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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
H 235/03 
 
Urteil vom 2. März 2004 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Scartazzini 
 
Parteien 
G.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jean-Marc von Gunten, Albisriederstrasse 361, 8047 Zürich, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber, Siewerdtstrasse 9, 8050 Zürich, Beschwerdegegnerin, 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 30. Juni 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die seit dem 4. Mai 1976 im Handelsregister des Kantons Zürich eingetragene Firma X.________ wurde von G.________ und O.________ gemäss Kaufvertrag vom 20. März 1997 erworben. Sie war der Ausgleichskasse der Zürcher Arbeitgeber (nachfolgend: Ausgleichskasse) seit Mai 1997 als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen und rechnete die paritätischen und FAK-Beiträge monatlich auf Grund einer Pauschale ab. Am 10. Januar 2001 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Dabei kam die Ausgleichskasse mit ihrer Forderung paritätischer Sozialversicherungsbeiträge (Beiträge der AHV/ IV/ EO und der Arbeitslosenversicherung) für die Jahre 1998-2000 gemäss Konkurseingabe vom 2. März 2001 in der Höhe von Fr. 367'166.20 (zuzüglich Verwaltungskosten, Verzugszinsen, Mahngebühren und Betreibungskosten) zu Verlust. 
 
Mit Verfügung vom 23. November 2001 forderte die Ausgleichskasse von den ehemaligen Verwaltungsräten G.________ und O.________ in solidarischer Haftbarkeit Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge im genannten Gesamtbetrag. Dagegen erhoben die Betroffenen am 9. Januar 2002 Einspruch. 
B. 
Mit Eingabe vom 8. Februar 2002 reichte die Ausgleichskasse beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage auf Schadenersatz im reduzierten Umfang von Fr. 331'826.70 ein. Am 19. April 2002 liessen G.________ und O.________ beim kantonalen Gericht ein Fristwiederherstellungsbegehren stellen, welches mit Verfügung vom 25. April 2002 abgewiesen wurde. Nach dagegen erhobener Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestätigte das Eidgenössische Versicherungsgericht die Abweisung des Begehrens mit Urteil vom 6. August 2002. 
 
Mit Entscheid vom 30. Juni 2003 hiess das kantonale Sozialversicherungsgericht die Klage der Ausgleichskasse gut, indem G.________ und O.________ verpflichtet wurden, ihr in solidarischer Haftung Schadenersatz in der Höhe von Fr. 331'826.70 zu bezahlen. 
C. 
Gegen den kantonalen Entscheid lässt G.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und die Rechtsbegehren stellen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die Klage der Ausgleichskasse abzuweisen. Demgemäss sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin festzustellen, dass ihn keine solidarische Haftung für Forderungen der Ausgleichskasse gegen O.________ treffe. 
 
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung sowie O.________ verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Nachdem die Ausgleichskasse lediglich Schadenersatz für entgangene Beiträge der AHV/IV/EO und der Arbeitslosenversicherung (zuzüglich Verzugszinsen) sowie Verwaltungs- und Betreibungskosten, einschliesslich Mahngebühren geltend macht, ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vollumfänglich einzutreten (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis). 
2. 
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und Rechtsprechung die Voraussetzungen der subsidiären Haftbarkeit der Organe juristischer Personen für den der Ausgleichskasse wegen schuldhafter Missachtung der Vorschriften über die Beitragsabrechnung und -zahlung entstandenen Schaden zutreffend dargelegt (vgl. statt vieler BGE 121 V 240 Erw. 3c/bb und 4b sowie 114 V 214 Erw. 3 und 4; siehe auch BGE 123 V 15 Erw. 5b). Richtig sind ferner die Erwägungen zur Haftungsvoraussetzung des qualifizierten Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b) sowie bezüglich dem dabei zu berücksichtigenden - differenzierten - Sorgfaltsmassstab (BGE 122 V 189 Erw. 3c, 108 V 202 Erw. 3a; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96, S. 1081). Darauf wird verwiesen. 
 
Wie das kantonale Gericht richtig erkannt hat, findet das auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, mit welchem zahlreiche Bestimmungen im AHV-Recht, insbesondere auch hinsichtlich der Arbeitgeberhaftung nach Art. 52 AHVG, geändert wurden, vorliegend keine Anwendung. Nach dem massgebenden Zeitpunkt des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen haben unberücksichtigt zu bleiben (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen, 127 V 467 Erw. 1, 126 V 166 Erw. 4b). 
4. 
Es ist unbestritten und steht auf Grund der Akten fest, dass die Firma X.________ die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge für die Jahre 1998 - 2000 nur teilweise bezahlt hat und der Ausgleichskasse dadurch ein Schaden entstanden ist. Grundsätzlich unbestritten ist auch die Organstellung des Beschwerdeführers, welcher im Februar 1996 in der Funktion eines Direktors in das Unternehmen eintrat. Diesbezüglich lässt der Beschwerdeführer indessen ausführen, nicht er, sondern O.________ sei Hauptverantwortlicher für die Zahlungsausstände der Firma X.________ gewesen, da dieser bereits fünfeinhalb Jahre für die Gesellschaft in verschiedenen Funktionen tätig gewesen sei und sie von Grund auf gekannt habe. 
4.1 Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Da der Beschwerdeführer ab Februar 1996 Direktor der genannten Firma war, oblag ihm die operative Gesamtverantwortung für das Unternehmen. Bereits im Jahr 1997 wurde er Verwaltungsratspräsident der Gesellschaft und damit stand ihm die volle Verantwortung für die Firma X.________ zu, insbesondere auch die Kontrolle des Geschäftsführers O.________. Diese Funktion hielt er bis zur Konkurseröffnung vom 10. Januar 2001 inne, wobei er zudem ab dem 8. Dezember 1998 auch Delegierter des Verwaltungsrates war. Ob O.________ sich hauptsächlich um die finanziellen Aspekte der Unternehmung gekümmert hat, wie dies der Beschwerdeführer behauptet, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Denn in rechtlicher Hinsicht ist allein ausschlaggebend, dass dem Beschwerdeführer Organstellung zukam. 
4.2 Ein grobfahrlässiges Verhalten des Beschwerdeführers ist im vorliegenden Fall ebenfalls erstellt. Wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat, waren mit der Ausgleichskasse verschiedentlich Abzahlungsvereinbarungen getroffen worden und die Firma X.________ musste schon für Beitragsausstände des Jahres 1998 gemahnt werden. Aus dem Jahr 1999 liegen sodann vier vom 17. September datierte Vereinbarungen bezüglich verschiedener ausstehender Rechnungen vor, wobei die Zahlungsrückstände in der Folge immer grösser wurden und ab 1999 sich auch die Mahnungen häuften. Dennoch wurden die Ausstände nicht beglichen, sie stiegen vielmehr noch an. In der Tat wartete der Beklagte relativ lange zu, bis er sich um Teilabzahlungen der ausstehenden Beiträge bemühte. Die aus dem Jahr 2000 datierende Korrespondenz zwischen den Organen der Firma X.________ und der Ausgleichskasse belegt zudem, dass Zahlungstermine immer wieder hinausgeschoben wurden, sodass die Klägerin am 12. Juli 2000 in diesem Zusammenhang mehrere Betreibungen anheben musste. In Anbetracht dieser Umstände ist grobfahrlässiges Handeln im Sinne der Rechtsprechung zu bejahen. 
5. 
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, sein Verschulden sei gegenüber demjenigen von O.________ minder zu gewichten und seine Haftung sei einzuschränken. Insbesondere beruft er sich auf Art. 759 Abs. 1 OR und behauptet, das Prinzip der differenzierten Solidarität habe zur Folge, dass auch im Aussenverhältnis der individuelle Grad des Verschuldens eines Beteiligten zu berücksichtigen sei. So wirft er dem kantonalen Gericht vor, den Schaden nicht im Verhältnis der Schwere des Verschuldens jedes einzelnen der zwei ehemaligen Verwaltungsräte der Gesellschaft aufgeteilt zu haben. 
 
Sind für einen Schaden mehrere Personen ersatzpflichtig, so ist jede von ihnen insoweit mit den anderen solidarisch haftbar, als ihr der Schaden auf Grund ihres eigenen Verschuldens und der Umstände persönlich zurechenbar ist (Art. 759 Abs. 1 OR). Die genannte Bestimmung kann für die haftpflichtige Person zu einer Herabsetzung auf den Betrag führen, den sie als Alleinhaftende bezahlen müsste (differenzierte Solidarität) und erlaubt ihr, eigene Reduktionsgründe geltend zu machen. Hinsichtlich der Verschuldensschwere kann der Schädiger jedoch einzig deren Geringfügigkeit geltend machen. Da die auf Art. 52 AHVG gegründete Schadenersatzpflicht begrifflich ein qualifiziertes Verschulden voraussetzt, sei es aus vorsätzlichem Verschulden oder aus grober Fahrlässigkeit, findet Art. 759 OR nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts auf das Schadenersatzverfahren gemäss Art. 52 AHVG keine Anwendung (AHI 1996 S. 294 Erw. 6). 
6. 
6.1 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, in Anbetracht der schwierigen finanziellen Lage des Unternehmens sei beabsichtigt worden, durch die Nichtbezahlung der Beiträge die Existenz der Firma zu retten. Ein solches Vorgehen befreit dann von einer Haftung gemäss Art. 52 AHVG, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt seiner Entscheidung auf Grund der objektiven Umstände und einer sachgerechten Beurteilung der Lage damit rechnen durfte, dass er die Forderung der Ausgleichskasse innert nützlicher Frist würde befriedigen können (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b; ZAK 1985 S. 576 Erw. 2, 619 Erw. 3a). 
6.2 Nach den für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlichen Feststellungen (vgl. Erw. 2 hievor) des kantonalen Gerichts bestanden die Zahlungsschwierigkeiten der Firma bereits im Jahre 1998. Diese finanziellen Schwierigkeiten wurden immer ausgeprägter und führten schliesslich zum Konkurs. Dabei musste die wirtschaftliche Lage des Unternehmens dem Beschwerdeführer, welcher ab Februar 1996 Direktor der Gesellschaft war, bewusst sein. In dieser Funktion unternahm er im Jahr vor der Konkurseröffnung zwar Verhandlungen über mögliche Verkäufe einzelner Filialen, welche jedoch nicht zu einer besseren Liquidität des Unternehmens führten. Der Beschwerdeführer macht diesbezüglich geltend, im Sommer 2000 hätten noch gute Aussichten bestanden, nach fruchtbaren Gesprächen und realistischer Einschätzung der Situation alle Filialen an die Firma Z.________ zu verkaufen. Erst nachdem die Mitarbeiter der Firma Y.________ die Arbeit am niedergelegt hätten, was dem Ruf des Geschäftes enorm geschadet habe, sei absehbar geworden, dass sämtliche weiteren Verkaufsbemühungen scheitern würden. 
 
Diese Umstände sind im vorliegenden Zusammenhang nicht ausschlaggebend. Mit Blick auf die Verhältnisse, wie sie sich bereits bis Ende 1999 entwickelt hatten, lässt sich nichts Greifbares eruieren, was aus der damaligen Situation zur begründeten Erwartung hätte führen können, den Betrieb über die Runden zu bringen. Es kann insbesondere nicht von einem vorübergehenden finanziellen Engpass gesprochen werden, in Anbetracht dessen der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Entscheidung auf Grund der objektiven Umstände und einer sachgerechten Beurteilung der wirtschaftlichen Lage damit hätte rechnen dürfen, die Forderung der Ausgleichskasse innert nützlicher Frist befriedigen zu können. Somit liegen nach dem Gesagten keine Rechtfertigungs- oder Entlastungsgründe vor. 
7. 
Der Beschwerdeführer bringt schliesslich vor, der Schadenersatz müsse wegen Mitverschuldens der Beschwerdegegnerin herabgesetzt werden. Nach der Rechtsprechung ist ein derartiges Mitverschulden gegeben, wenn sich die Verwaltung einer groben Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, was namentlich dann der Fall ist, wenn sie elementare Vorschriften der Beitragsveranlagung und des Beitragsbezugs missachtet hat, und wenn im übrigen zwischen dem rechtswidrigen Verhalten und dem Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht (BGE 122 V 189 Erw. 3c). Aus den Akten geht jedoch nicht hervor, dass der Ausgleichskasse ein solches Mitverschulden vorgeworfen werden müsste. 
8. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig, da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, sondern um eine Beitragsstreitigkeit geht (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses hat demzufolge der unterliegende Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, O.________, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 2. März 2004 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: