Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_779/2023
Urteil vom 2. September 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Wüest.
Verfahrensbeteiligte
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8 (Neuwiesen), 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Tom Frey,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Verwaltungsverfahren; unentgeltlicher Rechtsbeistand),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. Oktober 2023 (AL.2023.00101).
Sachverhalt:
A.
Die 1984 geborene A.________ war vom 1. Oktober 2013 bis zum 31. Dezember 2022 als Controllerin bei der B.________ AG angestellt. Am 27. Oktober 2022 meldete sie sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum Thalwil (RAV) zur Arbeitsvermittlung an und beantragte ab dem 1. Januar 2023 Arbeitslosenentschädigung. Mit Verfügung vom 6. Februar 2023 verneinte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung aufgrund einer arbeitgeberähnlichen Stellung des Ehemannes der A.________ bei der B.________ AG. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 12. April 2023 fest. Mit gleichentags ergangener Verfügung lehnte sie auch das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung ab.
B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die Beschwerde der A.________ gegen die Verfügung vom 12. April 2023 (betreffend unentgetliche Rechtsverbeiständung) mit Urteil vom 25. Oktober 2023 gut. Es hob die Verfügung auf und stellte fest, A.________ habe Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung im Einspracheverfahren, und der unentgeltliche Rechtsvertreter sei für den anwaltlichen Aufwand mit Fr. 2'186.- (inkl. Barauslagen und MWST) zu entschädigen.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Arbeitslosenkasse die Aufhebung des Urteils des Sozialversicherungsgerichts vom 25. Oktober 2023 und die Bestätigung ihrer Verfügung vom 12. April 2023.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Gleichzeitig ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren. Die Vorinstanz und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 II 153 E. 1.1 mit Hinweis; 139 V 42 E. 1).
1.2. Ein vorinstanzliches Urteil betreffend die unentgeltliche Verbeiständung für das Verwaltungsverfahren stellt in der Regel einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG dar (BGE 139 V 600 E. 2.2). Das vorinstanzliche Urteil (AL.2023.00099) betreffend den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung erging jedoch gleichzeitig, weshalb es sich hier um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG handelt (vgl. BGE 144 V 97 E. 1; SVR 2019 IV Nr. 25 S. 75 E. 1, 8C_299/2018; Urteil 8C_397/2023 vom 19. Februar 2024 E. 2.2). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4; Urteil 8C_177/2023 vom 6. Oktober 2023 E. 1).
3.
3.1. Streitig und zu prüfen ist in diesem Verfahren einzig, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie den Anspruch der Beschwerdegegnerin auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Einspracheverfahren betreffend den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bejaht hat.
3.2. Wo die Verhältnisse es erfordern, wird der gesuchstellenden Person im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt (Art. 37 Abs. 4 ATSG). Kumulative Voraussetzungen für eine solche unentgeltliche Verbeiständung sind Bedürftigkeit, sachliche Gebotenheit der Vertretung sowie Nichtaussichtslosigkeit der Rechtsbegehren (BGE 132 V 200 E. 4.1). Die Notwendigkeit der anwaltlichen Verbeiständung ist im Verwaltungsverfahren, in welchem der Untersuchungsgrundsatz gilt (Art. 43 ATSG), nur in Ausnahmefällen zu bejahen. Es müssen sich schwierige Fragen rechtlicher oder tatsächlicher Natur stellen. Zu berücksichtigen sind die konkreten Umstände des Einzelfalls, Eigenheiten der anwendbaren Verfahrensvorschriften sowie weitere Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens. Neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts fallen auch bei der versicherten Person liegende Gründe in Betracht, etwa ihre Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden. Des Weiteren muss eine gehörige Interessenwahrung durch Verbandsvertreter, Fürsorgestellen oder andere Fach- und Vertrauensleute sozialer Institutionen ausser Betracht fallen (BGE 125 V 32 E. 4b; SVR 2017 IV Nr. 57 S. 177, 8C_669/2016 E. 3.3.3). Grundsätzlich geboten ist die Verbeiständung auch, falls ein besonders starker Eingriff in die Rechtsstellung des Bedürftigen droht; andernfalls bloss, wenn zur relativen Schwere des Falls besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Gesuchsteller auf sich alleine gestellt nicht gewachsen ist (BGE 130 I 182 E. 2.2 mit Hinweisen; Urteil 9C_786/2019 vom 20. Dezember 2019 E. 5.1). Die Frage nach der sachlichen Gebotenheit der anwaltlichen Verbeiständung im Verwaltungsverfahren ist rechtlicher Natur und kann als solche vom Bundesgericht frei überprüft werden (SVR 2020 EL Nr. 10 S. 37, 9C_688/2019 E. 3.2; Urteile 8C_202/2023 vom 30. August 2023 E. 2.2.; 9C_786/2019 vom 20. Dezember 2019 E. 5.1; 9C_757/2017 vom 5. Oktober 2018 E. 5.1).
4.
4.1. Das kantonale Gericht erwog zunächst, es habe im gleichentags ergangenen Urteil entschieden, dass die arbeitgeberähnliche Stellung des Ehemannes der Beschwerdegegnerin bei der B.________ AG ihrem Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab dem 2. Januar 2023 nicht entgegenstehe. Die Einsprache vom 7. Februar resp. 3. April 2023 sei demnach nicht aussichtslos gewesen. Zudem sei die prozessuale Bedürftigkeit der Beschwerdegegnerin ausgewiesen. Zur Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung hielt die Vorinstanz fest, die Beschwerdegegnerin habe einspracheweise ausführlich begründen und belegen müssen, weshalb sie ausnahmsweise trotz einer arbeitgeberähnlichen Stellung ihres Ehemannes bei der B.________ AG Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung habe. Die Rechtsprechung zur analogen Anwendung von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG auf die Arbeitslosenentschädigung sei umfangreich und komplex. Es hätten sich hier heikle Abgrenzungsfragen gestellt. Unter den gegebenen Umständen habe nicht davon ausgegangen werden können, dass sich die rechtsunkundige Beschwerdegegnerin, die vorwiegend Englisch resp. wenig Deutsch spreche, im Einspracheverfahren ohne anwaltliche Vertretung zurecht gefunden hätte. Da die Einsprachebegründung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht anspruchsvoll gewesen sei, falle im Übrigen eine gehörige Interessenwahrung durch eine Verbandsvertretung, Fürsorgestelle oder andere Fach- und Vertrauensleute sozialer Institutionen ausser Betracht. Die Vorinstanz kam deshalb zum Schluss, dass die Notwendigkeit einer unentgeltlichen Rechtsvertretung für das Einspracheverfahren gegeben sei.
4.2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 37 Abs. 4 ATSG. Sie bestreitet die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung im Einspracheverfahren und macht geltend, das Rechtsmittel sei zudem aussichtslos gewesen.
5.
Die Beschwerdeführerin bringt zu Recht vor, dass die Notwendigkeit einer anwaltlichen Verbeiständung im Einspracheverfahren nur ausnahmsweise anzunehmen ist (vgl. E 3.2 hiervor). Vorliegend war die Beschwerdeführerin in der Lage, in eigenem Namen gegen die Verfügung der Arbeitslosenkasse vom 6. Februar 2023 Einsprache zu erheben. Sie machte dabei unter anderem geltend, dass sie - im Gegensatz zu ihrem Ehemann - nicht an der B.________ AG beteiligt sei und sie am 22. April 2022 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen sei und seither im Kanton Zürich lebe. Weiter äusserte sie ihr Unverständnis darüber, dass sie trotz jahrelanger Bezahlung der Beiträge keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung haben soll. Mit ihrer Einsprache reichte sie einen Auszug aus dem Handelsregister ein. Die Beschwerdegegnerin war somit im Stande, ihre Argumente für einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung selbstständig und ohne anwaltliche Vertretung vorzutragen. Zwar weist der mit der Verneinung eines Leistungsanspruchs verbundene Eingriff in die Rechtsstellung der Beschwerdegegnerin eine gewisse Schwere auf. Er ist aber nicht derart stark, dass eine Verbeiständung grundsätzlich geboten gewesen wäre. Entgegen der Sichtweise der Vorinstanz stellten sich zudem keine schwierigen Fragen rechtlicher oder tatsächlicher Art. So war zu beurteilen, ob die Beschwerdegegnerin trotz arbeitgeberähnlicher Stellung ihres Ehemannes bei der B.________ AG Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat. Diesbezüglich besteht eine gefestigte (strenge) Rechtsprechung. Danach haben Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Wie die Rechtsprechung mehrmals betont hat, ist dieser Ausschluss absolut zu verstehen (BGE 123 V 234 E. 7; 122 V 270 E. 3; Urteile 8C_146/2020 vom 17. April 2020 E. 3; 8C_574/2017 vom 4. September 2018 E. 5.2). Es ist somit nicht möglich, den betroffenen Personen unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall Leistungen zu gewähren (BGE 142 V 263 E. 4.1 mit Hinweis). Mit Blick darauf kann nicht gesagt werden, es hätten sich komplexe Rechtsfragen gestellt. Ebenso wenig liegt ein unübersichtlicher Sachverhalt vor. Da die Beschwerdegegnerin ihre Einsprache im Übrigen in deutscher Sprache erhoben hatte, können für die Notwendigkeit einer Rechtsverbeiständung auch keine sprachlichen Schwierigkeiten geltend gemacht werden.
Nach dem Gesagten besteht kein Anlass, den strengen Massstab in Bezug auf die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung für das Einspracheverfahren aufzuweichen. Indem die Vorinstanz die Notwendigkeit bejaht hat, hat sie Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, wie es sich mit der weiteren Voraussetzung der Nichtaussichtslosigkeit der Rechtsbegehren verhält (vgl. E. 3.2 hiervor). Die Beschwerde der Arbeitslosenkasse ist begründet.
6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG) kann gewährt werden. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das kantonale Gericht zurückgewiesen (Art. 68 Abs. 5 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. Oktober 2023 wird aufgehoben und die Verfügung der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 12. April 2023 bestätigt.
2.
Der Beschwerdegegnerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Dr. Tom Frey wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.
4.
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.- ausgerichtet.
5.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.
6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 2. September 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Der Gerichtsschreiber: Wüest