Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1C_544/2022
Urteil vom 3. Januar 2024
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Haag,
Bundesrichter Müller,
Gerichtsschreiber Dold.
Verfahrensbeteiligte
1. A.A.________,
2. B.A.________,
Beschwerdeführerschaft,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Metzger,
gegen
1. C.B.________,
2. Erbengemeinschaft D.B.________, bestehend aus:
4.1. E.B.________,
4.2. F.B.________,
4.3. C.B.________,
Beschwerdegegnerschaft,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Luca Curdin Conrad,
Gemeinde Pontresina,
Via Maistra 133, 7504 Pontresina,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Otmar Bänziger,
Gegenstand
Quartierplan,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer, vom 13. September 2022 (R 21 1 ang).
Sachverhalt:
A.
Im Zonenplan der Gemeinde Pontresina ist für das Areal Carlihof eine Quartierplanpflicht festgelegt. Das Areal umfasst die Parzellen Nrn. 1861, 1862 (teilweise), 1864, 1865, 1866, 1870 und 2299 und befindet sich zum grössten Teil in der Dorfkernzone. Die Parzellen Nrn. 1861 und 1862 gehören C.B.________ bzw. der Erbengemeinschaft D.B.________. Der Rest des Areals gehört Drittpersonen und ist teilweise überbaut. Die Erbengemeinschaft D.B.________ ersuchte die Gemeinde 2015 um Einleitung des Quartierplanverfahrens. Nach Anhörung der übrigen Eigentümer leitete der Gemeindevorstand von Pontresina am 13. Dezember 2016 das Verfahren ein. Der Einleitungsbeschluss blieb unangefochten und ist in Rechtskraft erwachsen.
In der Folge wurde ein Quartierplan ausgearbeitet und vom 8. Oktober bis 7. November 2019 öffentlich aufgelegt. Dagegen erhoben zum einen G.________, zum andern die Geschwister A.A.________ und B.A.________ Einsprache. G.________ verlangte, auf die Garagenzufahrt bei der Kreuzung Via Giarsun/Via Cruscheda zu verzichten. A.A.________ und B.A.________ beantragten im Wesentlichen, der Quartierplan sei nicht zu genehmigen, das Quartierplanverfahren abzubrechen und erst wieder aufzunehmen, wenn die kommunale Grundordnung rechtskräftig totalrevidiert worden sei. Diese Revision müsse zum Ziel haben, zurzeit nicht überbaute Grundstücke dem Nichtbaugebiet zuzuweisen. Für das gesamte Planungsgebiet sei dafür eine Planungszone zu erlassen.
Nachdem der Gemeindevorstand am 28. Januar 2020 einen ersten Einsprache- und Genehmigungsentscheid erlassen hatte und dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden eingelegt worden war, nahm er seinen Entscheid wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (unterlassene Zustellung von Vernehmlassungen) wieder zurück. Am 27. Oktober 2020 fällte er einen zweiten Entscheid, der inhaltlich dem ersten entsprach:
1. Die Einsprachen werden insoweit gutgeheissen, als im Rahmen der vorliegenden Quartierplanung Carlihof auf die Zufahrt ab der Kreuzung Via Giarsun/Via Cruscheda zur Autoeinstellhalle D verzichtet und die Zufahrt zu dieser Einstellhalle über die mittlere Zufahrt ab der Via Cruscheda zu erfolgen hat. Im Übrigen sind die Einsprachen, soweit darauf eingetreten werden kann, abzuweisen.
2. Der Quartierplan Carlihof wird mit Ausnahme der darin vorgesehenen Zufahrt ab der Kreuzung Via Giarsun/Via Cruscheda zur Autoeinstellhalle D genehmigt. Anstelle dieser Zufahrt hat die Zufahrt zur Autoeinstellhalle D über die Zufahrt zur Einstellhalle C zu erfolgen, unter entsprechender Anpassung der Planunterlage und der Quartierplanvorschriften.
3-6. (Kosten- und Entschädigungsfolgen, Rechtsmittelbelehrung, Mitteilung)
Dagegen erhoben A.A.________ und B.A.________ erneut Beschwerde an das Verwaltungsgericht. Dieses lud weitere 14 am Quartierplan beteiligte Personen zum Verfahren bei. Mit Urteil vom 13. September 2022 wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 10. Oktober 2022 beantragen A.A.________ und B.A.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und der Quartierplan Carlihof nicht zu genehmigen. Eventualiter sei die Sache im Sinne ihrer Einspracheanträge (Abbruch des Quartierplanverfahrens bis zur rechtskräftigen Totalrevision der kommunalen Grundordnung) an die Gemeinde, allenfalls an die Vorinstanz, zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung ans Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht und die Beschwerdegegnerschaft schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Die Gemeinde beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das ebenfalls zur Stellungnahme eingeladene Bundesamt für Raumentwicklung hat sich vernehmen lassen, ohne einen Antrag in der Sache zu stellen. In ihrer Replik halten die Beschwerdeführenden an ihren Anträgen und Rechtsauffassungen fest. Sie weisen zudem darauf hin, dass der Gemeindevorstand am 11. Juli 2023 die Einsetzung einer Planungskommission "Gesamtrevision Ortsplanung Pontresina" beschlossen habe.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheide betrifft den Erlass eines Gestaltungsplans. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zur Verfügung (Art. 82 ff. BGG). Die Beschwerdeführenden haben am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und sind als Miteigentümer bzw. Miteigentümerin einer Liegenschaft, die vom Gestaltungsplanareal nur durch eine Strasse getrennt wird, zur Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
2.
In der Begründung der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die Verletzung von Grundrechten, einschliesslich die willkürliche Anwendung von kantonalem und kommunalem Recht, prüft das Bundesgericht nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Insofern gelten qualifizierte Begründungsanforderungen. Soweit diese nicht eingehalten sind, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (zum Ganzen: BGE 147 II 44 E. 1.2; 145 I 26 E. 1.3; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht kann zudem im Rahmen seiner Überprüfungsbefugnis die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Es ist insoweit weder an die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (Motivsubstitution; BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).
3.
3.1. Das Verwaltungsgericht trat auf den Antrag, das Quartierplanverfahren bis zu einer Totalrevision der kommunalen Grundordnung abzubrechen und eine Planungszone zu erlassen, nicht ein. Der Einleitungsbeschluss sei in Rechtskraft erwachsen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführenden sei der darauf basierende Quartierplan keiner Baubewilligung gleichzusetzen. Nutzungsart (z. B. Wohnen, Gewerbe etc.) und Nutzungsmass würden nicht definiert. Im Übrigen könnte ein Beleg gemäss Bedarfsnachweis für Erstwohnungen ohne Problem erbracht werden. Weiter gebe es genügend Äsungsplätze für Steinböcke in nächster Umgebung, wie aus der Stellungnahme des kantonalen Amts für Jagd und Fischerei (AJF) vom 16. Mai 2022 eindeutig hervorgehe. Hinsichtlich der Kritik, die einschlägigen ISOS-Bestimmungen würden missachtet, sei darauf hinzuweisen, dass der Entscheid für eine Bebauung bereits im Zeitpunkt der Festlegung der Quartierplanpflicht gefallen sei. Zudem weise der Quartierplan mit Ausnahme der vorbestimmten Giebelausrichtung weder hinsichtlich Gestaltung, Nutzung oder Erschliessung den Detaillierungsgrad einer Baubewilligung auf. Gegen auf dem Quartierplan basierende Baubewilligungen könne nach deren Erteilung Beschwerde geführt werden. Schliesslich würden auch der beanstandete Eingriff in die bestehende Steinmauer und die Beeinträchtigung der Aussicht einer Genehmigung des Gestaltungsplans nicht entgegenstehen.
3.2. Die Beschwerdeführenden machen geltend, der angefochtene Entscheid verletze Art. 21 Abs. 2 RPG (SR 700). Die Gemeinde habe den Antrag auf Überprüfung der Grundordnung inhaltlich behandelt, weshalb auch das Verwaltungsgericht dies hätte tun müssen. Die geltende Grundordnung stamme aus dem Jahr 2004. Sie würden nach wie vor bestreiten, dass Bedarf an Bauland bestehe. Zudem falle das bisher weitgehend unüberbaute Quartierplangebiet Carlihof für eine Rückzonung in Betracht. Bei der Einleitung des Quartierplanverfahrens sei die Rechtsprechung zum neuen Zweitwohnungsgesetz noch nicht gefestigt gewesen, weshalb es ihnen nicht zum Nachteil gereichen dürfe, dass sie die Rüge der vorgängigen Überprüfung der Grundordnung bei Einleitung des Quartierplanverfahrens noch nicht geltend gemacht hätten. Weiter stelle das Verwaltungsgericht den Sachverhalt willkürlich fest, wenn es davon ausgehe, dass es in der nahen Umgebung genügend alternative Äsungsplätze für Steinböcke gebe. Das AJF habe die erforderlichen Abklärungen zu dieser Frage nicht vorgenommen, weshalb nicht auf seinen Fachbericht abgestellt werden könne. Der Schutz der Steinböcke sei nicht gewährleistet, was gegen übergeordnetes Recht verstosse. Schliesslich sei der Quartierplan entgegen der Auffassung der Vorinstanz derart detailliert, dass er verfügungsähnlich sei. Sie müssten deshalb die Verletzung der Vorgaben des ISOS im Quartierplanverfahren rügen können, weil dies im Baubewilligungsverfahren ausgeschlossen sei. Zudem sei das ISOS auch bei der beantragten Überprüfung der Grundordnung zu beachten.
3.3. Die Art. 16 ff. der Raumplanungsverordnung vom 24. Mai 2005 für den Kanton Graubünden (KRVO; BR 801.110) regeln das Quartierplanverfahren. Danach gibt der Gemeindevorstand zunächst die Absicht zur Einleitung einer Quartierplanung unter Hinweis auf den Zweck der Planung und die Durchführung einer allfälligen Landumlegung oder Grenzbereinigung bekannt und legt den Plan mit der vorgesehenen Abgrenzung des Planungsgebietes öffentlich auf (Art. 16 Abs. 1 KRVO). Während der öffentlichen Auflage kann beim Gemeindevorstand gegen die beabsichtigte Einleitung des Verfahrens und die Abgrenzung des Planungsgebietes Einsprache erhoben werden. Einwendungen gegen das Verfahren an sich und das Planungsgebiet können im weiteren Verfahren nicht mehr erhoben werden (Art. 16 Abs. 2 KRVO). Erst nach Rechtskraft des Einleitungsbeschlusses wird der Quartierplan erarbeitet (Art. 17 Abs. 1 KRVO).
3.4. Aus dieser Regelung geht klar hervor, dass gegen die Einleitung des Quartierplans, dessen Zweck und die Festlegung des Plangebiets gerichtete Rügen nicht erst im weiteren Verlauf des Quartierplanverfahrens vorgetragen werden können. Aus diesem Grund qualifiziert das Bundesgericht den Einleitungsbeschluss als selbstständig anfechtbaren Endentscheid i.S.v. Art. 90 BGG, der (anders als ein Zwischenentscheid gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG) nicht mehr zusammen mit dem Quartierplanbeschluss angefochten werden kann. Die gegenteilige Lösung würde dem Konzept des kantonalen Rechts widersprechen, wonach ein (unter Umständen zeit- und kostenaufwendiges) Quartierplanverfahren erst durchgeführt werden soll, wenn der Einleitungsbeschluss rechtskräftig geworden ist. Die separate Anfechtung des Einleitungsbeschlusses erscheint auch nicht unzumutbar: Fehler bei der Einleitung des Verfahrens können in der Regel unabhängig vom Ausgang des Quartierplanverfahrens erkannt und beurteilt werden (zum Ganzen: BGE 140 II 25 E. 1.1). Vorbehalten bleibt jedoch die Möglichkeit, im Fall einer erheblichen Änderung der Verhältnisse eine Überprüfung und nötigenfalls eine Änderung des Einleitungsbeschlusses zu verlangen (Art. 21 Abs. 2 RPG; a. a. O., E. 3 ff. und Urteil 1C_420/2015 vom 22. April 2016 E. 3.1).
3.5. Gemäss dem rechtskräftigen Einleitungsbeschluss bezweckt das Quartierplanverfahren Carlihof insbesondere, dass das Bauland haushälterisch genutzt wird und dass durch den anstehenden grossen Unterhaltsbedarf an bestehenden Gebäuden und wegen den daraus erwachsenden Bedürfnissen eine zweckmässige und kostensparende Erschliessung und die Schaffung von gut überbaubaren Parzellen sichergestellt wird. Aus dieser Zweckumschreibung geht klar hervor, dass die Überbauung des Quartierplangebiets vorgesehen ist. Soweit sich die Beschwerdeführenden gegen die Überbauung an sich richten, hätten sie deshalb Anlass gehabt, bereits den Einleitungsbeschluss anzufechten, was sie jedoch unterliessen (vgl. Urteil 1C_420/2015 vom 22. April 2016 E. 3.2). Dies betrifft sowohl die Erforderlichkeit einer Revision der Grundordnung als auch die Beachtung des ISOS und den Schutz der Steinböcke. In all diesen Punkten richtet sich die Kritik der Beschwerdeführenden nicht gegen den konkreten Inhalt des Quartierplans Carlihof, mit dem sie sich in ihrer Beschwerde ans Bundesgericht nicht weiter auseinandersetzen (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG), sondern gegen die Überbauung des Quartierplanperimeters schlechthin. Diese ist jedoch im Grundsatz bereits im Einleitungsbeschluss angelegt, der rechtskräftig und nicht erneut anfechtbar ist (vgl. E. 3.3 hiervor). Dass sich die Verhältnisse seit Erlass des Einleitungsbeschlusses im Sinne von Art. 21 Abs. 2 RPG erheblich geändert hätten, machen die Beschwerdeführenden ebenfalls nicht in substanziierter Weise geltend. Ihr vager Hinweis auf eine damals noch nicht gefestigte Rechtsprechung zum Bundesgesetz vom 20. März 2015 über Zweitwohnungen (Zweitwohnungsgesetz, ZWG; SR 702) reicht nicht aus, eine solche Veränderung der Verhältnisse darzutun.
4.
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführenden haben der Beschwerdegegnerschaft eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdeführenden auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführenden haben die Beschwerdegegnerschaft mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde Pontresina, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, dem Bundesamt für Raumentwicklung, H.________, I.________, J.________, K.________, L.________, M.________, N.________, O.________, P.________, Q.________, R.________, S.________, und T.________, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. Januar 2024
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Der Gerichtsschreiber: Dold