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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_310/2022  
 
 
Urteil vom 28. Juli 2022  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. April 2022 (IV.2021.00331). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1960 geborene A.________ meldete sich im März 2013 unter Hinweis auf ein erlittenes Schleudertrauma bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich klärte die medizinische und die erwerbliche Situation ab. Sie zog die Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) bei und holte bei der Stiftung Medas Ostschweiz ein polydisziplinäres Gutachten ein, das am 26. August 2014 erstattet wurde. Mit Verfügung vom 9. März 2016 verneinte sie einen Anspruch der Versicherten auf Leistungen der Invalidenversicherung. Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (Urteil vom 5. Mai 2017) und letztinstanzlich vom Bundesgericht abgewiesen (Urteil 9C_445/2017 vom 16. April 2018). 
Im Juni 2019 wandte sich A.________ mit einem neuen Gesuch um Leistungen an die Verwaltung. Nach Einholung von Berichten der behandelnden Ärzte und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle einen Leistungsanspruch erneut (Verfügung vom 14. April 2021). 
 
B.  
Die von A.________ dagegen mit dem Antrag auf rückwirkende Zusprache einer angemessenen Rente erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 25. April 2022 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen, es sei ihr in Aufhebung des angefochtenen Urteils - nach ergänzenden Abklärungen - rückwirkend eine angemessene Invalidenrente zuzusprechen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4).  
 
1.2. Die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung der Vorinstanz ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig (willkürlich), wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Es genügt somit nicht, dass eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Willkür liegt insbesondere vor, wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare Schlüsse gezogen, erhebliche Beweise übersehen oder solche grundlos ausser Acht gelassen hat. Solche Mängel sind in der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen. Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar.  
 
2.2. Im angefochtenen Urteil werden die massgebenden Rechtsgrundlagen betreffend die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG, Art. 4 Abs. 1 IVG) sowie den Rentenanspruch (Art. 28 IVG) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der Anspruchsprüfung bei einer Neuanmeldung nach vorausgegangener Rentenverweigerung (vgl. dazu Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV; BGE 130 V 71 E. 2.2) unter analoger Anwendung der Grundsätze zur Rentenrevision nach Art. 17 ATSG (BGE 144 I 103 E. 2.1; 141 V 9 E. 2.3). Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
Streitig und zu prüfen ist, ob die im angefochtenen Urteil bestätigte Rentenablehnung vor Bundesrecht standhält. Dabei ist umstritten, ob die Vorinstanz einen Revisionsgrund im Sinne einer anspruchsbegründenden Veränderung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin seit der Verfügung vom 9. März 2016 als massgebendem Vergleichszeitpunkt (BGE 134 V 131 E. 3; 133 V 108 E. 5.3.1) zu Recht verneinte. 
 
4.  
 
4.1. Nach den nicht offensichtlich unrichtigen und damit für das Bundesgericht verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen litt die Versicherte im Zeitpunkt der Verfügung vom 9. März 2016 an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer reaktiven mittelgradigen depressiven Episode (Gutachten der Ärzte der Medas Ostschweiz vom 26. August 2014). Diesen gesundheitlichen Beeinträchtigungen kam nach der damals im kantonalen Verfahren vorgenommenen Indikatorenprüfung gemäss BGE 143 V 409 und 418 keine rechtliche Relevanz zu. Eine invalidenversicherungsrechtlich massgebende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit wurde verneint.  
 
4.2. Im Rahmen des Neuanmeldeverfahrens wurden die Berichte der lic. phil. B.________, Neuropsychologin/Psychologin FSP, und der Dr. med. C.________, Verhaltensneurologin, vom 7. Januar 2019, des behandelnden Psychiaters Dr. med. D.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 20. April 2020 sowie der Hausärztin Dr. med. E.________, FMH Allgemeine Medizin, vom 16. Juni 2020 beigezogen. Nach Auffassung der Vorinstanz ergibt sich aus diesen neuen Unterlagen nicht, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, die nach wie vor unter einer Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung leide, seit der abschlägigen Rentenverfügung vom 9. März 2016 wesentlich verändert hätte. Die angeführten Befunde seien vergleichbar mit den bereits in den früheren Berichten beschriebenen. Was die Arbeitsunfähigkeit anbelange, könne nicht auf die Bescheinigung des Dr. med. D.________ vom 20. April 2020 abgestellt werden, weil sie weder Befunde noch eine Begründung enthalte, und ergebe sich aus dem Bericht der Dr. med. E.________ vom 16. Juni 2020 keine Veränderung, weil nach der Hausärztin eine volle Arbeitsunfähigkeit bereits seit 2012 bestehe. Soweit lic. phil. B.________ und Dr. med. C.________ in ihrem Bericht vom 7. Januar 2019 von einer Einschränkung von 50 bis 70 % ausgingen, sei zu bemerken, dass auch im Medas-Gutachten vom 26. August 2014 aus rein medizinischer Sicht eine solche von 50 %, zwischenzeitlich bei Vorliegen einer schweren depressiven Episode sogar eine solche von 100 % attestiert, eine Einschränkung aus versicherungsmedizinischer Sicht aber verneint worden sei. Ohnehin aber würde eine im Vergleich zu früheren ärztlichen Einschätzungen ungleich attestierte Arbeitsunfähigkeit per se nicht genügen, um auf eine gesundheitliche Verschlechterung zu schliessen. Auch sonst (namentlich hinsichtlich der Indikatoren) beständen keine relevanten neuen Aspekte, die zumindest auf eine Veränderung des Gesundheitszustandes hindeuten könnten und Anlass für ergänzende medizinische Abklärungen sein müssten. Eine erneute Prüfung der Standardindikatoren erübrige sich. Ein Revisionsgrund sei zu verneinen.  
 
4.3. Was in der Beschwerde vorgebracht wird, ist nicht geeignet, die vorinstanzlichen Erwägungen als offensichtlich unrichtig oder sonst wie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen.  
 
4.3.1. Wie bereits im kantonalen Verfahren macht die Beschwerdeführerin geltend, eine wesentliche gesundheitliche Verschlechterung sei insofern ausgewiesen, als sie gemäss dem Bericht der lic. phil. B.________ und der Dr. med. C.________ vom 7. Januar 2019 neu an einer mittelgradigen neuropsychologischen Funktionsstörung fronto-temporo-limbischer Hirnareale mit linkshemisphärischer Akzentuierung leide; namentlich beständen mittelgradige Gedächtnis- und mittelgradig bis schwere exekutiv-attentionale Einschränkungen. Wenn das kantonale Gericht dennoch neue Befunde bezüglich Antrieb, Gedächtnis und Konzentration verneine, würdige es diesen Bericht einseitig und oberflächlich; es "korrigiere" bundesrechtswidrig eine fachärztlich bestätigte Diagnose. Es masse sich damit Fachwissen an und verletze den Untersuchungsgrundsatz sowie die Beweiswürdigungsregeln.  
Entgegen der Beschwerdeführerin stellte die Vorinstanz indessen zutreffend fest, dass Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie ein verminderter Antrieb bereits in den zum Referenzzeitpunkt vorliegenden Berichten beschrieben worden waren und es sich bei den von lic. phil. B.________ und Dr. med. C.________ festgestellten Einschränkungen insoweit nicht um neue Befunde handelt. Es verhält sich denn auch so, dass sich eine Depression, wie sie bei der Beschwerdeführerin im Referenzzeitpunkt diagnostiziert worden war, regelmässig neben affektiven und motivationalen Beeinträchtigungen auch in Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit äussert, wobei die entsprechenden kognitiven bzw. neuropsychologischen Defizite gemäss den Diagnosekriterien der ICD-10 sowohl eine verminderte Fähigkeit zu denken oder sich zu konzentrieren als auch eine verringerte Entscheidungsfähigkeit beinhalten (vgl. DILLING/FREYBERGER [Hrsg.], Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, 8. Aufl. 2016, S. 132 ff.; DEHN/BEBLO, Neuropsychologie und Depression, Zwischen Testdiagnostik und Alltagserleben, in: Psychiatrie Neurologie 1/2020, S. 4 ff.). Zu Recht betrachtete es die Vorinstanz als unerheblich, dass die bei der Beschwerdeführerin bestehenden Beeinträchtigungen von den Medas-Gutachtern in ihrer Expertise vom 26. August 2014 auf die mittelgradige depressive Episode zurückgeführt worden waren, während lic. phil. B.________ und Dr. med. C.________ in ihrem Bericht vom 7. Januar 2019 von einer mittelgradigen neuropsychologischen Funktionsstörung (ätiologisch multifaktoriell bedingt) sprachen und verschiedene Differentialdiagnosen (unter anderem auch eine "allfällige neurodegenerative Erkrankung") in Betracht zogen, denn eine unterschiedliche diagnostische Einordnung stellt noch keine revisionsrechtlich erhebliche Veränderung des Gesundheitszustandes dar (Urteile 9C_556/2021 vom 3. Januar 2022 E. 6.1, 9C_152/2021 vom 25. August 2021 E. 5.2; SVR 2012 IV Nr. 18 S. 81, 9C_418/2010 E. 4.2). Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass sich hinsichtlich dem psychopathologischen Befund und dem Schweregrad der Symptomatik, welche in diesem Zusammenhang in erster Linie massgebend sind (Urteil 9C_602/2016 vom 14. Dezember 2016 E. 5.1 mit Hinweisen), bei der Beschwerdeführerin eine richtungsweisende Verschlechterung im Sinne einer Minderung der Leistungsfähigkeit eingestellt hätte. Die entsprechende vorinstanzliche Schlussfolgerung einer unveränderten Befundlage beruht mithin nicht auf einer willkürlichen Würdigung der entsprechenden ärztlichen Einschätzungen; weitere Abklärungen zu den gesundheitlichen Verhältnissen erübrigen sich. Der Vorinstanz kann weder eine Anmassung medizinischen Fachwissens noch eine Verletzung der Beweiswürdigungsregeln oder des Untersuchungsgrundsatzes vorgeworfen werden. 
 
 
4.3.2. Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin auch, soweit sie sich auf veränderte Indikatoren beruft. Selbst wenn sie die Medikamente inzwischen zuverlässig einnähme, wäre unter dem Indikator "Behandlungserfolg oder -resistenz", wie zum Referenzzeitpunkt, zu berücksichtigen, dass einem Heilungserfolg weiterhin die psychosoziale Belastungssituation entgegensteht. Dass sich an dieser - erwähnt wurden damals eine schwierige Lebenssituation nach einer wegen Kinderlosigkeit gescheiterten Ehe, finanzielle Probleme und eine unsichere berufliche Zukunft - etwas geändert hätte, ist weder dargetan noch sonst wie ersichtlich. Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich darauf hinweist, dass sie wie bis anhin mit der Familie ihres Ex-Mannes zusammenlebe, belaste sie nicht, sondern stütze sie vielmehr, wurde im angefochtenen Urteil festgestellt, dass die spezielle Wohnsituation im Referenzzeitpunkt sowohl eine Belastung als auch eine Ressource darstellte und gemäss den aktuellen Arztberichten nach wie vor beide Elemente beinhaltet. Es ist damit nicht offensichtlich unrichtig, dass das kantonale Gericht eine Veränderung des Sachverhaltes in den Punkten, welche seinerzeit bei der Indikatorenprüfung relevant waren, verneinte. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass es unter den gegebenen Umständen keinen Anlass für eine erneute Indikatorenprüfung sah.  
 
4.4. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzte, indem sie den Anspruch der Versicherten auf eine Rente verneinte. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde.  
 
5.  
Gemäss dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 28. Juli 2022 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann