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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_963/2021  
 
 
Urteil vom 26. September 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kantonsgericht Schwyz,  
Kollegiumstrasse 28, 6430 Schwyz. 
 
Gegenstand 
Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands; rechtliches Gehör, Rechtsverweigerung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Schwyz, Kantonsgerichtsvizepräsidentin, vom 6. August 2021 (BEK 2021 74). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Rechtsanwalt A.________ vertrat in einem Strafverfahren gegen B.________ und C.________ wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde als unentgeltlicher Rechtsbeistand den Privatkläger D.________. Dieser meldete gegen die in der genannten Sache ergangenen Urteile des Bezirksgerichts March vom 8. Oktober 2020 Berufung an. Noch vor Einreichung der Berufungserklärung führte Rechtsanwalt A.________ mit B.________ aussergerichtliche Vergleichsverhandlungen, die zum Abschluss eines Vergleichs führten. Im Anschluss zog D.________ seine Berufungsanmeldung, soweit B.________ betreffend, mit Schreiben vom 23. November 2020 zurück. 
 
B.  
Rechtsanwalt A.________ ist der Auffassung, dass ihn der Staat für seine Aufwendungen in den aussergerichtlichen Verhandlungen in der Zeit vom 21. Oktober bis am 23. November 2020 zu entschädigen habe. Auf telefonische Nachfrage, bei welcher Instanz die fraglichen Aufwände geltend zu machen seien, teilte ihm das Kantonsgericht Schwyz (Berufungsinstanz) mit, dass kein Verfahren gegen B.________ hängig sei, weshalb die Bemühungen auch nicht vom Kantonsgericht zu entschädigen seien. In der Folge gelangte Rechtsanwalt A.________ an das Bezirksgericht March und ersuchte um Entschädigung seiner nach Eröffnung des erstinstanzlichen Urteils erbrachten Aufwände. Mit Schreiben vom 12. Mai 2021 teilte ihm das Bezirksgericht March mit, dass keine Grundlage dafür bestehe, die streitigen Bemühungen aus der Gerichtskasse zu entschädigen. 
 
C.  
Gegen dieses Schreiben erhob Rechtsanwalt A.________ Beschwerde beim Kantonsgericht Schwyz. Dieses trat auf die Beschwerde mit Verfügung vom 6. August 2021 nicht ein. 
 
D.  
Rechtsanwalt A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er sei vom Kanton Schwyz für die im Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren angefallenen Bemühungen angemessen zu entschädigen. Ebenso sei er vom Kanton Schwyz für die im Nachgang zur Urteilseröffnung in der Strafsache gegen B.________ erbrachten Bemühungen angemessen zu entschädigen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Kantonsgericht Schwyz schliesst in seiner Stellungnahme an das Bundesgericht auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer reichte eine Replik ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegenstand der Beschwerde ist eine Verfügung des Kantonsgerichts Schwyz. Sie betrifft ein Schreiben des Bezirksgerichts March, mittels welchem ein vom Beschwerdeführer geltend gemachter Entschädigungsanspruch abschlägig beantwortet wurde. Es liegt folglich kein Fall von Art. 138 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO vor, der die Zuständigkeit des Bundesstrafgerichts zur Folge hätte. Der Beschwerdeführer ist berechtigt, die vorinstanzliche Verfügung mit Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht anzufechten (BGE 140 IV 213 E. 1.7; Urteil 6B_1252/2016 vom 9. November 2017 E. 1 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 143 IV 453). 
 
2.  
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz wäre als kantonale Beschwerdeinstanz verpflichtet gewesen, inhaltlich über den Entschädigungsanspruch zu befinden. Insoweit er vor Bundesgericht den Vorwurf der Rechtsverweigerung erhebt und eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht, braucht darauf mit Blick auf den Ausgang des Verfahrens nicht näher eingegangen zu werden. Jedenfalls führt die materielle Prüfung der Streitsache zu einer Abweisung der Beschwerde (vgl. E. 3 hiernach). 
Selbst wenn der Gehörsanspruch des Beschwerdeführers im vorinstanzlichen Verfahren verletzt worden sein sollte, wäre vorliegend auf eine Rückweisung zu verzichten gewesen: Wenngleich der Anspruch auf rechtliches Gehör formeller Natur ist und seine Verletzung grundsätzlich ungeachtet der materiellen Begründetheit der Beschwerde zu deren Gutheissung und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führte (BGE 143 IV 380 E. 1.4.1; 142 II 218 E. 2.8.1; 137 I 195 E. 2.2; je mit Hinweis[en]), sollte eine Rückweisung - selbst bei schwerwiegenden Verletzungen des Gehörsanspruchs - nicht zu einem formalistischen Leerlauf führen (BGE 142 II 218 E. 2.8.1; 137 I 195 2.3.2; je mit Hinweisen). Eine im kantonalen Verfahren erfolgte Verletzung des rechtlichen Gehörs kann vor Bundesgericht denn auch geheilt werden, wenn ausschliesslich Rechtsfragen streitig sind, die das Bundesgericht mit freier Kognition beurteilen kann, und wenn dem Beschwerdeführer durch die Heilung kein Nachteil erwächst (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3 mit Hinweisen; 133 I 100 E. 4.9). Aus der Begründung der angefochtenen Verfügung, wonach die Forderung des Beschwerdeführers nicht belegt und die Voraussetzungen von Art. 136 StPO nicht dargetan seien, ist zu schliessen, dass die Vorinstanz ihm auch in materieller Hinsicht keinen Anspruch auf Entschädigung zuerkennt. Gleiches ergibt sich aus ihrer Stellungnahme im bundesgerichtlichen Verfahren. Auch der Beschwerdeführer setzt sich in seiner Beschwerde und der Replik ans Bundesgericht einlässlich mit materiell-rechtlichen Fragestellungen auseinander. Die streitige Frage, ob er für seine im Nachgang an das erstinstanzliche Urteil erbrachten aussergerichtlichen Leistungen eine Entschädigung beanspruchen kann, ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht mit voller Kognition überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Der unentgeltliche Rechtsbeistand erfüllt eine staatliche Aufgabe, die durch das kantonale öffentliche Recht geregelt wird. Mit seiner Einsetzung entsteht zwischen ihm und dem Staat ein besonderes Rechtsverhältnis. Gestützt darauf hat der Anwalt eine öffentlich-rechtliche Forderung gegen den Staat auf Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Bestimmungen. Im Grundsatz sind Rechtsanwälte für amtliche Mandate von Verfassungs wegen (Art. 29 Abs. 3 BV) angemessen zu honorieren (vgl. BGE 141 I 124 E. 3.1; 139 IV 261 E. 2.2.1; je mit Hinweisen).  
 
3.2. Wer ein Rechtsmittel ergriffen hat, kann dieses zurückziehen (Art. 386 Abs. 2 StPO). Der Rückzug eines Rechtsmittels ist endgültig, es sei denn, die Partei sei durch Täuschung, eine Straftat oder eine unrichtige behördliche Auskunft zu ihrer Erklärung veranlasst worden (Art. 386 Abs. 3 StPO). Der Rückzug einer Berufung ist daher in der Regel verbindlich (BGE 147 IV 36 E. 2.6.2). Das Gericht schreibt hierauf den Fall als durch Rückzug erledigt mit Beschluss bzw. Verfügung ab (SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 386 StPO). Nach dem Rückzug ist die Situation nicht anders, als wäre das Rechtsmittel nie erhoben worden. Das Verfahren vor der Berufungs- oder Beschwerdeinstanz wird mit dem Rückzug unmittelbar beendet und der Abschreibungsbeschluss hat lediglich deklaratorischen Charakter (BGE 141 IV 269 E. 2.2.3 mit Hinweisen; Urteil 6B_790/2015 vom 6. November 2015 E. 3.3; zum Rückzug der Einsprache gegen einen Strafbefehl: Urteile 6B_442/2021 vom 30. September 2021 E. 4.1; 6B_783/2017 vom 12. März 2018 E. 3.3.2; je mit Hinweis).  
 
3.3.  
 
3.3.1. Während der Privatkläger im erstinstanzlichen Verfahren noch die Bezahlung von Schadenersatz und einer Genugtuung von je mehreren tausend Franken beantragt hatte (Akten Vorinstanz act. 34), verlangte er berufungshalber einzig, dem freigesprochenen Beschuldigten B.________ in Abänderung von Ziff. 6 des angefochtenen Urteilsdispositivs keine Parteientschädigung bezahlen zu müssen. Die zu diesem Zweck geführten aussergerichtlichen Vergleichsgespräche dienten, wie vom Beschwerdeführer selbst vorgebracht, dem mit der Berufung angestrebten Ziel einer teilweisen Abänderung des angefochtenen Urteils und fanden gewissermassen anstelle des Berufungsverfahrens statt. Sie betrafen mit anderen Worten bereits den Streitgegenstand des Rechtsmittelverfahrens und nicht mehr denjenigen des erstinstanzlichen Verfahrens. Die fraglichen Aufwände können deshalb nicht dem erstinstanzlichen Verfahren zugerechnet werden.  
 
3.3.2. Mit dem Rückzug der Berufungsanmeldung fand das Berufungsverfahren unmittelbar seinen Abschluss (siehe E. 3.2 hiervor). Einem Rechtsanwalt müssen die Wirkungen des Rückzugs einer Berufung grundsätzlich bekannt sein (BGE 147 IV 36 E. 2.6.2). Will der unentgeltliche Rechtsvertreter des Privatklägers, der sein Rechtsmittel zurückzieht, noch nicht berücksichtigte Entschädigungsansprüche einfordern, ist dies im Zeitpunkt des Rückzugs zu tun, damit die Rechtsmittelinstanz im anschliessenden Abschreibungsentscheid darüber befinden kann (vgl. Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 2 StPO und Art. 421 Abs. 1 i.V.m. Art. 422 Abs. 2 lit. a StPO). Eine spätere Geltendmachtung ist - unabhängig davon, ob das Verfahren tatsächlich bereits abgeschrieben wurde - ausgeschlossen, da der Abschreibungsverfügung wie erwähnt nur deklaratorische Wirkung zukommt. Das Verfahren gelangte mit dem Rückzug des Rechtsmittels vorliegend zu einem Ende, weshalb es weiteren Entschädigungsforderungen danach an einer Grundlage fehlt. Der Beschwerdeführer hatte die Berufungsanmeldung im Namen seines Mandanten bereits am 23. November 2020 zurückgezogen, beantragte gemäss eigenen Angaben aber erst am 3. Mai 2021 die Entschädigung seiner (über die üblichen Abschlussarbeiten hinausgehenden) Bemühungen. Dieses Ersuchen erfolgte zu spät. Es existierte keine prozedurale Grundlage mehr, die eine Vergütung seiner Aufwendungen ermöglicht hätte. Die Behauptung des Beschwerdeführers, sein Mandat sei nie formell beendet worden, ändert daran nichts, zumal kein Fall vorliegt, in dem die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege nachträglich dahingefallen sind und deshalb ein Widerruf nach Art. 137 i.V.m. Art. 134 Abs. 1 StPO hätte erfolgen müssen (vgl. VIKTOR LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 3. Aufl. 2020, N. 7 zu Art. 134 StPO). Mangels Geltendmachung vor Abschluss des Verfahrens ist dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf Entschädigung seiner aussergerichtlichen Bemühungen abzusprechen.  
 
4.  
Seinen Antrag auf angemessene Entschädigung für das "erstinstanzliche Beschwerdeverfahren" begründet der Beschwerdeführer nicht, weshalb darauf nicht eingetreten wird (Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
5.  
Die Beschwerde ist im Ergebnis abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der verhältnismässig geringe Aufwand ist bei der Bemessung der Gerichtskosten zu berücksichtigen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Kantonsgericht Schwyz, Kantonsgerichtsvizepräsidentin, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. September 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler