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Ecriture agrandie
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_246/2024  
 
 
Urteil vom 16. Mai 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Kim Mauerhofer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Obwalden, 
Abteilung II Wirtschaftsdelikte, 
Kreuzstrasse 2, Postfach 1242, 6371 Stans. 
 
Gegenstand 
Amtliche Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Obwalden vom 16. Januar 2024 (23/019/NWE). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Gegen A.________ und B.________ läuft ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf mehrfaches Erschleichen einer falschen Beurkundung. Die beiden werden verdächtigt, anlässlich der Gründung von drei Gesellschaften am 26. Oktober 2017, am 26. September 2019 und am 22. Oktober 2019 den beurkundenden Notar bzw. den Handelsregisterführer getäuscht zu haben. 
 
B.  
Anlässlich einer delegierten Einvernahme im Anschluss an eine Hausdurchsuchung am 23. August 2022 beantragte Rechtsanwältin Kim Mauerhofer, Bern, mündlich, sie sei A.________ aufgrund der Komplexität des Falles und der drohenden Untersuchungshaft als notwendige Verteidigerin zur Seite zu stellen. Am 24. August 2022 erläuterte die Staatsanwaltschaft Obwalden anlässlich eines Telefonats mit Rechtsanwältin Mauerhofer, dass auch ihres Erachtens ein Fall notwendiger Verteidigung vorliege, sie (Rechtsanwältin Mauerhofer) von A.________ allerdings bereits als Wahlverteidigung beigezogen worden sei. Rechtsanwältin Mauerhofer erklärte daraufhin, sie teile die Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht, werde jedoch bei A.________ abklären, ob Prozessarmut als Begründung für die amtliche Verteidigung in Frage komme. Mit Schreiben vom 20. Februar 2023 räumte die Staatsanwaltschaft A.________ eine Frist ein zur Mitteilung, ob am Gesuch um amtliche Verteidigung festgehalten werde. Gegebenenfalls solle er das Gesuch begründen und insbesondere seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse darlegen und belegen. Mit Eingabe vom 13. März 2023 und nachträglicher Ergänzung per E-Mail hielt A.________ am Gesuch um amtliche Verteidigung fest. 
Mit Verfügung vom 14. März 2023 hiess die Staatsanwaltschaft das Gesuch um amtliche Verteidigung teilweise gut und setzte Rechtsanwältin Mauerhofer "mit Wirkung ab heute" als amtliche Verteidigerin ein. Dagegen erhob A.________ Beschwerde an das Obergericht des Kantons Obwalden, wobei er beantragte, die Verfügung der Staatsanwaltschaft sei dahingehend aufzuheben und anzupassen, als dass Rechtsanwältin Mauerhofer mit Wirkung per 23. August 2022 als seine amtliche (notwendige) Verteidigerin im Verfahren STA-Nr. A2O 21 51000 einzusetzen sei. 
Mit Beschluss vom 16. Januar 2024 entschied das Obergericht was folgt: 
 
"1. Die Beschwerde wird insoweit gutgeheissen, dass die Verfügung der Staatsanwaltschaft Obwalden vom 14. März 2023 aufgehoben wird. 
2. Das Gesuch um Einsetzung von Rechtsanwältin lic.iur. Kim Mauerhofer, Bern, als amtliche Verteidigerin wird abgewiesen. 
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1'409.90 (Fr. 1'200.-- Gerichtsgebühr, Fr. 150.-- Schreibgebühren und Fr. 59.90 Kanzleikosten) werden A.________ auferlegt. 
4. Es werden keine Parteientschädigungen ausgerichtet. 
5. [Mitteilung]" 
 
C.  
A.________ verlangt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht, der Beschluss des Obergerichts sei vollumfänglich aufzuheben und Rechtsanwältin Kim Mauerhofer im Verfahren STA-Nr. A2O 21 51000 als seine amtliche (notwendige) Verteidigerin einzusetzen mit Wirkung per 23. August 2022. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen. 
Die Staatsanwaltschaft hat auf Vernehmlassung verzichtet. Das Obergericht beantragt, "auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventualiter sie abzuweisen, soweit darauf einzutreten sein wird". A.________ hat eine Replik eingereicht. 
Mit Verfügung vom 28. März 2024 wurde der Beschwerde auf Antrag von A.________ die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Entscheid in einer Strafsache (Art. 78 Abs. 1 BGG) einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von Art. 80 Abs. 1 und 2 BGG. Dieser schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer indessen nicht ab und betrifft weder die Zuständigkeit noch den Ausstand im Sinne von Art. 92 BGG. Demnach ist er gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur dann unmittelbar mit Beschwerde an das Bundesgericht anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Dies ist bei der vorliegenden Abweisung eines Gesuchs um Gewährung der amtlichen Verteidigung der Fall (BGE 140 IV 202 E. 2.2; 133 IV 335 E. 4; Urteile 7B_213/2024 vom 12. April 2023 E. 1.3; 7B_201/2022 vom 6. November 2023 E. 1.3; je mit Hinweisen). Da auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt in formeller Hinsicht, die Vorinstanz hätte die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. März 2023 nicht zu seinen Ungunsten abändern dürfen. Dieses Vorgehen verstosse gegen das Verschlechterungsverbot gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO. Unabhängig davon hätte die Vorinstanz ihn jedenfalls vorgängig darauf aufmerksam machen müssen, dass sie in Betracht zieht, die Einsetzung der amtlichen Verteidigung als solche vollumfänglich aufzuheben, und ihm dadurch Gelegenheit geben, sich dazu zu äussern.  
 
2.2. Gemäss Art. 391 StPO ist die Rechtsmittelinstanz bei ihrem Entscheid nicht gebunden an: a. die Begründungen der Parteien; b. die Anträge der Parteien, ausser wenn sie Zivilklagen beurteilt (Abs. 1). Sie darf Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten oder verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist; vorbehalten bleibt eine strengere Bestrafung aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten (Abs. 2). Sie darf Entscheide im Zivilpunkt nicht zum Nachteil der Privatklägerschaft abändern, wenn nur von dieser ein Rechtsmittel ergriffen worden ist (Abs. 3).  
Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung wiederholt dargelegt, dass das sogenannte Verschlechterungsverbot oder Verbot der reformatio in peius gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO bei Beschwerden gegen prozessuale Anordnungen nach Art. 393 StPO keine Anwendung findet. Das Verbot soll im Strafrecht nämlich sicherstellen, dass die angeklagte oder verurteilte Person ihr Rechtsmittelrecht ausüben kann, ohne Gefahr zu laufen, dass das Urteil über die Straf- oder Zivilklage zu ihrem Nachteil geändert wird (siehe Urteile 1B_188/2021 vom 18. Mai 2021 E. 3; 1B_189/2016 vom 13. Juni 2016 E. 3; je mit Hinweisen zum Meinungsstand in der Lehre). In anderen Urteilen hat das Bundesgericht dagegen präzisiert, dass das Verbot auch dann verletzt ist, wenn die Kosten- und Entschädigungsregelung zum Nachteil des Rechtsmittelklägers bzw. der Rechtsmittelklägerin geändert wird (Urteile 6B_1053/2021 vom 6. Juli 2023 E. 2.2; 6B_478/2015 vom 12. Februar 2016 E. 1.4; 6B_1046/2013 vom 14. Mai 2014 E. 2.3). Gemäss einem amtlich publizierten Urteil greift das Verbot schliesslich ebenfalls, wenn der amtliche Verteidiger Beschwerde gegen die Festsetzung seiner Entschädigung erhebt (BGE 149 IV 91 E. 4.1.4 mit Hinweisen).  
 
2.3. Mit Blick auf diese Rechtsprechung geht die Vorinstanz zu Recht davon aus, dass sie gemäss Art. 391 Abs. 1 lit. b StPO die angefochtene Verfügung grundsätzlich zu Ungunsten des Beschwerdeführers abändern darf. Beabsichtigt eine Behörde jedoch, auf ein Rechtsmittel hin eine reformatio in peius vorzunehmen, d.h. die fragliche Verfügung zuungunsten einer Partei zu ändern, hat sie die betroffene Partei vorgängig darauf aufmerksam zu machen und ihr Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen. Dadurch hat die von der Verschlechterung bedrohte beschwerdeführende Partei die Möglichkeit, ihr Rechtsmittel zurückzuziehen und damit den in Aussicht stehenden ungünstigen Entscheid abzuwenden. Dieser Grundsatz, der für das verwaltungsrechtliche Beschwerdeverfahren in Art. 62 Abs. 3 VwVG ausdrücklich verankert ist, fliesst direkt aus der verfassungsrechtlichen Garantie des rechtlichen Gehörs gemäss Art. 29 Abs. 2 BV (BGE 131 V 414 E. 1; 129 II 385 E. 4.4.3; 122 V 166 E. 2a; Urteil 9C_440/2020 vom 25. Mai 2021 E. 4.2.1, nicht publ. in 147 V 259; teils mit weiteren Hinweisen) und gilt daher auch im Beschwerdeverfahren nach der Strafprozessordnung (siehe Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO; BGE 146 IV 172 E. 3.4.2; Urteil 6B_652/2023 vom 11. Dezember 2023 E. 5.3.1; je mit Hinweis).  
 
2.4. Die Vorinstanz war demnach nicht befugt, die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. März 2023 in (teilweiser) "Gutheissung" der Beschwerde aufzuheben und durch einen für den Beschwerdeführer ungünstigeren Entscheid zu ersetzen, ohne diesen vorgängig auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Daran ändert entgegen der Auffassung der Vorinstanz nichts, dass die Beschwerdegegnerin in ihrer Vernehmlassung vom 12. April 2023 ausgeführt hatte, die angefochtene Verfügung sei "zugegebenermassen bundesrechtswidrig, wenn auch in genau gegenteiliger Richtung, als der Beschwerdeführer dies geltend macht", da die Voraussetzungen der Anordnung der amtlichen Verteidigung "weder per Datum der Stellung des Antrags noch per Datum der angefochtenen Verfügung" erfüllt gewesen seien. Darin, dass sie dem Beschwerdeführer diese Eingabe zustellte und ihm eine Frist zur Replik ansetzte, ist kein "Wink mit dem Zaunpfahl" zu erkennen, wie die Vorinstanz meint. Ihr Vorgehen verletzt Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO.  
 
3.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur weiteren Instruktion im Sinne der Erwägungen und gegebenenfalls zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Kanton Obwalden trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG), hat den Beschwerdeführer aber für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Obwalden vom 16. Januar 2024 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Obwalden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Obwalden, Abteilung II Wirtschaftsdelikte, und dem Obergericht des Kantons Obwalden schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Mai 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern