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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_304/2022  
 
 
Urteil vom 27. Juli 2022  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
nebenamtliche Bundesrichterin Truttmann, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsdienst Inclusion Handicap, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 11. Mai 2022 (200 21 865 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 2001 geborene A.________ leidet an einem Asperger- Syndrom. Im Dezember 2015 ersuchte er die Verwaltung um die Zusprache von Massnahmen für die berufliche Eingliederung. Die IV-Stelle Bern übernahm die Kosten für eine Erstabklärung von Personen mit Autismus-Spektrum-Störungen bezüglich der Ausbildungsfähigkeit durch die Institution X.________ für unterstützte Berufsbildung in der Zeit vom 6. Juli bis 5. August 2016. Sie erteilte Kostengutsprache für ein Coaching durch die Institution X.________ im Rahmen der Berufsfindung vom 22. August 2016 bis 10. Mai 2017 und anschliessend für eine erstmalige berufliche Ausbildung zum Mechanikpraktiker EBA in der Genossenschaft W.________ in der Zeit vom 1. August 2017 bis 31. Juli 2019 (ab 2. Oktober 2017 einschliesslich betreutem Wohnen). Im Juli 2019 schloss der Versicherte diese Ausbildung erfolgreich ab.  
 
Die IV-Stelle gewährte Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche (Mitteilung vom 21. Mai 2019) und sprach A.________ einen Arbeitsversuch bei der B.________ AG inklusive Coaching zu, welcher vom 21. Oktober 2019 bis 19. Januar 2020 stattfand (Mitteilungen vom 7. November und 11. Dezember 2019). Sie verneinte den Anspruch auf eine Invalidenrente (Verfügung vom 26. September 2019). Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 28. August 2020 schloss sie die Arbeitsvermittlung ab. 
 
A.b. Im November 2020 wandte sich A.________ erneut an die IV-Stelle und ersuchte um berufliche Massnahmen im Sinne einer EFZ-Ausbildung. Mit Vorbescheid vom 11. Dezember 2020 stellte die Verwaltung in Aussicht, auf das Gesuch nicht einzutreten. Auf den Einwand des Versicherten nahm sie Rücksprache mit dem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD), bevor sie am 18. März 2021 wie vorbeschieden verfügte. Nachdem A.________ dagegen Beschwerde eingereicht hatte, gelangte die IV-Stelle zum Ergebnis, auf das Gesuch sei einzutreten, weshalb sie die Nichteintretensverfügung pendente lite wiedererwägungsweise aufhob, worauf das Verwaltungsgericht des Kantons Bern das Beschwerdeverfahren vom Geschäftsverzeichnis abschrieb (Urteil vom 2. Juni 2021). Mit Vorbescheid vom 14. Juli 2021 wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren ab, wogegen der Versicherte unter Beilage eines Berichts der Universitären Psychiatrischen Dienste V.________ vom 1. September 2021 Einwand erhob. Am 15. November 2021 erliess die IV-Stelle eine dem Vorbescheid vom 14. Juli 2021 entsprechende Verfügung.  
 
B.  
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, die Verfügung sei aufzuheben und es seien ihm berufliche Massnahmen zuzusprechen, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ab (Urteil vom 11. Mai 2022). 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und die Aufhebung des kantonalen Urteils beantragen. Er erneuert das im vorinstanzlichen Verfahren gestellte Rechtsbegehren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie einen Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Neuausbildung auf EFZ-Niveau verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) sowie des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) in den bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassungen anwendbar. Sie werden im Folgenden jeweils in dieser Version wiedergegeben, zitiert und angewendet.  
 
3.2. Gemäss Art. 16 IVG haben Versicherte, die noch nicht erwerbstätig waren und denen infolge Invalidität bei der erstmaligen beruflichen Ausbildung in wesentlichem Umfang zusätzliche Kosten entstehen, Anspruch auf Ersatz dieser Kosten, sofern die Ausbildung den Fähigkeiten des Versicherten entspricht (Abs. 1). Anspruch auf eine - der erstmaligen beruflichen Ausbildung gleichgestellte - berufliche Neuausbildung haben invalide Versicherte, die nach dem Eintritt der Invalidität eine ungeeignete und auf die Dauer unzumutbare Erwerbstätigkeit aufgenommen haben (Abs. 2 lit. b IVG), wobei die Unzumutbarkeit praxisgemäss invaliditätsbedingt sein muss (Urteil 9C_181/2009 vom 3. November 2009 E. 5.3; vgl. auch Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 93/03 vom 11. Juni 2003 E. 3.3 mit Hinweis auf AHI 1998 S. 117 E. 3b).  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz erwog, die Ausbildung zum Mechanikpraktiker EBA sei bei hoher intrinsischer Motivation und unter Einbezug der speziellen Interessen des Beschwerdeführers erfolgt. Eine fehlende Berufseignung oder das Vorliegen einer ungeeigneten Ausbildung sei klar zu verneinen. Dass die Probleme im Bereich der exekutiven Funktionen bei einer neuen Ausbildung auf EFZ-Niveau weniger in Erscheinung treten würden, sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Dies gelte umso mehr, als sich aus den Bildungsberichten ergebe, dass der Beschwerdeführer schon jetzt fast zu viel theoretisches Wissen habe und dieses mit instruierten Arbeitsschritten mische, was oft zu einem Chaos führe. Die Probleme bei der Umsetzung des (unstrittig guten) theoretischen Wissens in die Praxis lägen denn auch nicht in mangelnden manuellen Fertigkeiten, sondern vielmehr in der Schwierigkeit, sich für eine Vorgehensweise zu entscheiden, in der Unfähigkeit, sich auf den gerade anfallenden Arbeitsschritt zu fokussieren, sowie in einem Mangel an Strategien, psychische Blockaden bei Fehlern zu lösen. Mit der RAD-Ärztin Dr. med. C.________ (Bericht vom 16. Juli 2019) sei davon auszugehen, dass diese Probleme bei einer Ausbildung mit höheren Anforderungen und damit vermehrt gefordertem selbstständigem Wissenstransfer und vermehrtem selbstständigem Planen und Ausführen von Arbeiten einen noch viel stärkeren negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit hätten. Daran ändere nichts, dass der Beschwerdeführer intelligenzmässig selbst komplexe Aufgaben verstehen könne, denn das Problem bestehe in der Umsetzung. Die Tätigkeit eines Mechanikpraktikers EBA entspreche seinen Interessen und Fähigkeiten. Er habe keinen Anspruch auf eine berufliche Neuausbildung, da die gesetzliche Voraussetzung, dass die bisher ausgeübte Tätigkeit aufgrund seines Leidens ungeeignet und auf die Dauer unzumutbar wäre, nicht erfüllt sei.  
 
4.2. Wie bereits im kantonalen Verfahren vertritt der Beschwerdeführer den Standpunkt, er habe Anspruch auf eine Neuausbildung, weil die Tätigkeit als Mechanikpraktiker ungeeignet und auf Dauer unzumutbar sei.  
 
4.2.1. Zur Begründung beruft er sich neu auf eine undatierte, ihm am 14. Juni 2022 zugegangene Stellungnahme der D.________ AG bei welcher er seit Mai 2021 im Stundenlohn als Mechanikpraktiker angestellt ist.  
 
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können. Das Vorbringen von Tatsachen, die sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder entstanden (echte Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2; 140 V 543 E. 3.2.2.2). 
 
Ob es sich beim vor Bundesgericht erstmals ins Recht gelegten undatierten Dokument der D.________ AG um ein unechtes oder echtes Novum handelt, ist nicht ersichtlich, kann letztlich aber offenbleiben, da der Beschwerdeführer nicht (hinreichend) begründet, weshalb dieses Novum ausnahmsweise zulässig sein soll. 
 
4.2.2. Weiter wirft der Beschwerdeführer der IV-Stelle vor, sie habe den Entscheid für die Ausbildung zum Mechanikpraktiker EBA überstürzt, ohne genügende Abklärung seiner Fähigkeiten und Stärken, getroffen, was ihm nun nicht zum Nachteil gereichen dürfe. Bei der damaligen Berufswahl seien zwar seine Einschränkungen bekannt gewesen, nicht aber seine Ressourcen, indem sein überdurchschnittlich hoher Intelligenzquotient beim Sprachverständnis (mit 134) und bei der Wahrnehmung (mit 126) erst nachträglich bekannt geworden sei. Im Übrigen könne nicht nachvollzogen werden, wie die Vorinstanz darauf komme, dass er für die Ausbildung zum Mechanikpraktiker EBA hoch intrinsisch motiviert gewesen sei und es sich bei dieser Tätigkeit um ein spezielles Interesse seinerseits gehandelt habe, welche Voraussetzungen gemäss Schreiben des lic. phil. E.________ (von den Psychiatrischen Diensten V.________) vom 1. September 2021 erfüllt sein müssten, damit bei Patienten mit Asperger-Syndrom die Probleme im Bereich der exekutiven Funktionen weniger ausgeprägt seien bzw. deutlich einfacher angegangen werden könnten.  
 
Anders als der Beschwerdeführer darstellen lässt, gingen dem Entscheid für die Ausbildung zum Mechanikpraktiker EBA (vom 1. August 2017 bis 31. Juli 2019) umfangreiche Abklärungen voraus (eine Erstabklärung bezüglich Ausbildungsfähigkeit vom 6. Juli bis 5. August 2016, ein Coaching im Rahmen der Berufsfindung vom 22. August 2016 bis 10. Mai 2017 und eine berufsspezifische Abklärung [Schnupperwoche] vom 27. bis 31. März 2017). Wie sich den diesbezüglichen Unterlagen entnehmen lässt, ergab sich dabei, dass eine Tätigkeit im Bereich der Mechanik den Interessen des Beschwerdeführers entsprach, denn er wurde sowohl in der Schnupperwoche als auch später in der Ausbildung als sehr motiviert und interessiert wahrgenommen, war begeisterungsfähig und zeigte Lernbereitschaft. Die sich auf die entsprechenden Berichte stützende vorinstanzliche Feststellung, wonach die Ausbildung bei hoher intrinsischer Motivation und unter Einbezug der speziellen Interessen des Beschwerdeführers erfolgt sei (was sich gemäss dem vom Beschwerdeführer angerufenen Bericht des lic. phil. E.________ vom 1. September 2021 regelmässig positiv auswirken soll), steht damit im Einklang mit den Akten. So zeigte sich denn auch im Rahmen der Ausbildung in der Genossenschaft W.________, dass der Beschwerdeführer bei einfachen seriellen Arbeiten einen recht hohen Leistungsgrad (bis 83 %) erreichen konnte (Bericht vom 12. Februar 2019; vgl. auch RAD-Bericht vom 16. Juli 2019). Ebenso ist dem kantonalen Gericht beizupflichten, dass unter den gegebenen Umständen nicht ersichtlich ist, auch nicht unter Berücksichtigung der geltend gemachten hohen kognitiven Fähigkeiten in Teilbereichen, inwiefern die bisher ausgeübte Tätigkeit für den Beschwerdeführer aufgrund seines Leidens ungeeignet oder auf die Dauer unzumutbar sein soll. Der Versicherte beschränkt sich darauf, den einlässlichen vorinstanzlichen Erwägungen seine eigene, abweichende Sichtweise gegenüberzustellen und damit unzulässige, rein appellatorische Kritik zu üben, was nicht genügt (vgl. BGE 145 I 26 E. 1.3). 
 
4.3. Bei dieser Sachlage hat es mit dem vorinstanzlichen, den Anspruch auf eine berufliche Neuausbildung nach Art. 16 Abs. 2 lit. b IVG verneinenden Urteil sein Bewenden.  
 
5.  
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 27. Juli 2022 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann