Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_123/2023
Urteil vom 1. Februar 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber,
Gerichtsschreiberin Dormann.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Haag,
Beschwerdeführerin,
gegen
Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft,
Richtiplatz 1, 8304 Wallisellen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Berufliche Vorsorge,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 14. Dezember 2022 (II 2022 59).
Sachverhalt:
A.
Die 1977 geborene A.________ war vom 1. April 2013 bis zum 31. Dezember 2018 bei der B.________ GmbH in einem Teilzeitpensum angestellt und deswegen bei der Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz) für die berufliche Vorsorge versichert. Im Februar 2019 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Schwyz ging davon aus, dass die Versicherte ohne gesundheitliche Einschränkung nunmehr in einem Vollzeitpensum arbeiten würde; sie ermittelte durch Einkommensvergleich einen Invaliditätsgrad von 56 % und sprach der Versicherten folglich eine halbe Invalidenrente ab dem 1. August 2019 zu.
Die Allianz verneinte ihre Leistungspflicht in diesem Zusammenhang im Wesentlichen mit der Begründung, bezogen auf das bei ihr versicherte Arbeitspensum von 60 % betrage der berufsvorsorgerechtliche Invaliditätsgrad lediglich 27 %, was einen Rentenanspruch ausschliesse.
B.
Mit Klage vom 6. Juli 2022 liess A.________ beantragen, die Allianz sei zu verpflichten, ihr eine halbe Invalidenrente von monatlich Fr. 450.- und zwei halbe Kinderrenten von monatlich je Fr. 38.71 ab dem 1. November 2018 auszurichten, zuzüglich 5 % Zins ab jeweiligem Fälligkeitsdatum. Zudem sei die Allianz zu verpflichten, ihr die Kosten des mit der Klage eingereichten Kurzgutachtens des Prof. Dr. iur. C.________ vom 29. April 2022 von Fr. 2'940.20 zu bezahlen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz wies die Klage mit Urteil vom 14. Dezember 2022 ab.
C.
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Aufhebung des Urteils vom 14. Dezember 2022 beantragen und die Klagebegehren erneuern.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ).
2.
2.1. Anspruch auf Invalidenleistungen aus (obligatorischer) beruflicher Vorsorge haben u.a. Personen, die im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens 40 % invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert waren (Art. 23 lit. a BVG).
2.2. Bei teilzeitlich erwerbstätigen Versicherten ist in der beruflichen Vorsorge stets der Invaliditätsgrad im Erwerbsbereich massgebend, und zwar lediglich im Rahmen (und Umfang) der Versicherungsdeckung, wie sie nach dem konkreten Beschäftigungsumfang zur Zeit des Eintritts der berufsvorsorgerechtlich relevanten Arbeitsunfähigkeit bestanden hat. Eine Aufrechnung der Teilzeittätigkeit auf eine (hypothetische) Vollzeittätigkeit erfolgt - auch bei Anwendung des auf den 1. Januar 2018 eingeführten neuen Modells der gemischten Methode (Art. 27bis IVV [SR 831.201] in der bis Ende 2021 geltenden resp. in der aktuellen Fassung) - nicht (BGE 144 V 63 E. 6.2; 144 V 72 E. 5; Urteil 9C_569/2021 vom 22. Dezember 2021 E. 3.4). Hat die Invalidenversicherung den Invaliditätsgrad bezogen auf ein Vollzeitpensum ermittelt, rechnet die Vorsorgeeinrichtung das von der Invalidenversicherung festgesetzte Valideneinkommen, an das sie grundsätzlich gebunden ist, auf das ausgeübte Teilzeitpensum herunter und führt gestützt darauf (sowie auf die übrigen prinzipiell verbindlichen Parameter) einen neuen Einkommensvergleich durch (BGE 144 V 63 E. 6.3.2; SVR 2023 BVG Nr. 26 S. 90, 9C_578/2022 E. 3.2; 2021 IV Nr. 38 S. 116, 9C_552/2020 E. 3.2.2).
2.3. Gleiches gilt auch in der weitergehenden Vorsorge, wenn (wie hier) Reglement oder Statuten resp. gesetzliche Grundlagen nichts anderes vorsehen (vgl. BGE 136 V 65 E. 3.2).
3.
3.1. Hinsichtlich des Rentenanspruchs ist einzig zu prüfen, ob die Vorinstanz auf die soeben (in E. 2.2) erwähnte Rechtsprechung abstellen und das von der Invalidenversicherung für ein Vollzeitpensum festgesetzte Valideneinkommen entsprechend dem von der Beschwerdeführerin bei Eintritt der relevanten Arbeitsunfähigkeit ausgeübten Erwerbspensum auf 60 % reduzieren durfte.
3.2. Die Änderung einer Rechtsprechung muss sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend erachtet worden ist. Eine Praxisänderung lässt sich grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis des Gesetzeszwecks, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht (BGE 147 V 342 E. 5.5.1; 146 I 105 E. 5.2.2; 144 V 72 E. 5.3.2).
3.3. Die Vorinstanz hat zutreffend erkannt, dass sich das Bundesgericht in den am 7. März 2018 ergangenen BGE 144 V 63 und 144 V 72 ausführlich mit der Frage nach einer Änderung seiner langjährigen Rechtsprechung betreffend die Invaliditätsbemessung in der beruflichen Vorsorge auseinandergesetzt hatte. In Kenntnis und Würdigung insbesondere der von der Lehre (u.a. auch vom Verfasser des im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Kurzgutachtens) daran geäusserten Kritik, des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 2. Februar 2016 in Sachen
Di Trizio gegen die Schweiz (resp. des im Nachgang dazu eingeführten Modells der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung nach Art. 27bis IVV) und der unterschiedlichen Konzeptionen von beruflicher Vorsorge, Invaliden- und Unfallversicherung hatte es sich gegen eine Praxisänderung entschieden. Die Rechtsprechung gemäss BGE 144 V 63 und 144 V 72 wurde mehrfach bestätigt (vgl. Hinweise in vorangehender E. 2.2).
Weiter hat das kantonale Gericht insbesondere erwogen, die im Kurzgutachten vom 29. April 2022 erneut vorgebrachte Kritik sei unberechtigt, zumal sie nicht mit dem Zweck des BVG - allein die Erwerbstätigkeit zu versichern - vereinbar sei, sondern auf die Versicherung der nicht einer beruflichen (resp. erwerblichen) Tätigkeit gewidmeten Zeit abziele. Die Beschwerdeführerin habe im Wesentlichen die (bereits bekannte) gutachterliche Kritik an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wiederholt. Sie habe keinen Bezug auf den konkret zu beurteilenden Sachverhalt resp. die familiäre Situation genommen und die unterschiedlichen Konzeptionen von IVG und BVG ausgeblendet. Die behauptete EMRK- und BV-Widrigkeit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts gebe daher keinen Anlass zu einer Praxisänderung. Soweit die Invalidenrente nach IVG neben einer zumutbaren Erwerbstätigkeit den Existenzbedarf einer versicherten Person nicht decke, sprängen bei fehlender (wie auch bei zu geringer) Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge Ergänzungsleistungen in die Lücke. Die von der Beschwerdeführerin angestrebte Lösung könne nur auf politischem resp. gesetzgeberischem Weg und unter Preisgabe des Zwecks des BVG erreicht werden.
3.4.
3.4.1. Die Beschwerdeführerin spricht der einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Überzeugungskraft ab. Dabei beschränkt sie sich auf weiten Strecken darauf, ihre eigene, von der Vorinstanz abweichende Überzeugung darzulegen und im Wesentlichen wortwörtlich die in ihrer Klageschrift vorgebrachten Argumente zu wiederholen, ohne sich mit den entsprechenden Erwägungen des kantonalen Gerichts auseinanderzusetzen. Darauf ist nicht weiter einzugehen (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 161 E. 5.2; Urteil 8C_478/2023 vom 7. September 2023 E. 3).
Soweit die Beschwerdeführerin auf die invalidenversicherungsrechtliche Invaliditätsbemessung verweist, ergibt sich nichts zu ihren Gunsten. Die IV-Stelle nahm in concreto denn auch keine Hochrechnung auf ein Vollzeitpensum vor, sondern berücksichtigte von vornherein einen "Vollzeitlohn", weil sie neu von einer Erwerbstätigkeit im Vollzeitpensum statt wie früher im 60 %-Pensum ausging. Es leuchtet nicht ein, weshalb sich der neue Erwerbsstatus auch in der beruflichen Vorsorge niederschlagen müsste. Ohne den Statuswechsel hätte es auch in der Invalidenversicherung aufgrund der seit Januar 2018 geltenden Rechtslage mit der Hochrechnung des Valideneinkommens auf ein Vollzeitpensum nicht sein Bewenden gehabt. Vielmehr hätte die IV-Stelle den erwerblichen Invaliditätsgrad entsprechend dem Teilzeitpensum gewichten müssen (Art. 27bis Abs. 3 lit. b IVV in der bis Ende 2021 geltenden resp. Art. 27bis Abs. 2 lit. c IVV in der aktuellen Fassung), woraus für die Versicherte im Erwerbsbereich ein ebenfalls nicht rentenbegründender Invaliditätsgrad von 34 % resultiert hätte. Diesbezügliche Weiterungen erübrigen sich, zumal die Beschwerdeführerin dazu keine Ausführungen macht. Was die Invaliditätsbemessung in der Unfallversicherung anbelangt, so sind deren Unterschiede zu anderen Sozialversicherungszweigen nicht neu. Zudem knüpfen die Vorgaben für die berufliche Vorsorge nach dem klaren Wortlaut von Art. 23 lit. a, Art. 24 Abs. 1 (bis 31. Dezember 2021) resp. Art. 24a Abs. 2-4 (seit 1. Januar 2022) und Art. 26 Abs. 1 BVG nicht an die Regeln der Unfall- sondern an jene der Invalidenversicherung an.
3.4.2. Weiter beruft sich die Beschwerdeführerin zu den Voraussetzungen für eine Praxisänderung auf geänderte äussere Verhältnisse und eine gewandelte Rechtsanschauung. Sie bringt vor, der Gesetzgeber habe die Problematik der bundesgerichtlichen Praxis zur Berechnung des Invaliditätsgrades bei Teilzeiterwerbstätigen trotz langjähriger und anhaltender Kritik nicht erkannt und daher in der Reform BVG 21 (Änderung des BVG vom 17. März 2023 [Reform der beruflichen Vorsorge]; vgl. BBl 2023 785) nicht thematisiert. Eine Änderung müsse daher über die Rechtsprechung herbeigeführt werden. Sodann ergebe sich aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung 2021 des Bundesamtes für Statistik, dass der weit überwiegende Anteil der Teilzeiterwerbstätigen Frauen seien, die somit auch überwiegend von der geltenden - diskriminierenden - Praxis betroffen seien. Zudem sei die Erwerbsquote der Frauen von 68,2 % im Jahr 1991 auf 79 % im Jahr 2022 gestiegen und nehme die Anzahl an teilzeitarbeitenden Personen in der Schweiz stetig zu.
Es kann offenbleiben, ob die berufsvorsorgerechtliche Invaliditätsbemessung anlässlich der Beratungen der Reform der beruflichen Vorsorge in den Eidgenössischen Räten nicht thematisiert wurde. Auch wenn dies zutrifft, ergibt sich daraus nicht zwingend, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier keine Kenntnis von der entsprechenden Kritik hatten und diese deswegen nicht in den Gesetzgebungsprozess einfloss. Inwiefern die weiteren geltend gemachten Aspekte - Anteil der Frauen unter Teilzeiterwerbstätigen, steigende Erwerbsquote der Frauen, zunehmende Bedeutung von Teilzeitarbeit - beim Erlass der BGE 144 V 63 und 144 V 72 sich wesentlich anders als heute dargestellt haben resp. nicht oder nur ungenügend berücksichtigt worden sein sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht ausgeführt.
3.5. Nach dem Gesagten sind keine ernsthaften sachlichen Gründe für eine Änderung der Rechtsprechung von BGE 144 V 63 und 144 V 72 erkennbar. Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung ist bundesrechtskonform.
3.6. Dass bei diesem Ergebnis ein (bundesrechtlicher) Anspruch auf Erstattung der Kosten für das juristische Kurzgutachten vom 29. April 2022 bestehen soll, macht die Beschwerdeführerin nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.
4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 1. Februar 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Dormann