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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_372/2023  
 
 
Urteil vom 16. November 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
nebenamtlicher Bundesrichter Kradolfer, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Eric Stern, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Gemeinde Rüti, Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV, 
Breitenhofstrasse 30, 8630 Rüti, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. März 2023 (ZL.2022.00074). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1975 geborene A.________ reiste 2006 in die Schweiz ein. Am 15. Mai 2007 erlitt er einen Unfall. Der zuständige Unfallversicherer sprach ihm mit Verfügung vom 11. November 2011 ab 1. Dezember 2011 eine Invalidenrente von 50 % und eine Integritätsentschädigung zu. Demgegenüber wies die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 15. Februar 2012 ein Leistungsgesuch ab mit der Begründung, die versicherungsmässigen Voraussetzungen seien nicht erfüllt.  
 
A.b. Am 4. Dezember 2014 ersuchte A.________ bei der Gemeinde Rüti (Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV) um Ausrichtung rentenloser Ergänzungsleistungen. Gestützt auf Abklärungen der IV-Stelle über den Invaliditätsgrad verneinte die Gemeinde Rüti einen entsprechenden Anspruch. Sie ging dabei von einem Invaliditätsgrad von 0 % aus.  
 
A.c. Am 20. Mai 2021 ersuchte A.________ die Durchführungsstelle unter Hinweis auf einen verschlechterten gesundheitlichen Zustand erneut um Leistungen. Die Durchführungsstelle klärte abermals den Invaliditätsgrad des Versicherten ab. Die IV-Stelle teilte am 19. April 2022 mit, der Invaliditätsgrad betrage rückwirkend per 1. April 2012 100 %. Auf dieser Grundlage sprach die Durchführungsstelle A.________ ab 1. November 2021 monatliche Ergänzungsleistungen in Höhe von Fr. 2'546.- und ab 1. März 2022 zusätzlich Beihilfen von Fr. 202.- zu. Daran hielt die Behörde nach Durchführung des Einspracheverfahrens mit Entscheid vom 21. September 2022 fest.  
 
B.  
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die von A.________ gegen den Einspracheentscheid vom 21. September 2022 erhobene Beschwerde mit Urteil vom 27. März 2023 ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil des kantonalen Gerichts vom 27. März 2023 sei aufzuheben und der Beginn des Zusatzleistungsanspruchs sei auf den 15. Mai 2008, eventualiter auf den 3. Dezember 2014, subeventualiter auf den 3. Mai 2015 festzulegen. Subsubeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Dritte öffentlich-rechtliche Abteilung (bis Ende 2022: Zweite sozialrechtliche Abteilung) war bis Ende Juni 2023 zuständig für Beschwerden betreffend die Ergänzungsleistungen (Art. 82 lit. a BGG sowie Art. 31 lit. g des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [BGerR; SR 173.110.131] in der bis zum 30. Juni 2023 geltenden Fassung). Die am 1. Juni 2023 eingereichte Beschwerde wird noch durch diese Abteilung behandelt; die Vierte öffentlich-rechtliche Abteilung ist erst für die nach dem 30. Juni 2023 eingereichten Beschwerden betreffend Ergänzungsleistungen zuständig (vgl. den am 1. Juli 2023 in Kraft getretenen Art. 32 lit. i BGerR). 
 
2.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Indessen sind tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz, die für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein können, auf qualifizierte Rüge hin (Art. 106 Abs. 2 BGG) oder auch von Amtes wegen durch das Bundesgericht überprüfbar, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 BGG und Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Rechtsanwendung erfolgt von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft das Bundesgericht grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1). 
 
3.  
Die Vorinstanz hält fest, der Beschwerdeführer erfülle die versicherungsmässigen Voraussetzungen (Mindestbeitragszeit) für eine Invalidenrente nicht; ansonsten wäre aus heutiger Sicht aber ein Rentenanspruch gegeben. Im Fall einer sog. "rentenlosen" Ergänzungsleistung (Art. 4 Abs. 1 lit. d ELG) richte sich der allfällige Anspruch auf Nachzahlung zeitlich nach der hypothetischen Rentenberechtigung (Art. 22 Abs. 1 ELV sinngemäss). Die für die Ergänzungsleistungen zuständige Behörde lasse in solchen Fällen den Invaliditätsgrad durch die IV-Stelle abklären (Art. 41 Abs. 1 lit. k IVV). Dies sei erstmals im Jahr 2015 geschehen. Aufgrund einer Mitteilung der IV-Stelle vom 10. Februar 2015, es bestehe keine Invalidität, habe die EL-Durchführungsstelle damals einen Zusatzleistungsanspruch verneint. Die betreffende Verfügung vom 19. Februar 2015 sei rechtskräftig geworden. 
Aufgrund eines neuen Leistungsgesuchs, so die Vorinstanz weiter, habe die EL-Durchführungsstelle die IV-Stelle 2022 erneut um Ermittlung des Invaliditätsgrades ersucht. Die IV-Stelle habe ihr am 19. April 2022 mitgeteilt, bereits mit Wirkung ab April 2012 bestehe ein Invaliditätsgrad von 100 %; mangels erfüllter versicherungsmässiger Voraussetzungen bleibe der IV-Rentenanspruch hypothetisch (vgl. Verfügung vom 7. Juni 2022). Mit Verfügungen vom 8./13. Juni 2022 und Einspracheentscheid vom 21. September 2022 habe die EL-Durchführungsstelle dem Beschwerdeführer daher unter anderem "rentenlose" Ergänzungsleistungen mit Wirkung ab November 2021 zugesprochen. 
 
4.  
Im Hinblick auf den beantragten Beginn des EL-Anspruchs zu einem Zeitpunkt vor November 2021 ist strittig, ob die rechtskräftige Verfügung der EL-Durchführungsstelle vom 19. Februar 2015 und die ihr zugrundeliegende - objektiv unzutreffende - Mitteilung der IV-Stelle an die Durchführungsstelle vom 10. Februar 2015 verbindlich bleiben müssen. Die Vorinstanz schliesst unter verschiedenen Rückkommenstiteln, die damalige Festlegung habe Bestand (angefochtenes Urteil E. 4.2.5), weshalb die Verwaltung den Beginn des Zusatzleistungsanspruchs zu Recht auf den 1. November 2021 angesetzt habe (E. 4.3). 
 
5.  
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, die Verwaltung habe ihre verfassungsrechtliche Begründungspflicht verletzt, indem sie nicht auf sein Vorbringen eingegangen sei, die ursprüngliche Abweisung des Zusatzleistungsgesuchs am 19. Februar 2015 beruhe auf einer mittlerweile klar widerlegten falschen Festlegung des Invaliditätsgrades. Die Vorinstanz erkennt, die - jedenfalls nicht besonders schwer wiegende - Gehörsverletzung könne als geheilt gelten. 
Eine Rückweisung der Streitsache an die Verwaltung zur ergänzenden Begründung des Einspracheentscheids erschiene in der Tat als formalistischer Leerlauf. Die Vorinstanz durfte davon ausgehen, eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs sei geheilt (vgl. BGE 142 II 218 E. 2.8.1; 137 I 195 E. 2.3.2; 136 V 117 E. 4.2.2). 
 
6.  
Der Hauptantrag des Beschwerdeführers, es seien ihm per 15. Mai 2008 Zusatzleistungen auszurichten, ist infolge Zeitablaufs von vornherein unbegründet. Im Bereich des Ergänzungsleistungsrechts gilt für noch nicht zugesprochene Leistungen die Festsetzungsverwirkung nach Art. 24 Abs. 1 ATSG (Art. 1 Abs. 1 ELG und Art. 12 Abs. 4 ELG in Verbindung mit Art. 22 Abs. 3 ELV [ e contrario]; BGE 146 V 1 E. 8.1; 139 V 244 E. 3.1; REMO DOLF, in: Basler Kommentar zum ATSG, 2020, N 35 zu Art. 24 ATSG).  
 
7.  
Ebensowenig ist der Schluss der Vorinstanz zu beanstanden, auf die Verfügung vom 19. Februar 2015 (und auf die zugrundeliegende Mitteilung der IV-Stelle vom 10. Februar 2015 mit der Feststellung, es bestehe keine Invalidität) sei unter keinem Titel zurückzukommen, weshalb es bei einem Anspruchsbeginn per November 2021 bleiben müsse. 
 
7.1. Ein Revisionsgrund nach Art. 53 Abs. 1 ATSG ist nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer sieht einen solchen im Umstand, dass die frühere Feststellung, es liege keine Invalidität vor, widerlegt worden sei. Die IV-Stelle ging im Jahr 2015 davon aus, die nichtsomatischen Beschwerden des Beschwerdeführers seien überwindbar. Sie revidierte diese Beurteilung im Jahr 2022 ohne weitere Abklärungen und somit auf identischer tatsächlicher Grundlage. Die neue, abweichende Beurteilung einer bereits bekannten Tatsache löst keine Revision aus (BGE 110 V 138 E. 2; THOMAS FLÜCKIGER, in: Basler Kommentar zum ATSG, 2020, N 24 zu Art. 53).  
 
7.2. Des Weiteren sind auch die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung der Verfügung vom 19. Februar 2015 (Art. 53 Abs. 2 ATSG) nicht gegeben. Die Vorinstanz hält zu Recht fest, eine Wiedererwägung sei nicht gerichtlich durchsetzbar (angefochtenes Urteil E. 4.2.3; vgl. BGE 147 V 213 E. 6.2.2 a.E.; Urteil 9C_91/2023 vom 12. April 2023 E. 3.2). Umstände, die ausnahmsweise unmittelbar gestützt auf Art. 29 Abs. 1 BV - unabhängig und abweichend vom Begriff nach Art. 53 Abs. 2 ATSG (vgl. Urteil 2C_114/2011 vom 26. August 2011 E. 2.2) - eine Wiedererwägung begründen könnten (vgl. Urteil 2C_487/2012 vom 2. April 2013 E. 3.3), werden weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich.  
 
7.3. Schliesslich beruft sich der Beschwerdeführer darauf, die Mitteilung der IV-Stelle vom 10. Februar 2015 stelle eine unrichtige behördliche Auskunft dar, die einen Anspruch auf Schutz berechtigten Vertrauens begründe (vgl. Urteil 2C_591/2015 vom 5. Februar 2016 E. 4.3). Diese Mitteilung eignet sich aber nicht als Vertrauensgrundlage im Sinn von Art. 9 BV, zumal die Verwaltung darin lediglich die Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdeführers quantifizierte; zu seiner Anspruchsberechtigung äusserte sie sich nicht. Es kann nicht davon gesprochen werden, dass der Beschwerdeführer im Vertrauen darauf nachteilige Dispositionen getroffen hätte. Es war ihm unbenommen, die auf die Mitteilung der IV-Stelle folgende Verfügung der EL-Durchführungsstelle vom 19. Februar 2015 anzufechten.  
 
8.  
 
8.1. Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG mit summarischer Begründung erledigt wird (Art. 109 Abs. 3 BGG).  
 
8.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend werden die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 16. November 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub