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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2C_70/2007 /leb 
 
Urteil vom 2. Mai 2007 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen, 
Gerichtsschreiber Feller. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch 
Fürsprecher Rolf Röthlisberger, 
 
gegen 
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern, 
3011 Bern, 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, 
Speichergasse 12, 3011 Bern. 
 
Gegenstand 
Ausweisung, 
 
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, 
vom 12. Februar 2007. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Der kroatische Staatsangehörige X.________, geboren 1980, reiste am 15. April 1982 zusammen mit seinen Eltern in die Schweiz ein. Er verfügt über eine Niederlassungsbewilligung. Im März 2001 heiratete er eine - in der Schweiz niedergelassene - Landsfrau, mit welcher zusammen er zwei Töchter, geboren 2000 und 2002, hat, die ebenfalls im Genuss der Niederlassungsbewilligung sind. Im Juni 2004 wurde die Ehe geschieden; die Mutter hat das Sorgerecht über die Töchter. 
 
Am 12. Januar 2005 erkannte das Kreisgericht VIII Bern-Laupen X.________ unter anderem der versuchten vorsätzlichen Tötung, begangen am 25. Mai 2003 zum Nachteil seiner Ehefrau, der mehrfach begangenen Drohung und der Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz für schuldig und verurteilte ihn zu sechs Jahren Zuchthaus unter Anordnung einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung, zu acht Jahren Landesverweisung (bedingt bei einer Probezeit von drei Jahren) und zur Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 25'000.-- an seine Ehefrau sowie von Fr. 5'000.-- und Fr. 2'000.-- an seine Töchter. 
1.2 Insbesondere unter Bezugnahme auf das Strafurteil vom 12. Januar 2005 wies der Migrationsdienst des Kantons Bern X.________ mit Verfügung vom 13. April 2005 für unbestimmte Dauer aus der Schweiz aus und forderte ihn auf, die Schweiz nach der Entlassung aus dem Strafvollzug zu verlassen. Eine Beschwerde an die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern blieb erfolglos. Mit Urteil vom 12. Februar 2007 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die gegen den Direktionsentscheid erhobene Beschwerde ab. 
1.3 Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 15. März 2007 beantragt X.________ dem Bundesgericht, das verwaltungsgerichtliche Urteil sei vollumfänglich aufzuheben und von seiner Ausweisung aus der Schweiz sei abzusehen. Die Polizei- und Militärdirektion und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern beantragen, gleich wie das Bundesamt für Migration, Abweisung der Beschwerde. 
 
Mit Verfügung vom 2. April 2007 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
2. 
2.1 Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG kann der Ausländer aus der Schweiz ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde. Der Beschwerdeführer ist wegen eines Verbrechens zu einer längeren Zuchthausstrafe verurteilt worden, womit gegen ihn ein Ausweisungsgrund vorliegt. Die Ausweisung soll nach Art. 11 Abs. 3 ANAG nur verfügt werden, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen erscheint. Für die Beurteilung der Angemessenheit, d.h. der Verhältnismässigkeit (vgl. BGE 125 II 521 E. 2a S. 523) der Ausweisung erklärt Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum ANAG (ANAV; SR 142.201) namentlich als wichtig die Schwere des Verschuldens des Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile. Da bei der vorzunehmenden Interessenabwägung die persönlichen und familiären Verhältnisse zu berücksichtigen sind, hält eine im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ANAG verhältnismässige Ausweisung grundsätzlich auch vor Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) stand. 
 
Ausgangspunkt für die Interessenabwägung gemäss Art. 11 Abs. 3 ANAG ist das Verschulden des Ausländers. Dieses findet vorab im vom Strafrichter verhängten Strafmass seinen Ausdruck. Dabei sind umso strengere Anforderungen an die Schwere des strafrechtlichen Verschuldens zu stellen, je länger ein Ausländer in der Schweiz gelebt hat. Daneben hat auch die Beurteilung der Rückfallgefahr bei der ausländerrechtlichen Interessenabwägung ein gewisses Gewicht, ohne dass ihr allerdings die gleiche Bedeutung wie im Strafrecht zukommt. Selbst bei in der Schweiz geborenen Ausländern der "zweiten Generation" ist die Ausweisung denn auch zulässig, wenn der Ausländer besonders schwere Gewalt-, Sexual- oder Betäubungsmitteldelikte begangen und wiederholt delinquiert hat. Unter Berücksichtigung aller entscheidenden Umstände kann dabei schon eine einzige Verurteilung wegen einer besonders schwerwiegenden Straftat zur Ausweisung führen. Diese Massnahme erscheint aber insbesondere dann geboten, wenn eine sich zusehends verschlechternde Situation vorliegt, d.h. wenn der Ausländer, statt sich zu bessern, mit der deliktischen Tätigkeit fortfährt und sich namentlich immer schwerere Straftaten zuschulden kommen lässt. Was den erwähnten Gesichtspunkt der Rückfallgefahr betrifft, kommt diesem ausserhalb des Geltungsbereichs des Freizügigkeitsabkommens nicht vorrangige Bedeutung zu und muss im Zusammenhang mit Gewaltdelikten selbst ein Restrisiko nicht hingenommen werden (zum Ganzen: BGE 130 II 176 E.4.2 bis 4.4 S. 185 ff.; 129 II 215 E. 3.2 S. 216 f.; 125 II 105 E. 2c S. 109 f, 521 E. 2b S. 523 f. und E. 4a/bb S. 527 f.; 122 II 433 E. 2b und c und E. 3 S. 436 ff.). Zur Frage der Gewichtung schweren strafbaren Verhaltens bei der ausländerrechtlichen Interessenabwägung kann ergänzend auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil (insbesondere E. 2.2 und 3.3) verwiesen werden. 
 
Ob die Ausweisung im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ANAG verhältnismässig ist, stellt eine vom Bundesgericht von Amtes wegen zu prüfende Rechtsfrage dar; es überprüft die ausländerrechtliche Interessenabwägung frei (Art. 106 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 125 II 105 E. 2a S. 107, 521 E. 2a S. 523, mit Hinweisen). Demgegenüber sind die Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts für das Bundesgericht verbindlich; es kann sie bloss dann - von Amtes wegen - berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 1 und Abs. 2 BGG). Sachverhaltsrügen sind denn auch nur zu hören, wenn die tatsächlichen Feststellungen im beschriebenen Sinn qualifiziert mangelhaft sind und für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein können (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
2.2 In tatsächlicher Hinsicht hat das Verwaltungsgericht vorerst die Handlungsweise des Beschwerdeführers geschildert, der am 25. Mai 2003 seine Ehefrau schwer verletzt hatte, wobei das Kreisgericht VIII Bern-Laupen diese Tat am 12. Januar 2005 als versuchte vorsätzliche Tötung wertete. Im angefochtenen Urteil sind weitere gegen den Beschwerdeführer ergangene Straferkenntnisse aufgelistet: Am 25. Oktober 1999 wurde er unter anderem wegen Tätlichkeit und einfacher Körperverletzung mit gefährlichem Gegenstand sowie Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 14 Tagen Gefängnis bedingt verurteilt. Am 16. März 2001 wurde gegen ihn eine später in 40 Tage Haft umgewandelte Busse von Fr. 1'200.-- wegen fahrlässigen Führens eines Personenwagens in angetrunkenem Zustand und ohne erforderlichen Führerausweis sowie Widerhandlungen gegen das Transportgesetz ausgesprochen. In der Folge wurde der Beschwerdeführer insgesamt acht Mal wegen Widerhandlungen gegen das Transportgesetz zu (in 34 Tage Haft umgewandelten) Bussen verurteilt. Ein weiteres Strafverfahren wegen Tätlichkeit, evtl. einfacher Körperverletzung, begangen am 4. Februar 2001 (der Beschwerdeführer hatte in angetrunkenem Zustand einem Kontrahenten mit einem Faustschlag das Nasenbein gebrochen), wurde nach Abschluss eines Vergleichs eingestellt. Schliesslich lag der Verurteilung vom 12. Januar 2005 nicht nur die am 25. Mai 2003 versuchte (eventual-)vorsätzliche Tötung zugrunde; zusätzlich wurde der Beschwerdeführer der mehrfachen Drohung, begangen anfangs Mai und am 24. Mai 2003, sowie der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz durch Konsum einer unbestimmten Menge Kokain von Oktober 2002 bis 24. Mai 2003 schuldig erkannt. Das Verwaltungsgericht hat sodann gestützt auf Gutachten und Berichte das Verhalten des Beschwerdeführers im Strafvollzug dargestellt, allgemein seine persönlichen, beruflichen und finanziellen Verhältnisse beschrieben und sich mit der Entwicklung der Beziehung zu seinen Töchtern befasst. 
 
Die mit der Beschwerde erhobenen Sachverhaltsrügen sind unbegründet. So sind weder die Feststellung, der Beschwerdeführer habe in Kroatien noch Verwandte und könnte gewisse neue Kontakte knüpfen, noch die auf seinen familiären Verhältnissen fussende Einschätzung, dass er die Sprache seines Herkunftslandes "beherrsche" bzw. seine Sprachkenntnisse ohne grossen Aufwand vervollständigen könnte, offensichtlich falsch. Inwiefern die Ausführungen des Verwaltungsgericht zu den übrigen tatsächlichen Umständen im Hinblick auf die zu entscheidende Rechtsfrage unvollständig oder offensichtlich falsch sein sollten, ist nicht ersichtlich. Es kann für das Weitere vollumfänglich auf den vom Verwaltungsgericht ermittelten Sachverhalt abgestellt werden. 
2.3 Der Beschwerdeführer ist wegen eines schweren Gewaltdelikts verurteilt worden. Er versetzte seiner Ehefrau in Anwesenheit der dreijährigen Tochter und von zwei Freunden mit einem Pizzamesser drei Stiche in den Rücken. Sie überlebte die Tat einzig dank sofortiger ärztlicher Hilfe; seit dem Vorfall ist sie arbeitsunfähig, und sie steht in psychiatrischer Behandlung. Das Strafgericht bezeichnete die Tat als völlig unverhältnismässig, der Beschwerdeführer habe aus Eifersucht und Wut gehandelt und Macht demonstrieren wollen. Erschwerend fällt ins Gewicht, dass er kurze Zeit zuvor mehrmals in strafrechtlich relevanter Weise Drohungen ausgesprochen hatte. Wohl ist der Tötungsversuch gegenüber seiner Ehefrau als Beziehungsdelikt zu werten. Die Tat kann indessen nicht als völlig isolierte Einzeltat gelten; sie ist im Zusammenhang mit den anderen vorne erwähnten strafrechtlich relevanten Vorfällen zu sehen, anlässlich derer der Beschwerdeführer seine Gewaltbereitschaft (Tätlichkeiten, Körperverletzungen) bekundet hat. Seit er erwachsen ist, ist er dauernd mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wobei eine sukzessive Verschlechterung des Verhaltens festzustellen ist. Wenn das Verwaltungsgericht unter diesen Umständen von einem sehr schweren Verschulden ausgeht, lässt sich dies auch im Lichte der in der Beschwerde herangezogenen Vergleichsfälle nicht beanstanden. Sowohl das Verhalten über einen längeren Zeitraum wie auch die gesamten Begleitumstände lassen sodann eine gewisse Rückfallgefahr erkennen. Auch die über den Beschwerdeführer vorliegenden Gutachten und Berichte, die für ihn eher positiv ausfallen, vermögen eine solche nicht auszuschliessen. Sein Suchtverhalten (Alkohol und andere Drogen), welches für seine Fehltritte eine gewisse Rolle spielte, hat er in einem kontrollierten Rahmen offenbar weitgehend im Griff. Immerhin waren, während des Strafvollzugs, noch im Februar 2005 ein Alkohol- und im Juli 2005 ein Kokainmissbrauch zu verzeichnen. Gemäss dem neuesten im angefochtenen Urteil berücksichtigten Bericht vom 16. Juni 2006 ist von einer neutralen bis günstigen Entwicklung auszugehen, wobei festgehalten wurde, dass diese Ergebnisse durch eine weiterführende Psycho- und Suchttherapie und die Gestaltung eines stützenden Empfangsraumes (Arbeit, Wohnumfeld, Sozialbeziehungen) nachhaltiger werden könnten. Was das künftige Wohlverhalten des Beschwerdeführers auch nach der Entlassung aus dem Strafvollzug - bei Konfrontation mit den Problemen des praktischen Alltages - betrifft, sind die Berichte nur bedingt aussagekräftig und erlauben Vorbehalte. 
 
Angesichts der Schwere des Verschuldens und des - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - keineswegs bloss geringen Restrisikos eines Rückfalls erscheint die Ausweisung, obwohl der Beschwerdeführer als Kleinkind in die Schweiz eingereist ist, als verhältnismässig, es wäre denn, bei den persönlichen und familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers lägen besondere Umstände vor. Solche sind nicht erkennbar: Nicht nur hat der Beschwerdeführer, seit er erwachsen ist, dauernd gegen die Rechtsordnung verstossen. Auch beruflich ist ihm die Integration nicht gelungen, und er hat seine finanzielle Situation nicht in den Griff bekommen. Hinweise darauf, dass er hierzulande ein besonders ausgeprägtes soziales Beziehungsnetz aufgebaut hätte, gibt es nicht; umgekehrt ist ihm, trotz seiner diesbezüglichen relativierenden Äusserungen, seine Heimat Kroatien nicht unvertraut. Gewicht käme an sich den Beziehungen des Beschwerdeführers zu seinen Töchtern zu. Diese gestalten sich indessen schwierig. Obwohl dies offenbar primär auf die Haltung der Mutter zurückzuführen ist, handelt es sich dabei um eine objektive Gegebenheit; diese Situation ist direkte Folge des vom Beschwerdeführers gegenüber der Mutter der Kinder begangenen Delikts. Weniger Bedeutung kommt den Beziehungen des längst volljährigen Beschwerdeführers zu seinem Vater und der Schwester zu, die in der Schweiz leben. 
2.4 Das Verwaltungsgericht hat nach umfassender Interessenabwägung zutreffend festgestellt, dass keine überwiegenden persönlichen Interessen des Beschwerdeführers das sehr gewichtige öffentliche Interesse an seiner Ausweisung aus der Schweiz aufzuwiegen vermögen. Sein sorgfältig begründetes Urteil verletzt Bundesrecht nicht. Die Beschwerde erweist sich in jeder Hinsicht als unbegründet und ist abzuweisen. 
2.5 Der Beschwerdeführer ersucht darum, es sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, unter Beigabe des unterzeichnenden Rechtsvertreters als amtlicher Anwalt. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, erweist sich die Beschwerde als aussichtslos, und das Gesuch ist abzuweisen (Art. 64 BGG). Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'200.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 2. Mai 2007 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: