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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_407/2022  
 
 
Urteil vom 10. Mai 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Heiner Schärrer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Basel-Landschaft, 
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 31. März 2022 (720 21 236 / 68). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1964 geborene A.________ meldete sich Anfang September 2015 unter Hinweis auf die Folgen einer am 7. August 2014 erlittenen distalen Unterschenkelfraktur rechts bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Basel-Landschaft führte medizinische und erwerbliche Abklärungen durch. Am 14. Februar 2019 sprach sie A.________ vom 1. März bis 31. August 2016 eine ganze und vom 1. September 2016 bis 31. August 2017 eine halbe Invalidenrente zu. Auf Beschwerde des A.________ hin wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft die Sache an die Verwaltung zurück (Urteil vom 27. September 2019).  
 
A.b. Nach Einholung eines orthopädisch-psychiatrischen Gutachtens bei der Academy of Swiss Insurance Medicine (nachfolgend: asim), Basel, vom 11. August 2020 (samt ergänzender Stellungnahme vom 21. Januar 2021) gewährte die IV-Stelle A.________ vom 1. März 2016 bis 31. Januar 2017 eine ganze und vom 1. Februar 2017 bis 30. April 2020 eine halbe Invalidenrente (Verfügung vom 29. Juli 2021). Mit gleichem Datum verfügte sie über die entsprechende Kinderrente für die Tochter B.________.  
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Urteil vom 31. März 2022 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Verfügungen vom 29. Juli 2021 seien ihm und seiner Tochter B.________ (Kinderrente) vom 1. März 2016 bis 31. Juli 2018 eine ganze und ab 1. August 2018 eine halbe Invalidenrente auszurichten; eventualiter sei ab 1. August 2018 eine Viertelsrente zuzusprechen. Sodann ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt. Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). 
Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Verfügungen ergingen vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) sowie des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (BGE 148 V 174 E. 4.1). 
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat die massgeblichen Rechtsgrundlagen zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG, Art. 4 Abs. 1 IVG) und zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG) korrekt dargelegt. Zutreffend wiedergegeben hat sie auch die Rechtsprechung betreffend den Beweiswert und die Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 143 V 124 E. 2.2.2; 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a) sowie über die Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung bzw. Gericht und Ärzteschaft (BGE 140 V 193 E. 3.2; 132 V 93 E. 4). Richtig sind ferner die Ausführungen zur Festlegung der Vergleichseinkommen (Art. 16 ATSG; BGE 144 I 103 E. 5.3; 143 V 295 E. 2.2) und hinsichtlich des höchstens 25 % betragenden Abzugs vom Tabellenlohn (BGE 135 V 297 E. 5.2; 134 V 322 E. 5.2; 126 V 75). Darauf wird verwiesen.  
 
3.2. Die gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit beziehen sich auf eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2). Ebenso betrifft die konkrete Beweiswürdigung eine Tatfrage. Um frei überprüfbare Rechtsfragen geht es hingegen, soweit die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen, die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 und 61 lit. c ATSG) und die Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten beanstandet werden (statt vieler: Urteil 8C_153/2021 vom 10. August 2021 E. 1.3 mit Hinweisen).  
 
4.  
Die Vorinstanz hat der bidisziplinären asim-Expertise der Dres. med. C.________ und D.________ vom 11. August 2020 sowie der ergänzenden orthopädischen Stellungnahme vom 21. Januar 2021 Beweiskraft zuerkannt. In Anbetracht der darin enthaltenen Verlaufsbeurteilung hat sie die Vergleichseinkommen (Art. 16 ATSG) anhand der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) festgelegt und seitens des Invalideneinkommens einen 5%igen Abzug vom Tabellenlohn vorgenommen. Auf dieser Grundlage ist das kantonale Gericht ab 1. März 2016 von einer vollumfänglichen Invalidität ausgegangen. Ab 6. Oktober 2016 resultiere ein Invaliditätsgrad von 56 % und ab 15. Januar 2020 ein solcher von 39 %, gleichbedeutend mit der Renteneinstellung per 30. April 2020 (vgl. Art. 88a Abs. 1 IVV). Gestützt darauf hat es die Verfügungen der Beschwerdegegnerin vom 29. Juli 2021 bestätigt. 
 
5.  
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, verfängt nicht. 
 
5.1. Beschwerdeweise wird geltend gemacht, bei einem Invaliditätsgrad von 39 % müsse das kantonale Gericht ausnahmsweise sein eigenes Ermessen anstelle desjenigen der Verwaltung setzen, das heisst trotzdem eine Invalidenrente zusprechen. Das kantonale Gericht hat im Zusammenhang mit der einzigen im angefochtenen Urteil zu beantwortenden (typischen) Ermessensfrage - der Höhe des auf 5 % festgelegten Abzugs vom Tabellenlohn (vgl. BGE 137 V 71 E. 5.1) - überzeugend dargelegt, weshalb keine triftigen Gründe für einen Eingriff in das Ermessen der Beschwerdegegnerin bestehen (vgl. vorinstanzliche Erwägung 7.3.2). Dem ist nichts beizufügen. Demgegenüber fällt, anders als der Beschwerdeführer meint, die ermessensweise Zusprache einer Invalidenrente bei einem unter 40 % liegenden Invaliditätsgrad von Gesetzes wegen ausser Betracht (vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. c IVG). Weiterungen dazu erübrigen sich daher.  
 
5.2. Das kantonale Gericht hat sodann hinsichtlich der ab Mitte Januar 2020 aus orthopädischer Sicht attestierten Arbeitsfähigkeit verbindlich (vgl. E. 1 hievor) festgestellt, die Gutachter hätten das Anforderungsprofil wie folgt umschrieben: "Muskoskelettär leicht- bis intermittierend (Anteil maximal 25 %) mittelbelastende Tätigkeiten sind mit einem Pensum von 70 % ausübbar. Im Rahmen der Pseudarthrose mit einhergehenden Schmerzen besteht ein erhöhter Pausenbedarf [...]". Laut Aussage des orthopädischen Sachverständigen Dr. med. D.________ sei der Beschwerdeführer somit zu 70 % arbeitsfähig.  
Wenn der Beschwerdeführer moniert, der von den medizinischen Experten attestierte Pausenbedarf reduziere seine Arbeitsfähigkeit derart, dass eine wesentlich höhere Lohneinbusse berücksichtigt werden müsse (über 50 % oder zumindest über 40 %), hat sich das kantonale Gericht mit den diesbezüglichen Einwänden bereits in nicht zu beanstandender Weise auseinandergesetzt. Eine Beweiswürdigung ist nicht bereits dann willkürlich (zum Begriff: BGE 140 III 16 E. 2.1 mit Hinweisen), wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn der Entscheid - im Ergebnis - offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder auf einem offenkundigen Fehler beruht (BGE 144 I 28 E. 2.4 mit Hinweisen). So verhält es sich hier nicht. Im Gegenteil wiederholte der orthopädische asim-Experte Dr. med. D.________ in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. Januar 2021 ausdrücklich, ab dem 6. Juli 2018 sei eine 50%ige Arbeitsfähigkeit anzunehmen mit schrittweiser Steigerung "auf die heute vorliegende AF von 70 %". Auch anderweitig besteht kein Anhaltspunkt für eine durch den Pausenbedarf zusätzlich verminderte Arbeitsfähigkeit. Dementsprechend ist nicht erkennbar, inwieweit das angefochtene Urteil auf einer Fehlinterpretation der gutachterlichen Ausführungen zum Pausenbedarf im Sinne einer willkürlichen respektive unvollständigen Beweiswürdigung beruhen soll. Abgesehen davon kann dem kantonalen Gericht auch keine Verletzung der Begründungspflicht vorgeworfen werden, wenn es sich in diesem Kontext - ausgehend von den Vorbringen in der Beschwerde - auf das Wesentliche beschränkt hat (Näheres dazu: BGE 133 III 439 E. 3.3; 126 I 97 E. 2b; 124 V 180 E. 1a; je mit Hinweisen). Der vorinstanzliche Verzicht auf weitere Abklärungen verletzt demzufolge keine Beweiswürdigungsregeln (Art. 43 Abs. 1 und 61 lit. c ATSG; antizipierende Beweiswürdigung; BGE 144 V 361 E. 6.5; 136 I 229 E. 5.3). Demnach bleibt der Schluss des kantonalen Gerichts, ab Januar 2020 bestehe eine Arbeitsfähigkeit von 70 % für angepasste Tätigkeiten, letztinstanzlich verbindlich. 
 
5.3. In Bezug auf den Verlauf der Arbeitsfähigkeit hat die Vorinstanz schliesslich die Angaben des orthopädischen Sachverständigen Dr. med. D.________ vom 21. Januar 2021 übernommen und festgestellt, beim Beschwerdeführer habe ab 7. August 2015 eine 50%ige Arbeitsfähigkeit für angepasste Tätigkeiten bestanden. Vom 24. September 2015 bis 5. Oktober 2016 sei er vollumfänglich arbeitsunfähig gewesen. Anschliessend sei ihm vom 6. Oktober 2016 - unterbrochen durch zwei kürzere Hospitalisierungen mit jeweils 100%iger Arbeitsunfähigkeit (vom 24. Januar bis 6. März 2017 und vom 11. Juni bis 5. Juli 2018) - wiederum die Ausübung einer leidensadaptierten Tätigkeit zu 50 % zumutbar gewesen. Ab 15. Januar 2020 gelte die attestierte Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer angepassten Tätigkeit. Inwieweit diese Feststellungen offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig sein sollen, ist weder ersichtlich noch (substanziiert) dargelegt. Vor diesem Hintergrund kann der Beschwerdeführer insbesondere aus der Aussage des orthopädischen Gutachters, überwiegend wahrscheinlich habe vom 7. August 2014 bis 5. Juli 2018 ein instabiler Zustand mit immer wieder erforderlichen Eingriffen, Hospitalisationen und Rehaaufenthalten und damit "nicht verwertbarer Arbeitsfähigkeit" vorgelegen, nichts zu seinen Gunsten ableiten. Denn die Frage, ob die verbleibende Restarbeitsfähigkeit von August 2014 bis Juli 2018 unverwertbar war, ist nicht vom Arzt oder von der Begutachtungsperson, sondern seitens der rechtsanwendenden Behörden (Verwaltung bzw. Gericht) zu beantworten (vgl. BGE 140 V 193 E. 3.2). Wenn die Vorinstanz gestützt auf die im Übrigen unbestritten den Beweisanforderungen genügenden (vgl. E. 3.1 hievor) Ausführungen in der Verlaufsbeurteilung vom 21. Januar 2021 von der Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit ausgegangen ist, liegt darin keine Rechtsverletzung. Dies gilt umso mehr, als die durch die stationären Behandlungen bedingten vollumfänglichen Arbeitsunfähigkeiten jeweils weniger als drei Monate andauerten. Wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, sind sie damit unerheblich (vgl. Art. 88a Abs. 2 Satz 1 IVV).  
 
6.  
Die weiteren Erwägungen im angefochtenen Urteil zum Rentenanspruch und dessen Abstufung respektive Befristung (Art. 88a Abs. 1 IVV) sind unbestritten geblieben und geben keinen Anlass zu näherer Überprüfung. Damit hält die vom kantonalen Gericht bestätigte Rentenzusprache (ganze Invalidenrente vom 1. März 2016 bis 31. Januar 2017; halbe Invalidenrente vom 1. Februar 2017 bis 30. April 2020) aus Sicht des Bundesrechts stand. Die Beschwerde ist unbegründet und daher abzuweisen. 
 
7.  
Ausgangsgemäss hat grundsätzlich der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Art. 64 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202) kann jedoch entsprochen werden. Es wird indes ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach er der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später dazu in der Lage ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokat Dr. Heiner Schärrer als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 10. Mai 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder