Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6P.91/2006 /rom
Urteil vom 2. November 2006
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Briw.
Parteien
Y.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Steiner,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
Strafverfahren (Willkür, Unschuldsvermutung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 7. Dezember 2005.
Sachverhalt:
A.
Das Kreisgericht Rheintal verurteilte am 3. November 2004 Y.________ wegen schwerer Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 i.V.m. Ziff. 2 lit. a BetmG) und Gehilfenschaft dazu sowie wegen Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu 17 Monaten Gefängnis, abzüglich 59 Tage Untersuchungshaft, mit bedingtem Vollzug und einer Probezeit von 3 Jahren. Es verpflichtete ihn, dem Staat eine Ersatzforderung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
Das Kantonsgericht St. Gallen erklärte ihn am 7. Dezember 2005 der Widerhandlung gegen das Waffengesetz sowie der einfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG) schuldig und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von 9 Monaten (mit Anrechnung der Untersuchungshaft von 59 Tagen). Es schob den Vollzug der Freiheitsstrafe mit einer Probezeit von 3 Jahren auf. Es bestätigte insbesondere auch die kreisgerichtliche Verurteilung zur Bezahlung der Ersatzforderung.
B.
Y.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichts im Schuld- und Strafpunkt sowie hinsichtlich der Ersatzforderung aufzuheben und ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
C.
Das Kantonsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Kantonsgericht sieht es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer B.________ im Januar 2003 rund 40 - 50 Gramm Kokain verkaufte. Da der übliche Reinheitsgrad höchstens 37 % betrage, sei aber zu Gunsten des Beschwerdeführers anzunehmen, dass die Mindestmenge für die Annahme des schweren Falls, nämlich 18 g reines Kokain, nicht erfüllt sei (angefochtenes Urteil S. 5). Der Nachweis des Drogengeschäfts ergibt sich für das Kantonsgericht aus Telefongesprächen zwischen dem Beschwerdeführer und B.________ sowie zwischen B.________ und C.________ (angefochtenes Urteil S. 3 f.).
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo als Beweiswürdigungsregel. Aus dem Gespräch vom 30. Januar 2003 zwischen B.________ und C.________ gehe nicht hervor, dass es sich um ein Drogengeschäft gehandelt habe. Auch sei kein inhaltlicher Bezug zu den Gesprächen vom 24. und 27. Januar 2003 zwischen B.________ und dem Beschwerdeführer erkennbar. Die Beweiswürdigung sei willkürlich (Art. 9 BV).
2.
Als Beweiswürdigungsregel besagt der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerte Grundsatz in dubio pro reo, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Inwiefern dieser Grundsatz verletzt ist, prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Willkür, d.h. es greift nur ein, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche bzw. schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld fortbestanden (BGE 127 I 38 E. 2a). Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Willkür liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Dabei genügt es nicht, wenn das Urteil sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn es im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 129 I 49 E. 4, 173 E. 3.1; 128 I 81 E. 2; 127 I 54 E. 2b).
Z.________ und C.________ erkundigten sich am 6. März 2003 vor einer beabsichtigten Heroinlieferung an A.________ unbestrittenermassen beim Beschwerdeführer nach Streckmitteln. Dieser hatte in der Folge Kontakte zu diesem gewerbsmässigen Drogenhändler und hatte ihn auch gewarnt (angefochtenes Urteil S. 5). In diesem Umfeld fanden auch die überwachten Telefongespräche statt (kantonale Akten betreffend den Beschwerdeführer, Doss. E, Befragungsprotokoll vom 13. November 2003, act. 6 mit Beilagen der TK-Gesprächsprotokolle vom 24., 27. und 30. Jan. 2003). Die Annahme des Kantonsgerichts, dass der in den beiden Gesprächen vom 24. und 27. Januar 2003 zwischen B.________ und dem Beschwerdeführer verwendete Begriff "Mädchen" ein Deckbegriff für Drogen bilde, erscheint nicht als willkürlich, ebensowenig, dass es sich dabei um Kokain gehandelt hat (angefochtenes Urteil S. 4 unten). Dass er sich mit der "verklausulierten Sprachregelung einem gewissen und sehr allgemeinen Verdacht ausgesetzt hat", muss auch der Beschwerdeführer einräumen (Beschwerde S. 8). Es erscheint aber wenig plausibel, wenn er einwendet, es könnten auch Devisen, Waffen, Medikamente, irgendeine Partydroge oder möglicherweise tatsächlich "Mädchen" gemeint sein (Beschwerde S. 9). Dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Die Feststellung des Kantonsgerichts, es werde vom Beschwerdeführer keine schlüssige Erklärung für den Inhalt der Gespräche geliefert, verletzt nicht den Grundsatz in dubio pro reo. Es handelt sich um ein Beweisergebnis, nicht um eine unzulässige Überbindung der Beweislast an den Beschwerdeführer (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a).
Im entscheidenden Gespräch vom 30. Januar 2003 teilte B.________ C.________ mit, "ihm zweieinhalb gegeben" zu haben. Das Kantonsgericht schliesst daraus, dass B.________ dem Beschwerdeführer ("ihm") für die gelieferte Droge ("Mädchen") Fr. 2'500.-- bezahlt hatte. Das Gespräch könne vernünftigerweise nicht anders erklärt werden (angefochtenes Urteil S. 4). Aus diesem Geldbetrag errechnet es nach Erfahrungstatsachen die oben erwähnte Menge von rund 40 - 50 Gramm Kokain.
Der Beschwerdeführer wendet ein, die Beweismittel reichten lediglich für einen Tatverdacht. Die Annahme, er sei der Unbekannte ("ihm"), sei willkürlich. Das ist aufgrund des Sachzusammenhangs indes zu verneinen. Es wird hier nicht "bei aus dem Balkan stammenden Leuten ein anderer rechtlicher Massstab" angewendet. Vielmehr wird dem Beschwerdeführer in einem Indizienprozess ein Drogengeschäft zugeordnet. Diese Beweiswürdigung erscheint nicht als schlechterdings unhaltbar. Es besteht eine tragfähige tatsächliche Grundlage für die Überzeugung des Gerichts von der Täterschaft des Beschwerdeführers. Eine Verletzung der Unschuldsvermutung sowie des Grundsatzes in dubio pro reo ist demnach zu verneinen.
3.
Auf den Antrag, das Urteil bezüglich der Ersatzforderung aufzuheben, ist mangels Begründung nicht einzutreten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann gutgeheissen werden (Art. 152 OG). Das Rechtsbegehren ist nicht als von vornherein aussichtslos zu bezeichnen. Eine Bedürftigkeit ist gegeben. Entsprechend sind keine Kosten zu erheben. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist angemessen zu entschädigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4. Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dr. Bruno Steiner, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. November 2006
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: