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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_570/2011 
 
Urteil vom 2. November 2011 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Semela, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Baden, Mellingerstrasse 207, 
5405 Dättwil, 
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, Mellingerstrasse 2A, 5400 Baden. 
 
Gegenstand 
Verlängerung der Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 22. September 2011 des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Im Rahmen einer Strafuntersuchung wegen Diebstahls, Verbreitens menschlicher Krankheiten (eventuell Versuch), schwerer Körperverletzung (eventuell Versuch), einfacher Körperverletzung und Tätlichkeiten wurde X.________ am 26. August 2011 inhaftiert. Am 29. August 2011 ordnete das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau für X.________ Untersuchungshaft bis am 5. September 2011 an. Mit Verfügung vom 7. September 2011 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft bis am 5. Dezember 2011. 
 
B. 
Eine von X.________ gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 7. September 2011 erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau am 22. September 2011 ab. 
 
C. 
Gegen den Entscheid des Obergerichts gelangt X.________ mit Beschwerde in Strafsachen vom 10. Oktober 2011 ans Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids sowie der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 7. September 2011. Er sei sofort aus der Haft zu entlassen. Eventualiter seien geeignete mildere Ersatzmassnahmen anzuordnen. 
 
D. 
Unter Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid verzichten die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft auf eine Vernehmlassung. Das Zwangsmassnahmengericht liess sich nicht vernehmen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Der angefochtene Entscheid des Obergerichts betrifft die Fortsetzung der Untersuchungshaft. Angefochten ist somit ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid in einer Strafsache, gegen den gemäss Art. 78 ff. BGG grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen offen steht. Nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde gegen den selbstständig eröffneten Zwischenentscheid zulässig, da die Fortsetzung der Haft einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG beschwerdebefugt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten. 
 
1.2 Nicht einzutreten ist auf den Antrag des Beschwerdeführers, die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 7. September 2011 sei aufzuheben. Dieser Entscheid ist durch den Entscheid der Vorinstanz ersetzt worden (Devolutiveffekt) und gilt als inhaltlich mitangefochten (vgl. BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144 mit Hinweis). 
 
2. 
Bei der Untersuchungshaft handelt es sich um eine Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 196 ff. StPO (SR 312.0). Strafprozessuale Zwangsmassnahmen sind Verfahrenshandlungen der Strafbehörden, die in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und dazu dienen, Beweise zu sichern, die Anwesenheit von Personen im Verfahren sicherzustellen oder die Vollstreckung des Endentscheids zu gewährleisten (Art. 196 lit. a-c StPO). Die Auslegung und die Anwendung der im Bundesrecht geregelten Voraussetzungen für die Grundrechtsbeschränkungen prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (Art. 95 lit. a BGG; vgl. BGE 128 II 259 E. 3.3 S. 269). Mit dem Entscheid über strafprozessuale Zwangsmassnahmen wird über die Grundrechtsbeschränkung definitiv entschieden. Somit stellen diese Zwangsmassnahmen keine vorsorglichen Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG dar. Die nach dieser Bestimmung vorgeschriebene Beschränkung der Rügegründe und das über die Begründungspflicht nach Art. 42 Abs. 2 BGG hinausgehende Rügeprinzip im Sinne von Art. 106 Abs. 2 BGG sind demnach nicht anwendbar (vgl. Urteil 1B_277/2011 vom 28. Juni 2011 E. 1.2 mit Hinweisen). 
 
3. 
Das Zwangsmassnahmengericht und die Vorinstanz stützten sich für die Verlängerung der Untersuchungshaft auf den Haftgrund der Ausführungsgefahr gemäss Art. 221 Abs. 2 StPO. Nach dieser Bestimmung ist Haft zulässig, wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen. 
 
3.1 Die Notwendigkeit, Personen an der Begehung strafbarer Handlungen zu hindern, wird in Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich als Haftgrund anerkannt. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung von Delikten sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen allerdings nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen. Bei der Annahme, dass die beschuldigte Person eine schwere Straftat begehen könnte, ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Zurückhaltung geboten. Nicht Voraussetzung ist, dass die verdächtige Person bereits konkrete Anstalten getroffen hat, um die befürchtete Tat zu vollenden. Vielmehr genügt es, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Ausführung aufgrund einer Gesamtbewertung der persönlichen Verhältnisse sowie der Umstände als sehr hoch erscheint. Besonders bei drohenden schweren Gewaltverbrechen ist dabei auch dem psychischen Zustand der verdächtigen Person bzw. ihrer Unberechenbarkeit oder Aggressivität Rechnung zu tragen. An dieser bisherigen Rechtsprechung ist grundsätzlich auch nach Inkrafttreten der StPO festzuhalten, wobei nunmehr Art. 221 Abs. 2 StPO ausdrücklich verlangt, dass die Verwirklichung eines "schweren Verbrechens" drohen muss (BGE 137 IV 122 E. 5.2 S. 129 f.). 
 
3.2 Das mutmassliche Opfer hat im Rahmen der Strafuntersuchung ausgesagt, es habe den Beschwerdeführer am 26. August 2011 angerufen und ihm mitgeteilt, dass es ihn angezeigt habe. Es habe die Herausgabe von Fr. 1'900.-- sowie eines Mobiltelefons gefordert. Im Rahmen des Telefongesprächs habe der Beschwerdeführer ihm sinngemäss mit den Worten gedroht, es wolle doch auch, dass es seiner Familie gut gehe und diese gesund bleibe. Es solle nun sofort zur Polizei gehen und die Anzeige zurückziehen. Er werde wieder anrufen, damit man sich treffen könne. Es könne dann sein Mobiltelefon wieder haben, sofern es belegen könne, dass es die Anzeige zurückgezogen habe. Es habe in der Folge die Anzeige zurückziehen wollen, was jedoch nicht möglich gewesen sei, weil es sich bei den in Frage stehenden Delikten um Offizialdelikte handle. Der Beschwerdeführer hat ebenfalls ausgesagt, dass er am 26. August 2011 vom mutmasslichen Opfer angerufen und über die Strafanzeige informiert worden sei. Er bestreitet aber, dem mutmasslichen Opfer ein schweres Verbrechen angedroht zu haben. Sollte eine Drohung tatsächlich erfolgt sein, sei jedenfalls keine Ausführungsgefahr gegeben. 
 
3.3 Zwar ist nicht auszuschliessen, dass der Beschwerdeführer dem mutmasslichen Opfer anlässlich des Telefongesprächs vom 26. August 2011 für den Fall, dass es die Strafanzeige nicht zurückziehe, implizit ein schweres Verbrechen angedroht hat. Für den Beschwerdeführer ist aber klar, dass das mutmassliche Opfer versucht hat, die Strafanzeige zurückzuziehen, was allerdings nicht möglich war, weil es sich bei den in Frage stehenden Delikten um Offizialdelikte handelt. Die angeblich geäusserte Drohung war somit auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, welches sich nicht mehr erreichen lässt. Den Akten ist nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Untersuchungsverfahren zu erkennen gegeben hätte, ein möglicherweise angedrohtes schweres Verbrechen trotzdem noch ausführen zu wollen. Auch bestehen keine Hinweise, dass der Beschwerdeführer ausser der einen vagen noch weitere Drohungen ausgesprochen hätte. Im Gegenteil hat er vor der Vorinstanz mit schriftlicher Erklärung versichert, er wolle dem mutmasslichen Opfer und seiner Familie keinen Schaden zufügen. Er werde im Falle einer Haftentlassung mit dem mutmasslichen Opfer und dessen Familie weder telefonisch noch persönlich in Kontakt treten und er verspreche, sich bis zum Abschluss des laufenden Verfahrens vom mutmasslichen Opfer und dessen Familie und vom Grossraum Bern/Thun fernzuhalten. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Buchs AG wohnt und damit nicht in unmittelbarer Nähe zum mutmasslichen Opfer, welches in Steffisburg im Kanton Bern lebt, spricht nicht dafür, dass er die angeblich ausgesprochene Drohung noch wahrmachen würde. Dass der Beschwerdeführer das dem mutmasslichen Opfer möglicherweise angedrohte schwere Verbrechen im Falle einer Entlassung aus der Untersuchungshaft unmittelbar ausführen würde, ist nach dem Gesagten nicht ernsthaft zu befürchten, weshalb der Haftgrund der Ausführungsgefahr gemäss Art. 221 Abs. 2 StPO nicht gegeben ist. 
 
4. 
Die Staatsanwaltschaft stützte sich im Haftverlängerungsgesuch vom 1. September 2011 auch auf Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO. Nach dieser Bestimmung ist Untersuchungs- und Sicherheitshaft zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und Wiederholungsgefahr vorliegt. Das Zwangsmassnahmengericht hat den Haftgrund der Wiederholungsgefahr aber verneint. Die Staatsanwaltschaft hat diesbezüglich weder vor der Vorinstanz noch im bundesgerichtlichen Verfahren etwas vorgebracht. Die Vorinstanz hat sich zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht geäussert. Das Bundesgericht hat bei dieser Sachlage keinen Anlass, von sich aus den Haftgrund der Wiederholungsgefahr aufzugreifen. 
 
5. 
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als begründet. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und der Beschwerdeführer unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Dem Beschwerdeführer ist eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Der Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts vom 22. September 2011 aufgehoben. Der Beschwerdeführer wird unverzüglich aus der Untersuchungshaft entlassen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Baden, dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 2. November 2011 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle