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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_12/2022  
 
 
Urteil vom 13. März 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Eschle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________ AG, 
2. B.B.________, 
3. C.B.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einstellung; Entschädigung (Strafverfahren wegen vorsätzlicher Tötung usw.), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 17. Mai 2022 (BK 21 508). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Beschluss vom 26. Oktober 2021 stellte das Regionalgericht Oberland das Strafverfahren gegen D.B.________ sel. ein, verwies die Straf- und Zivilklagen auf den Zivilweg und legte die Nebenfolgen des Beschlusses fest. In diesem Zusammenhang wurde der A.________ AG, deren Verwaltungsrat und Geschäftsführer D.B.________ sel. war, sowie den Erben von D.B.________ sel., B.B.________ und C.B.________, keine Entschädigung zugesprochen. 
 
B.  
Dagegen reichten die A.________ AG sowie B.B.________ und C.B.________ am 8. November 2021 Beschwerden beim Obergericht des Kantons Bern ein. Sie beantragten, der A.________ AG sei eine Entschädigung in der Höhe von Fr. 2'299'391.-- und B.B.________ und C.B.________ eine Entschädigung in der Höhe von Fr. 2'766'940.-- für die Schäden bzw. wirtschaftlichen Einbussen aus dem Strafverfahren gegen D.B.________ sel. zuzusprechen. 
Mit Beschluss vom 17. Mai 2022 wies das Obergericht die Beschwerden ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragen die A.________ AG sowie B.B.________ und C.B.________ dem Bundesgericht, es sei der Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an die erste Instanz, eventualiter an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Vorinstanz hat auf Vernehmlassung verzichtet, die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern liess sich nicht vernehmen. 
Es wurden die kantonalen Akten beigezogen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) in Strafsachen einer letzten kantonalen Instanz, die als oberes Gericht auf Beschwerde hin geurteilt hat (Art. 80 BGG). 
Die Beschwerdeführer haben am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen (Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG), haben aber jeweils nur ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung bzw. Abänderung des angefochtenen Entscheids, soweit ihre (individuelle) Rechtsstellung betroffen ist (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Unter Vorbehalt rechtsgenüglicher Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG damit grundsätzlich zulässig. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführer 2 und 3 rügen, die Vorinstanz habe Art. 429 Abs. 1 lit. b StPO unrichtig angewendet, indem sie ihre Parteistellung trotz ihrer Erbenstellung als direkte Nachkommen des Beschuldigten D.B.________ sel. verneint und ihnen damit keine Entschädigung zugesprochen habe.  
 
2.2. Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 StPO Anspruch auf: a. Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte; b. Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind; c. Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug. Die Bestimmung begründet eine Kausalhaftung des Staates. Dieser muss den gesamten Schaden wieder gutmachen, der mit dem Strafverfahren in einem adäquaten Kausalzusammenhang im Sinne des Haftpflichtrechts steht (BGE 142 IV 237 E. 1.3.1; Urteil 6B_888/2021 vom 24. November 2022 E. 8.3; je mit Hinweisen).  
Wird das Verfahren aufgrund des Todes des Beschuldigten eingestellt, kann der Entschädigungsanspruch nach Art. 429 StPO von den Erben geltend gemacht werden, die nach Art. 560 Abs. 1 ZGB in die vermögensrechtliche Stellung des Erblassers kraft Universalsukzession nachfolgen (vgl. Urteile 6B_80/2016 vom 7. März 2017 E. 2; 6B_614/2013 vom 29. August 2013 E. 2.4; Mizel/Rétornaz, in: Commentaire romand, 2. Aufl., 2019, N. 7 zu Art. 429 StPO; Moreillon/Parein-Reymond, in: Petit commentaire, Code de procédure pénale, 2. Aufl., 2016, N. 8 zu Art. 429 StPO; in diesem Sinne auch Esther Omlin, in: Haftpflichtkommentar, Kommentar zu den schweizerischen Haftpflichtbestimmungen, 2016, N. 6 zu Art. 429 StPO). 
 
2.3. Der angefochtene Entscheid missachtet diese Grundsätze: Die Vorinstanz kommt zum Schluss, dass für die Annahme einer Parteistellung der Erben des verstorbenen Beschuldigten "keinerlei Raum" bestehe. Dies ist nach dem in E. 2.2 Ausgeführten unzutreffend: Hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs nach Art. 429 Abs. 1 lit. a und b StPO folgen die Erben des Beschuldigten vielmehr in die Rechtsstellung des Erblassers nach. Keine Rechtsnachfolge findet demgegenüber in die Genugtuungsansprüche nach Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO statt (so zutreffend Mizel/Rétornaz, a.a.O.; Moreillon/Parein-Reymond, a.a.O).  
Die Rüge erweist sich somit als begründet, soweit die Vorinstanz die StPO-Beschwerde mit der Argumentation abgewiesen hat, die Beschwerdeführer 2 und 3 würden nicht in den Anspruch nach Art. 429 Abs. 1 lit. b StPO nachfolgen und - mangels Aktivlegitimation - auch keine Parteistellung aufweisen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hätte das Regionalgericht die Entschädigungsforderungen in der Sache beurteilen müssen. Der angefochtene Entscheid ist insoweit aufzuheben und zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
3.  
 
3.1. Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin 1, die Vorinstanz habe Art. 434 Abs. 1 StPO unrichtig angewendet, indem sie den bei ihr eingetretenen Schaden als mittelbaren Schaden qualifiziert und aus diesem Grund einen Schadenersatzanspruch verneint habe.  
 
3.2. Nach Art. 434 Abs. 1 StPO haben Dritte Anspruch auf angemessenen Ersatz ihres nicht auf andere Weise gedeckten Schadens sowie auf Genugtuung, wenn sie durch Verfahrenshandlungen oder bei der Unterstützung von Strafbehörden Schaden erlitten haben. Der Anspruch besteht gegenüber dem Staat (Urteil 6B_1331/2018 vom 28. November 2019 E. 3.1 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung werden von Art. 434 StPO im Sinne einer Kausalhaftung nur die durch das Strafverfahren unmittelbar verursachten Schäden erfasst (Urteile 6B_888/2021 vom 24. November 2022 E. 9.4; 6B_470/2019 vom 9. August 2019 E. 4.3.2 mit Hinweis).  
Nach den Grundsätzen des schweizerischen Haftpflichtrechts, die der Haftung vernünftige Grenzen setzen wollen, hat prinzipiell nur derjenige einen ersatzpflichtigen Schaden erlitten, der durch das widerrechtliche Verhalten direkt betroffen ist und dem ein direkter Schaden in seinem Vermögen eingetreten ist (BGE 138 III 276 E. 2.2 S. 279, bestätigt in BGE 142 III 433 E. 4.5 S. 438). Ob der Vermögensschaden eines Dritten als unmittelbarer oder als mittelbarer Schaden gilt, wird im Haftpflichtrecht grundsätzlich danach unterschieden, ob der Schaden innerhalb der Kausalkette durch das schädigende Verhalten oder das Hinzutreten weiterer Schadensursachen hervorgerufen wurde (BGE 133 III 257 E. 2.5 S. 266 ff. [zu Art. 208 OR]). Wo im Einzelfall die Abgrenzung vorzunehmen ist, beurteilt sich nach richterlichem Ermessen (BGE 133 III 257 E. 3.2). 
Bei der Überprüfung von Ermessensentscheiden schreitet das Bundesgericht nur ein, wenn die kantonale Instanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat. Aufzuheben und zu korrigieren sind ausserdem Ermessensentscheide, die sich als im Ergebnis offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 147 III 393 E. 6.1.8; 142 III 336 E. 5.3.2 mit Hinweisen). 
 
3.3. Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid hat die Beschwerdeführerin 1 im kantonalen Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'703'868.-- verlangt, sich zusammensetzend aus Fr. 1'509'391.-- für entgangenen Gewinn und Fr. 790'000.-- aus Bewertungsverlust. Sie hat geltend gemacht, dass die Untersuchungs- und Sicherheitshaft des Verstorbenen ursächlich für den der Beschwerdeführerin 1 entgangenen Gewinn und den eingetretenen Bewertungsverlust gewesen sei. D.B.________ sel. habe aufgrund seines technischen Know-hows die zentrale Rolle im Unternehmen gespielt, sei Dreh- und Angelpunkt der Gesellschaft gewesen und habe nicht einfach ersetzt werden können. Die Belegschaft sei verunsichert gewesen und es sei zu Kündigungen gekommen. Die Ware habe auch nicht mehr den Qualitätsansprüchen der Kunden entsprochen. Entscheidend für die geltend gemachten Schäden sei damit der Umstand, dass der Geschäftsführer D.B.________ sel. seine Geschäftstätigkeit (Akquirieren, Entwickeln, Programmieren, Verhandeln, Supervision) bei der Beschwerdeführerin 1 nicht mehr habe ausüben können und dadurch die operative Handlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin 1 entscheidend behindert worden sei.  
 
3.4. Die Vorinstanz stellte nicht in Abrede, dass die fehlende Anwesenheit des Geschäftsführers Folgen für die Beschwerdeführerin 1 hatte; dies bedeute aber - so die Vorinstanz - noch nicht, dass es sich hierbei um unmittelbare Folgen des Strafverfahrens handle. Unmittelbare Folgen des Strafverfahrens lägen beispielsweise bei einer Sachbeschädigung im Rahmen einer Hausdurchsuchung vor, bei welcher der Hauseigentümer nicht zugleich beschuldigte Person ist, oder im Fall einer beschädigten beschlagnahmten Sache. Es handle sich dabei um direkte Schäden, welche unmittelbar durch das Strafverfahren verursacht wurden. Die sich aus dem durch die Haft bedingten Ausfall von D.B.________ sel. ergebenden weiteren negativen Folgen für Dritte seien aber nur mittelbar durch das Strafverfahren versursacht und aufgrund der Beziehung zwischen D.B.________ sel. und der Beschwerdeführerin 1 entstanden. Das Schadensereignis (Untersuchungshaft) habe zur Unmöglichkeit der Arbeitsverrichtung geführt und dies habe (mittelbare) Auswirkungen auf die Beschwerdeführerin 1 gehabt.  
 
3.5. Diese Erwägung ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin 1 bundesrechtskonform: Bei den geltend gemachten Schäden handelt es sich nicht um unmittelbare Strafverfolgungsschäden nach Art. 434 StPO, sondern um solche, die der Beschwerdeführerin 1 mittelbar bzw. reflexweise aufgrund des Arbeitsausfalls des Geschäftsführers entstanden sind. Die Beschwerdeführer tun nicht dar, dass die Vorinstanz ihr Ermessen bei der Abgrenzung unmittelbarer und mittelbarer Schäden geradezu missbraucht hätte bzw. grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen wäre. Entgangener Gewinn stellt nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung denn auch mittelbaren Schaden dar, bis auf eine vorliegend nicht relevante kaufrechtliche Ausnahme (vgl. BGE 133 III 257 E. 2.5.2).  
 
3.6. Die Erwägung 4.4 des angefochtenen Beschlusses ist für sich allein entscheidtragend. Die weiteren Rügen gegen die Hilfserwägungen 4.5-4.7 brauchen damit nicht mehr geprüft zu werden; sie wären indessen ohnehin unbegründet und es kann vollumfänglich auf die vorinstanzlichen Überlegungen verwiesen werden.  
 
4.  
Die Beschwerde erweist sich als begründet, soweit die Vorinstanz die StPO-Beschwerde hinsichtlich der Entschädigungsansprüche der Beschwerdeführer 2 und 3 abgewiesen hat. Hinsichtlich der Entschädigungsansprüche der Beschwerdeführerin 1 ist die Beschwerde hingegen unbegründet. Im Übrigen ist die Beschwerde mangels schutzwürdigen Interesses unzulässig, soweit sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 gegen die Abweisung des Entschädigungsbegehrens der Beschwerdeführer 2 und 3 und sich die Beschwerde letzterer gegen die Abweisung des Entschädigungsbegehrens der Beschwerdeführerin 1 richtet. 
Damit unterliegen die Beschwerdeführer 2 und 3 teilweise und die Beschwerdeführerin 1 vollumfänglich, was bei der Kostenverlegung zu berücksichtigen ist (Art. 66 Abs. 1 BGG und Art. 68 Abs. 2 BGG). 
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der angefochtene Entscheid wird aufgehoben, soweit die StPO-Beschwerden der Beschwerdeführer 2 und 3 abgewiesen worden sind. Die Sache wird insoweit zu neuem Entscheid und neuer Kostenregelung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit auf sie eingetreten wird. 
 
2.  
Der Beschwerdeführerin 1 werden Gerichtskosten von Fr. 2'000.--, den Beschwerdeführern 2 und 3 Gerichtskosten von je Fr. 500.-- auferlegt. 
 
3.  
Der Kanton Bern hat die Beschwerdeführer 2 und 3 mit je Fr. 750.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. März 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Eschle