Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_2/2022  
 
 
Urteil vom 2. Juni 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, 
nebenamtliche Bundesrichterin Pont Veuthey, 
Gerichtsschreiber Hahn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Christoph Ritzmann, Staatsanwaltschaft Abteilung 3 Sursee, Centralstrasse 35, Postfach 9, 6210 Sursee, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 24. November 2021 (2P 21 7). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Aufgrund einer Strafanzeige von A.________ führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 3 Sursee, eine Strafuntersuchung gegen verschiedene kommunale und kantonale Behördenmitglieder wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs (Art. 312 StGB) sowie der ungetreuen Amtsführung (Art. 314 StGB). Mit der Fallführung des Strafverfahrens betraut wurde Staatsanwalt Christoph Ritzmann. Mit Gesuch vom 17. September 2021 verlangte A.________ den Ausstand von Staatsanwalt Christoph Ritzmann. Dieser erklärte sich mit Stellungnahme vom 4. Oktober 2021 gegenüber dem Kantonsgericht des Kantons Luzern als nicht befangen. Mit Beschluss vom 24. November 2021 wies das Kantonsgericht das Ausstandsgesuch ab. 
 
B.  
Gegen den Beschluss des Kantonsgerichts gelangte A.________ mit Beschwerde in Strafsachen vom 3. Januar 2022 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Gutheissung ihres Ausstandsbegehrens. Mit Eingabe vom 25. Januar 2022 stellte sie weitere Begehren und äusserte sich nochmals zur Sache. 
Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdegegner hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen, selbstständig eröffneten Zwischenentscheid über den Ausstand im Rahmen eines Strafverfahrens. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen (vgl. Art. 78 ff. und Art. 92 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin war als Gesuchstellerin am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist als solche sowie als Adressatin des angefochtenen Beschlusses zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 81 Abs. 1 BGG; Urteil 1B_27/2021 vom 15. März 2021 E. 1.2). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.  
 
1.2. Nicht einzutreten ist allerdings auf die in der Eingabe der Beschwerdeführerin vom 25. Januar 2022 enthaltenen neuen Vorbringen. Nach Ablauf der Beschwerdefrist dürfen grundsätzlich keine neuen Einwände und Verfahrensanträge nachgeschoben werden (vgl. BGE 143 II 283 E. 1.2.3; 134 IV 156 E. 1.6 f.; 132 I 42 E. 3.3.4 je mit Hinweisen; Urteil 1C_557/2016 vom 24. März 2017 E. 1.3).  
 
1.3. Das Bundesgericht hat die kantonalen Strafakten beigezogen. Dem entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin ist damit Genüge getan.  
 
2.  
Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung einer Beschwerde in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Die Bestimmungen von Art. 95 ff. BGG nennen die vor Bundesgericht zulässigen Beschwerdegründe. Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten gilt der in Art. 106 Abs. 1 BGG verankerte Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen nicht; insofern besteht eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 145 I 26 E. 1.3; 143 I 377 E. 1.2; 136 I 49 E. 1.4.1; je mit Hinweisen). Es obliegt der beschwerdeführenden Person klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern die angerufenen Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 142 V 577 E. 3.2). Auf Rügen, mit denen bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geübt wird, tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 II 369 E. 2.1; 137 V 57 E. 1.3). 
Die in der Beschwerde erhobenen Rügen gehen teilweise am Streitgegenstand vorbei und zudem beschränkt sich die Beschwerdeführerin über weite Teile darauf, ohne Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Erwägungen lediglich ihre Sichtweise der Dinge darzutun. Es ist deshalb fraglich, ob die Beschwerdeschrift den dargelegten Begründungsanforderungen genügt. Wie es sich damit verhält, kann aufgrund der nachstehenden Erwägungen aber offengelassen werden, da sich die Beschwerde in der Sache ohnehin als unbegründet erweist. 
 
3.  
Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV geltend macht, ist ihre Rüge nicht zu hören. Entgegen ihrer pauschalen Kritik hat die Vorinstanz bei der Urteilsbegründung sehr wohl berücksichtigt, dass der Beschwerdegegner im Jahr 2007 in seiner damaligen Funktion als Amtsschreiber des Amtsstatthalteramts Willisau bereits einmal mit einem Strafverfahren mit Beteiligung der Beschwerdeführerin befasst war (vgl. E. 4.2 des angefochtenen Beschlusses). Eine Verletzung der Begründungspflicht als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs nach Art. 29 Abs. 2 BV ist damit zu verneinen (vgl. statt vieler: BGE 143 III 65 E. 5.2). Inwiefern das Recht auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK der Beschwerdeführerin in diesem Sachzusammenhang einen über den Gehalt Art. 29 Abs. 2 BV hinausgehenden Schutz gewähren sollte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die entsprechende Rüge stösst damit ins Leere. 
 
4.  
In der Sache macht die Beschwerdeführerin sinngemäss geltend, die Vorinstanz habe die Ausstandsgründe von Art. 56 lit. b und lit. f StPO zu Unrecht als nicht erfüllt erachtet. 
 
4.1. Nach Art. 56 StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person (wozu auch Staatsanwälte und Staatsanwältinnen zählen [Art. 12 lit. b StPO]) unter anderem dann in den Ausstand, wenn sie in einer anderen Stellung in der gleichen Sache tätig war (lit. b) oder aus anderen Gründen befangen sein könnte (lit. f). Art. 56 StPO konkretisiert die verfassungs- und konventionsrechtlich geschützte Garantie des unabhängigen und unparteiischen Gerichts nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist (BGE 144 I 234 E. 5.2; 143 IV 69 E. 3.2 mit Hinweisen). Bei einer Strafverfolgungsbehörde beurteilt sich die Ausstandspflicht nach Art. 29 Abs. 1 BV. Der Gehalt von Art. 30 Abs. 1 BV darf nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden bzw. auf Art. 29 Abs. 1 BV übertragen werden (BGE 141 IV 178 E. 3.2.2 mit Hinweisen). Dem funktionellen Unterschied zwischen einem Gericht (Art. 13 StPO) und einer Strafverfolgungsbehörde (Art. 12 StPO) ist Rechnung zu tragen (vgl. Urteil 1B_139/2018 vom 26. November 2018 E. 4.1).  
 
4.2. Der Ausstandsgrund der sog. Vorbefassung nach Art. 56 lit. b StPO setzt voraus, dass die vom Ausstandsgesuch betroffene Person in einer anderen Stellung in der gleichen Sache tätig war. Ist die Person in derselben Stellung mit der gleichen Sache mehrfach befasst, liegt keine Vorbefassung im Sinne von Art. 56 lit. b StPO vor (BGE 143 IV 69 E. 3.1; Urteil 1B_98/2021 vom 3. März 2022 E. 5.4, zur Publikation vorgesehen). Die Mehrfachbefassung kann unter dem Gesichtswinkel von Art. 56 lit. f StPO Bedeutung erlangen, wenn zu erwarten ist, die betroffene Gerichtsperson habe sich in Bezug auf einzelne Fragen bereits in einem Masse festgelegt, dass das Verfahren im späteren Verfahrensabschnitt nicht mehr als offen erscheint (vgl. Urteile 1B_139/2018 vom 26. November 2018 E. 4.2; 1B_549/2017 vom 16. Februar 2018 E. 2; MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 28 zu Art. 56 StPO).  
Diese Voraussetzungen von Art. 56 lit. b StPO sind vorliegend nicht erfüllt. Es steht zwar fest, dass der Beschwerdegegner im Jahr 2007 in seiner früheren Funktion als Amtsschreiber des Amtsstatthalteramts Willisau bereits einmal mit einem Strafverfahren befasst war, in welchem die Beschwerdeführerin gegen ein Behördenmitglied eine Strafanzeige wegen Urkundenfälschung eingereicht hatte. Dieses Verfahren wurde am 29. März 2007 mittels Einstellungsverfügung abgeschlossen. Wie die Vorinstanz richtig festhielt, betraf die damalige Strafuntersuchung im Vergleich zum aktuellen Strafverfahren jedoch nicht den gleichen Personenkreis und stellten sich auch andere Beweis- und Rechtsfragen, weshalb nicht von einer "gleichen Sache" im Sinne von Art. 56 lit. b StPO gesprochen werden kann. Wie die Beschwerdeführerin in Übereinstimmung mit der Vorinstanz selbst anerkennt, hatte der Beschwerdegegner als Amtsschreiber zudem gar keine Entscheidbefugnis, sondern oblag diese dem damaligen Amtsstatthalter von Willisau. In Anbetracht dessen ist nicht ersichtlich und ergeben sich aus den Akten auch keine Hinweise, inwiefern sich der Beschwerdegegner bezüglich den sich vorliegend stellenden Tat- und Rechtsfragen bereits derart festgelegt haben soll, dass der Verfahrensausgang des Strafverfahrens nicht mehr als offen bezeichnet werden könnte. Die Strafuntersuchung aus dem Jahr 2007 stellt damit auch keine ausstandsbegründende Mehrfachbefassung im Sinne von Art. 56 lit. f StPO dar. Zu prüfen bleibt folglich noch, ob die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin allenfalls geeignet sind, eine Ausstandspflicht gemäss Art. 56 lit. f StPO zu begründen. 
 
4.3. Die Befangenheit einer staatsanwaltlichen Untersuchungsleiterin oder eines Untersuchungsleiters im Sinne von Art. 56 lit. f StPO ist nach der Praxis des Bundesgerichts nicht leichthin anzunehmen. Zu bejahen ist sie, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen der Untersuchungsleitung vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3). Diesbezüglich sind primär die gegen die zu beanstandenden Verfahrenshandlungen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen (vgl. BGE 143 IV 69 E. 3.2; Urteil 1B_266/2020 vom 22. Dezember 2020 E. 3.2). Auch voreilige präjudizielle Äusserungen der Untersuchungsleitung können in begründeten Einzelfällen geeignet sein, objektive Zweifel an ihrer Unparteilichkeit zu begründen. Dies kann zum Beispiel zutreffen, wenn die Untersuchungsleitung nicht gewillt erscheint, ihren unzulässigen, vom zuständigen Gericht gerügten Standpunkt zu ändern (vgl. BGE 138 IV 142 E. 2.4).  
Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin stellt der Umstand, dass der Beschwerdegegner sie dazu aufforderte, ihre Strafanzeige vom 31. Juli 2021 näher zu substanziieren, keine Schikane dar, die eine Ausstandspflicht zu begründen vermöchte. Die Vorinstanz wies insoweit zu Recht darauf hin, dass es für die Ausrichtung einer Strafuntersuchung erforderlich ist, den zur Anzeige gebrachten Sachverhalt genügend klar zu umschreiben. In der Substanziierungsaufforderung ist somit kein krasser Verfahrensfehler im Sinne von Art. 56 lit. f StPO, geschweige denn ein schikanöses Verhalten des Beschwerdegegners zu sehen. Keinen Ausstandsgrund zu setzen vermag sodann die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin den Beschwerdegegner in der Zwischenzeit wegen Urkundenfälschung angezeigt zu haben scheint oder dies zumindest zu tun gedenkt. Die Einreichung einer Strafanzeige begründet für sich allein praxisgemäss keinen Anschein der Befangenheit. Andernfalls könnte eine Verfahrenspartei missliebige Mitglieder einer Strafbehörde allein durch Einreichen einer Strafanzeige aus dem Verfahren hinausdrängen (vgl. BGE 134 I 20 E. 4.3.2; Urteil 1B_335/2021 vom 15. September 2021 E. 3.4). 
 
4.4. Zusammengefasst liegen nach dem Ausgeführten bei objektiver Betrachtungsweise keine Umstände vor, die den Anschein der Voreingenommenheit des Beschwerdegegners begründen würden. Es ist folglich nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz das Ausstandsgesuch abgewiesen hat.  
 
5.  
Die Beschwerde ist aus den genannten Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 
1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 2. Juni 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts. 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Hahn