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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
U 28/07 
 
Urteil vom 3. Januar 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiber Lanz. 
 
Parteien 
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
1. A.________, 1958, vertreten durch Advokat Erich Züblin, Spalenberg 20, 4051 Basel, 
2. Sanitas Grundversicherungen AG, Lagerstrasse 107, 8004 Zürich, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 20. September 2006. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1958 geborene A.________, als Service-Angestellte/Allrounderin in einer Pizzeria tätig und dadurch bei der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert, erlitt am 27. Januar 2002 einen Verkehrsunfall. Sie hatte den von ihr gelenkten Opel Omega zur Gewährung des Rechtsvortrittes angehalten. Ein Opel Astra, dessen Lenker dies zu spät bemerkt hatte, prallte von hinten in ihren Wagen. Der wegen danach aufgetretener Beschwerden am 30. Januar 2002 aufgesuchte Hausarzt befand auf eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) und bestätigte zunächst eine volle, anschliessend eine teilweise Arbeitsunfähigkeit. In der Folge trat auch eine psychische Problematik auf. Die Allianz anerkannte ihre Leistungspflicht und erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Nach Abklärungen zum Unfallhergang und zum medizinischen Sachverhalt (u.a. Einholung des interdisziplinären Gutachtens des Universitätsspitals X.________ [nachfolgend: USX] vom 31. August 2004) eröffnete sie A.________ mit Verfügung vom 31. August 2005 die Einstellung der Leistungen auf den 1. Februar 2005. Zugleich verneinte der Unfallversicherer den Anspruch auf eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung. Zur Begründung wurde ausgeführt, die noch bestehenden Beschwerden stünden nicht in einem rechtserheblichen Zusammenhang zum Unfall vom 27. Januar 2002. Daran vermöge das von der Versicherten aufgelegte medizinische Gutachten der Y.________ GmbH vom 29. Juli 2005 nichts zu ändern. Die hiegegen von A.________ und der Sanitas Grundversicherungen AG (nachfolgend: Sanitas), als ihrem obligatorischem Krankenpflegeversicherer, erhobenen Einsprachen wies die Allianz ab (Einspracheentscheid vom 21. Februar 2006). 
 
B. 
A.________ und die Sanitas führten je Beschwerde. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft vereinigte die Verfahren und zog die Akten der Invalidenversicherung, welche A.________ mit Verfügung vom 20. August 2003 rückwirkend ab 1. Januar 2003 eine ganze Invalidenrente zugesprochen hatte, bei. Mit Entscheid vom 20. September 2006 hiess das Gericht die Beschwerden insofern gut, dass es den Einspracheentscheid vom 21. Februar 2006 aufhob und die Allianz verpflichtete, die gesetzlichen Leistungen über den 1. Februar 2005 hinaus zu erbringen. 
 
C. 
Die Allianz führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
A.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen; evtl. sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Allianz zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen ab 1. Februar 2005 zu erbringen und eine Invalidenrente sowie eine Integritätsentschädigung auszurichten. Die Sanitas und das Bundesamt für Gesundheit verzichten je auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid ist indessen vorher ergangen, weshalb sich das Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
 
1.2 Da es um Leistungen der Unfallversicherung geht, ist die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG). 
 
2. 
Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des streitigen Leistungsanspruchs ab 1. Februar 2005 sind im angefochtenen Entscheid, auf den verwiesen wird, zutreffend dargelegt. Es betrifft dies nebst den gesetzlichen Bestimmungen über den Leistungsanspruch namentlich den hiefür nebst anderem vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181) im Allgemeinen und bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 115 V 133) sowie bei Schleudertraumen der Halswirbelsäule (HWS; BGE 117 V 359), äquivalenten Verletzungsmechanismen an der HWS (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2) und Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 369) im Besonderen. Dies gilt auch für die Erwägungen über die zu beachtenden Beweisregeln. Zu ergänzen ist, dass bei organisch klar ausgewiesenen Unfallfolgen der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel ohne besondere Prüfung mit dem natürlichen Kausalzusammenhang bejaht werden kann (BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen). Wie die Vorinstanz ebenfalls zutreffend ausführt, hat sich an den dargelegten Grundsätzen mit dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) am 1. Januar 2003 nichts geändert. 
 
3. 
3.1 Das kantonale Gericht bejaht den Anspruch auf die gesetzlichen Leistungen ab 1. Februar 2005 mit der Begründung, die bestehenden somatischen Beschwerden an der HWS seien unstreitig natürlich kausal auf ein beim Unfall vom 27. Januar 2002 erlittenes Schleudertrauma der HWS zurückzuführen. Demgegenüber sei umstritten, ob die bestehenden psychischen Beschwerden in einem natürlichen Kausalzusammenhang zum Unfallereignis stünden und ob der adäquate Kausalzusammenhang gegebenenfalls nach der Rechtsprechung gemäss BGE 115 V 133 oder 117 V 359 zu beurteilen wäre. Von diesen Kausalitätsprüfungen sei jedoch derzeit abzusehen, da eine Adäquanzbeurteilung aufgrund der gegebenen Verhältnisse verfrüht wäre. Die Allianz habe daher zu Unrecht die Adäquanz geprüft und verneint. 
 
3.2 Die vorinstanzlichen Erwägungen sind insofern interpretationsbedürftig, als aus ihnen nicht klar hervorgeht, ob nach dem Verständnis des kantonales Gerichts (auch) eine organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolge Beschwerden verursacht. Entsprechendes lässt jedenfalls die Versicherte vernehmlassungsweise geltend machen, während die Allianz einen solchen Gesundheitsschaden im Einspracheentscheid vom 21. Februar 2006 verneint hat und sich hiezu letztinstanzlich nicht explizit äussert. 
 
Diese Diskrepanz gilt es vorab zu klären. Denn erst wenn zuverlässig feststeht, dass keine organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolge vorliegt, welche die gesundheitlichen Beschwerden zu erklären vermag, kann eine Kausalitätsbeurteilung nach den bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall oder bei Schleudertraumen und äquivalente Verletzungsmechanismen an der HWS sowie Schädel-Hirntraumen ohne organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolgen geltenden Grundsätzen erfolgen. 
 
3.3 Im polydisziplinären USX-Gutachten vom 31. August 2004 werden ein Status nach HWS-Beschleunigungstrauma nach Auffahrkollision am 27. Januar 2002 mit/bei zervikozephalem Schmerzsyndrom mit segmentalen Funktionsstörungen im Bereich der HWS, bilateralen Schulterschmerzen bei muskulärer Dysbalance der Schultergürtelmuskulatur mit anfallsweise unsystematischen Kribbelparästhesien in den Armen (Differenzialdiagnose: Hyperventilationsattacken), vegetativen Störungen mit unsystematischem Schwindel und Schlafstörungen sowie Verstärkung durch Schmerzmittel-Übergebrauch und schwere Dysthymie diagnostiziert. Die schwere Dysthymie wird sodann als eigenständiges psychisches Leiden erwähnt, wobei hier nach Ansicht der medizinischen Experten kein sicherer Zusammenhang mit dem erlittenen Unfall besteht. Ein solcher Zusammenhang wird sodann bei einem vom rheumatologischen Konsiliararzt festgestellten Lumbovertebralsyndrom ausdrücklich verneint. Demgegenüber wird das zervikocephale Schmerzsyndrom mit dem assoziierten Schwindel als überwiegend wahrscheinlich unfallkausal bezeichnet. Sodann wird ausgeführt, unfallfremde Faktoren seien aus rheumatologischer und neurologischer Sicht eher zu verneinen, weshalb sich in diesen Fachgebieten die Frage einer richtunggebenden Verschlimmerung vorbestandener Gesundheitsschädigungen durch den Unfall nicht stelle. 
 
Eine organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolge, welche bestehende Beschwerden zu erklären vermöchte, wird mit diesen Befunden nicht bestätigt. Demgegenüber wird im - ebenfalls polydisziplinären - Gutachten der Y.________ GmbH vom 29. Juli 2005 (mit neurologischem Teilgutachten vom 23. Juli 2005) ausgeführt, zumindest für einen Teil der Beschwerden seien eine Streckhaltung und degenerative Veränderungen der HWS mit Instabilitätszeichen mitverantwortlich. Es handle sich dabei zwar überwiegend wahrscheinlich um vorbestandene und damit unfallfremde Faktoren. Diese seien indessen durch den Unfall richtunggebend verschlimmert worden. 
 
Es liegen somit widersprüchliche fachärztliche Angaben zum Vorliegen einer organisch nachweisbaren Unfallfolge im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung vorbestandener Gesundheitsschäden vor. Da - namentlich auch in den übrigen medizinischen Akten - keine genügenden Anhaltspunkte vorliegen, um das eine oder das andere Gutachten hinsichtlich dieses Gesichtspunktes als beweiskräftiger zu betrachten (vgl. auch BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.), lässt sich eine solche unfallbedingte Verschlimmerung als mindestens Teilursache für bestehende Beschwerden zuverlässig weder bejahen noch verneinen. Der medizinische Sachverhalt bedarf diesbezüglich ergänzender Abklärung durch den Unfallversicherer. Die Sache wird an diesen zurückgewiesen, damit er eine fachärztliche Beurteilung hiezu einholt. Gestützt darauf ist die Leistungsberechtigung ab 1. Februar 2005 neu zu prüfen, wobei je nach dem Ergebnis der ergänzenden Abklärung auch die noch offen gelassenen zusätzlichen kausalen Fragen zu beantworten sind. 
 
4. 
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG). Die Versicherte hat Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 20. September 2006 und der Einspracheentscheid der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft vom 21. Februar 2006 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, die Leistungsberechtigung ab 1. Februar 2005 neu prüft. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat A.________ für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 500.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 3. Januar 2008 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
i.V. Widmer Lanz