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Ecriture agrandie
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_93/2023  
 
 
Urteil vom 5. September 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichterin Hänni, 
Gerichtsschreiber Hongler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Fürsprech Jürg Walker, 
 
gegen  
 
Departement des Innern des Kantons Solothurn, vertreten durch Migrationsamt, Ambassadorenhof, Riedholzplatz 3, 4509 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Erlöschen der Niederlassungsbewilligung, Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung, Wegweisung aus der Schweiz, unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn 
vom 12. Januar 2023 (VWBES.2022.331). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (geb. 1970) ist portugiesische Staatsangehörige. Sie reiste am 1. August 1989 im Rahmen des Familiennachzugs zu ihrem in der Schweiz niedergelassenen Ehemann, dem portugiesischen Staatsangehörigen B.________ (geb. 1961), woraufhin ihr zunächst eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde. Ab dem 24. April 1991 verfügte sie über eine Niederlassungsbewilligung. Am 13. Juli 2000 wurde die Ehe geschieden. Die Niederlassungsbewilligung von A.________ wurde weiterhin verlängert, letztmals bis zum 31. März 2018. 
 
B.  
 
B.a. Am 2. Februar 2018 ersuchte A.________ um Verlängerung der Kontrollfrist ihrer Niederlassungsbewilligung. Mit Verfügung vom 25. August 2022 stellte das Migrationsamt des Kantons Solothurn fest, dass die Niederlassungsbewilligung EU/EFTA von A.________ erloschen sei, und dass ihr auch keine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA erteilt werde. Sodann wies das Migrationsamt A.________ weg und hielt sie an, die Schweiz innert angesetzter Frist zu verlassen.  
 
B.b. Gegen diesen Entscheid erhob A.________ am 7. September 2022 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn. Mit Verfügung vom 12. Januar 2023 verweigerte das Verwaltungsgericht die unentgeltliche Rechtspflege; es setzte A.________ Frist bis zum 2. Februar 2023, um einen Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 1'500.-- zu leisten, ansonsten auf die Beschwerde nicht eingetreten werde. Auf entsprechendes Ersuchen hin verlängerte das Verwaltungsgericht die Frist zur Bezahlung des Kostenvorschusses bis zum 28. Februar 2023.  
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 13. Februar 2023 beantragt A.________ dem Bundesgericht, die Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 12. Januar 2023 sei aufzuheben; das Verwaltungsgericht sei zu verpflichten, der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege mit unentgeltlicher Rechtspflege (recte: Rechtsverbeiständung) durch den unterzeichneten Rechtsvertreter zu gewähren. 
Das Migrationsamt und das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
Die Abteilungspräsidentin legte der Beschwerde am 14. Februar 2023 antragsgemäss aufschiebende Wirkung bei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim kantonal letztinstanzlichen Entscheid (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege handelt es sich um einen Zwischenentscheid. Als solcher kann er angefochten werden, falls er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Mit Verfügung vom 12. Januar 2023 wurde die Beschwerdeführerin zugleich zur Bezahlung eines Kostenvorschusses aufgefordert, verbunden mit der Androhung, dass bei Nichtbezahlung auf die Beschwerde nicht eingetreten werde. Die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege kann daher einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken (BGE 133 V 402 E. 1.2; 128 V 199 E. 2; Urteil 2C_859/2021 vom 8. April 2022 E. 1.1).  
 
1.2. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens sind Zwischenentscheide mit dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel anzufechten (BGE 137 III 380 E. 1.1; 133 III 645 E. 2.2; Urteil 2C_859/2021 vom 8. April 2022 E. 1.2). Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Gegen Entscheide über die Feststellung des Erlöschens einer Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (BGE 135 II 1 E. 1.2.1; Urteil 2C_117/2022 vom 24. Juni 2022 E. 2.1). Als portugiesische Staatsangehörige kann sich die Beschwerdeführerin zudem gestützt auf das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) in vertretbarer Weise auf einen potentiellen Aufenthaltsanspruch berufen (BGE 136 II 177 E. 1.1; Urteil 2C_393/2021 vom 25. Oktober 2021 E. 1.1).  
 
Da auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 und Abs. 3 BV: die Vorinstanz habe ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zu Unrecht wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen und diese Verfügung ungenügend begründet. 
 
2.1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verlangt, dass die Behörde die rechtserheblichen Vorbringen der Parteien tatsächlich hört, ernsthaft prüft und bei der Entscheidfindung angemessen berücksichtigt (BGE 136 I 184 E. 2.2.1; 134 I 83 E. 4.1; Urteil 2C_277/2022 vom 3. Juli 2023 E. 3.1). Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 142 II 49 E. 9.2; 137 II 266 E. 3.2; 136 I 229 E. 5.2; Urteil 2C_277/2022 vom 3. Juli 2023 E. 3.1).  
Die Begründungspflicht nach Art. 29 Abs. 2 BV findet für das Verfahren vor der letzten kantonalen Instanz unter anderem Ausdruck in Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG (Urteil 2C_859/2021 vom 8. April 2022 E. 3.1). Nach Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG müssen beim Bundesgericht anfechtbare Entscheide die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten. Der vorinstanzliche Entscheid hat eindeutig aufzuzeigen, auf welchem festgestellten Sachverhalt und auf welchen rechtlichen Überlegungen er beruht (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1 mit Hinweisen). Die Begründung ist insbesondere mangelhaft, wenn der angefochtene Entscheid jene tatsächlichen Feststellungen nicht trifft, die zur Überprüfung des eidgenössischen Rechts notwendig sind oder wenn die rechtliche Begründung des angefochtenen Entscheids so lückenhaft oder unvollständig ist, dass nicht geprüft werden kann, wie das eidgenössische Recht angewendet wurde. Die Begründung ist ferner mangelhaft, wenn einzelne Tatbestandsmerkmale, die für die Subsumtion unter eine gesetzliche Norm von Bedeutung sind, von der Vorinstanz nicht oder nicht genügend abgeklärt wurden (BGE 119 IV 284 E. 5b; Urteil 2C_135/2022 vom 10. Februar 2022 E. 2.1). 
Der Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung muss den Begründungsanforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG genügen, insbesondere dann, wenn das Gesuch abgewiesen wird (Urteile 2C_859/2021 vom 8. April 2022 E. 3.1; 2C_135/2022 vom 10. Februar 2022 E. 2.1). Genügt ein Entscheid den genannten Anforderungen nicht, kann das Bundesgericht ihn in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Hingegen ist es nicht seine Aufgabe, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1). 
 
2.2. Die (gesamte) Verfügung des Verwaltungsgerichts Solothurn umfasst nur etwas mehr als eine A-4 Seite. Neben dem Rubrum, dem Dispositiv, und der Rechtsmittelbelehrung enthält sie die folgende, knapp sechszeilige "Kurzbegründung":  
Nach vorläufiger summarischer Prüfung ist die Niederlassungsbewilligung erloschen, weil sich die Beschwerdeführerin während etwa einem Jahr im Ausland aufgehalten hat. Die Beschwerdeführerin war während Jahren erwerbslos. Mit ihrem Nähatelier erzielt sie nun keine nennenswerten Einnahmen. Sie ist seit Jahren von der Sozialhilfe abhängig. Sie hat inzwischen fast CHF 900'000.00 bezogen. 
 
Demgegenüber ergibt sich aus der Verfügung des Verwaltungsgerichts nicht, welche Rechtsgrundlagen die Vorinstanz ihrem Entscheid betreffend die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege zu Grunde legt und gestützt auf welche (rechtlichen) Überlegungen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird. Schliesslich ergibt sich aus der Verfügung auch nicht, dass die Beschwerdeführerin EU/EFTA-Staatsangehörige ist, und dass ein freizügigkeitsrechtlicher Aufenthaltsanspruch Verfahrensgegenstand bildet. Die Begründung der Vorinstanz besteht - ausschliesslich - aus den oben zitierten, nicht näher erläuterten Feststellungen zum Sachverhalt. 
 
2.3. Der angefochtene Entscheid wird den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG und Art. 29 Abs. 2 BV nicht gerecht:  
Auch wenn die Vorinstanz die Sache nur summarisch prüft, muss sich aus ihrem Zwischenentscheid über die unentgeltliche Rechtspflege doch ergeben, auf welchen Sachverhalt sie abstellt und warum sie gestützt auf alle entscheidwesentlichen Aspekte davon ausgeht, die Eingabe sei zum Vornherein aussichtslos (vgl. die Urteile 2C_859/2021 vom 8. April 2022 E. 3.3; 2C_135/2022 vom 10. Februar 2022 E. 2.3). Vorliegend ist nicht ersichtlich, worauf die (wenigen) in der Verfügung enthaltenen Feststellungen zum rechtserheblichen Sachverhalt basieren, obwohl dieser sowohl in Bezug auf die Landesabwesenheit der Beschwerdeführerin (betreffend das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung) als auch auf ihre Erwerbstätigkeit (hinsichtlich des freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsanspruchs) umstritten ist und einen wesentlichen Teil der Beurteilung der Hauptsache bildet. Aus der Kurzbegründung der Vorinstanz ergibt sich jedenfalls nicht, ob (respektive inwiefern) sie die diesbezüglichen Einwände der Beschwerdeführerin - die vor der Vorinstanz verschiedene Belege (darunter Verfügungen der Steuerbehörden, Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen und ein aktuelles Sozialhilfebudget) eingereicht hatte - bei ihrer summarischen Beurteilung miteinbezogen hat. Die Vorinstanz legt auch nicht dar, was sie aus ihren Sachverhaltsfeststellungen ableitet: in der angefochtenen Verfügung fehlt jegliche rechtliche Würdigung, sowohl in Bezug auf die unentgeltliche Rechtspflege als solche, als auch betreffend die in diesem Rahmen für die Beurteilung der Aussichtslosigkeit summarisch zu prüfenden Bestimmungen des Bundes- und Völkerrechts. Ohne diese Würdigung kann aber auch nicht überprüft werden, ob die Vorinstanz die relevanten rechtlichen Bestimmungen korrekt angewendet hat. 
Nach dem Gesagten genügt der angefochtene Entscheid den gesetzes- und verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen (vorne E. 2.1) nicht. Er ist daher aufzuheben und die Sache ist zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Damit erübrigt sich auch die Prüfung der weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin. 
 
3.  
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Kosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Solothurn hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird dadurch gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 12. Januar 2023 wird aufgehoben und die Sache zum neuen Entscheid an dieses zurückgewiesen. 
 
2.  
 
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.  
 
2.2. Der Kanton Solothurn hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.  
 
2.3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als gegenstandslos abgeschrieben.  
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. September 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: D. Hongler