Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1C_302/2019
Urteil vom 1. November 2019
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Chaix, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Dold.
Verfahrensbeteiligte
1. Micha Siegrist,
2. Fabienne Luder,
3. Leo Keller,
Beschwerdeführer,
gegen
Stadtrat Aarau,
Rathausgasse 1, 5000 Aarau,
Departement Volkswirtschaft und Inneres
des Kantons Aargau, Gemeindeabteilung,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau 1 Fächer.
Gegenstand
Referendum BNO-Revision,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 23. April 2019 (WBE.2019.98).
Sachverhalt:
A.
Am 15. November 2018 veröffentlichte der Stadtrat Aarau auf der stadteigenen Internetseite das Protokoll der Einwohnerratssitzung vom 27. August 2018. An jener Sitzung hatte der Einwohnerrat gemäss der Publikation im Amtsblatt des Kantons Aargau vom 31. August 2018 folgenden Beschluss gefasst:
1.1
Der Einwohnerrat beschliesst die Revision der Nutzungsplanung mit Ausnahme der genehmigten Teilrückweisungsanträge zu § 3 Abs. 1, § 3 Abs. 4, § 16 Abs. 4, § 17 Abs. 8, § 18 Abs. 4, § 52 und Anhang 2 (Perimeter Bahnhof Nord, Bahnhof Süd, Torfeld Nord und Telli Ost). Der Stadtrat wird beauftragt, dem Einwohnerrat ausserhalb der BNO ein einwohnerrätliches Mehrwertabgabereglement zu unterbreiten. Die Meyer'schen Stollen sind in den Nutzungsplänen orientierungshalber einzutragen. Der Planungsbericht vom 7. Mai 2018 ist gemäss Beschluss zu ergänzen.
Am 19. November 2019 reichten Micha Siegrist, Albert Rüetschi, Leo Keller und Fabienne Luder beim Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI) des Kantons Aargau eine Stimmrechtsbeschwerde ein. Sie verlangten, der Stadtrat sei zu verpflichten, hinsichtlich der am 27. August 2018 beschlossenen Revision der kommunalen Nutzungsplanung eine neue Referendumsfrist anzusetzen.
Das DVI trat mit Entscheid vom 4. März 2019 auf die Stimmrechtsbeschwerde nicht ein. Eine von den genannten Personen daraufhin erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 23. April 2019 ab, soweit es darauf eintrat.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 31. Mai 2019 beantragen Micha Siegrist, Fabienne Luder und Leo Keller, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Behandlung an das DVI zurückzuweisen. Zudem stellen sie eine Reihe von Anträgen für den Fall, dass das Bundesgericht ihre Beschwerde materiell behandeln sollte.
Das Verwaltungsgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Der Stadtrat beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das DVI schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer 1 hat dazu Stellung genommen.
Erwägungen:
1.
1.1. Angefochten ist das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. April 2019, das den Nichteintretensentscheid des DVI bestätigt. Inhaltlich rügten die Beschwerdeführer vor dem DVI eine Verletzung politischer Rechte. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in der Form der Stimmrechtsbeschwerde gemäss Art. 82 lit. c BGG ist deshalb gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zulässig. Das angefochtene Urteil ist kantonal letztinstanzlich und entspricht den Anforde-rungen von Art. 88 BGG. Die Beschwerdeführer sind unbestrittenermassen in Aarau stimmberechtigt und damit gemäss Art. 89 Abs. 3 BGG zur Beschwerde legitimiert.
1.2. Der Verfahrensgegenstand vor Verwaltungsgericht war auf die Frage der Einhaltung der Frist für die Beschwerde an das DVI beschränkt und ist es deshalb auch vor Bundesgericht. Insoweit, als die Beschwerdeführer darüber hinausgehen und Anträge zur Sache selbst stellen, ist auf ihre Beschwerde nicht einzutreten.
1.3. Im Rahmen der Beschwerde in Stimmrechtssachen prüft das Bun-desgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (Art. 95 lit. d BGG; BGE 141 I 221 E. 3.1 S. 224 mit Hinweis).
2.
2.1. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von § 64 des Gesetzes des Kantons Aargau vom 10. März 1992 über die politischen Rechte (GPR; SAR 131.100). Sie hätten bereits in ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht kritisiert, dass das DVI nach dieser Bestimmung von Amtes wegen eine Untersuchung hätte durchführen müssen. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht zu diesem Antrag geäussert, was eine Rechtsverweigerung darstelle.
2.2. Die Beschwerdeführer hatten in ihrer Beschwerde vom 19. November 2018 dem DVI keine amtliche Untersuchung beantragt. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht in seinem Urteil festhielt, es sei einzig zu prüfen, ob das DVI zu Recht auf die Beschwerde nicht eingetreten sei. Weitere Ausführungen waren nicht erforderlich. Eine Rechtsverweigerung ist zu verneinen.
3.
Das Verwaltungsgericht legte dar, die Beschwerdeführer hätten die in § 68 GPR vorgesehene Frist von drei Tagen für die Erhebung einer Stimmrechtsbeschwerde ans DVI nicht beachtet. Diese habe mit der Publikation des Beschlusses selbst und nicht erst mit der Veröffentlichung des Protokolls der Ratssitzung zu laufen begonnen. Die Beschwerdeführer bestreiten dies und wiederholen dabei im Wesentlichen die Kritik, die die Beschwerdeführer 1 und 3 bereits im bundesgerichtlichen Verfahren 1C_301/2019 vorbrachten. Auf die Erwägungen des Urteils in jenem Verfahren, das am gleichen Datum wie das vorliegende Urteil ergeht, kann verwiesen werden. Daraus ergibt sich, dass die kurze Beschwerdefrist von drei Tagen aufgrund des öffentlichen Interesses an einer raschen Klärung der Rechtslage nicht verfassungswidrig ist und dass der von den Beschwerdeführern behaup-tete Mangel bereits mit der Publikation des Beschluss erkennbar gewesen war (a.a.O., E. 4).
Darüber hinaus weisen die Beschwerdeführer auf angebliche Mängel hin, von denen sie erst aufgrund des am 15. November 2018 veröffentlichten Protokolls der Einwohnerratssitzung vom 27. August 2018 erfahren hätten. Sie machen geltend, es sei zunächst unklar gewesen, ob die im Beschluss des Einwohnerrats genannten Bestimmungen zu den Perimetern "Bahnhof Nord, Bahnhof Süd, Torfeld Nord und Telli Ost" insgesamt oder nur teilweise zurückgewiesen worden seien. Aus dem Protokoll ergebe sich, dass Letzteres zutreffe. Der Stadtrat hat dagegen in seinen Vernehmlassungen im bundesgerichtlichen sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dargelegt, die betreffenden Bestimmungen seien vollständig zurückgewiesen worden; der Begründungstext der Rückweisungsanträge oder das Protokoll der Einwohnerratssitzung seien in diesem Zusammenhang nicht relevant. Diese Auffassung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Massgebend ist der im Amtsblatt veröffentlichte Beschlusstext und aus diesem ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Rückweisungen die Bestimmungen nicht in ihrer Gesamtheit erfassen sollten. Indem das Verwaltungsgericht davon ausging, dass die Publikation des Protokolls keinen rechtlichen Mangel des einwohnerrätlichen Beschlusses vom 27. August 2018 offenbarte, verletzte es deshalb das Stimmrecht der Beschwerdeführer nicht. Immerhin ist verständlich, dass das Protokoll Verwirrung hervorrief. Ihm ist zu entnehmen, dass sich die betreffen-den parlamentarischen Anträge einzig auf die Ergänzung der mit den Pflichtgestaltungsplänen verknüpften Ziele bezogen und nicht auch auf die Abweichungen von den Regelbaumassen. Zwischen den diese Anträge gutheissenden Beschlüssen und dem publizierten, im Rahmen der Schlussabstimmung gefassten Gesamtbeschluss besteht somit eine Diskrepanz. Auf diesen Umstand wird im Zusammenhang mit dem vom Verwaltungsgericht erhobenen Vorwurf der mutwilligen Beschwerdeführung zurückzukommen sein (E. 4 hiernach).
Weiter bringen die Beschwerdeführer vor, es wäre für die Ergreifung des Referendums wichtig gewesen, sämtliche Abänderungsanträge zu kennen, weil dies die politische Einschätzung der Vorlage und die Suche nach potenziellen Verbündeten erleichtert hätte. Weiter habe das Vorgehen, nur diejenigen Teilrückweisungsanträge zu überweisen, die es gestatten sollten, auch die Rumpf-BNO bereits vorzeitig in Kraft zu setzen, erst mit Hilfe des Protokolls nachvollzogen werden können. Das Wissen um solche demokratiepolitisch fragwürdigen Vorgehensweisen sei offensichtlich für ein Referendumskomitee von eminenter Bedeutung. Mit diesen Ausführungen legen die Beschwerdeführer nicht in nachvollziehbarer Weise dar, inwiefern der angefochtene Entscheid rechtsverletzend sein soll. Darauf ist nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG).
Soweit die Beschwerdeführer schliesslich geltend machen, es habe erstmals mit Hilfe des Protokolls nachvollzogen werden können, was es mit der Ergänzung des Planungsberichts, den Meyerschen Stollen und dem Mehrwertabgabenreglement auf sich habe, kann wiederum auf das Urteil im Verfahren 1C_301/2019 verwiesen werden. Dort wird dargelegt, dass die Beschwerdeführer keiner weiteren Angaben bedurften, um zu rügen, der Beschluss des Einwohnerrats sei unklar gewesen (a.a.O., E. 4.4.5).
4.
Gemäss § 72 Abs. 1 GPR werden bei Verfahren über Stimmrechtsbeschwerden keine Verfahrenskosten erhoben, wobei mutwillige und trölerische Beschwerden von der Kostenbefreiung ausgenommen sind. Sowohl das DVI als auch das Verwaltungsgericht qualifizierten die bei ihnen erhobenen Beschwerden als mutwillig und erhoben Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 1'000.-- bzw. Fr. 2'215.--. Angesichts des Umstands, dass das Protokoll der Sitzung des Einwohnerrats vom 27. August 2018 zu Missverständnissen Anlass geben konnte, ist jedoch nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführer darin eine das Stimmrecht tangierende Unregelmässigkeit erblickten. Ihnen eine geradezu mutwillige Beschwerdeführung vorzuwerfen, erscheint jedenfalls als unhaltbar und damit willkürlich (Art. 9 BV).
5.
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit aufzuheben, als damit den Beschwerdeführern Verfahrenskosten auferlegt wurden und die Auferlegung von Verfahrenskosten durch das DVI bestätigt wurde. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Verfahrensausgang sind den Beschwerdeführern lediglich reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen ( Art. 68 Abs. 1-3 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 23. April 2019 wird im Kostenpunkt (Dispositiv-Ziff. 2) sowie insoweit aufgehoben, als damit die Erhebung von Verfahrenskosten im Entscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres vom 4. März 2019 bestätigt wurde. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens werden im Umfang von Fr. 500.-- den Beschwerdeführern auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Stadtrat Aarau, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 1. November 2019
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Chaix
Der Gerichtsschreiber: Dold