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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_429/2024  
 
 
Urteil vom 24. Mai 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Andreas Noll, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel. 
 
Gegenstand 
Verlängerung der Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, vom 11. März 2024 (HB.2024.3). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt führt mehrere Strafverfahren gegen A.________ wegen des Verdachts auf gewerbsmässigen Betrug evtl. ungetreue Geschäftsbesorgung, mehrfache Urkundenfälschung und Factoringbetrug. A.________ war in diesem Zusammenhang bereits in den Jahren 2017 und 2019 in Untersuchungshaft. 
Am 1. November 2023 beantragte die Staatsanwaltschaft erneut Untersuchungshaft für A.________, welche das Zwangsmassnahmengericht am 3. November 2023 vorerst bis zum 26. Januar 2024 bewilligte. Eine dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 7. Dezember 2023 ab, stellte aber aufgrund unzureichender Akteneinsicht vor der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs fest. Dagegen führte A.________ Beschwerde an das Bundesgericht. Dieses wies die Beschwerde am 12. Januar 2024 ab, soweit es darauf eintrat (7B_1028/2023). 
 
B.  
Mit Verfügung vom 1. Februar 2024 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft von A.________ bis zum 26. Mai 2024. Dagegen erhob dieser Beschwerde an das Appellationsgericht, welches die Beschwerde am 11. März 2024 abwies. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 10. April 2024 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichts vom 11. März 2024 sowie die Haftverlängerungsverfügung vom 1. Februar 2024 seien vollumfänglich aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Ihm sei zufolge einer Verletzung von Art. 5 i.V.m. Art. 13 EMRK wegen ungesetzlichen Freiheitsentzugs eine Entschädigung von Fr. 250.-- pro Tag ab dem 1. Februar 2024 zu entrichten. In formeller Hinsicht beantragt er, ihm sowie den übrigen Verfahrensbeteiligten sei das Dispositiv unmittelbar nach dem getroffenen Entscheid zu eröffnen. 
Das Appellationsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung und beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft teilte dem Bundesgericht am 17. April 2024 mit, das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 2. April 2024 sei gutgeheissen und er mit Verfügung vom 15. April 2023 aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weshalb sie auf eine Stellungnahme verzichte. 
Der Beschwerdeführer hält mit Schreiben vom 19. April 2024 fest, er sei aus der Untersuchungshaft entlassen worden, womit keine zeitliche Dringlichkeit bei der Beurteilung der Beschwerde mehr bestehe. Letztere sei aber nicht als gegenstandslos geworden abzuschreiben, sondern dennoch zu beurteilen, da sich die vorgebrachten Rügen im Wesentlichen gegen die Ungesetzlichkeit der Haft richten würden. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der angefochtene kantonal letztinstanzliche Entscheid betrifft die Verlängerung von Untersuchungshaft (Art. 220 Abs. 1 StPO). Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Mit Verfügung vom 15. April 2024 wurde er jedoch aus der Untersuchungshaft entlassen. Aufgrund der erfolgten Haftentlassung hat der Beschwerdeführer kein aktuelles praktisches Interesse mehr an der Behandlung seiner Beschwerde (vgl. BGE 136 I 274 E. 1.3). Das Bundesgericht verzichtet indessen unter gewissen Umständen auf dieses Erfordernis. Dies tut es zum einen dann, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. BGE 140 IV 74 E. 1.3 mit Hinweisen). Zum andern tritt das Bundesgericht bei Haftbeschwerden trotz weggefallenem Rechtsschutzinteresse auf die Beschwerde ein bzw. leitet ein solches Interesse aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 29 Abs. 1 BV) und der Prozessökonomie ab, wenn Verletzungen der EMRK geltend gemacht werden und eine inhaltliche Prüfung dieser Rügen sonst nicht innert angemessener Frist stattfinden würde. Der Grund für diese Rechtsprechung liegt im Wesentlichen darin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Aktualität des Rechtsschutzinteresses nicht als Sachurteilsvoraussetzung ansieht und das Bundesgericht eine allfällige Konventionsverletzung zudem durch eine entsprechende Feststellung wieder gutmachen könnte (BGE 136 I 274 E. 1.3; Urteil 1B_78/2022 vom 2. März 2022 E. 2.3 mit Hinweis).  
 
1.2. Der Beschwerdeführer rügt vorliegend mehrere Verletzungen der EMRK, insbesondere von Art. 5, Art. 6 und Art. 13 EMRK. Insofern ist nach dem Gesagten grundsätzlich auf seine Beschwerde einzutreten.  
 
1.3. Soweit der Beschwerdeführer die von ihm vor dem EGMR eingereichte Beschwerde als "integrierenden Bestandteil" der vorliegenden Beschwerde erklärt und geltend macht, die vor dem EGMR vorgetragenen Rügen seien mutatis mutandis auch für das vorliegende Beschwerdeverfahren und bei der rechtlichen Würdigung der vorliegenden Streitsache zu berücksichtigen, ist er indessen nicht zu hören. Gemäss ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung muss die Begründung in der Beschwerdeschrift selbst enthalten sein, und der Verweis auf Ausführungen in anderen Rechtsschriften oder auf die Akten genügt nicht (BGE 143 IV 122 E. 3.3; 141 V 416 E. 4; 138 IV 47 E. 2.8.1; je mit Hinweisen).  
 
1.4. Ebenfalls nicht einzutreten ist auf den Antrag des Beschwerdeführers, ihm sei wegen ungesetzlichen Freiheitsentzugs eine Entschädigung von Fr. 250.-- pro Tag ab dem 1. Februar 2024 zu entrichten. Dabei handelt es sich um ein neues Begehren, welches unzulässig ist (Art. 99 Abs. 2 BGG).  
 
1.5. Nachdem der Beschwerdeführer unterdessen aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, erweist sich sodann sein Verfahrensantrag, wonach das Dispositiv des bundesgerichtlichen Entscheids unmittelbar nach getroffenem Entscheid (separat) zu eröffnen sei, als gegenstandslos.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, es liege eine Verletzung von Art. 227 Abs. 2 StPO, Art. 6 Ziff. 1 EMRK (rechtliches Gehör, Waffengleicheit, Unabhängigkeit des Gerichts) sowie Art. 6 Ziff. 3 EMRK (wirksame Verteidigung) und Art. 5 Ziff. 3 und Ziff. 4 EMRK vor, da die Staatsanwaltschaft den Haftverlängerungsantrag "krass verspätet" eingereicht habe. Seiner Auffassung nach hätte die Staatsanwaltschaft den Haftverlängerungsantrag viel früher stellen müssen, weshalb er umgehend aus der Untersuchungshaft zu entlassen sei.  
 
2.2. Es ist fraglich, inwieweit der Beschwerdeführer, welcher unterdessen aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, an der Beurteilung dieser Rügen überhaupt noch ein Rechtsschutzinteresse hat. Wie in E. 1.1 hiervor festgehalten, tritt das Bundesgericht auf Beschwerden mit fehlendem aktuellen Rechtsschutzinteresse nur ein, wenn Verletzungen der EMRK geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer behauptet zwar rudimentär, Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 EMRK, Art. 5 Ziff. 3 und Ziff. 4 EMRK seien durch das angeblich verspätet gestellte Haftverlängerungsgesuch der Staatsanwaltschaft verletzt worden. Es ist allerdings fraglich, ob seine diesbezüglichen Rügen als hinreichend substanziiert bezeichnet werden können. Seine Ausführungen hinsichtlich des angeblich "krass verspätet" gestellten Haftverlängerungsantrags beziehen sich mehrheitlich auf Art. 227 Abs. 2 StPO und diesbezüglich auf die Frage, ob es sich um eine Ordnungsfrist oder eine Gültigkeitsvorschrift handle und die Staatsanwaltschaft verpflichtet gewesen wäre, die Haftverlängerung früher einzureichen. Nur am Rande behauptet er, indem die Staatsanwaltschaft mit der Stellung des Haftverlängerungsantrags bis zum formal letztmöglichen Zeitpunkt zugewartet habe, obschon ein Fall mit 47 Bundesordnern vorliege, sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf wirksame Verteidigung gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK massiv verletzt worden.  
 
2.3. Dieser Auffassung kann jedoch von vornherein nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer hält selbst fest, dass die Staatsanwaltschaft das Gesuch zum "formal letztmöglichen Zeitpunkt" gestellt habe. Dass angeblich "im Lichte von Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK die Stellung eines Haftverlängerungsantrags zu einem möglichst frühen Zeitpunkt favorisiert werde", wie von ihm behauptet, ändert nichts daran, dass sich die Staatsanwaltschaft bei der Stellung ihres Haftverlängerungsantrags an die gesetzlichen Fristen gehalten hat. Wie die Vorinstanz festhält, erhielt der Beschwerdeführer bzw. dessen Verteidiger die kompletten Verfahrensakten rechtzeitig in digitaler Form und die ihm gesetzlich garantierten drei Tagen zur Stellungnahme wurden unbestrittenermassen eingehalten. Somit liegt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bzw. auf wirksame Verteidigung vor, unbeachtlich der Anzahl der Bundesordner des vorliegenden Verfahrens. Dies gilt im Übrigen umso mehr, als der Beschwerdeführer wusste, wann die Untersuchungshaft abläuft und mit der Frage einer Verlängerung der Untersuchungshaft rechnen konnte bzw. musste. Die Rügen erweisen sich als unbegründet, soweit darauf überhaupt einzutreten ist (Art. 42 Abs. 2 BGG).  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer wendet sich sodann gegen die vorinstanzliche Bejahung des dringenden Tatverdachts und macht eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK geltend. Er behauptet, es sei in gesetzwidriger Weise für die Verlängerung der Haft kein dringender, sondern lediglich ein hinreichender Tatverdacht als ausreichend erachtet worden.  
 
3.2. Diese Rüge stösst ins Leere. Die Vorinstanz hat einzig festgehalten, der Beschwerdeführer habe das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts nicht bestritten. Sie erwog, das Zwangsmassnahmengericht habe ausgeführt, es bestehe ein hinreichend dringender Tatverdacht. Dies ist nicht zu beanstanden und es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz dadurch Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK verletzt haben soll. Im Übrigen kann hinsichtlich des dringenden Tatverdachts auf das den Beschwerdeführer betreffenden Urteil 7B_1028/2023 vom 12. Januar 2024 E. 7.2 verwiesen werden.  
 
4.  
 
4.1. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, die EMRK kenne den Haftgrund der Kollusionsgefahr nicht, weshalb eine Haftverlängerung einzig gestützt auf diesen Haftgrund nach Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK unzulässig sei. Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK enthalte eine abschliessende Aufzählung der Gründe für einen zulässigen Freiheitsentzug. Zwar anerkenne der EGMR den Haftgrund der Kollusionsgefahr gestützt auf Case Law dennoch, dieser müsse aber nach der Ratio, der Rechtsprechung des EGMR restriktiv interpretiert werden. Die Staatsanwaltschaft habe sodann die geforderten Konfrontationseinvernahmen trotz der klaren Anweisung des Zwangsmassnahmengerichts und der Vorinstanz bisher nicht durchgeführt. Vorliegend existiere daher schlicht keine konkrete Kollusionsgefahr.  
 
4.2. Hinsichtlich der Kollusionsgefahr kann vorab ebenfalls auf das den Beschwerdeführer betreffenden Urteil 7B_1028/2023 vom 12. Januar 2024 E. 8 und die dortigen Ausführungen verwiesen werden. Die Staatsanwaltschaft wurde jedoch aufgefordert, das Verfahren beförderlich zu führen und die notwendigen Einvernahmen durchzuführen. Der Einwand des Beschwerdeführers, wonach unterdessen trotz Aufforderung keine Konfrontationseinvernahmen durchgeführt worden seien, trifft soweit ersichtlich zu. Wie aber aktenkundig ist und von der Vorinstanz festgehalten wurde, fand am 13. Februar 2024 eine Einvernahme und Ende Februar 2024 noch eine Hausdurchsuchung statt. Wenn die Vorinstanz vor diesem Hintergrund in ihrem Entscheid vom 11. März 2024, knapp zwei Monate nach dem bundesgerichtlichen Entscheid, die Kollusionsgefahr nach wie vor noch bejahte, ist dies, entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers, nicht zu beanstanden und stellt insbesondere auch keine Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK dar.  
 
5.  
 
5.1. Sodann behauptet der Beschwerdeführer, die Untersuchungshaft sei unverhältnismässig und verletze dadurch ebenfalls Art. 5 EMRK.  
 
5.2. Die angeordnete Untersuchungshaft war indessen zum Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids noch nicht unverhältnismässig. Sie verletzte weder die Unschuldsvermutung noch das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 14 EMRK, wie vom Beschwerdeführer unsubstanziiert geltend gemacht. Auf den angefochtenen Entscheid (S. 15 ff.) kann verwiesen werden.  
 
6.  
 
6.1. Wie bereits im Verfahren 7B_1028/2023 macht der Beschwerdeführer erneut geltend, es liege eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 3 und Ziff. 4 (Garantie einer richterlichen Behörde für die Haftverlängerung), Art. 6 Ziff. 1 (Garantie eines unabhängigen und unparteiischen Gerichts) sowie Art. 13 EMRK (Garantie auf eine wirksame Beschwerde) vor, da "das Zwangsmassnahmengericht in materieller Hinsicht keinerlei richterliche Funktion ausgeübt, sondern sich als behördlich ausgelagertes Sekretariat der Staatsanwaltschaft zu deren bedingungslos verlängerten Arm" gemacht habe.  
 
6.2. Wie das Bundesgericht bereits in E. 5.2 des Urteils 7B_1028/2023 vom 12. Januar 2024 festgehalten hat, entbehren die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers jeglicher Grundlage und sind unbegründet. Darauf kann verwiesen werden.  
 
7.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. Mai 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier