rügen bereits mit der Beschwerde hätten erhoben werden können und deshalb nach Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG unzulässig sind (vgl. BGE 147 I 16 E. 3.4.3; 143 II 283 E. 1.2.3; je mit Hinweis), erscheint unter den gegebenen Umständen ein Anruf am Wochenende um 8:28 Uhr nicht als unzumutbar.  
 
4.  
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwältin Dr. Corinne Saner wird zur unentgeltlichen Rechtsbeiständin ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. April 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold