Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.398/2004 /pai 
 
Urteil vom 3. Februar 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Parteien 
W.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Erich Leuzinger, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus, 8750 Glarus. 
 
Gegenstand 
Mehrfache Veruntreuung, 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 27. August 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
W.________, Dr. iur. und Rechtsanwalt, war seit 1974 Präsident der Vormundschaftsbehörde X.________. Von September 1998 bis Januar 2002 bezog er in seinen nebenamtlichen Funktionen als Willensvollstrecker bzw. Beistand/Erbschaftsverwalter unrechtmässig insgesamt Fr. 550'000.-- von verschiedenen Konten, die er verwaltete. 
B. 
Das Kantonsgericht Glarus verurteilte W.________ am 18. Dezember 2003 wegen mehrfacher, teilweise qualifizierter Veruntreuung zu einer Gefängnisstrafe von 24 Monaten. 
 
Das Obergericht des Kantons Glarus wies am 27. August 2004 eine Berufung des Verurteilten ab. 
C. 
W.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, verbunden mit der Anweisung, den Beschwerdeführer mit einer Gefängnisstrafe von höchstens 18 Monaten zu bestrafen, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs, eventuell habe die angerufene Instanz direkt in diesem Sinne zu entscheiden. 
 
Das Obergericht beantragt Abweisung der Beschwerde (act. 7). 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist ein kassatorisches Rechtsmittel. Der Beschwerdeführer kann nur beantragen, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die kantonale Behörde zurückzuweisen (Art. 277ter Abs. 1 BStP). Im Übrigen ist daher auf die Beschwerde nicht einzutreten. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer beanstandet ausschliesslich die vorinstanzliche Strafzumessung. 
 
Der Richter misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen (Art. 63 StGB). Nach der Praxis des Bundesgerichtes bezieht sich der Begriff des Verschuldens im Sinne von Art. 63 StGB auf den gesamten Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Straftat. Im Rahmen der so genannten "Tatkomponente" sind insbesondere folgende Faktoren zu beachten: das Ausmass des verschuldeten Unrechtes, die Art und Weise der Deliktsbegehung, die Willensrichtung, mit der der Täter gehandelt hat, und die Beweggründe des Verurteilten. Die "Täterkomponente" umfasst das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren. Einerseits hat sich der Strafrichter an diese gesetzlichen Vorgaben zu halten. Anderseits steht ihm bei der Gewichtung der einzelnen Strafzumessungskomponenten innerhalb des jeweiligen Strafrahmens ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Der Kassationshof des Bundesgerichtes kann daher auf Nichtigkeitsbeschwerde hin in das Ermessen des Sachrichters nur eingreifen, wenn die kantonale Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wenn sie wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. (in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens) falsch gewichtet hat (BGE 129 IV 6 E. 6.1 S. 20 f. mit Hinweisen). Das Bundesgericht hebt ein Urteil insbesondere auch auf, wenn die Strafe übertrieben hart oder mild erscheint, so dass von einem Ermessensmissbrauch gesprochen werden muss. Dies ist aber erst bei einem unhaltbaren Strafmass anzunehmen (BGE 127 IV 101 E. 2c; 122 IV 241; 117 IV 401). 
2.1 Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe die Grenze von 18 Monaten für die Gewährung des bedingten Strafvollzugs im Rahmen von Art. 63 StGB nicht berücksichtigt. Die verabschiedete Revision des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches hebe die heute gültige Grenze von 18 Monaten generell auf 24 Monate an (Art. 41 Abs. 1 nStGB) sowie in den Fällen des Art. 43 Abs. 1 nStGB sogar auf 36 Monate. Aufgrund des klaren Willens des Gesetzgebers müsse im Rahmen des Ermessens diesem Willen auch Rechnung getragen, mithin von einer Vorwirkung des neuen Rechts ausgegangen werden (Beschwerdeschrift S. 6 f. Ziff. 2). 
 
Bei der Auslegung des geltenden Rechts kann auf laufende Revisionen Bezug genommen werden (BGE 128 IV 3 E. 4c S. 9 mit Hinweisen). Ob Freiheitsstrafen bis zu 18 oder 24 bzw. 36 Monaten mit dem bedingten Strafvollzug verbunden werden können, ist nicht eine Frage der Auslegung, sondern vielmehr des anwendbaren Rechts. Die Änderung des Strafgesetzbuches vom 13. Dezember 2002 ist noch nicht rechtskräftig und sieht auch keine Vorwirkung des neuen Rechts vor. Art. 388 nStGB bestimmt, und zwar lediglich ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Revision, dass Strafen für Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar sind, nicht weiter vollzogen werden, und dass die neuen Bestimmungen über das Vollzugsregime, d.h. die Art und Weise, wie Strafen vollzogen werden, auch auf Täter anwendbar sind, die nach altem Recht verurteilt wurden. Von einer Vorwirkung des neuen Rechts kann demnach keine Rede sein. 
 
Nach der Rechtsprechung hat der Richter dort, wo er eine Freiheitsstrafe von nicht erheblich mehr als 18 Monaten in Betracht zieht und die Voraussetzungen des bedingten Strafvollzugs gemäss Art. 41 Ziff. 1 StGB im Übrigen gegeben sind, sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob angesichts der persönlichen Verhältnisse des Schuldigen der Vollzug einer unbedingten Freiheitsstrafe nicht dem Zweck der Verbrechensverhütung zuwider laufe. Bejaht er das, hat er dem gemäss Art. 63 StGB unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Verhältnisse strafmindernd Rechnung zu tragen (BGE 118 IV 337 E. 2c). Diese Rechtsprechung findet indessen nur Anwendung, wenn die in Betracht kommende Freiheitsstrafe 21 Monate nicht übersteigt (BGE 127 IV 97 E. 3). Nachdem vorliegend eine Gefängnisstrafe von 24 Monaten zur Diskussion steht, kommt die Rechtsprechung zur 18-Monate-Grenze nicht zum Zug. 
2.2 Der Beschwerdeführer rügt, bei ihm, einem 68-jährigen Rentner, der während 62 Jahren ein einwandfreies bürgerliches Leben geführt habe, hätte die Vorinstanz, zumindest wenn sie eine unbedingte Freiheitsstrafe ausfällt, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention darlegen müssen, was mit dem Vollzug der ausgefällten Strafe bezweckt werde. Vorliegend stehe der Strafvollzug im Widerspruch zu den gesetzlichen Strafzwecken, indem es weder um eine Integration ins bürgerliche Leben noch gar ins Erwerbsleben gehen könne (Beschwerdeschrift S. 7 f. Ziff. 3). 
 
Diese Argumentation betont zu einseitig Gesichtspunkte der Spezialprävention. Welches Strafmass im konkreten Fall angemessen erscheint, beurteilt sich in erster Linie nach dem Verschulden des Täters (Art. 63 StGB). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es unstatthaft, eine noch bedingt aussprechbare Freiheitsstrafe auszufällen, wenn diese Strafe dem Verschulden des Täters nicht mehr gerecht wird (BGE 118 IV 342 E. 2f; Hans Wiprächtiger, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, N 42 zu Art. 63 StGB und N 43 f., wonach die Zulässigkeit schuldunterschreitender Strafen in der Lehre kontrovers diskutiert wird). 
2.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe sich im Untersuchungsverfahren kooperativ verhalten und jeweilen nach Konfrontation mit den Untersuchungsergebnissen Geständnisse abgelegt. Damit liege ein Geständnis vor, das im Rahmen von Art. 63 StGB zwingend als strafmindernd berücksichtigt werden müsse (Beschwerdeschrift S. 9 Ziff. 4). 
 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts können Geständnisse (im Rahmen des so genannten "Nachtatverhaltens") grundsätzlich als strafmindernd berücksichtigt werden (BGE 121 IV 202 E. 2d S. 204 ff.; 118 IV 342 E. 2d S. 349). Ein Verzicht auf Strafminderung kann sich allenfalls aufdrängen, wenn das Geständnis die Strafverfolgung nicht erleichtert hat, weil die Täterschaft ohnehin bereits überführt gewesen wäre. 
 
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer aus eigenem Antrieb keine einzige Verfehlung zugestanden, sondern immer erst, wenn er unter dem Druck der klaren Untersuchungsergebnisse nicht mehr anders konnte (angefochtener Entscheid S. 23 f. lit. c). Hat somit das "Geständnis" des Beschwerdeführers die Strafverfolgung nicht erleichtert, musste die Vorinstanz diesen Umstand bei der Strafzumessung auch nicht berücksichtigen. Soweit der Beschwerdeführer von abweichenden tatsächlichen Feststellungen ausgeht, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (Art. 273 Abs. 1 lit. b und Art. 277bis Abs. 1 BStP). 
2.4 Der Beschwerdeführer bringt vor, seine Delikte seien einzig und allein dadurch motiviert gewesen, unter Verwendung der unrechtmässigen Geldbezüge den steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen. Dieses gegenüber dem Fiskus korrekte Verhalten hätte die Vorinstanz als achtenswerten Beweggrund strafmildernd berücksichtigen müssen (Beschwerdeschrift S. 9 ff. Ziff. 5). 
 
Die Vorinstanz erachtet es als glaubhaft, dass der Beschwerdeführer die unrechtmässig bezogenen Geldbeträge hauptsächlich zur Bezahlung seiner Steuerschulden verwendete. Sie hält aber auch fest, dass es ihm wichtig gewesen sei, in dem für einen Zweipersonenhaushalt mondänen Neubau (Kosten: Fr. 2,28 Mio.) und damit "standesgemäss" zu wohnen (angefochtener Entscheid S. 24 f. lit. d). Wenn der Beschwerdeführer die Steuerschulden nicht bezahlt hätte, wäre von der Steuerverwaltung ein Betreibungsverfahren eingeleitet worden, das allenfalls zur Zwangsverwertung der Liegenschaft geführt hätte. Das Begleichen der Steuerschuld war somit nur vordergründig Triebfeder des deliktischen Verhaltens des Beschwerdeführers. Sein eigentliches Motiv war vielmehr, weiterhin "standesgemäss" wohnen zu können, was kein Strafmilderungsgrund ist. 
2.5 Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe die Schadensregulierung und -deckung weder als tätige Reue noch im Rahmen von Art. 63 StGB genügend strafmindernd anerkannt (Beschwerdeschrift S. 12 ff. Ziff. 6). 
 
Die Vorinstanz würdigt ausdrücklich den Umstand strafmindernd, dass der Beschwerdeführer bis anhin immerhin Fr. 170'000.-- Schadenersatz geleistet hat. Sie stellt aber auch fest, bei einem einigermassen fairen Verkaufsangebot für die Liegenschaft wäre es dem Beschwerdeführer möglich gewesen, den angerichteten Schaden vollständig zu decken. Insofern sei die Wiedergutmachung des Beschwerdeführers auf noch nicht einmal halbem Weg stehen geblieben (angefochtener Entscheid S. 20 f. Ziff. 1 und S. 25 lit. e). 
 
Diese Beurteilung ist von Bundesrechts wegen nicht zu beanstanden. Die Ausführungen des Beschwerdeführers widersprechen insbesondere der verbindlichen Feststellung, dass er bei entsprechendem Verhalten den verursachten Schaden vollumfänglich hätte wiedergutmachen können. Sein Hinweis auf die Vorwirkung des Art. 53 nStGB geht aus den bereits angeführten Gründen (E. 2.1) fehl. 
2.6 Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe nicht gewürdigt, dass er durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen werde, dass eine Bestrafung unangemessen sei (Beschwerdeschrift S. 13 f. Ziff. 7). 
 
Zunächst ist klar zu stellen, dass der Beschwerdeführer durch seine Delikte nicht unmittelbar betroffen wurde. Die unmittelbare Folge bestand ausschliesslich darin, dass die dem Beschwerdeführer anvertrauten Konten "erleichtert" wurden. Die Voraussetzungen des Art. 66bis Abs. 1 StGB sind damit offensichtlich nicht erfüllt. Dass der Beschwerdeführer infolge seines deliktischen Verhaltens das Amt als Präsident der Vormundschaftsbehörde und seine Tätigkeit als Rechtsanwalt aufgeben musste, gehört zu den üblichen Auswirkungen, wenn Personen in vergleichbarer Position in Ausübung ihres Berufes delinquieren. Eine besondere Betroffenheit des Beschwerdeführers liegt nicht vor. Dass der Beschwerdeführer seinen Lebensstandard nach unten korrigieren muss, ist nicht so sehr eine Folge seiner Delikte, sondern den Umständen zuzuschreiben, dass seine Anwaltspraxis ab Mitte der 90er Jahre nicht mehr rentierte und dass er die Steuerschulden ohnehin hätte begleichen müssen. Da der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben sehr zurückgezogen lebt, ist nur schwer verständlich, weshalb er seinen langjährigen Wohnsitz sollte aufgeben und von X.________ wegziehen müssen. 
2.7 Nach dem bisher Gesagten kann der Vorinstanz nicht vorgeworfen werden, sie sei von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen bzw. sie habe wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen. Sie beurteilte das Verschulden des Beschwerdeführers nicht nur als schwer, sondern als sehr schwer (angefochtener Entscheid S. 22 f. lit b). Inwiefern diese Beurteilung unrichtig sein sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Ausgehend vom Verschulden des Beschwerdeführers, seinem Vorleben, den persönlichen Verhältnissen und auch angesichts seines Alters von 68 Jahren kann - bei einem Strafrahmen von bis zu 15 Jahren - die zweijährige Gefängnisstrafe nicht als übertrieben hart bezeichnet werden. Eine Verletzung von Bundesrecht ist zu verneinen und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. 
 
3. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus und dem Obergericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 3. Februar 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: