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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 738/05 
 
Urteil vom 1. März 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterinnen Widmer und Leuzinger, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Parteien 
D.________, 1958, Beschwerdeführer, vertreten 
durch Fürsprecher Ulrich Seiler, Falkenhöheweg 20, 3012 Bern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen 
den Entscheid des Verwaltungsgerichts 
des Kantons Bern vom 13. September 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 20. August 2003 sprach die IV-Stelle des Kantons Bern dem 1958 geborenen D.________ gestützt auf ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 6. August 2002 ab dem 1. August 2003 bei einem Invaliditätsgrad von 41 % eine Viertelsrente nebst Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten zu. Am 17. September 2003 verfügte sie zusätzlich die Ausrichtung einer halben Invalidenrente für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 30. September 2001 sowie einer Viertelsrente ab 1. Oktober 2001 bis 31. Juli 2003 (nebst Zusatzrente und Kinderrenten). Am 7. Oktober 2003 entschied sie, ab dem 1. Oktober 2003 bestehe nur noch Anspruch auf zwei statt drei Kinderrenten. Die gegen diese Verfügungen erhobenen Einsprachen wies die IV-Stelle mit Entscheid vom 17. Februar 2004 ab. 
 
Zuvor hatte sie mit Verfügung vom 4. Februar 2004 die bisher zugesprochenen Renten für den Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis 30. September 2001 bestätigt, dem Versicherten aber ab 1. Oktober 2001 bei einem Invaliditätsgrad von 41 % unter Annahme eines Härtefalls eine halbe Invalidenrente nebst Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten zugesprochen, letztere im Gegensatz zur Verfügung vom 7. Oktober 2003 ab 1. Oktober 2003 nun weiterhin auch für das älteste Kind. Gegen diese Verfügung wurde ebenfalls Einsprache erhoben. 
B. 
Die gegen den Einspracheentscheid vom 17. Februar 2004 mit dem Antrag auf Zusprechung einer ganzen, mindestens aber einer halben Rente, eventuell auf Anordnung weiterer Abklärungen, gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern nach Androhung der reformatio in peius mit Entscheid vom 13. September 2005 für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 31. Oktober 2002 ab. Für die Zeit ab 1. November 2002 verneinte es einen Rentenanspruch und hob den Einspracheentscheid vom 17. Februar 2004 für den betreffenden Zeitraum auf. 
C. 
D.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, der Einspracheentscheid vom 17. Februar 2004 sei aufzuheben, es sei ein neues MEDAS-Gutachten anzuordnen und die Vorinstanz sei zu verhalten, den Kostenpunkt neu zu regeln. Zudem beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Gericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Gericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 hängig war, richtet sich die Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht. 
2. 
Bei der Beurteilung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist das Gericht an die Anträge der Parteien nicht gebunden (Art. 132 Abs. 1 lit. c OG). Soweit die Anträge des Beschwerdeführers unklar oder widersprüchlich sind, ist daher darauf nicht weiter einzugehen. Sinngemäss verlangt er, es sei ein neues MEDAS-Gutachten anzuordnen und gestützt darauf sei der Anspruch ab 1. Januar 1997 auf eine ganze, mindestens aber eine halbe Rente neu zu verfügen. 
3. 
Streitig und zu prüfen ist daher der Rentenanspruch des Beschwerdeführers ab 1. Januar 1997. Das kantonale Gericht hat in formell-, materiell- und beweisrechtlicher Hinsicht die für die Beurteilung dieser Rechtsfrage massgeblichen Grundlagen zutreffend dargelegt. Es wird auf die Erwägungen 1.2, 2.1 bis 2.4 und 4.1 im angefochtenen Entscheid verwiesen (Art. 36a Abs. 3 zweiter Satz OG). 
4. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde beschränkt sich im Wesentlichen auf das Argument, das Gutachten der MEDAS vom 6. August 2002 sei im Zeitpunkt des Einspracheentscheides nicht mehr aktuell gewesen und genüge auch sonst als Beurteilungsgrundlage nicht. Zudem widerspreche es den Einschätzungen des behandelnden Arztes Dr. med. G.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie. 
5. 
Der einlässlichen und überzeugenden Beurteilung der medizinischen Aktenlage durch das kantonale Gericht in Erwägung 3 des vorinstanzlichen Entscheides ist beizupflichten. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt ist nicht stichhaltig. 
5.1 Nicht von Belang ist, dass der Einspracheentscheid vom 17. Februar 2004 achtzehn Monate nach der Erstattung des MEDAS-Gutachtens vom 6. August 2002 getroffen wurde. Wie im Einspracheentscheid bereits dargelegt worden ist, hat Dr. med. K.________, Spezialarzt FMH für Chirurgie, in seinem Bericht vom 14. Oktober 2003 - vierzehn Monate nach Erstellung des MEDAS-Gutachtens - den Beschwerdeführer für leichtere Arbeiten als zu 100 % einsetzbar eingeschätzt. Zudem hat der Psychiater Dr. med. G.________ in seinem Bericht vom 5. Juni 2004 - vier Monate nach dem Einspracheentscheid - angegeben, das Zustandsbild seines Patienten sei "seit längerer Zeit praktisch unverändert", wobei aus den Ausführungen hervor geht, dass diese Wertung auch den Zeitraum vor 2002 mitumfasst. Auch den Akten sind keine Anzeichen für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers zu entnehmen. 
5.2 Bei der Würdigung von divergierenden ärztlichen Stellungnahmen zur Arbeitsfähigkeit ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass allenfalls von unterschiedlichen Krankheitsbegriffen ausgegangen wurde. Das in der Medizin verbreitete bio-psycho-soziale Krankheitsmodell (vgl. dazu Christfried-Ulrich Mayer, Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2002, St. Gallen 2002, S. 95) ist weiter gefasst als der für die Belange der Rechtsanwendung massgebende sozialversicherungsrechtliche Begriff der gesundheitlichen Beeinträchtigung (vgl. BGE 127 V 299 Erw. 5a). Beruht die Abweichung allein auf der Verwendung unterschiedlicher krankheitsbegrifflicher Prämissen, so liegen keine einander widersprechenden Einschätzungen im Sinne von BGE 125 V 352 Erw. 3a vor. Vorliegend ist eine solche Ausgangslage gegeben. Die in den Berichten des behandelnden Psychiaters Dr. med. G.________ (zuletzt vom 25. Juni 2004) erwähnte psychosoziale Belastungssituation des Beschwerdeführers findet zwar in einem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell Platz. Indes entspricht sie nicht dem rechtlich massgebenden Begriff des Gesundheitsschadens. Auf Grund der Ausführungen des behandelnden Psychiaters ist jedoch davon auszugehen, dass er die Belastungssituation bei der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit auf 50 % für körperlich leichtere Tätigkeiten mitberücksichtigte. 
5.3 Die MEDAS hat zwar dem Beschwerdeführer im angestammten Beruf eines Hilfsspenglers noch eine 70-prozentige Arbeitsfähigkeit attestiert, was der Vorinstanz zu Recht in dem Sinne als problematisch erscheint, dass bei einer solchen Beschäftigung zahlreiche Tätigkeiten ausgeübt oder Körperpositionen eingenommen werden müssen, welche dem Beschwerdeführer kaum mehr zugemutet werden können. Trotzdem ist auf das Gutachten abzustellen, denn wie das kantonale Gericht ebenfalls richtig dargelegt hat, spielt es für den Ausgang des Verfahrens keine Rolle, dass dem Beschwerdeführer diese Arbeit kaum mehr zugemutet werden könnte, denn der Invaliditätsgrad ist anhand der Erwerbsunfähigkeit in einer angepassten Beschäftigung zu bemessen (Art. 7 und 8 ATSG), und nicht in Bezug auf die bisher ausgeübte Tätigkeit. Zudem hat die MEDAS selber ihre Aussage erheblich relativiert, indem sie angegeben hat, der Beschwerdeführer könne seine angestammte Arbeit als Hilfsspengler nur ausüben, sofern langdauerndes Stehen oder Gehen, Tätigkeiten in längerdauernder kniender oder hockender Position, Treppen- oder Leitersteigen sowie Gehen in unebenem Gelände vermieden werden können. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorbringen lässt, aus seiner Sicht sei ihm eine angepasste Arbeit theoretisch nicht zu mehr als 50 % zumutbar, ist diese Einschätzung subjektiv, was nicht ausschlaggebend ist, denn massgebend für die Bestimmung der Erwerbsunfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit und damit des Invaliditätsgrades ist eine objektive ("medizinisch-theoretische") Einschätzung aus ärztlicher Sicht. 
5.4 Nach dem Gesagten und auf Grund der medizinischen Aktenlage besteht kein Anlass für eine weitere Begutachtung oder zu anderen medizinischen Abklärungen. Von weiteren Beweisvorkehren ist daher abzusehen. 
6. 
Was die Beurteilung des Rentenanspruchs durch die Vorinstanz in masslicher und zeitlicher Hinsicht (vgl. Erw. 4 des angefochtenen Entscheides) anbetrifft, finden sich in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine substanziellen Ausführungen, insbesondere fehlen solche zum vorgenommenen Einkommensvergleich bzw. die dabei berücksichtigten Validen- und Invalideneinkünfte. Der Vergleich ist in masslicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz hat den Zeitpunkt der Aufhebung der halben Invalidenrente unter Vornahme einer reformatio in peius auf den 1. November 2002 festgelegt. Zuvor wurde der Beschwerdeführer praxisgemäss auf die Möglichkeit einer solchen Schlechterstellung aufmerksam gemacht. Er machte jedoch von der Gelegenheit zum Rückzug der Beschwerde keinen Gebrauch, sondern hielt an seinem Begehren fest. Die formellen Voraussetzungen für eine reformatio in peius sind demnach erfüllt und der Zeitpunkt gemäss vorinstanzlichem Entscheid ist richtig festgelegt. 
7. 
7.1 Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten ist deshalb gegenstandslos. 
7.2 Die unentgeltliche Verbeiständung kann dagegen gewährt werden (Art. 152 OG in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Fürsprecher Ulrich Seiler für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1800.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 1. März 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: