Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 841/04
Urteil vom 3. Februar 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Ackermann
Parteien
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdeführerin,
gegen
S.________, 1952, Beschwerdegegnerin, vertreten durch die Orion, Rechtsschutz-Versicherungsgesellschaft, Amthausgasse 12, 3011 Bern
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 9. Dezember 2004)
Sachverhalt:
A.
S.________, geboren 1952, arbeitete ab Februar 1990 zunächst vollzeitig und ab Oktober 1995 zu 50 % als Hausangestellte für das Spital L.________. Am 13. Dezember 2001 musste ihr wegen eines rezidivierenden Synovialsarkoms ein Teil des linken Unterschenkels amputiert werden. S.________ meldete sich am 25. Juni 2002 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an und beantragte am 18. Juli 2002 zusätzlich eine Hilflosenentschädigung. Die IV-Stelle Luzern nahm Abklärungen in medizinischer und erwerblicher Hinsicht vor (insbesondere Abklärung im Haushalt vom 31. Oktober 2002 sowie Abklärung in der Beruflichen Abklärungsstelle [Bericht vom 5. Mai 2003]). Mit Verfügung vom 9. Juli 2003 verneinte die Verwaltung in Anwendung der gemischten Bemessungsmethode den Anspruch auf eine Invalidenrente und lehnte die Ausrichtung einer Hilflosenentschädigung ab, was sie mit Einspracheentscheid vom 6. Mai 2004 bestätigte.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 9. Dezember 2004 teilweise gut und sprach S.________ mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2002 eine Viertelsrente der Invalidenversicherung zu.
C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben.
S.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Zutreffend sind die Erwägungen der Vorinstanz über den Invaliditätsbegriff (Art. 4 IVG in der bis Ende 2002 geltenden Fassung), die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis Ende 2003 geltenden Fassung) sowie die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; aufgehoben per 1. Januar 2003), bei nichterwerbstätigen Versicherten nach der spezifischen Methode (Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 sowie Abs. 2 IVV in den jeweils bis Ende 2002 geltenden Fassungen) und bei Teilerwerbstätigen nach der gemischten Methode (Art. 27bis Abs. 1 IVV in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 27 IVV sowie Art. 28 Abs. 2 IVG in den bis jeweils Ende 2002 geltenden Fassungen). Darauf wird verwiesen.
Nach Art. 28 Abs. 1 IVG (in der ab Januar 2004 geltenden Fassung) hat der Versicherte Anspruch auf eine ganze Rente, wenn er mindestens zu 70 %, auf eine Dreiviertelsrente, wenn er mindestens zu 60 %, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zu 50 %, und auf eine Viertelsrente, wenn er mindestens zu 40 % invalid ist. Dies ist zu ergänzen, weil die 4. IV-Revision wie auch das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene ATSG - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - anwendbar sind. Denn der Einspracheentscheid datiert von Mai 2004 und die Versicherte macht auch für die Zeit nach dem 1. Januar 2004 einen Anspruch geltend, so dass der Sachverhalt teilweise unter den Normen der 4. IV-Revision (wie auch des ATSG) zu beurteilen ist (vgl. auch Erw. 1.2 hienach).
1.2 Die Versicherte hat sich bereits im Juni 2002 bei der Invalidenversicherung angemeldet; damit ist teilweise ein rechtserheblicher Sachverhalt zu beurteilen, der sich vor dem In-Kraft-Treten des ATSG am 1 Januar 2003 und der 4. IV-Revision am 1. Januar 2004 verwirklicht hat. Nach BGE 130 V 329 kann in intertemporalrechtlicher Hinsicht aus Art. 82 Abs. 1 ATSG nicht etwa der Umkehrschluss gezogen werden, dass für die Anwendbarkeit materiellrechtlicher Bestimmungen des neuen Gesetzes bezüglich im Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens noch nicht festgesetzter Leistungen einzig der Verfügungszeitpunkt ausschlaggebend sei. Vielmehr sind - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - die übergangsrechtlichen Grundsätze massgebend, welche für den Fall einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen die Ordnung anwendbar erklären, welche zur Zeit galt, als sich der zu Rechtsfolgen führende Sachverhalt verwirklicht hat. Im vorliegenden Fall ist daher bei der Bestimmung des streitigen Rentenanspruchs (zumindest für den Zeitraum bis 31. Dezember 2002 resp. 31. Dezember 2003) auf die damals geltenden Bestimmungen des IVG abzustellen; dies betrifft namentlich - bezüglich des Invaliditätsbegriffs - Art. 4 Abs. 1 IVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) und - bezüglich des Umfangs eines allfälligen Rentenanspruchs - Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG (aufgehoben per 1. Januar 2004) sowie - bezüglich der Invaliditätsbemessung nach der Einkommensvergleichsmethode - Art. 28 Abs. 2 IVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung; BGE 130 V 445). Für den Verfahrensausgang ist dies indessen insofern von untergeordneter Bedeutung, als die im ATSG enthaltenen Umschreibungen der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), der Invalidität (Art. 8 ATSG) sowie des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) den bisherigen von der Rechtsprechung im Invalidenversicherungsbereich entwickelten Begriffen und Grundsätzen entsprechen und daher mit dem In-Kraft-Treten des ATSG keine substanzielle Änderung der früheren Rechtslage verbunden war (BGE 130 V 343). Dasselbe gilt für die bisherige Praxis zur gemischten Bemessungsmethode (130 V 393).
2.
Unbestritten ist die Anwendung der gemischten Methode mit Anteilen von jeweils 50 % für den Erwerbs- und den Aufgabenbereich, die Höhe der Einschränkung im Aufgabenbereich sowie die Höhe der Arbeitsfähigkeit im Erwerbsbereich. Streitig ist dagegen die Höhe der Invalidität im Erwerbsbereich und dabei allein die Frage, wie diese zu bemessen ist. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist im Übrigen der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung.
2.1 Das kantonale Gericht hat das Einkommen ohne Gesundheitsschaden (Valideneinkommen) anhand des zuletzt erzielten Lohnes festgesetzt. Beim Einkommen nach Eintritt der Invalidität (Invalideneinkommen) hat es auf die Angaben der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung abgestellt, einen leidensbedingten Abzug von 15 % sowie die Arbeitsfähigkeit von 70 % berücksichtigt und diesen Betrag auf eine Halbtagesstelle umgerechnet.
Die Beschwerde führende Verwaltung ist demgegenüber der Ansicht, es sei von einem leidensbedingten Abzug abzusehen, da die entsprechenden Einschränkungen bereits in der auf 70 % reduzierten Arbeitsfähigkeit enthalten seien. Weiter könne die Versicherte bei einer Arbeitsfähigkeit von 70 % eine Stelle im Umfang von 50 % vollumfänglich ausüben, so dass diese Einschränkung nicht zu berücksichtigen sei.
2.2 Zu Recht hat die Vorinstanz für die Bestimmung des Valideneinkommens auf den zuletzt erzielten Lohn abgestellt, der gemäss den Angaben der Arbeitgeberin im (für den allfälligen Rentenbeginn massgebenden; BGE 129 V 222) Jahr 2002 Fr. 28'095.65 ausgemacht hat. Dieser Betrag ist denn auch nicht bestritten.
2.3 Für die Bestimmung des Invalideneinkommens ist - da die Versicherte keine Verweisungstätigkeit aufgenommen hat - praxisgemäss auf die Tabellenlöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung abzustellen (BGE 126 V 76 f. Erw. 3b/bb mit Hinweisen). Da der Beschwerdegegnerin trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen auf dem gesamten hypothetischen ausgeglichenen Arbeitsmarkt (BGE 110 V 276 Erw. 4b) genügend Tätigkeiten offen stehen, ist - entgegen der Vorinstanz - nicht auf die Zahlen des Sektors 3 (Dienstleistungen), sondern auf den Zentralwert (Median) abzustellen (vgl. auch BGE 126 V 77 Erw. 3b/bb). Gemäss Tabelle A1 der Lohnstrukturerhebung 2002 beträgt der Zentralwert für die mit einfachen repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau 4) im privaten Sektor bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigten Frauen monatlich Fr. 3'820.- brutto. Dieser Betrag ist auf die betriebsübliche Wochenarbeitszeit von 41,7 Stunden (Die Volkswirtschaft 4/2005 S. 86 Tabelle B9.2) im Jahre des theoretischen Rentenbeginns 2002 (BGE 129 V 222) anzupassen, was zum Betrag von monatlich Fr. 3'982.35 resp. jährlich Fr. 47'788.20 führt. Bei einer Erwerbstätigkeit von 50 % macht das massgebende Invalideneinkommen somit Fr. 23'894.10 aus.
Dieser Betrag ist - entgegen der Annahme im kantonalen Entscheid - für die Invaliditätsbemessung vollumfänglich zu berücksichtigen, da die Versicherte bei einer zu Recht unbestrittenen Restarbeitsfähigkeit von 70 % (bezogen auf eine fiktive Vollzeitstelle) eine Halbtagesstelle bewältigen kann (vgl. BGE 125 V 153 ff. Erw. 5, insbesondere S. 155 unten, bestätigt durch Urteil E. vom 13. Dezember 2005, I 156/04). Zudem sind Haushalts- und Erwerbstätigkeit strikt zu trennen, da gegenseitige Beeinflussungen unbeachtlich sind (BGE 125 V 159 Erw. 5c/dd, bestätigt durch Urteil E. vom 13. Dezember 2005, I 156/04). In der Folge ist es der Versicherten bei einer Restarbeitsfähigkeit von 70 % deshalb möglich, eine Stelle im bisher innegehabten Umfang von 50 % auszuüben; eine Erwerbseinbusse liegt nur dann vor, wenn der Lohn der (hypothetischen oder effektiv ausgeübten) Verweisungstätigkeit geringer ist als das bisher bezogene Entgelt.
2.4 Bei einem Valideneinkommen von Fr. 28'095.65 (vgl. Erw. 2.2 hievor) und einem Invalideneinkommen von Fr. 23'894.10 (vgl. Erw. 2.3 hievor) resultiert unter Berücksichtigung des von der Vorinstanz herangezogenen behinderungsbedingten Abzuges in Höhe von 15 % eine Einschränkung von 28 % im Erwerbsbereich; bei einer Gewichtung von 50 % (vgl. Erw. 2 hievor) führt dies zu einer gewichteten Invalidität von rund 14 %. Zusammen mit der zu Recht unbestritten gebliebenen gewichteten Einschränkung im Aufgabenbereich von rund 23 % ergibt sich ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von 37 %. Es kann daher letztlich offen bleiben, ob die Vorinstanz (im Gegensatz zur Verwaltung) zu Recht einen behinderungsbedingten Abzug von 15 % angenommen hat (vgl. zum Umfang dieser Prüfung BGE 126 V 81 Erw. 6).
3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die IV-Stelle als obsiegende Behörde hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 9. Dezember 2004 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 3. Februar 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: