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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_586/2023  
 
 
Urteil vom 6. November 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiberin Bögli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Alexandra Meichssner, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 10. Juli 2023 (VBE.2023.85). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1968 geborene A.________ meldete sich am 30. April 2021 unter Hinweis auf Depressionen, Schmerzen und ein Lipödem bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau tätigte in der Folge Abklärungen in medizinischer und erwerblicher Hinsicht; insbesondere liess sie die Beschwerdeführerin bidisziplinär (internistisch/psychiatrisch) begutachten (Gutachten der Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH, Basel [ABI], vom 16. August 2022). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte sie mit Verfügung vom 10. Januar 2023 einen Rentenanspruch aufgrund eines rentenauschliessenden Invaliditätsgrades von 24 %. 
 
B.  
Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 10. Juli 2023 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und ihr sei ab 1. Oktober 2021 eine ganze Invalidenrente auszurichten. Eventualiter sei ihr eine von 1. Oktober 2021 bis 1. September 2022 (recte wohl: 31. August 2022) befristete halbe Rente und ab 1. August 2022 (recte wohl: 1. September 2022) eine Viertelsrente zuzusprechen. Subeventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht sie für das Verfahren vor Bundesgericht um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet zwar das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Zudem legt es seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, welchen die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, die vorinstanzlichen Feststellungen seien offensichtlich unrichtig (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
Eine Sachverhaltsfeststellung ist offensichtlich unrichtig, wenn sie sich als willkürlich erweist. Das ist der Fall, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat. Noch keine offensichtliche Unrichtigkeit liegt vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als plausibler erscheint. Sachverhaltsrügen sind auf Grund des strengen Rügeprinzips klar und detailliert in der Beschwerdeschrift aufzuzeigen. Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid ist nicht einzugehen (BGE 144 V 50 E. 4.2; Urteile 9C_415/2022 vom 14. November 2022 E. 1.2; 9C_752/2018 vom 12. April 2019 E. 1.2). 
 
1.2. Am 1. Januar 2022 trat die Änderung des IVG ("Weiterentwicklung der IV") mit der Einführung des stufenlosen Rentensystems in Kraft. In zeitlicher Hinsicht sind - vorbehältlich besonderer übergangsrechtlicher Regelungen - grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei Erfüllung des rechtlich zu ordnenden oder zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (BGE 146 V 364 E. 7.1; 144 V 210 E. 4.3.1; je mit Hinweisen). Rentenansprüche, die vor dem 1. Januar 2022 entstanden sind, werden somit nach im damaligen Zeitpunkt gültigem Recht beurteilt.  
Zu beurteilen ist ein Rentenanspruch ab 1. Oktober 2021. Vorliegend gelangen somit die bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Bestimmungen zur Anwendung und werden in dieser Fassung zitiert. 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht gestützt auf das ABI-Gutachten vom 16. August 2022 einen Rentenanspruch bei einem Invaliditätsgrad von maximal 38 % verneint hat.  
Die Beschwerdeführerin beantragt eine ganze Invalidenrente ab dem 1. Oktober 2021; eventualiter eine befristete halbe Rente ab dem 1. Oktober 2021 und eine Viertelsrente ab 1. August 2022 (recte wohl: 1. September 2022). 
 
2.2. Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 ATSG). Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten oder verbessern können; während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig gewesen sind; und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid sind (Art. 28 Abs. 1 IVG). Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Art. 16 ATSG). Bei nicht erwerbstätigen Versicherten, die im Aufgabenbereich tätig sind und denen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, wird für die Bemessung des Invaliditätsgrades in Abweichung von Art. 16 ATSG darauf abgestellt, in welchem Masse sie unfähig sind, sich im Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 28a Abs. 2 IVG). Bei Versicherten, die nur zum Teil erwerbstätig sind oder die unentgeltlich im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin mitarbeiten, wird der Invaliditätsgrad für diesen Teil nach Artikel 16 ATSG festgelegt. Waren sie daneben auch im Aufgabenbereich tätig, so wird der Invaliditätsgrad für diese Tätigkeit nach Art. 28a Abs. 2 IVG festgelegt. In diesem Fall sind der Anteil der Erwerbstätigkeit oder der unentgeltlichen Mitarbeit im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin und der Anteil der Tätigkeit im Aufgabenbereich festzulegen und der Invaliditätsgrad in beiden Bereichen zu bemessen (Art. 28a Abs. 3 IVG).  
 
2.3. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a).  
 
3.  
 
3.1. Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin ohne gesundheitliche Beeinträchtigung zu 20 % im Haushalt und zu 80 % erwerblich tätig wäre. Dementsprechend hat die Vorinstanz für die Bemessung des Invaliditätsgrades zu Recht die gemischte Methode (Art. 28a Abs. 3 IVG) angewendet.  
 
3.2. Die Vorinstanz stützte sich zur Beurteilung des Invaliditätsgrades in Übereinstimmung mit der IV-Stelle auf das ABI-Gutachten vom 16. August 2022. Das allgemeininternistische Teilgutachten vom 11. Juli 2022 wird auch von der Beschwerdeführerin als verwertbar erachtet. Demnach ist die Beschwerdeführerin aus internistischer Sicht sowohl in der angestammten als auch in einer angepassten Tätigkeit bei einem vollen Arbeitspensum zu 20 % in ihrer Leistung eingeschränkt. Eingehender zu beleuchten ist, ob die Vorinstanz zu Recht auch das psychiatrische Teilgutachten vom 11. Juli 2022 als beweiskräftig erachtet hat.  
 
3.3. Im psychiatrischen Teilgutachten vom 11. Juli 2022 hält der Gutachter eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % in der angestammten Tätigkeit als Mitarbeiterin im Kundendienst fest. Bei einer angepassten Tätigkeit mit der Möglichkeit, einem gegenenfalls erhöhten Pausenbedarf nachzugehen und sich die Arbeitszeiten flexibel zu gestalten, betrage die Arbeitsunfähigkeit 30 % (maximale Präsenz von sieben Stunden pro Tag bei einer Leistungseinschränkung von 20 %).  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Vorinstanz verletze den Grundsatz der Schadenminderungspflicht und den Untersuchungsgrundsatz, indem sie davon ausgehe, eine unausgeschöpfte Therapierbarkeit schliesse eine Invalidität aus. Falls die IV-Stelle und die Vorinstanz eine stationäre Therapie als schadensmindernde Massnahme angezeigt erachtet hätten, so hätte dies im Rahmen einer Auflage angeordnet werden müssen.  
 
4.2. Entzieht oder widersetzt sich eine versicherte Person einer zumutbaren Behandlung oder Eingliederung ins Erwerbsleben, die eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder eine neue Erwerbsmöglichkeit verspricht, oder trägt sie nicht aus eigenem Antrieb das ihr Zumutbare dazu bei, so können ihr die Leistungen vorübergehend oder dauernd gekürzt oder verweigert werden. Sie muss vorher schriftlich gemahnt und auf die Rechtsfolgen hingewiesen werden; ihr ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen. Behandlungs- oder Eingliederungsmassnahmen, die eine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen, sind nicht zumutbar (Art. 21 Abs. 4 ATSG).  
 
4.3. Das Bundesgericht hat mit BGE 143 V 418 sowie BGE 143 V 409 seine Rechtsprechung geändert und festgestellt, dass die Therapierbarkeit psychischer Leiden allein keine abschliessende evidente Aussage über das Gesamtmass der Beeinträchtigung und deren Relevanz im invalidenrechtlichen Kontext zu liefern vermöge. Weiter hat es erkannt, dass sämtliche psychische Erkrankungen, namentlich auch depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur, grundsätzlich einem strukturierten Beweisverfahren anhand eines Kataloges von Indikatoren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen seien (BGE 143 V 409 E. 4.5.2).  
Entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin stellt sich die Vorinstanz nicht auf den Standpunkt, eine Invalidität sei vorliegend ausgeschlossen, da die Versicherte die Therapiemöglichkeiten nicht ausgeschöpft habe. Im Gegenteil wird im angefochtenen Urteil eine Arbeitsunfähigkeit von 30 % anerkannt, obschon der Gutachter davon ausging, die Beschwerdeführerin könnte bei idealer Behandlung und Therapiecompliance innerhalb von zwei Jahren in psychiatrischer Hinsicht die volle Arbeitsfähigkeit wiedererlangen. Bundesrechtswidrige Anforderungen an die Schadenminderungspflicht oder eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes sind nicht ersichtlich. 
 
5.  
 
5.1. Weiter rügt die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe die Beweise bundesrechtswidrig gewürdigt, indem sie auf das psychiatrische Teilgutachten des ABI vom 11. Juli 2022 abgestützt habe. Dieses Gutachten sei jedoch in mehreren Punkten nicht nachvollziehbar und erfülle daher die Kriterien an den Beweiswert ärztlicher Berichte nicht. Es sei beispielsweise nicht klar, ob und wie der Gutachter die chronifizierte resignative Grundhaltung und das Abgleiten in eine ausgeprägtere depressive Symptomatik berücksichtigt habe. Weiter werde nicht begründet, weshalb sie über ausreichende Ressourcen verfügen sollte, um eine stationäre Therapie wahrzunehmen, wenn die Ressourcen gemäss Gutachten nicht ausreichen würden, um ambulante Therapietermine wahrzunehmen. Hinzu komme, dass der Gutachter einen Homeoffice-Arbeitsplatz für geeignet erachte, um bei möglichem Überforderungserleben ein Abgleiten in eine ausgeprägtere depressive Symptomatik bei einer sich verschlechternden Schmerzsymptomatik zu vermeiden.  
 
5.2. Der Gutachter erwähnt die sich in Chronifizierung begriffene resignative Grundhaltung ausdrücklich, womit offensichtlich ist, dass er diese in seiner Einschätzung der Arbeitsfähigkeit berücksichtigt hat. Das Abgleiten in eine ausgeprägtere depressive Symptomatik wird als mögliche zukünftige Entwicklung, nicht jedoch als bereits Geschehenes beschrieben. Eine (noch) nicht erfolgte, lediglich hypothetisch mögliche Entwicklung kann bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht berücksichtigt werden.  
 
5.3. Weiter erwähnt der Gutachter explizit die schlechte Therapiecompliance der Beschwerdeführerin. Zudem hält er fest, dass die Beschwerdeführerin sich aufgrund selbstlimitierender Tendenzen subjektiv nicht in der Lage sehe, regelmässig zu ambulanten Therapieterminen zu erscheinen. Dass er unter diesen Umständen eine stationäre Therapie als zielführender erachtet als eine ambulante Therapie, bei der die Beschwerdeführerin bisher weder regelmässige Termine wahrgenommen noch die verordneten Psychopharmaka eingenommen hat, ist nachvollziehbar. Da der allfällige Erfolg einer solchen stationären Therapie lediglich Einfluss auf die zukünftige, nicht jedoch gegenwärtige Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin hat, war der Gutachter nicht verpflichtet zu eruieren, ob die Beschwerdeführerin über ausreichende Ressourcen zum Besuch einer solchen Therapie verfügt.  
 
5.4. Was die Beschwerdeführerin mit der Rüge, der Gutachter erachte einen Homeoffice-Arbeitsplatz für geeignet, um bei möglichem Überforderungserleben ein Abgleiten in eine ausgeprägtere depressive Symptomatik bei einer sich verschlechternden Schmerzsymptomatik zu vermeiden, genau bemängelt, erschliesst sich nicht. Dass sich die Beschwerdeführerin in einer Tätigkeit im Homeoffice wohl weniger schnell überfordert fühlen würde und sie daher mehr leisten könnte, bestätigt sie implizit selbst, indem sie in der Beschwerde anführt, ein langer Arbeitsweg und eine Tätigkeit in einem Grossraumbüro würden ihre Leistungsfähigkeit (zusätzlich) einschränken. Allerdings ist festzuhalten, dass der Gutachter eine Tätigkeit im Homeoffice lediglich als Beispiel und nicht als zwingende Voraussetzung für eine angepasste Tätigkeit aufgeführt hat. Weiter ist zu berücksichtigen, dass auch eine (Büro-) Tätigkeit vor Ort weder zwingend in einem Grossraumbüro stattfinden muss noch automatisch einen Arbeitsweg von einer Stunde oder mehr beinhaltet, wie die Beschwerdeführerin anzunehmen scheint.  
 
6.  
 
6.1. Die Beschwerdeführerin argumentiert weiter, der psychiatrische Gutachter sei bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit offensichtlich von einer 40-Stunden-Woche ausgegangen. Die übliche Wochenarbeitszeit betrage jedoch 41,7 Stunden. Wenn sie nun gemäss Gutachten während sieben Stunden pro Tag mit einer Leistungseinschränkung von 20 % arbeiten könne, so ergebe dies bei 41,7 Wochenstunden eine Arbeitsfähigkeit von 66,7 %, und nicht 70 %. Die Vorinstanz erläutere nicht, was an dieser Berechnung offensichtlich falsch sein solle und verletze daher die Begründungspflicht und das rechtliche Gehör. Wenn das kantonale Gericht davon ausgehe, dass das Gutachten in diesem Punkt nicht interpretationsbedürftig sei, verletze es zudem auch den Untersuchungsgrundsatz.  
 
6.2. Der Gutachter geht von einer möglichen Präsenzzeit von sieben Stunden an fünf Tagen pro Woche aus, bei einer Leistungseinschränkung von 20 %. Wie die Beschwerdeführerin korrekt darlegt, ergibt dies unter Berücksichtigung der betriebsüblichen Wochenarbeitszeit von 41,7 Stunden eine Arbeitsfähigkeit von 66,7 %, was die Vorinstanz offenbar übersehen hat. Allerdings verkennt die Beschwerdeführerin, dass die Vorinstanz zum Schluss kam, auch bei Berücksichtigung einer Arbeitsfähigkeit von 66,7 % bestehe kein Anspruch auf eine Rente. Mit dieser Argumentation setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs oder der Begründungspflicht der Vorinstanz ist nicht zu erkennen. Inwiefern der Untersuchungsgrundsatz verletzt sein sollte, ist nicht nachvollziehbar.  
 
7.  
 
7.1. Weiter führt die Beschwerdeführerin an, das psychiatrische Teilgutachten vom 11. Juli 2022 halte nicht fest, von welchen Annahmen der Gutachter in Bezug auf den Arbeitsweg ausgegangen sei. Es sei unklar, welche Belastungen (Reisedauer, Wahl des Verkehrsmittels, Interaktionen im Grossraumbüro) sich in welchem Umfang limitierend auf ihre Leistungsfähigkeit auswirken würden. Entsprechend sei beim Gutachter nachzufragen, von welcher Art und Dauer ein möglicher Arbeitsweg sein könne und von welchen Vorstellungen eines Arbeitsplatzes auszugehen sei, um die Einschränkung von 30 % nicht zu überschreiten. Der Arbeitsweg sei vom Gutachter für die Beurteilung der funktionellen Leistungsfähigkeit als relevant taxiert worden, weshalb die Vorinstanz mit ihrer Ausführung, der Arbeitsweg sei keine Frage der medizinisch-theoretischen Arbeitsfähigkeit, Bundesrecht verletze.  
 
7.2. Wie das kantonale Gericht korrekt festhält, stellt die Bewältigung des Arbeitswegs keine Frage der medizinisch-theoretischen Arbeitsfähigkeit dar (Urteil 9C_734/2016 vom 27. Januar 2017 E. 3.2.4). Dass sich der Gutachter nicht zu einem allfälligen Arbeitsweg geäussert hat, ist demnach nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist dem Gutachten im Übrigen nicht zu entnehmen, dass der Gutachter den Arbeitsweg als relevant zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit erachtet hätte; der Arbeitsweg wird im Gutachten nicht erwähnt. Die Möglichkeit einer Homeoffice-Tätigkeit wird vom Gutachter zwar als Ideallösung, jedoch nicht als Voraussetzung für eine Arbeitstätigkeit festgehalten. Wie die Vorinstanz weiter zu Recht anmerkt, kann auch nicht erwartet werden, dass ein Gutachter alle möglichen Transportarten und Wegdauern auswertet.  
 
8.  
 
8.1. Schliesslich macht die Beschwerdeführerin geltend, die Auseinandersetzung des psychiatrischen Gutachters mit den Vorakten sei nicht nachvollziehbar. Der psychiatrische Gutachter schliesse sich der Diagnose des behandelnden Fachpsychiaters an, begründe aber seine abweichende Einschätzung der Arbeitsfähigkeit ausschliesslich damit, dass der behandelnde Arzt die Fahreignung nicht ausgeschlossen habe. Was die beiden Ärzte darunter verstünden, lasse sich den Berichten und Gutachten jedoch nicht entnehmen. Der Gutachter berücksichtige auch nicht, dass das Auto aufgrund des Krankheitsbildes der Beschwerdeführerin das einzig mögliche Fortbewegungsmittel sei. Das Gutachten sei daher auch in diesem Punkt widersprüchlich.  
 
8.2. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin begründet der psychiatrische Gutachter die - im Vergleich zur Beurteilung durch den behandelnden Arzt - abweichende Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit nicht damit, dass der behandelnde Arzt die Fahreignung nicht ausgeschlossen habe, sondern mit der zum Begutachtungszeitpunkt fehlenden ausgeprägten depressiven Symptomatik. In Bezug auf die Fahreignung hielt der Gutachter fest, der behandelnde Arzt habe stark ausgeprägte Gedächtnis- und Konzentrations- sowie schwere Schlaf- und Antriebsstörungen diagnostiziert. Bei solch stark ausgeprägten Beschwerden sei eine Fahreignung ausgeschlossen. Diese Schlussfolgerung ist einleuchtend; der Gutachter macht zu Recht auf einen Widerspruch in der Einschätzung des behandelnden Arztes aufmerksam. Ob die Beschwerdeführerin zur selbstständigen Fortbewegung auf ein Auto angewiesen ist oder nicht, hat keinen Einfluss auf die Frage, ob sie gesundheitlich in der Lage ist, ein solches zu führen. Der Gutachter war demnach nicht verpflichtet, sich mit dieser Frage zu befassen.  
 
9.  
 
9.1. Ferner hält die Beschwerdeführerin fest, die Vorinstanz verletze den Untersuchungsgrundsatz, indem sie davon ausgehe, die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch den psychiatrischen Gutachter gelte zeitlich retrospektiv. Das Gutachten sei jedoch insoweit nicht beweiskräftig, als es in unzulässiger Weise von der echtzeitlichen und beweiskräftigen Einschätzung durch den behandelnden Fachpsychiater abweiche.  
 
9.2. Den Akten ist lediglich ein einziger echtzeitlicher psychiatrischer Bericht von Dr. med. B.________, FMH Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, vom 10. Dezember 2021 zu entnehmen. Der behandelnde Psychiater diagnostiziert eine mittelgradige bis schwere depressive Episode bei chronischer depressiver Störung im Sinne einer chronifizierten Erschöpfungsdepression. Von 27. August bis 27. Oktober 2020 sei eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % attestiert worden.  
Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob der behandelnde Arzt seine Diagnosen und Einschätzung der Arbeitsfähigkeit auf eigene Untersuchungen, oder lediglich auf die Schilderungen der Beschwerdeführerin stützt. Wie bereits dargelegt (vorne E. 8.2) ist der Bericht des behandelnden Psychiaters ausserdem widersprüchlich, indem er zwar stark ausgeprägte Konzentrations- und Schlafstörungen festhält, hingegen die Fahreignung ausdrücklich bejaht. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist der Bericht des behandelnden Arztes demnach nicht beweiskräftig, weshalb die Beurteilung durch das ABI auch nicht von beweiskräftigen Berichten abweicht. 
Zudem ist zu beachten, dass es die unterschiedliche Natur von Behandlungsauftrag der therapeutisch tätigen (Fach-) Person einerseits und Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten anderseits (BGE 124 I 170 E. 4) rechtsprechungsgemäss nicht zulässt, ein Administrativ- oder Gerichtsgutachten (zu deren Beweiswert: BGE 137 V 210 E. 1.3.4, 135 V 465 E. 4.4, 125 V 351 E. 3b/bb beziehungsweise BGE 135 V 465 E. 4.4, 125 V 351 E. 3b/aa mit Hinweis, SVR 2015 UV Nr. 4 S. 13, 8C_159/2014 E. 3.2, Urteil 8C_132/2018 vom 27. Juni 2018 E. 6.1.2) stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Arztpersonen beziehungsweise Therapiekräfte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil diese wichtige - und nicht rein subjektiver Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (BGE 135 V 465 E. 4.5; 125 V 351 E. 3b/cc; SVR 2017 IV Nr. 7 S. 19, 9C_793/2015 E. 4.1; Urteile 8C_630/2020 vom 28. Januar 2021 E. 4.2.1; 8C_370/2020 vom 15. Oktober 2020 E. 7.2). 
Die Vorinstanz konnte nach dem Gesagten auch in zeitlicher Hinsicht auf das ABI-Gutachten vom 16. August 2022 abstellen. 
 
10.  
 
10.1. Im Sinne eines Eventualantrags bringt die Beschwerdeführerin vor, ihr sei eine befristete Rente auszurichten. Ab Mitte 2020 werde im psychiatrischen Teilgutachten vom 11. Juli 2022 eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % ausgewiesen; die höhere Arbeitsfähigkeit für angepasste Tätigkeiten bestünde gemäss Gutachten erst seit der Begutachtung. Entsprechend habe sie bis zum 31. August 2022 Anspruch auf eine befristete halbe Rente bei einem Invaliditätsgrad von 50 %.  
 
10.2. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin sind nicht nachvollziehbar, da der Gutachter zwar eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit von 50 % seit wahrscheinlich Mitte 2020 festhält, dies jedoch ausschliesslich bezogen auf die angestammte Tätigkeit im Kundenservice. Denselben zeitlichen Verlauf erwähnt der Gutachter in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit und verweist dabei explizit auf seine zeitliche Einschätzung bezüglich der angestammten Tätigkeit. Eine vorübergehende Zeitspanne, in der die Beschwerdeführerin auch in einer angepassten Tätigkeit zu 50 % arbeitsunfähig war, lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen. Zudem verhält sich die Beschwerdeführerin widersprüchlich, wenn sie einerseits argumentiert, auf die retrospektive Einschätzung des Gutachters könne nicht abgestützt werden, andererseits genau mit dieser Einschätzung einen befristeten Rentenanspruch zu beweisen versucht.  
 
11.  
 
11.1. Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin, die Einschränkungen im Haushalt seien nicht abgeklärt worden. Da ihre funktionelle Leistungsfähigkeit ungeklärt sei, fehle die Grundlage für die entsprechende antizipierte Beweiswürdigung der Vorinstanz.  
 
11.2. Wie dargelegt, hat die Vorinstanz - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - zu Recht auf das bidisziplinäre Gutachten des ABI vom 16. August 2022 abgestützt. In diesem Gutachten wird festgehalten, dass die Beschwerdeführerin im Haushalt zu 30 % eingeschränkt sei. Die Beschwerdeführerin wendet sich zwar allgemein gegen das Gutachten, legt jedoch nicht dar, aus welchen Gründen ihre Einschränkungen im Haushalt umfassender sein sollten als bei der Erwerbstätigkeit. Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz im Rahmen der antizipierten Beweiswürdigung auf das Einholen einer Haushaltsabklärung verzichtet hat.  
 
12.  
Zusammenfassend hat die Vorinstanz zu Recht auf das bidisziplinäre Gutachten des ABI abgestützt und entsprechend einen Rentenanspruch aufgrund eines IV-Grades von maximal 38 % (bei Berücksichtigung eines Leidensabzugs von 10 %) verneint. Die Beschwerde ist abzuweisen. 
 
13.  
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Ihrem Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege kann entsprochen werden, da die Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 BGG). Ausdrücklich wird auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwältin Alexandra Meichssner wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. November 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Bögli