Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_134/2022
Urteil vom 1. März 2022
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichterin Hänni,
Bundesrichterin Ryter,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt, Spiegelgasse 12, 4051 Basel.
Gegenstand
Anordnung der Ausschaffungshaft,
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, vom 21. Januar 2022 (AUS.2022.4).
Erwägungen:
1.
1.1. A.________ (geb. 2003) ist anerkannter tunesischer Staatsbürger. Er hat in der Schweiz wiederholt um Asyl nachgesucht, wobei er während des Verfahrens jeweils unbekannten Aufenthalts war, weshalb seine Gesuche als gegenstandslos abgeschrieben wurden. Am 20. August 2021 wies das Staatssekretariat für Migration (SEM) ein weiteres Asylgesuch von A.________ ab und hielt ihn an, das Land zu verlassen. Am 23. Juni bzw. 14. September 2021 wurde A.________ von den Niederlanden bzw. von Frankreich dublinrechtlich in die Schweiz rücküberstellt.
1.2. A.________ wurde am 19. Januar 2022 im Kanton Luzern angehalten und nach Basel überstellt. Das Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt nahm ihn am 20. Januar 2022 für drei Monate in Ausschaffungshaft. Die Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht am Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (im Weiteren: Einzelrichterin) prüfte diese am 21. Januar 2022 und bestätigte sie bis zum 17. April 2022.
1.3.
1.3.1. A.________ beantragt vor Bundesgericht, den Entscheid der Einzelrichterin bzw. des Migrationsamts aufzuheben und ihn aus der Haft zu entlassen. Er macht geltend, nicht tunesischer Staatsbürger zu sein; der negative Asylentscheid sei ihm erst unmittelbar vor der Haftverhandlung eröffnet worden, weshalb seine Ausschaffungshaft widerrechtlich sei. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
1.3.2. Die Einzelrichterin und das Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) verzichtet auf eine eigene Stellungnahme und verweist auf allfällige Ausführungen der kantonalen Behörden. A.________ hat in Kenntnis der Vernehmlassungen am 28. Februar 2022 an seinen Anträgen und Ausführungen festgehalten.
2.
2.1. Voraussetzungen für die Ausschaffungshaft bilden ein (1) erstinstanzlicher - nicht notwendigerweise rechtskräftiger - Weg- oder Ausweisungsentscheid bzw. eine strafrechtliche Landesverweisung (2) die Absehbarkeit des Wegweisungsvollzugs und (3) das Vorliegen eines Haftgrunds (Art. 76 Abs. 1 AIG). Die zuständige Behörde ist gehalten, (4) die im Hinblick auf den Wegweisungsvollzug notwendigen Schritte umgehend einzuleiten und voranzutreiben (Beschleunigungsgebot; Art. 76 Abs. 4 AIG). Die Haft muss zudem (5) verhältnismässig und zweckbezogen auf die Sicherung des Wegweisungsverfahrens oder des Vollzugs der Landesverweisung gerichtet sein; es ist jeweils aufgrund sämtlicher Umstände zu klären, ob sie (noch) geeignet, erforderlich und zumutbar erscheint (vgl. BGE 130 II 56 E. 1).
2.2. Der Beschwerdeführer stellt zu Recht nicht infrage, dass bei ihm grundsätzlich die Haftvoraussetzungen erfüllt sind: Er hat sich wiederholt im Asylverfahren den Behörden nicht zur Verfügung gehalten; zudem wurde er im Dublin-Verfahren von den Niederlanden und Frankreich in die Schweiz rücküberstellt. Der Beschwerdeführer hat seine wahre Identität verschleiert und ist unter verschiedenen Identitäten mit unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten und Geburtsdaten aufgetreten (B.________ aus Libyen [geb. 2001, 2003 und 2004], C.________ aus Tunesien [geb. 2001] und D.________ aus Ägypten [geb. 2000]). Er hat mehrfach eine Eingrenzung verletzt; zudem wurde er hier straffällig. Es kann unter diesen Umständen nicht davon ausgegangen werden, dass er sich - nachdem seit Januar 2022 seine tunesische Staatsangehörigkeit feststeht - den Behörden nunmehr für den Vollzug seiner Wegweisung zur Verfügung halten wird (vgl. Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 AIG). Mildere Mittel als die Haft sind für die Sicherung seiner Wegweisung nicht geeignet, nachdem er bereits früher Eingrenzungen missachtet hat und er untergetaucht ist. Es kann nicht gesagt werden, dass sich die Ausschaffung trotz seines renitenten Verhaltens (wiederholte Erklärung, auf keinen Fall nach Tunesien auszureisen; Bestreitung seiner Staatsangehörigkeit) nicht in absehbarer Zeit organisieren liesse; seine Identität und Staatsangehörigkeit sind inzwischen erstellt (vgl. BGE 130 II 56 E. 4.1.3). Es bestehen keine Hinweise darauf, dass sich die Behörden nicht weiterhin mit dem nötigen Nachdruck um den Vollzug seiner Wegweisung bemühen werden (vgl. Art. 76 Abs. 4 AIG; BGE 124 II 49 ff.).
2.3.
2.3.1. Auch der Umstand, dass dem Beschwerdeführer der Asyl-/Wegweisungsentscheid nicht bekannt war und ihm dieser erst unmittelbar vor der Haftverhandlung eröffnet wurde, steht der Ausschaffungshaft nicht entgegen: Das SEM hat am 27. Oktober 2021 erklärt, dass seine Verfügung vom 20. August am 22. September 2021 rechtskräftig geworden sei. Weitere Abklärungen ergaben, das der Asylentscheid dem Beschwerdeführer offenbar nicht eröffnet wurde. Nach Art. 12 Abs. 1 AsylG wird eine Verfügung die an die letzte den Behörden bekannte Adresse zugestellt wird, nach Ablauf der ordentlichen siebentägigen Abholfrist jedoch rechtsgültig, auch wenn der Betroffene erst zu einem späteren Zeitpunkt davon Kenntnis erhält oder die Sendung als unzustellbar retourniert wird. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass diese Voraussetzungen in seinem Fall nicht erfüllt wären.
2.3.2. Das Migrationsamt hat den Beschwerdeführer zudem im Rahmen des rechtlichen Gehörs am 20. Januar 2022 darüber informiert, dass sein Asylgesuch abgewiesen worden sei und er das Land verlassen müsse, womit ihm die entsprechende Pflicht bekannt war (vgl. das Urteil 2C_394/2007 vom 15. August 2007 E. 2.2); er hätte bereits bei dieser Gelegenheit um die Aushändigung des Asyl- und Wegweisungsentscheids ersuchen können. Bei der Anordnung der Ausschaffungshaft war ihm der Wegweisungsentscheid zumindest im Resultat bekannt; dieser musste für die Haftanordnung nicht rechtskräftig sein.
2.3.3. Selbst wenn ein Eröffnungsfehler vorliegen würde und Art. 12 Abs. 1 AsylG nicht zur Anwendung käme, würde sich im vorliegenden Fall eine Haftentlassung nicht rechtfertigen: Dem Beschwerdeführer, der sich seit Jahren illegal in Europa aufhält und hier unter verschiedenen Identitäten aufgetreten ist, musste klar sein, dass er die Schweiz würde verlassen müssen, wie ihm dies vor der Haftanordnung mitgeteilt worden ist. Es besteht im Hinblick auf sein bisheriges Verhalten (wiederholtes Untertauchen im europäischen Raum, falsche Personalien usw.) ein grosses öffentliches Interessen daran, dass die Wegweisung - nach seiner Anerkennung durch die algerischen Behörden - nunmehr vollzogen werden kann. Einem allfälligen Eröffnungsfehler bzw. einer damit verbundenen Verletzung einer Verfahrensvorschrift käme demgegenüber bloss untergeordnete Bedeutung zu (vgl. das Urteil 2C_846/2021 vom 19. November 2021 E. 4.1 mit Hinweisen), zumal der Beschwerdeführer wiederholt erklärt hat, nicht freiwillig nach Algerien zurückzukehren, und er sich bei einer Haftentlassung (wiederum) in ein anderes europäisches Land absetzen dürfte.
3.
3.1. Die Beschwerde ist unbegründet und demnach abzuweisen.
3.2. Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechts-pflege ist wegen Aussichtslosigkeit seiner Begehren nicht zu entsprechen (vgl. Art. 64 BGG). Er würde für das bundesgerichtliche Verfahren damit kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Es rechtfertigt sich indessen, von der Erhebung einer Gerichtsgebühr abzusehen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
3.3. Das Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt wird ersucht, dafür besorgt zu sein, dass der vorliegende Entscheid dem Beschwerdeführer korrekt eröffnet und nötigenfalls verständlich gemacht wird.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
2.1. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
2.2. Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, sowie dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
Lausanne, 1. März 2022
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar