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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_991/2008 
 
Urteil vom 1. April 2009 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Parteien 
H.________, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Procap, Schweizerischer 
Invaliden-Verband, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Schaffhausen, Frauengasse 17, 8200 Schaffhausen, Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des 
Obergerichts des Kantons Schaffhausen 
vom 24. Oktober 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Entscheid vom 24. Oktober 2008 wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen sowohl die gegen den geltend gemachten Rentenanspruch ablehnende Verfügung der IV-Stelle Schaffhausen vom 9. Mai 2007 eingereichte Beschwerde als auch das damit gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege der 1959 geborenen H.________ ab (Dispositiv-Ziffern 1 und 3) und auferlegte ihr die Kosten des kantonalen Verfahrens (Dispositiv-Ziffer 2). 
 
B. 
H.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, "1. Es sei der Entscheid der Vorinstanz vom 24.10.2008 bezüglich Ziff. 2 des Dispositivs (Kostenauferlegung bzw. Verweigerung der unentgeltlichen Prozessführung) aufzuheben. 2. Es sei der Beschwerdeführerin für das kantonale Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen." Ferner ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. 
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit dem angefochtenen Entscheid wurde das kantonale Gerichtsverfahren abgeschlossen. Es handelt sich daher um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG, weshalb die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig und darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht die gegen die abschlägige Rentenverfügung der IV-Stelle gerichtete Beschwerde als aussichtslos beurteilte und damit eine der Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege in Bezug auf die Kostenlosigkeit des vorinstanzlichen Verfahrens verneinte. 
 
2.1 Die Vorinstanz erwog, die rechtsanwaltlich vertretene Beschwerdeführerin habe "die strenge Rechtsprechung zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung im Sozialversicherungsrecht und ihren speziellen Richtlinien betreffend die Einordnung der medizinischen Berichte und Gutachten kennen (müssen). In Kenntnis des vorliegenden interdisziplinären Gutachtens hat sie somit für diesen Verfahrensausgang einzustehen. Gleiches gilt für den Einkommensvergleich." 
 
2.2 Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen, der Standpunkt der Vorinstanz, bei Vorliegen eines von der Verwaltung in Auftrag gegebenen polydisziplinären Gutachtens seien dagegen erhobene Einwendungen von vornherein aussichtslos, verletze den Anspruch auf Rechtsmittelgarantie und den Grundsatz der Waffengleichheit. 
 
3. 
3.1 
3.1.1 Gemäss Art. 61 lit. a ATSG muss das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht kostenlos sein. In Abweichung von diesem Grundsatz bestimmt Art. 69 Abs. 1bis IVG (eingefügt durch Ziff. I des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005, in Kraft seit 1. Juli 2006), dass das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung oder Verweigerung von IV-Leistungen kostenpflichtig ist (Satz 1). Eine besondere Regelung der unentgeltlichen Rechtspflege wurde mit der erwähnten Änderung des IVG nicht statuiert, weshalb grundsätzlich das kantonale Verfahrensrecht massgebend ist (Art. 61 Satz 1 ATSG). Ob, wie die Beschwerdeführerin vorbringt, die von ihr zitierten Prozessvorschriften des Kantons Schaffhausen im Lichte der Rechtsprechung zum Anspruch auf Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands im Sinne von Art. 61 lit. f ATSG auszulegen sind, weil dieser an die gleichen Voraussetzungen (Bedürftigkeit; Nichtaussichtslosigkeit) anknüpfe wie der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, kann dahingestellt bleiben, da schon, wie nachfolgend dargelegt wird, gestützt auf Art. 29 Abs. 3 Satz 1 BV die Nichtaussichtslosigkeit der kantonalen Beschwerde zu bejahen ist. 
3.1.2 Nach dieser Verfassungsbestimmung hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen aufgrund einer summarischen Prüfung nach den Verhältnissen zur Zeit, zu der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird, die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Die Rüge einer bedürftigen Partei, ihr verfassungsmässiger Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege sei verletzt, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei. Soweit es um tatsächliche Feststellungen der kantonalen Instanz geht, ist seine Prüfungsbefugnis auf Willkür beschränkt (Art. 95 lit. a BGG; BGE 134 I 12 E. 2.3 S. 14, 133 III 614 E. 5 S. 616, je mit Hinweisen). 
3.1.3 Ob ein Begehren aussichtslos erscheint, beurteilt sich aufgrund der Verhältnisse im Zeitpunkt des Gesuchs (BGE 128 I 225 E. 2.5.3 S. 236, 129 I 129 E. 2.3.1 S. 136). Es ist unzulässig, den Entscheid über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für einen zunächst nicht aussichtslos erscheinenden Prozess bis zu den gerichtlichen Beweiserhebungen hinauszuschieben und bei nachträglich zu Tage tretender Aussichtslosigkeit die unentgeltliche Rechtspflege für das gesamte Verfahren zu verweigern (BGE 101 Ia 37 E. 2). Die prognostische Beurteilung der Erfolgsaussichten eröffnet dem Sachgericht allerdings einen Beurteilungsspielraum, in den das Bundesgericht auch bei freier Prüfung der Rechtsfragen nur mit Zurückhaltung eingreift. Erforderlich ist, dass das Sachgericht von anerkannten Rechtsgrundsätzen abgewichen ist, dass es Umstände berücksichtigt hat, die für die Prognose im Einzelfall keine Rolle spielen dürfen oder umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen (vgl. BGE 133 III 201 E. 5.4 S. 211, 131 III 26 E. 12.2.2 und 130 III 213 E. 3.1 S. 220). 
3.2 
3.2.1 Aufgrund der Vorbringen der Beschwerdeführerin ist die Frage, ob die kantonale Beschwerde aussichtslos gewesen war, vor allem hinsichtlich der ärztlich diagnostizierten Endometriose zu beurteilen. In Bezug auf diese Erkrankung ergibt sich für den Zeitpunkt, in dem die kantonale Beschwerde eingereicht wurde (14. Juni 2007), aus den ärztlichen Unterlagen folgendes Bild: Der von der MEDAS, Medizinische Abklärungsstelle (Gutachten vom 13. April 2006), konsiliarisch beigezogene PD Dr. med. R.________, Gynäkologie und Geburtshilfe FMH, kam im Bericht vom 23. März 2006 gestützt auf eine klinische Untersuchung zum Ergebnis, für die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit sei die Tatsache wesentlich, dass die Explorandin im Bereich von Vulva und Vagina an keinen Schmerzen leide. Der Schmerz, welcher im oberen Vaginalbereich beidseits lateral ausgelöst werden könne, trete bei täglich leichter Arbeit nicht auf, weshalb aus gynäkologischer Sicht die Arbeitsfähigkeit nicht vermindert sei. Demgegenüber erläuterte der behandelnde Arzt, Dr. med. E.________, Leitender Arzt Gynäkologie, Spital X.________, in einer Stellungnahme vom 18. Juli 2006, bei diesem komplexen Krankheitsbild sei mit einer kurzen bimanuellen klinischen Untersuchung keine zuverlässige Aussage zu machen; eine Erklärung der massiven floriden Endometriose sei letztlich nur mittels einer Laparoskopie zu finden. Die chronischen Unterbauchbeschwerden und die damit verbundenen Einschränkungen seien direkt mit dem Zustand nach Endometriose in Verbindung zu bringen; es bestünden zweifellos narbige Verhältnisse bei dieser operativ therapierten schweren Endometriose, welche Schmerzen auslösten und die Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigten. Die Gutachter der MEDAS hielten nach Rücksprache mit PD Dr. med. R.________ am 4. Oktober 2006 fest, dass die wichtigsten Symptome einer Endometriose Unterleibs- und Menstruationsschmerzen seien. Charakteristische körperliche Befunde würden anlässlich einer bimanuellen Untersuchung festgestellt, wobei die Diagnose mit einer Laparoskopie bestätigt werden könne. Nicht selten komme es wie bei der Explorandin zu Weichteilschmerzen, wobei Vernarbungen durch die Endometriose wohl eine Rolle spielten. Im Bericht vom 29. März 2007 bemerkte Dr. med. E.________, auch wenn nach multiplen Operationen keine Endometriose-Herde mehr gefunden werden könnten, persistierten die Schmerzzustände in Folge der Adhäsions- und Narbenbildung. Die schweren rezidivierenden Unter-, Mittel- und Oberbauchbeschwerden seien zweifellos eine Folge der Endometriose, ob diese nun nachweisbar sei oder nicht. 
3.2.2 Aus den zitierten ärztlichen Unterlagen ergibt sich, dass zwei ausgewiesene Fachspezialisten auf dem Gebiete der Gynäkologie das Ausmass der Endometriose und deren gesundheitlichen Auswirkungen divergent beurteilten. Ex ante betrachtet ist daher die vorinstanzlich festgestellte Aussichtslosigkeit der am 14. Juni 2007 eingereichten kantonalen Beschwerde nicht ohne weiteres begründbar. Die Beschwerdeführerin durfte davon ausgehen, dass das kantonale Gericht nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung die medizinischen Berichte frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, zu würdigen hat, was insbesondere bei einander widersprechenden medizinischen Auskünften gilt (vgl. BGE 125 V 251 E. 3a S. 352). Wohl hat es das Eidgenössische Versicherungsgericht mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung vereinbar erachtet, in Bezug auf bestimmte Formen medizinischer Auskünfte Richtlinien zu beachten (vgl. BGE 125 V 351 E. 3b S. 352 ff.). Daraus kann jedoch entgegen der Begründung zur Aussichtslosigkeit der kantonalen Beschwerde im angefochtenen Entscheid nicht geschlossen werden, ein unter Beachtung der einschlägigen Verfahrensvorschriften (vgl. Art. 44 ATSG sowie BGE 132 V 93 E. 6 S. 106 ff. und 376 E. 6 ff. S. 380 ff.) von der IV-Stelle eingeholtes medizinisches Gutachten einer unabhängigen und unparteilichen Medizinischen Abklärungsstelle (vgl. dazu BGE 123 V 175) sei vom kantonalen Gericht bei der Beweiswürdigung nur noch eingeschränkt überprüfbar. Aus der der Beurteilung der Aussichtslosigkeit vorangegangenen Beweiswürdigung der Vorinstanz lässt sich denn auch nichts Gegenteiliges entnehmen. Vielmehr legte sie einlässlich dar, weshalb zur Beurteilung des Gesundheitszustands und der Arbeitsfähigkeit auf das MEDAS-Gutachten und nicht auf anderweitige medizinische Unterlagen abzustellen ist. Im Übrigen wurde erst mit dem von der Beschwerdeführerin bestellten und im Verlaufe des kantonalen Verfahrens abgegebenen Gutachten des Prof. Dr. med. M.________, Co-Direktor, Chefarzt Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie, Frauenklinik, Spital Y.________, vom 22. Januar 2008 (vgl. auch dessen Ergänzungen vom 29. Juli 2008) klar, dass die geltend gemachten urologischen und die damit zusammenhängenden Beschwerden weder klinisch-gynäkologisch noch radiologisch (Ultrasonographie) objektivierbar und auch die vermuteten multiplen Verwachsungen nicht nachweisbar waren. Insgesamt können prospektiv die Gewinnaussichten im Zeitpunkt bei Einreichung der kantonalen Beschwerde am 14. Juni 2007 nicht als beträchtlich geringer angesehen werden als die Verlustgefahren. Die Vorinstanz hat daher die Aussichtslosigkeit der kantonalen Beschwerde in Verletzung von Art. 29 Abs. 3 Satz 1 BV festgestellt. Ob sie zudem, wie letztinstanzlich geltend gemacht wird, den Anspruch auf Rechtsmittelgarantie (vgl. Art. 29a BV) und den Grundsatz der Waffengleichheit (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV) verletzt hat, ist daher nicht zu beurteilen. Die Sache ist an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es die für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege weiter vorausgesetzte Bedürftigkeit prüfe. 
 
4. 
4.1 Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). 
 
4.2 Infolge Obsiegens steht der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 2 BGG). Diese geht zu Lasten des Kantons Schaffhausen, weil der IV-Stelle im Verfahren um die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege keine Parteistellung zukommt (RKUV 1994 Nr. 184 S. 78, U 24/93 E. 5). Damit wird das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG) gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass Dispositiv-Ziffern 2 und 3 des Entscheides des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 24. Oktober 2008 aufgehoben werden und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie das im kantonalen Verfahren gestellte Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Erwägung 3.2.2 neu beurteile. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Schaffhausen hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2000.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle Schaffhausen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 1. April 2009 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Ursprung Grunder