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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_494/2021  
 
 
Urteil vom 26. September 2022  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Matthias Aeberli, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Basel-Landschaft, 
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 20. Mai 2021 (720 20 432 / 140). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________, geboren 1972, arbeitete bei der Firma B.________ als Sachbearbeiter und meldete sich im Januar 2012 unter Hinweis auf psychische Beschwerden (mittelschwere Depression, Burnout) erstmals bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 2. Oktober 2014 verneinte die IV-Stelle Basel-Landschaft einen Rentenanspruch, weil A.________ wieder zu 80 % bei seiner ursprünglichen Arbeitgeberin erwerbstätig war.  
 
A.b. Anfang Juni 2017 ersuchte A.________ erneut um Invalidenleistungen. Die Verwaltung führte verschiedene Abklärungen durch und holte bei Dr. med. univ. C.________ ein psychiatrisches Gutachten vom 15. November 2019 ein. Gestützt darauf sprach sie A.________ mit Verfügung vom 6. Oktober 2020 rückwirkend vom 1. März bis 31. August 2018 eine ganze Invalidenrente, vom 1. Februar bis 31. März 2019 - nach Absolvierung beruflicher Massnahmen von August 2018 bis Ende Januar 2019 - eine Dreiviertelsrente und vom 1. April bis 30. September 2019 wiederum eine ganze Invalidenrente zu. Ab 1. Oktober 2019 bestehe kein Rentenanspruch mehr (Invaliditätsgrad: 25 %).  
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Urteil vom 20. Mai 2021 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, das angefochtene Urteil sei insoweit aufzuheben, als ihm rückwirkend per 1. März 2018 eine ganze Invalidenrente auszurichten sei. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
Am 23. August 2022 lässt A.________ eine weitere Eingabe einreichen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). 
Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) sowie des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar. 
 
3.  
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Grundlagen zur Invalidität und Erwerbsunfähigkeit (Art 7 f. ATSG) sowie zum Rentenanspruch, dessen Umfang (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG) und Bemessung (Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Korrekt sind auch die Ausführungen über die freie Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 132 V 93 E. 5.2.8) und hinsichtlich Funktion und Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a). Richtig wiedergegeben hat die Vorinstanz schliesslich die Rechtsprechung über die Invalidität bei psychischen Leiden anhand der sogenannten Standardindikatoren (BGE 141 V 281; 143 V 409 und 418). Darauf wird verwiesen. 
 
4.  
Wenn der Beschwerdeführer vorliegend Rentenleistungen bereits ab 1. März 2018 verlangt, begründet er seinen Antrag nicht näher. Darauf ist nicht weiter einzugehen (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGG). Hingegen bleibt streitig und zu prüfen, ob die vorinstanzlich bestätigte Befristung des Rentenanspruchs per Ende September 2019 sowie die Kürzung der Rente vom 1. Februar bis 31. März 2019 aus Sicht des Bundesrechts stand halten. Diesbezüglich hat das kantonale Gericht der psychiatrischen Expertise des Dr. med. univ. C.________ vom 15. November 2019 Beweiskraft beigemessen, wonach ab Mitte Juni 2019 eine vollumfängliche Arbeitsfähigkeit für angepasste Tätigkeiten besteht. Im Rahmen des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) hat es auf einen Abzug vom Tabellenlohn verzichtet, einen rentenbegründenden Invaliditätsgrad (Art. 28 Abs. 2 IVG) ab 1. Oktober 2019 (Art. 88a Abs. 1 IVV) verneint und die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 6. Oktober 2020 bestätigt. 
 
5.  
 
5.1. Wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet, führte der psychiatrische Gutachter Dr. med. univ. C.________ nicht hinreichend aus, aufgrund welcher Umstände sich der Gesundheitszustand ab Juni 2019 relevant verbessert haben soll. Demgegenüber sind den Akten verschiedene Anhaltspunkte zu entnehmen, welche in die gegenteilige Richtung deuten. Hinzuweisen ist dabei vorab auf die Beurteilung der Klinik D.________, wo der Beschwerdeführer vom 24. Januar bis 12. März 2019 in stationärer Behandlung war. Laut Angaben der dortigen behandelnden Fachpersonen sei er während der therapeutisch begründeten Wochenendabwesenheiten schon mit der Bewältigung der angefallenen Alltagsaufgaben völlig überfordert gewesen. Seine erheblichen Zukunftsängste hätten trotz des Klinikaufenthalts nicht abgebaut werden können. Das beobachtete und auffällige Gedankenabreissen und die erheblichen Antwortlatenzen seien geeignet, eine allfällige Berufstätigkeit massiv zu beeinträchtigen. Dementsprechend wurde dem Beschwerdeführer eine nur geringe Arbeitsfähigkeit von bloss drei Stunden (30 %) täglich attestiert, wobei im Falle der Fortdauer der Symptomatik weitere Untersuchungen zu empfehlen seien (vgl. Bericht vom 5. April 2019). Den alsdann in der Klinik E.________ erhobenen neuropsychologischen Befunden ist Ähnliches zu entnehmen (Untersuchung vom 12. Juni 2019). Demnach sei der Einbezug der psychiatrischen Spitex aufgrund der Antriebs-probleme des Versicherten im Haushalt angezeigt. Betreffend dessen berufliche Eingliederung müsse beachtet werden, dass sich die schwer ausgeprägte Erschöpfung unter Alltagsbedingungen - Aufrechterhalten der Leistungsfähigkeit über längere Zeiträume sowie unter Ablenkung, Zeitdruck und Multitasking - stärker auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirke als unter den bei der Beurteilung vorherrschenden optimalen Testbedingungen. Daraus ergäben sich entsprechende (negative) Konsequenzen für die Arbeitsfähigkeit (vgl. Bericht vom 22. Juli 2019). Eine im Verlauf weitgehend unveränderte und stark eingeschränkte, teilweise im ersten Arbeitsmarkt gar unrealistische Arbeitsfähigkeit attestierte dem Beschwerdeführer schliesslich auch der behandelnde Psychiater Dr. med. F.________ in seinen Berichten vom 8. Februar 2019 und 25. April 2020.  
 
5.2. Dazu äusserte sich der psychiatrische Experte Dr. med. univ. C.________ lediglich insoweit, als sich bei der in der Klinik E.________ vorgenommenen Untersuchung vom Juni 2019 ein leichtes kognitives Defizit gezeigt habe, wobei eine Klärung hinsichtlich des Ursprungs dieses Befundes nicht gelungen sei. Damit wird den bis im Begutachtungszeitpunkt vorliegenden ärztlichen Angaben in keiner Weise hinreichend Rechnung getragen. Weitere (stichhaltige) Ausführungen zum bisherigen Krankheitsverlauf sind dem Gutachten nicht zu entnehmen. Vielmehr lässt die psychiatrische Expertise die entscheidende Frage nach Art und Ausmass des Gesundheitsschadens und der auf dieser Grundlage festzulegenden zeitlichen Entwicklung der Arbeitsfähigkeit weitgehend unbeantwortet. Eine nachvollziehbare Erklärung für seine im Vergleich zu den soeben erwähnten Unterlagen abweichende Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers vermag der psychiatrische Sachverständige nicht zu geben. Gestützt auf die Angaben des Dr. med. univ. C.________ ist daher, entgegen der Ansicht des kantonalen Gerichts, eine ab Juni 2019 fehlende invalidisierende Gesundheitsschädigung aus rechtlicher Sicht nicht abschliessend belegt, sodass konkrete Indizien vorliegen, welche gegen die Zuverlässigkeit des psychiatrischen Gutachtens sprechen (vgl. BGE 135 V 465 E. 4.4; Urteil 9C_18/2019 vom 14. Juni 2019 E. 2.2 mit Hinweisen). Die im angefochtenen Urteil getroffene Schlussfolgerung, die gutachterlichen Ausführungen vermöchten "trotz missverständlich und augenscheinlich widersprüchlich formuliertem Gutachten" im Ergebnis zu überzeugen, erweist sich vor diesem Hintergrund als rechtsfehlerhaft.  
 
5.3. Zusammenfassend beruht das angefochtene Urteil auf einem in medizinischer Hinsicht offensichtlich unrichtig (unvollständig) festgestellten Sachverhalt, was eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 und 61 lit. c ATSG) darstellt. Es rechtfertigt sich daher, die Sache zur Einholung ergänzender medizinischer Auskünfte an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat ein neuropsychologisch-psychiatrisches Gerichtsgutachten einzuholen, welches den Krankheitsverlauf im zeitlichen Längsschnitt zu beachten hat und sich unter Berücksichtigung der Standardindikatoren gemäss BGE 141 V 281 über das funktionelle Leistungsvermögen und die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ausspricht. Auf die weiteren Vorbringen in der Beschwerde braucht bei diesem Ergebnis nicht weiter eingegangen zu werden.  
 
6.  
 
6.1. Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 141 V 281 E. 11.1; 132 V 215 E. 6.1; Urteil 9C_740/2020 vom 14. Dezember 2021 E. 8.1). Die unterliegende Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).  
 
6.2. Die Sache ist schliesslich an das Kantonsgericht Basel-Landschaft zurückzuweisen, damit es die Kosten und die Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens neu verlege (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 20. Mai 2021 aufgehoben. Die Sache wird an das kantonale Gericht zurückgewiesen, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Basel-Landschaft zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. September 2022 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder