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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_564/2023  
 
 
Urteil vom 1. März 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, I. Abteilung, Postfach 1356, 6301 Zug. 
 
Gegenstand 
Rechtsverweigerung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, vom 22. August 2023 (BS 2023 57). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug führte ein Strafverfahren gegen A.________ wegen (teilweise versuchter) sexueller Handlungen mit Kindern und mehrfacher Pornografie. Er wurde am 11. Mai 2022 festgenommen und befindet sich seither in Haft. 
Mit Eingabe vom 5. Januar 2023 ersuchte A.________ unter anderem um unverzügliche Vernichtung der in der Strafuntersuchung angeblich vorgenommenen Randdatenerhebungen und die Entfernung der Folgebeweise aus den Strafakten. Nachdem er die Staatsanwaltschaft erfolglos darum gebeten hatte, eine anfechtbare Verfügung zu erlassen, wandte er sich an die I. Beschwerdeabteilung des Obergerichts des Kantons Zug, die seine Rechtsverweigerungsbeschwerde mit Beschluss vom 15. Mai 2023 abwies. 
Dagegen erhob A.________ Beschwerde an das Bundesgericht. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde hob das Bundesgericht mit Urteil 7B_149/2023 vom 13. Juli 2023 den angefochtenen Beschluss auf und wies die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die I. Beschwerdeabteilung zurück. Das Bundesgericht begründete dies damit, dass die Staatsanwaltschaft den Antrag vom 5. Januar 2023 auf Vernichtung von angeblich unzulässigen Randdatenerhebungen und Folgebeweisen nicht geprüft habe, obschon die beschuldigte Person in Ausnahmefällen grundsätzlich dazu berechtigt sei, die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln bereits im Vorverfahren aufzuwerfen. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Staatsanwaltschaft hätte prüfen müssen, ob die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt waren. 
 
B.  
Nachdem das Strafgericht des Kantons Zug A.________ am 14. Juli 2023 der sexuellen Handlungen mit einem Kind, der versuchten sexuellen Handlungen mit einem Kind und der mehrfachen Pornographie schuldig gesprochen hatte, schrieb die I. Beschwerdeabteilung des Obergerichts das bei ihr noch hängige Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 22. August 2023 zufolge Gegenstandslosigkeit ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht beantragt A.________, den Beschluss vom 22. August 2023 aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft oder die Verfahrensleitung des Berufungsgerichts sei unverzüglich anzuweisen, innert zwei Arbeitstagen die von ihm am 5. Januar 2023 bezeichneten Beweismittel entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu vernichten, auszusondern, in einwandfreiem Zustand zu retournieren oder eine anfechtbare Verfügung zu erlassen. Eventualiter sei der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem stellt der Beschwerdeführer den Antrag, er sei umgehend aus der Haft zu entlassen. 
Das Bundesgericht gab den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit, sich zur Frage einer allfälligen Gegenstandslosigkeit sowie zu den Kosten- und Entschädigungsfolgen zu äussern, nachdem die Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug am 27. Oktober 2023 das Berufungsurteil gefällt hatte. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen. Die Vorinstanz hat mit Eingabe vom 15. Dezember 2023 erklärt, ihrer Auffassung nach sei die Beschwerde gegenstandslos geworden. A.________ hat mit Eingabe vom 21. Januar 2024 an seiner Beschwerde festgehalten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer strafrechtlichen Angelegenheit, gegen den die Beschwerde in Strafsachen offensteht (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz hätte das Beschwerdeverfahren nicht als gegenstandslos geworden abschreiben dürfen; sie habe damit sein Recht auf wirksame innerstaatliche Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK verletzt. Damit rügt er eine formelle Rechtsverweigerung. Nach der Praxis des Bundesgerichts kann bei dieser Sachlage auf das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG verzichtet werden; ferner ist auch das aktuelle Rechtsschutzinteresse gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zu bejahen (vgl. etwa Urteil 7B_159/2022 vom 11. Januar 2024 E. 1.4 mit Hinweis). Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass das Berufungsurteil vom 27. Oktober 2023 nicht zur Gegenstandslosigkeit des bundesgerichtlichen Verfahrens führt, das den Zugang des Beschwerdeführers zum Gericht zum Gegenstand hat.  
 
1.2. Da die Vorinstanz das kantonale Beschwerdeverfahren zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abgeschrieben hat, beschränkt sich der Streitgegenstand im Verfahren vor Bundesgericht auf die Eintretensfrage. Soweit der Beschwerdeführer Anträge stellt, die über eine reine Rückweisung hinausgehen, ist darauf nicht einzutreten (vgl. BGE 144 II 184 E. 1.1; Urteil 7B_223/2023 vom 3. August 2023 E. 1.2.2; je mit Hinweisen). Das gilt insbesondere für den Antrag, die Vorinstanz sei anzuweisen, gewisse Beweismittel zu vernichten, auszusondern oder in einwandfreiem Zustand zu retournieren, sowie für den Antrag auf Haftentlassung (die im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht Streitgegenstand ist).  
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz hält im angefochtenen Entscheid fest, angesichts des Urteils des Bundesgerichts 7B_149/2023 vom 13. Juli 2023 wäre das Verfahren grundsätzlich an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen gewesen, damit diese über die nicht behandelten Anträge entscheiden könne. Mit der Anklageerhebung vom 27. April 2023 sei jedoch die Verfahrenshoheit an das Strafgericht als erkennendes Gericht übergegangen. Die Staatsanwaltschaft sei somit nicht mehr zuständig, über die fraglichen Anträge zu befinden. Zudem habe der Beschwerdeführer zwischenzeitlich Gelegenheit gehabt, die gleichen Anträge beim erkennenden Sachgericht zu stellen. Das Beschwerdeverfahren sei somit gegenstandslos geworden und deshalb abzuschreiben.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, entgegen der Auffassung der Vorinstanz würde das kantonale Beschwerdeverfahren erst dann gegenstandslos, wenn die seiner Ansicht nach unverwertbaren Beweismittel vernichtet worden seien oder das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen worden sei. Andernfalls habe es die Staatsanwaltschaft in der Hand, durch Anklageerhebung und den damit einhergehenden Wechsel der Verfahrensleitung begründete kantonale Beschwerden gegenstandslos werden zu lassen. Zudem verkenne die Vorinstanz, dass sie das kantonale Beschwerdeverfahren nach ihrer eigenen Rechtsauffassung bereits mit Beschluss vom 15. Mai 2023 hätte abschreiben müssen, da die Verfahrensleitung zu diesem Zeitpunkt zufolge Anklageerhebung schon auf das Strafgericht übergegangen sei. Im Übrigen habe die bundesgerichtlich festgestellte Rechtsverweigerung eine Verzögerung von acht Monaten zur Folge gehabt, für die er zu entschädigen sei.  
 
2.3. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde angeführten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 142 III 782 E. 3; 141 V 234 E. 1; je mit Hinweisen).  
 
2.4. Ob die Begründung der Vorinstanz einer rechtlichen Überprüfung standhielte, kann offengelassen werden, da die Beschwerde im Ergebnis ohnehin unbegründet ist: Als die Vorinstanz am 22. August 2023 den angefochtenen Beschluss fasste, hatte das Sachgericht das Urteil vom 14. Juli 2023 bereits gefällt. Mit diesem Sachurteil hatte das Strafgericht die vom Beschwerdeführer am 5. Januar 2023 angestrebte Prüfung der Verwertbarkeit von Beweismitteln vorgenommen. Spätestens damit wurde sein Antrag vom 5. Januar 2023 gegenstandslos. Ob das Beschleunigungsgebot von Art. 5 StPO verletzt wurde, war ebenfalls durch das Sachgericht und nicht die Vorinstanz zu beurteilen.  
 
3.  
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Er stellt jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (vgl. Art. 64 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, I. Abteilung, dem Obergericht des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, und Rechtsanwalt Martin Gärtl, Belp, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. März 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern