Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.75/2004 /mks 
 
Urteil vom 1. März 2004 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, präsidierendes Mitglied, Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiberin Leuthold. 
 
Parteien 
X.________, zzt. in Sicherheitshaft, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Adrian Blättler, 
 
gegen 
 
Bezirksanwaltschaft Zürich, Büro A-11, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich, 
Bezirksgericht Zürich, Vorsitzender der 8. Abteilung, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Bezirksgerichts Zürich, Vorsitzender 
der 8. Abteilung, vom 28. Januar 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Bezirksgericht Zürich, 8. Abteilung, sprach den türkischen Staatsangehörigen X.________ am 17. Dezember 2003 der Vernachlässigung von Unterhaltspflichten im Sinne von Art. 217 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 1 und 4 ANAG schuldig und verurteilte ihn zu einer unbedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 6 Monaten, abzüglich 92 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft, sowie zu 4 Jahren Landesverweisung. Mit Präsidialverfügung vom gleichen Tag ordnete der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts die Fortdauer der Sicherheitshaft bis zum möglichen Strafantritt, längstens bis zum 16. März 2004, an. X.________ legte gegen das Urteil des Bezirksgerichts Berufung ein. Der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts wies am 12. Januar 2004 das vom Angeklagten selber verfasste Gesuch um Entlassung aus der Sicherheitshaft ab. Am 13. Januar 2004 liess der Angeklagte durch seinen Verteidiger erneut ein Gesuch um Entlassung aus der Sicherheitshaft stellen. Mit Verfügung vom 28. Januar 2004 wies der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich das Gesuch ab (Ziff. 1 des Dispositivs). Ausserdem bestellte er Fürsprecher Adrian Blättler für das vorliegende Strafverfahren zum amtlichen Verteidiger des Angeklagten (Ziff. 2 des Dispositivs). 
B. 
Gegen diesen Entscheid reichte X.________ am 5. Februar 2004 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein. Er beantragt, Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung sei aufzuheben und er sei aus der Haft zu entlassen. Im Weiteren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. 
C. 
Der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich liess sich mit Eingabe vom 9. Februar 2004 zur Beschwerde vernehmen, ohne einen Antrag zu stellen. Die Bezirksanwaltschaft Zürich verzichtete auf eine Vernehmlassung. 
D. 
In seiner Replik vom 25. Februar 2004 hält X.________ an den in der Beschwerde gestellten Begehren fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich gegen die Fortdauer der Haft richtet, kann in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der Beschwerde nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern ausserdem die Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 124 I 327 E. 4b/aa S. 332 f.; 115 Ia 293 E. 1a S. 297, je mit Hinweisen). Die mit der vorliegenden Beschwerde gestellten Anträge sind daher zulässig. 
2. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Abweisung seines Haftentlassungsgesuchs verletze das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV). 
2.1 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuchs erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186; 123 I 31 E. 3a S. 35, je mit Hinweisen). 
2.2 Nach § 67 Abs. 2 in Verbindung mit § 58 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO) ist die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft zulässig, wenn der Angeklagte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und überdies Flucht-, Kollusions- oder Fortsetzungsgefahr besteht. Ausserdem darf die Haft nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe (§ 58 Abs. 3 StPO). 
2.2.1 Im vorliegenden Fall verfügte der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich am 17. Dezember 2003 die Fortdauer der Sicherheitshaft, nachdem der Beschwerdeführer am gleichen Tag durch das Bezirksgericht zu einer unbedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 6 Monaten verurteilt worden war. Der Abteilungsvorsitzende bejahte das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts. Ausserdem erachtete er Fluchtgefahr als gegeben. Er hielt fest, der illegal eingereiste Beschwerdeführer verfüge in der Schweiz über keinen festen Wohnsitz und unterhalte weiterhin enge Kontakte zu seinem Heimatland. Es sei deshalb zu befürchten, der Beschwerdeführer werde sich dem Vollzug der vom Bezirksgericht ausgefällten Freiheitsstrafe durch Flucht zu entziehen versuchen. Sodann wies der Vorsitzende darauf hin, dass der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt sei. 
2.2.2 In den Haftentlassungsgesuchen vom 5. und 13. Januar 2004 wurde geltend gemacht, der Beschwerdeführer werde am 16. Januar 2004 zwei Drittel der erstinstanzlich ausgefällten Freiheitsstrafe verbüsst haben, so dass eine Fortdauer der Haft über dieses Datum hinaus nicht mehr verhältnismässig sei. Der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts legte in der Verfügung vom 12. Januar 2004 sowie im angefochtenen Entscheid vom 28. Januar 2004 dar, dass die in Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB genannten Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe beim Beschwerdeführer nicht gegeben seien. Er wies deshalb die Haftentlassungsgesuche ab. 
2.3 In der staatsrechtlichen Beschwerde wird eingewendet, der Entscheid über das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers hätte in Anwendung der §§ 58, 67, 69 und 417 StPO getroffen werden müssen. Statt dessen stütze sich die kantonale Instanz in der angefochtenen Verfügung auf Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB und damit auf eine falsche gesetzliche Grundlage. 
 
Mit dem angefochtenen Entscheid hat der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich in Anwendung von § 417 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 67 Abs. 2 und § 58 StPO über das Gesuch des Beschwerdeführers um Entlassung aus der Sicherheitshaft befunden. Daran ändert der Umstand nichts, dass er im Rahmen der Behandlung dieses Gesuchs vor allem die Frage abklärte, ob die in Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB genannten Voraussetzungen beim Beschwerdeführer erfüllt seien und daher die Möglichkeit der bedingten Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haft zu berücksichtigen sei. Die Rüge, der angefochtene Entscheid stütze sich auf eine falsche gesetzliche Grundlage, geht somit fehl. 
2.4 Ebenfalls unzutreffend ist der Vorwurf, die kantonale Instanz habe nicht geprüft, ob einer der speziellen Haftgründe gegeben sei. Der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts legte in der Haftverfügung vom 17. Dezember 2003 dar, dass und weshalb beim Beschwerdeführer Fluchtgefahr bestehe. Im angefochtenen Entscheid ging er, auch wenn er dies nicht ausdrücklich sagte, davon aus, dieser Haftgrund sei nach wie vor gegeben. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Haftentlassungsgesuch vom 13. Januar 2004 ausschliesslich geltend gemacht, da er am 16. Januar 2004 zwei Drittel der vom Bezirksgericht ausgefällten Strafe verbüsst haben werde, sei eine Fortsetzung der Haft ab diesem Datum nicht mehr verhältnismässig. Es ist daher unter dem Gesichtspunkt der aus Art. 29 Abs. 2 BV folgenden Begründungspflicht nicht zu beanstanden, wenn sich der Vorsitzende der 8. Abteilung des Bezirksgerichts im angefochtenen Entscheid auf die Behandlung dieses Einwands beschränkte, und davon absah, sich nochmals ausdrücklich mit der Frage der Fluchtgefahr zu befassen. 
 
In materieller Hinsicht ist der Beschwerdeführer zu Unrecht der Meinung, das Vorliegen von Fluchtgefahr hätte verneint werden müssen. Mit Rücksicht darauf, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger ist, in der Schweiz über keinen festen Wohnsitz verfügt und weiterhin enge Kontakte zu seinem Heimatland Türkei unterhält, konnte die kantonale Instanz ohne Verletzung der Verfassung annehmen, es bestehe eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschwerdeführer, wenn er in Freiheit wäre, dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. 
2.5 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Haftdauer dann nicht mehr verhältnismässig, wenn sie in grosse Nähe der konkret zu erwartenden Strafe rückt oder gar die mutmassliche Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe übersteigt (BGE 126 I 172 E. 5a S. 176; 124 I 208 E. 6 S. 215 mit Hinweisen). Die in Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB vorgesehene Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe ist bei der Berechnung der mutmasslichen Dauer der Freiheitsstrafe grundsätzlich ausser Acht zu lassen, es sei denn, die konkreten Umstände des Falles würden eine Berücksichtigung ausnahmsweise gebieten. Ein Ausnahmefall kann insbesondere dann vorliegen, wenn die Voraussetzungen von Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufgrund der konkreten Umstände aller Wahrscheinlichkeit nach erfüllt sein werden. 
 
Die bedingte Entlassung setzt nach dieser Vorschrift voraus, dass das Verhalten des Gesuchstellers während des Strafvollzuges nicht dagegen spricht und anzunehmen ist, er werde sich in Freiheit bewähren. Im angefochtenen Entscheid wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich durch den Vollzug von zwei Freiheitsstrafen (Verurteilung durch das Bezirksamt Baden am 30. August 1994 zu 16 Tagen Gefängnis und Verurteilung durch das Bezirksgericht Baden am 18. August 1998 zu 5 Wochen Gefängnis, in beiden Fällen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand) offensichtlich nicht beeindrucken lassen und sei erneut straffällig geworden. In seinem Heimatland habe er sich am 21. Oktober 1998 erneut verheiratet. Um seine Unterhaltspflichten in der Schweiz habe er sich kaum gekümmert. Der Beschwerdeführer habe in der Schweiz kein Aufenthaltsrecht. Auf sein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom 19. Juli 2001 sei das Migrationsamt des Kantons Zürich am 7. Januar 2002 nicht eingetreten. Gleichzeitig sei dem Beschwerdeführer eine Ausreisefrist bis 21. März 2002 angesetzt worden. Trotzdem sei er am 9. Oktober 2003 illegal in die Schweiz eingereist und habe sich in der Folge bis zu seiner Verhaftung rechtswidrig hier aufgehalten. Sein bisheriges Verhalten zeige mit aller Deutlichkeit, dass er nicht gewillt sei, sich an die hiesige Rechtsordnung zu halten. Dies schliesse aus der heutigen Sicht eine gute Prognose aus. 
 
Die kantonale Instanz gelangte aus diesen Überlegungen zum Schluss, die Voraussetzungen von Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB seien beim Beschwerdeführer aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfüllt. Sie ging deshalb, auch wenn sie das im angefochtenen Entscheid nicht ausdrücklich sagt, davon aus, die in dieser Vorschrift vorgesehene Möglichkeit der bedingten Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe könne im vorliegenden Fall bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haft nicht berücksichtigt werden. Diese Auffassung ist sachlich vertretbar. Verhält es sich so, dann war es nicht verfassungswidrig, wenn die kantonale Instanz im angefochtenen Entscheid annahm, im gegenwärtigen Zeitpunkt könne die Fortdauer der Haft nicht als unverhältnismässig bezeichnet werden. Sie verstiess daher nicht gegen das Grundrecht der persönlichen Freiheit, indem sie das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers abwies. Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach abzuweisen. 
3. 
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 152 Abs. 1 und 2 OG ist zu entsprechen, da die in diesen Vorschriften genannten Voraussetzungen erfüllt sind. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt: 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Fürsprecher Adrian Blättler, wird als amtlicher Anwalt des Beschwerdeführers bezeichnet und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bezirksanwaltschaft Zürich, Büro A-11, und dem Bezirksgericht Zürich, Vorsitzender der 8. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 1. März 2004 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin: