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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1143/2017  
 
 
Urteil vom 1. Juni 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
handelnd durch seine Eltern, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einsprache gegen Strafbefehl, Rückzugsfiktion, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts 
des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, 
vom 30. August 2017 (BK 17 223). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Regionale Jugendanwaltschaft Emmental-Oberaargau verurteilte X.________ mittels Strafbefehl vom 24. Januar 2017wegen Sachbeschädigung und Beschimpfung zu einem Tag persönlicher Leistung. 
Dagegen erhob X.________, handelnd durch seine Eltern, Einsprache. Die Jugendanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies die Akten am 13. Februar 2017 an das Jugendgericht des Kantons Bern. Dieses erkannte am 11. Mai 2017 gestützt auf Art. 356 Abs. 4 StPO, dass der Strafbefehl infolge Rückzugs der Einsprache in Rechtskraft erwachsen sei. 
Die gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde von X.________ wies das Obergericht des Kantons Bern am 30. August 2017 ab. 
 
B.  
X.________, handelnd durch seine Eltern, gelangt mit Beschwerde an das Bundesgericht und verlangt sinngemäss die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids vom 30. August 2017 sowie die Einstellung des Verfahrens gegen ihn. Erersucht um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
C.  
Generalstaatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Bern verzichten auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, die Vorinstanz erachte die Voraussetzungen für eine Rückzugsfiktion gemäss Art. 356 Abs. 4 StPO zu Unrecht als erfüllt.  
 
1.2. Eine Einsprache gilt als zurückgezogen, wenn die Einsprache erhebende Person der Hauptverhandlung unentschuldigt fern bleibt und sich auch nicht vertreten lässt (Art. 356 Abs. 4 StPO). Nach der Rechtsprechung darf ein konkludenter Rückzug der Einsprache nur angenommen werden, wenn sich aus dem gesamten Verhalten des Betroffenen der Schluss aufdrängt, er verzichte mit seinem Desinteresse am weiteren Gang des Verfahrens bewusst auf den ihm zustehenden Rechtsschutz. Der von Art. 356 Abs. 4 StPO an das unentschuldigte Fernbleiben geknüpfte (fingierte) Rückzug der Einsprache setzt deshalb voraus, dass sich der Beschuldigte der Konsequenzen seiner Unterlassung bewusst ist und er in Kenntnis der massgebenden Rechtslage auf die ihm zustehenden Rechte verzichtet. Zu verlangen ist, dass der Betroffene hinreichend über die Folgen des unentschuldigten Fernbleibens in einer ihm verständlichen Weise belehrt wird. Die Rückzugsfiktion kann sodann nur zum Tragen kommen, wenn aus dem unentschuldigten Fernbleiben nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf ein Desinteresse am weiteren Gang des Strafverfahrens geschlossen werden kann (BGE 140 IV 86 E. 2.6; 140 IV 82 E. 2.3; je mit Hinweis).  
 
1.3. Die Vorinstanz führt in sachverhaltlicher Hinsicht aus, das erstinstanzliche Gericht habe den Beschwerdeführer und seine gesetzliche Vertretung sowie die Jugendanwaltschaft und die Privatklägerin zur Vergleichs- und anschliessenden Hauptverhandlung für den 11. Mai 2017 vorgeladen. In Ziffer 4 der Vorladung habe das Jugendgericht explizit auf die Rechtsfolgen gemäss Art. 356 Abs. 4 StPO verwiesen und festgehalten, dass die Einsprache als zurückgezogen gelte, wenn die Einsprache erhebende Person der Vergleichs- und Hauptverhandlung unentschuldigt fernbleibe und sich auch nicht vertreten lasse. Aus dem Verhandlungsprotokoll vom 11. Mai 2017 gehe hervor, dass die Vergleichsverhandlung um 08.37 Uhr eröffnet worden sei und die Privatklägerin sowie der Beschwerdeführer mit seiner gesetzlichen Vertretung anwesend gewesen seien. Die Verfahrensleitung habe das Vorgehen erklärt, worauf der Beschwerdeführer vorfrageweise eingewendet habe, das Jugendgericht sei nicht zuständig. Nachdem dieses in der Folge seine Zuständigkeit festgestellt und diesen Beschluss eröffnet sowie begründet habe, hätten der Beschwerdeführer und seine Mutter den Gerichtssaal verlassen. Auch auf Nachfrage der Verfahrensleitung hätten sie keine Auskunft darüber gegeben, wohin sie gingen. Im Rahmen der darauf folgenden Vergleichsverhandlungen sei der Vater des Beschwerdeführers nach einem ersten Gespräch gebeten worden, vor dem Gerichtssaal zu warten. Nach Beendigung des Gesprächs mit der Privatklägerin seien weder der Vater des Beschwerdeführers noch dieser selbst oder seine Mutter vor dem Gerichtssaal anwesend gewesen. Infolge gescheiterter Vergleichsverhandlung sei diese um 09.00 Uhr geschlossen worden. Um 09.40 Uhr sei die Hauptverhandlung eröffnet und festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer und seine gesetzliche Vertretung unentschuldigt nicht erschienen und auch nicht vertreten seien. Nachdem sowohl der Beschwerdeführer als auch die gesetzliche Vertretung im Verlaufe der vorangehenden Vergleichsverhandlungen den Gerichtssaal verlassen hätten, habe das Gericht zwecks Eröffnung der anschliessenden Hauptverhandlung zwischen 09.00 und 09.40 Uhr vergeblich im und vor dem Gerichtsgebäude Ausschau nach ihnen gehalten. Nach Angaben eines Mitarbeiters der Loge hätten zuerst der Beschwerdeführer und seine Mutter sowie etwas später auch der Vater das Amthaus verlassen. Gleichentags habe das Jugendgericht beschlossen, dass der Strafbefehl vom 24. Januar 2017 in Rechtskraft erwachsen sei.  
 
1.4. Die Vorinstanz erwägt zutreffend, weder der Beschwerdeführer und seine Mutter noch sein Vater seien aufgefordert worden, das Gerichtsgebäude zu verlassen oder gar der Hauptverhandlung fernzubleiben. Der Beschwerdeführer und seine gesetzliche Vertretung hätten sich vom Gerichtsgebäude entfernt, weil sie mit dem Verfahren nicht einverstanden gewesen seien. Aus dem Verlassen des Gerichtsgebäudes, dem anschliessenden Fernbleiben von der Hauptverhandlung sowie den Einwänden gegen das Strafverfahren dränge sich der Schluss auf, dass der Beschwerdeführer kein Interesse mehr an der Fortführung des Verfahrens hatte. Weil er in der Vorladung explizit auf die Rechtsfolgen eines unentschuldigten Fernbleibens von der Vergleichs- und Hauptverhandlung hingewiesen worden sei, könne nur von einem bewussten Verzicht auf den ihm zustehenden Rechtsschutz ausgegangen werden. Aus der Vorladung, der Verfügung vom 4. Mai 2017 sowie dem Protokoll der Vergleichsverhandlung gehe hervor, dass die Parteien informiert gewesen seien, dass die Hauptverhandlung im Anschluss an die Vergleichsverhandlung stattfinden werde. Damit musste der Beschwerdeführer sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst sein. Dass dies nicht der Fall gewesen sei, werde von ihm bzw. seiner gesetzlichen Vertretung denn auch nicht behauptet. Somit liege ein unentschuldigtes Fernbleiben von der Hauptverhandlung vor.  
Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer setzt sich mit den vorinstanzlichen Erwägungen allenfalls rudimentär auseinander. Er vermag nicht darzutun und es ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Bundesrecht verletzen sollen. 
 
1.5. Im Übrigen genügt die Beschwerde den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG nicht, weshalb auf die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers nicht einzutreten ist.  
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da die sinngemäss geltend gemachte Mittellosigkeit nicht nachvollziehbar belegt ist (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 64 BGG; BGE 125 IV 161 E. 4). Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. Juni 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Faga