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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_11/2023  
 
 
Verfügung vom 1. März 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Flavia Brülisauer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kantonsgericht von Graubünden, 
Poststrasse 14, 7002 Chur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Rechtsverzögerung (Eheschutzmassnahmen), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Eheschutzentscheid vom 25. Oktober 2018 regelte das Regionalgericht Albula die Folgen des Getrenntlebens des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau. 
 
B.  
Hiergegen erhoben beide Eheleute beim Kantonsgericht Graubünden Berufung. Im einen Berufungsverfahren erfolgten im März und April 2019 die Replik und Duplik, im anderen Verfahren im Mai bzw. Juni 2019 die Triplik und Quadruplik. Mit Verfügung vom 24. Juni 2019 wies der damalige Kammervorsitzende das Gesuch um aufschiebende Wirkung des Ehemannes ab. 
Infolge Neukonstituierung des Kantonsgerichtes wurde die Verfahrensleitung per 1. Januar 2022 auf ein neues Mitglied übertragen und die neue Besetzung den Parteien am 18. Januar 2022 zur Kenntnis gebracht. 
 
C.  
Am 5. Januar 2023 reichte der Ehemann beim Bundesgericht eine Rechtsverzögerungsbeschwerde ein mit dem Begehren um Aufforderung des Kantonsgerichtes, umgehend bzw. eventualiter innert zwei Monaten seinen Entscheid zu fällen. 
Mit Vernehmlassung vom 18. Januar 2023 beantragte das Kantonsgericht die Abweisung der Beschwerde und stellte im Übrigen die umgehende Entscheidung in Aussicht. 
Am 31. Januar 2023 fällte das Kantonsgericht sein Berufungsurteil in der Eheschutzangelegenheit. 
Mit Stellungnahme vom 23. Feburar 2023 äusserte sich der Beschwerdeführer zu den Kostenfolgen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht ist zur Beurteilung von Beschwerden gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen in Eheschutzsachen zuständig (Art. 72 Abs. 1 und Art. 75 Abs. 1 BGG). Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde erhoben werden (Art. 100 Abs. 7 BGG). Sobald jedoch der als verzögert monierte Entscheid ergangen ist, wird die Rechtsverzögerungsbeschwerde gegenstandslos. 
Nachdem das Kantonsgericht vorliegend am 31. Januar 2023 seinen Entscheid gefällt hat, ist das Beschwerdeverfahren 5A_11/2023 durch den Abteilungspräsidenten als gegenstandslos geworden abzuschreiben (Art. 32 Abs. 2 BGG), wobei mit summarischer Begründung über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes zu entscheiden ist (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP). 
 
2.  
Was eine angemessene Verfahrensdauer ist, lässt sich nicht abstrakt sagen; die Angemessenheit beurteilt sich nach der Art des Verfahrens und den konkreten Umständen der Angelegenheit, namentlich den Regelungsgegenstand, dem Umfang und der Komplexität der zu entscheidenden Fragen, der Bedeutung des Verfahrens für die Beteiligten etc. (BGE 135 I 265 E. 4.4; 144 I 318 E. 7.1). 
Das Kantonsgericht hielt in seiner Vernehmlassung fest, bereits am 9. Juli 2019 sei eine Noveneingabe erfolgt und entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers seien auch nach Ende April 2021 noch Noveneingaben erfolgt. Der ursprünglich zuständige Kantonsrichter sei per Ende 2020 aus dem Kantonsgericht ausgeschieden und die Verfahrensleitung auf einen anderen übertragen worden. Wie dem Bundesgericht aus anderen Verfahren bekannt sei, kämpfe das Kantonsgericht als Folge einer jahrelangen personellen Unterdotierung, die sich wegen der krankheitsbedingten 20-monatigen Absenz eines Richters in den Jahren 2019/2020 noch verschäft habe, seit längerem mit einer hohen Anzahl von Pendenzen, was in zahlreichen Fällen zu einer (zu) langen Verfahrensdauer geführt habe. Leider habe deshalb auch die Bearbeitung der beiden vorliegenden Berufungsverfahren bis Ende 2021 nicht an die Hand genommen werden können, zumal eine Vielzahl von anderen Fällen mit Kinderbelangen vordringlich zu erledigen gewesen seien. Im Jahr 2021 habe der Kanton Graubünden zusätzliche Stellen im Aktuariat geschaffen und mit Wirkung ab Januar 2022 zusätzliche Stellenprozente zur Einsetzung ausserordentlicher Richter bewilligt. Am 1. Januar 2022 habe so eine ausserordentliche Richterin den Vorsitz in den Berufungsverfahren übernehmen können. Am 28. März 2022 und am 28. April 2022 habe der Ehemann weitere Noveneingaben eingereicht, wobei diesbezüglich der Schriftenwechsel bis am 9. Juni 2022 gedauert habe. Am 12. Juli 2022 habe die Ehefrau die einverlangte Verfügung betreffend ihre AHV-Rente eingereicht, wozu der Ehemann am 27. Juli 2022 Stellung genommen habe. Diese sei der Gegenpartei am 8. August 2022 zugestellt worden mit dem Hinweis, dass der Schriftenwechsel damit unter Vorbehalt einer unverzüglichen Wahrnehmung des Replikrechts abeschlossen sei. 
Wie das Kantonsgericht in seiner Vernehmlassung selbst festhält, mussten die Verfahren nach Abschluss des Schriftenwechsels Mitte 2019 angesichts der personellen Unterdotierung des Gerichtes und vor dem Hintergrund, dass andere Verfahren dringlicher waren, mehrere Jahre faktisch ruhen, auch wenn verschiedene Noveneingaben erfolgten. Erst mit der Bewilligung zusätzlicher Stellen am Kantonsgericht konnte es im Jahr 2022 tatsächlich an die Hand genommen werden. 
An der notorischen personellen Problematik trifft die im vorliegenden Fall nunmehr befassten Mitglieder und Mitarbeiter des Kantonsgerichts keine Schuld. Ebenso ist klar, dass andere Fälle (namentlich Platzierungen und weitere Kindesbelange) dringender gewesen sein dürften als das vorliegende Eheschutzverfahren, bei welchem es um finanzielle Belange zwischen Ehegatten ging, so dass zweifellos auch richtige Prioritäten im Rahmen der vorhandenen Ressourcen gesetzt wurden. Indes sind die Kantone zur Gewährung einer ordnungsgemässen Rechtspflege verpflichtet; sie haben daher für ausreichend Personal zu sorgen und es kann für sie nicht ohne finanzielle Folgen bleiben, wenn sie sich dieser Verpflichtungen entziehen und für ihre Versäumnisse haftbar gemacht werden (BGE 107 III 3 E. 3; 119 III 1 E. 3; 121 III 142 E. 1b; 130 I 312 E. 5.2; Urteile 1B_122/2020 vom 20. März 2020 E. 3.1; 5A_92/2022 vom 23. Mai 2022 E. 2). Dass das Kantonsgericht Graubünden vor dem Hintergrund der personellen Situation jahrelang keine ordnungsgemässe Rechtspflege garantieren konnte, ist aus der Presseberichterstattung und den zahlreichen anderen Rechtsverzögerungsbeschwerden bekannt. Die Rechtsverzögerung ist vorliegend augenfällig, auch wenn die Unterhaltsfestsetzung angesichts der zur Anwendung gebrachten einstufigen Methode, die konkrete Nachweise des gelebten Standards erfordert, kompliziert gewesen sein mag und in einen rund 100-seitigen Berufungsentscheid mündete; dies ändert nichts an der Tatsache, dass das Verfahren während mehrerer Jahre faktisch nicht bearbeitet werden konnte. Die Rechtsverzögerungsbeschwerde wäre deshalb begründet gewesen und der Kanton Graubünden hat für die entstandenen Kosten einzustehen. 
 
3.  
Nach dem Gesagten ist das Beschwerdeverfahren als gegenstandslos geworden abzuschreiben. Gerichtskosten werden keine erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Indes hat der Kanton Graubünden den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 66 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach verfügt der Präsident:  
 
1.  
Das Verfahren 5A_11/2023 wird als gegenstandslos geworden vom Protokoll abgeschrieben. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Graubünden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Diese Verfügung wird den Parteien mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. März 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli