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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_46/2023  
 
 
Urteil vom 23. April 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Beusch, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Dr. Elisabeth Glättli, Rechtsanwältin, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. Oktober 2022 (IV.2022.00159). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1973 geborene A.________ war zuletzt als Sachbearbeiter der B.________ AG erwerbstätig gewesen, als er sich am 15. März 2013 unter Hinweis auf einen am 20. März 2012 erlittenen Skiunfall bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete. Die IV-Stelle des Kantons Zürich tätigte medizinische Abklärungen, insbesondere holte sie bei der PMEDA Polydisziplinäre Medizinische Abklärungen eine Expertise ein (Gutachten vom 29. April 2015). Daraufhin verneinte sie mit Verfügung vom 25. August 2015 einen Rentenanspruch des Versicherten. 
Am 21. Juli 2016 meldete sich A.________ erneut zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle trat zunächst mit Verfügung vom 7. Oktober 2016 auf die Neuanmeldung nicht ein; eine vom Versicherten hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 29. September 2017 gut und wies die Sache zu materieller Beurteilung an die IV-Stelle zurück. Gestützt auf die zwischenzeitlich von der Verwaltung eingeholte ergänzende Stellungnahme der PMEDA vom 30. Mai 2017 lehnte die IV-Stelle einen Rentenanspruch mit Verfügung vom 29. Januar 2018 erneut ab. Die vom Versicherten hiergegen erhobene Beschwerde hiess das kantonale Gericht mit Urteil vom 21. Juni 2019 in dem Sinne gut, als es die Sache zum Einholen eines (neuen) polydisziplinären Gutachtens an die IV-Stelle zurückwies. 
In Nachachtung dieses Urteils veranlasste die IV-Stelle bei der Swiss Medical Assessment- und Business-Center SMAB eine polydisziplinäre Expertise (Gutachten vom 30. März 2020). Gestützt auf dieses verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 12. August 2020 erneut einen Leistungsanspruch des Versicherten. Eine vom Versicherten hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht mit Urteil vom 26. Februar 2021 gut und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese der SMAB Ergänzungsfragen zur Beantwortung unterbreite und hernach - allenfalls nach Einholen eines weiteren Gutachtens - über den Leistungsanspruch neu verfüge. 
Mit Gutachtensergänzung vom 29. Juli 2021 nahm die SMAB zu den von der IV-Stelle in Nachachtung des kantonalen Urteils gestellten Ergänzungsfragen Stellung. Daraufhin verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 14. Februar 2022 wiederum des Bestehen eines Leistungsanspruchs. 
 
B.  
Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 31. Oktober 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, die IV-Stelle sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsurteils zu verpflichten, eine Rente basierend auf dem Gutachten des Dr. med. C.________ vom 30. November 2016 auszurichten, eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Gleichzeitig stellt A.________ ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es die Verfügung der IV-Stelle vom 14. Februar 2022 bestätigte, wonach der Beschwerdeführer (weiterhin) keinen Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung hat. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Da die für den vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen dadurch nicht geändert wurden, erübrigt es sich auf die Gesetzesänderungen weiter einzugehen.  
 
3.2. Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung setzt unter anderem voraus, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität unmittelbar bedroht ist. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.  
 
3.3. Eine Neuanmeldung wird nur materiell geprüft, wenn die versicherte Person glaubhaft macht, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung in einem für den Rentenanspruch erheblichen Mass verändert haben (Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV; BGE 130 V 71 E. 2.2 mit Hinweisen). Ist die anspruchserhebliche Änderung glaubhaft gemacht, hat die Verwaltung in analoger Weise wie bei einem Revisionsfall nach Art. 17 ATSG vorzugehen (vgl. dazu BGE 130 V 71). Die Zusprache einer Rente aufgrund einer Neuanmeldung setzt somit eine anspruchserhebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse voraus, welche etwa in einer objektiven Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit entsprechend verringerter Arbeitsfähigkeit oder in geänderten erwerblichen Auswirkungen einer im Wesentlichen gleich gebliebenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegen kann. Demgegenüber stellt eine bloss abweichende Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhaltes keine neuanmelde- bzw. revisionsrechtlich relevante Änderung dar (BGE 147 V 161 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht hat für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass es im massgebenden Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Rentenablehnung vom 25. August 2015 und der hier angefochtenen Verfügung vom 14. Februar 2022 nicht zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes kam. Es stützte sich für die Feststellung auf eine umfassende Würdigung der Akten, insbesondere aber auf das Gutachten der SMAB vom 30. März 2020 sowie auf die im Nachgang zum vorinstanzlichen Urteil vom 26. Februar 2021 eingeholte Stellungnahme der SMAB vom 29. Juli 2021. Da das Rückweisungsurteil vom 26. Februar 2021 für das Bundesgericht nicht verbindlich ist (Urteile 8D_13/2020 vom 19. Juli 2021 E. 2 und 8C_210/2020 vom 8. Juli 2020 E. 1; vgl. auch BGE 133 V 477 E. 5.2.3), ist vorliegend nicht weiter einzugehen auf die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Frage, ob mit der eingeholten Stellungnahme das Urteil wortgetreu umgesetzt wurde. Zu prüfen ist letztinstanzlich nur, ob die Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts offensichtlich unrichtig ist oder auf einer anderen Verletzung von Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruht.  
 
4.2. Auf im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholte Gutachten ist rechtsprechungsgemäss abzustellen, wenn nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 135 V 465 E. 4.4). Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, solche konkrete Indizien würden sich vorliegend aus den Berichten der Dr. med. D.________, FMH Neurologie, vom 1. März 2016, der Dr. phil. C.________, Fachpsychologin Neuropsychologie FSP/SVNP, vom 30. November 2016 und der Dres. med. E.________ und F.________, Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie der G.________ GmbH, vom 7. Juli 2020 ergeben.  
 
4.2.1. Dr. med. D.________ berichtete am 1. März 2016 von einer gegenüber Dezember 2012 verschlechterten neuropsychologischen Symptomatik des Beschwerdeführers. Dessen Leistungsfähigkeit schätzte die Neurologin - wie bereits in ihrem Bericht vom 13. Dezember 2012 - auf höchstens 50 % ein. Auch wenn sie ausdrücklich eine nochmalige IV-Anmeldung empfahl, ging sie doch von einer unveränderten Einschränkung der Leistungsfähigkeit aus, womit in diesem Bericht kein Nachweis einer invalidenversicherungsrechtlich relevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes in der Zeit ab dem 25. August 2015 erblickt werden kann.  
 
4.2.2. In ihrem Bericht vom 26. November 2016 kam Dr. phil. C.________ zum Schluss, der Beschwerdeführer leide an einer mittelgradigen neuropsychologischen Störung, weshalb ihm seine bisherige Tätigkeit nicht mehr zumutbar sei und er in einer angepassten Tätigkeit zu 30 bis 50 % arbeitsfähig sei. Die Neuropsychologin äusserte sich nicht ausdrücklich zur Frage, seit wann diese Störung im von ihr geschilderten Ausmass bestanden hatte. Allerdings merkte sie an, die Diskrepanz ihrer Einschätzung zu denjenigen der Experten der PMEDA resultiere daraus, dass diese vor Erstellen des Gutachtens vom 29. April 2015 nur wenige Tests durchgeführt und damit die Zusammenhänge zwischen Gehirn und Verhalten nicht umfassend geprüft hätten. Die Neuropsychologin ging somit davon aus, dass die Störung bereits im April 2015 vorgelegen hatte, aber von den Experten der PMEDA nicht ausreichend erfasst worden war. Damit besteht indessen kein Widerspruch zwischen ihrer Einschätzung und der von der Vorinstanz gestützt auf das Gutachten der SMAB vom 30. März 2020 (inkl. ergänzender Stellungnahme vom 29. Juli 2021) getroffenen Feststellung, es sei in der Zeit seit der rechtskräftigen Rentenablehnung vom 25. August 2015 nicht zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen. Der Bericht der Dr. phil. C.________ stellt somit eine bloss abweichende Würdigung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Gesundheitszustandes dar, und kann keine Revision im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG begründen.  
 
4.2.3. Die Dres. med. E.________ und F.________ diagnostizierten in ihrem Bericht vom 7. Juli 2020 eine einfache Störung der Aufmerksamkeit (F90.0) und ein organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma (F07.2). Bereits in der Kindheit sei ein frühkindliches psychoorganisches Syndrom diagnostiziert worden, zudem sei 2016 ein mit ADHS-Symptomatiken konnotierter Gendefekt festgestellt worden. Es sei davon auszugehen, dass die ADHS ins Erwachsenenalter perseveriert hatte und durch den Unfall im Jahre 2012 die Symptomatik verschlimmert wurde. Aufgrund seines Leidens sei der Beschwerdeführer vollständig arbeitsunfähig. Auch in diesem Bericht finden sich jedoch keine Hinweise auf eine relevante Veränderung des Gesundheitszustandes im vorliegend interessierenden Zeitraum ab 25. August 2015.  
 
4.3. Zusammenfassend ist aus keinem der vom Beschwerdeführer angerufenen Berichte eine relevante Veränderung des Gesundheitszustandes in der Zeit seit der rechtskräftigen Rentenablehnung am 25. August 2015 abzuleiten. Entsprechend können diese nicht als Indiz gegen die Zuverlässigkeit der Schlussfolgerungen der Experten der SMAB, die keine solche Verschlechterung beschreiben, dienen. Hat die Vorinstanz demnach kein Bundesrecht verletzt, als es eine solche Verschlechterung und damit einen Revisionsgrund im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG verneint hat, ist der Rentenanspruch des Beschwerdeführers nicht umfassend neu zu prüfen. Da es nicht der Sozialversicherungsgerichtsbarkeit obliegt, medizinisch-wissenschaftliche Kontroversen zu entscheiden, sondern lediglich im Einzelfall die Leistungsansprüche aufgrund der im konkreten Fall gegebenen Verhältnisse und unter Berücksichtigung der medizinischen Lehrmeinungen festzusetzen (vgl. auch BGE 134 V 231 E. 5.3; Urteil 8C_336/2016 vom 3. August 2016 E. 3), erübrigt sich damit eine Auseinandersetzung mit der von den beteiligten medizinischen Fachpersonen kontrovers beurteilten Frage des aktuellen Gesundheitszustands und der aktuellen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers. Vorinstanz und Verwaltung haben einen Rentenanspruch zu Recht verneint; die Beschwerde ist damit abzuweisen.  
 
5.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und die Dr. Elisabeth Glättli, Rechtsanwältin wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 23. April 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold