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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_549/2022  
 
 
Urteil vom 15. September 2022  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichterin Hänni, 
Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiber Hugi Yar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Livio Stocker, 
 
gegen  
 
Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau, Rechtsdienst, 
Bahnhofplatz 3C, 5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 1. Juni 2022 (WBE.2022.67). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.________ (geb. 1996) stammt aus dem Kosovo. Sie heiratete am 26. Juli 2019 einen hier niederlassungsberechtigten Landsmann, worauf ihr am 6. August 2020 eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihrem Gatten erteilt wurde. Nachdem dieser am 5. April 2021 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war, verlängerte das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau am 27. Oktober 2021 ihre Aufenthaltsbewilligung nicht mehr. Die hiergegen eingereichten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Die kantonalen Instanzen gingen davon aus, dass bei A.________ weder ein nachehelicher (Art. 50 AIG) noch ein allgemeiner Härtefall (Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG) bestehe.  
 
1.2.  
 
1.2.1. A.________ beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 1. Juni 2022 aufzuheben; ihre Aufenthaltsbewilligung sei durch das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau zu verlängern und sie sei nicht wegzuweisen; allenfalls sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.  
 
1.2.2. Die Abteilungspräsidentin legte der Beschwerde am 8. Juli 2022 antragsgemäss aufschiebende Wirkung bei. Sie liess gleichentags die Akten einholen. Von weiteren Instruktionsmassnahmen wurde abgesehen.  
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin beruft sich für das Bestehen eines Bewilligungsanspruchs auf Art. 50 AIG, welcher den Fortbestand der Bewilligung nach Auflösung der Familiengemeinschaft regelt. Ob der entsprechende Anspruch besteht, bildet grundsätzlich eine Frage der materiellen Prüfung und keine solche des Eintretens (vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG [SR 173.110]; BGE 137 I 305 E. 2.5; 136 II 177 E. 1.1, 497 E. 3.3). Da auch alle übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind (Art. 42, Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG), ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unter den nachstehenden Vorbehalten (E. 2.2) einzutreten.  
 
2.2.  
 
2.2.1. Bei der Härtefallbewilligung in Anwendung von Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG geht es um eine Ermessensbewilligung, auf deren Erteilung kein Anspruch besteht; ein solcher kann weder aus dem Willkürverbot, dem Rechtsgleichheitsgebot noch dem Verhältnismässigkeitsprinzip abgeleitet werden (vgl. BGE 137 II 305 E. 2; 134 I 153 E. 4; 133 I 185 E. 6.2; Urteil 2C_661/2016 vom 9. November 2016 E. 1.2 mit Hinweisen). Diesbezüglich wären im Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde vor Bundesgericht ausschliesslich Rügen betreffend verfahrensrechtlicher Punkte zulässig, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt und die das Gericht von der Bewilligungsfrage getrennt beurteilen könnte ("Star"-Praxis; BGE 137 II 305 E. 2 u. 4). Die Beschwerdeführerin erhebt keine solchen Rügen. Auf ihre Ausführungen ist deshalb insofern nicht weiter einzugehen, als sie sich auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG beziehen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG).  
 
2.2.2. Die Beschwerdeführerin beanstandet das angefochtene Urteil weitestgehend appellatorisch, d.h. sie wiederholt ihre Sicht der Dinge und stellt diese derjenigen der Vorinstanz gegenüber, ohne sich aber in gezielter Auseinandersetzung mit deren für das Ergebnis des angefochtenen Entscheids massgeblichen Erwägungen in gedrängter Form sachbezogen und vertieft auseinanderzusetzen. Eine derartige Kritik genügt zur Beschwerdebegründung im bundesgerichtlichen Verfahren an sich nicht (statt vieler: Urteil 2C_230/2021 vom 7. Mai 2021 E. 2.2.2; LAURENT MERZ, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger/Kneubühler [Hrsg.], Basler Kommentar BGG, 3. Aufl. 2018, N. 53 zu Art. 42 BGG). Da die Beschwerde sich so oder anders als offensichtlich unbegründet erweist, erübrigt es sich jedoch, die Frage zu vertiefen.  
 
3.  
 
3.1. Nach Art. 50 AIG besteht der Anspruch des Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung fort, wenn die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre gedauert und die Integrationskriterien nach Art. 58a BGG erfüllt sind (Abs. 1 lit. a [in der Fassung vom 16. Dezember 2016, in Kraft seit 1. Januar 2019]) oder wenn wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz "erforderlich" machen (Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG). Dies kann der Fall sein, wenn die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint (Art. 50 Abs. 2 AIG; [nachehelicher Härtefall]). Wurden keine engen Beziehungen zur Schweiz geknüpft und war der Aufenthalt im Land nur von kurzer Dauer, besteht praxisgemäss kein Anspruch auf einen weiteren Verbleib in der Schweiz, wenn die erneute Integration im Herkunftsland keine besonderen Probleme stellt (BGE 138 II 229 E. 3.1).  
 
3.2.  
 
3.2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei hier gut integriert und eine Rückkehr in die Heimat, wo sie über keine Angehörigen mehr verfüge und eine Arbeitslosigkeit von 49,4% herrsche, sei ihr unzumutbar. In einer Gesamtbetrachtung handle es sich bei ihr um eine "integrierte junge und finanziell unabhängige Person, welche bei Anordnung der Rückkehr nach Kosovo, ohne jegliche Anhaltspunkte im Leben stehen würde". Ohne finanzielle Unterstützung werde sie "am Tag der Ausreise wohl oder übel auf der Strasse ausgesetzt sein". Es habe als "allgemeinbekannt" zu gelten, "dass sie als 25-Jährige junge geschiedene Frau ohne Zukunftsperspektive in ihrem Heimatland keine Lebensgrundlage auffinden" werde. Im Übrigen hätte sie durch die Vorinstanz persönlich angehört werden müssen.  
 
3.2.2. Ihre Ausführungen überzeugen nicht: Der Sachverhalt ergab sich hinreichend klar aus den Akten, weshalb die Vorinstanz das Gesuch um mündliche Anhörung willkürfrei in antizipierter Beweiswürdigung abweisen durfte (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.3; Urteil 2C_1072/2018 vom 1. Juli 2019 E. 3.3 mit weiteren Hinweisen). Die eheliche Gemeinschaft der Beschwerdeführerin dauerte nur rund 10 Monate. Diese ist im Kosovo aufgewachsen und dort sozialisiert worden. Zudem hat sie dort eine höhere Berufsbildung als Primarlehrerin mit gutem Resultat abgeschlossen, womit davon ausgegangen werden kann, dass sie in ihrer Heimat zumindest mittel- bis längerfristig wieder ein Auskommen finden wird, auch wenn die Heimkehr für sie anfangs mit Schwierigkeiten verbunden sein mag. Sie ist mit den Verhältnissen und der Sprache im Kosovo nach wie vor vertraut. Sie wird bisherige soziale Netzwerke bzw. Kontakte wiederbeleben können, nachdem ihr Aufenthalt in der Schweiz nur von kurzer Dauer war. In der Anfangsphase wird sie auch durch ihre hiesige Familie psychisch und wirtschaftlich unterstützt werden können. Die Beschwerdeführerin begründet nicht, dass und allenfalls weshalb dies nicht möglich sein sollte.  
 
3.2.3. Die von ihr geltend gemachte Diskriminierung und Ächtung als geschiedene Frau in einem patriarchalischen Gesellschaftssystem genügt für sich allein nicht, um ihre soziale Wiedereingliederung als erheblich gefährdet erscheinen zu lassen; es kommt gerichtsnotorisch auch im Kosovo zu Trennungen und Scheidungen, selbst wenn die Scheidungsrate allenfalls geringer sein mag als in anderen Ländern (Urteile 2C_752/2021 vom 22. November 2021 E. 5.2 [zum Kosovo]; 2C_693/2021 vom 25. Oktober 2021 E. 3.2.2 und 2C_339/2018 vom 16. November 2018 E. 9.2 [je zu Nordmazedonien]; 2C_1072/2018 vom 1. Juli 2019 E. 4.3 [zum Kosovo] und 2C_213/2020 vom 10. Juni 2020 E. 4.3 [zur Türkei]). Es ist im Übrigen unwahrscheinlich, dass ein breiteres Publikum in der Heimat von ihrer gescheiterten Ehe Kenntnis erhält (vgl. das Urteil 2C_788/2018 vom 31. Januar 2019 E. 4.2.3).  
 
3.2.4. Der blosse Umstand, dass die Sicherheits-, Wirtschafts- und gesundheitliche Versorgungslage in der Schweiz allenfalls besser sind als im Heimatland, genügt schliesslich praxisgemäss nicht, um vom Vorliegen eines nachehelichen Härtefalls im Sinne von Art. 50 AIG ausgehen zu können; dies gilt auch, wenn die betroffene Person - wie hier - in der Schweiz integriert erscheint, eine Landessprache mehr oder weniger korrekt beherrscht, eine Arbeitsstelle hat, für ihren Lebensunterhalt selber aufzukommen vermag und hier auch nicht straffällig geworden ist (vgl. die Urteile 2C_752/2021 vom 22. November 2021 E. 5.3; 2C_335/2020 vom 18. August 2020 E. 4.1; 2C_293/2017 vom 30. Mai 2017 E. 3.4; 2C_837/2016 vom 23. Dezember 2016 E. 4.3.2; 2C_578/2011 vom 1. Dezember 2011 E. 3.3). Die Rückkehr in Lebensverhältnisse, die im Herkunftsland allgemein üblich sind, stellt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ebenfalls keinen wichtigen persönlichen Grund dar, welcher einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz gebieten würde (Art. 50 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AIG; vgl. die Urteile 2C_752/2021 vom 22. November 2021 E. 5.3; 2C_293/2017 vom 30. Mai 2017 E. 3.4; 2C_672/2015 vom 14. März 2016 E. 2.2).  
 
4.  
 
4.1. Die Eingabe erweist sich damit als offensichtlich unbegründet und kann im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG erledigt werden. Es wird ergänzend auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).  
 
4.2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit der Begehren abzuweisen (Art. 64 BGG). Bei der Festsetzung der Gerichtskosten ist dem Umstand jedoch Rechnung zu tragen, dass über das Gesuch nicht vorweg entschieden wurde, was es der Beschwerdeführerin ermöglicht hätte, ihre Beschwerde allenfalls noch zurückzuziehen. Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
 
2.1. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.  
 
2.2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 15. September 2022 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar