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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_530/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 3. Februar 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Einwohnergemeinde Walchwil, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Stalder, 
 
gegen  
 
1. A.A.________ und B.A.________ sowie C.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Schweiger, 
2. D.________, 
3. E.________, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Kamer, 
4. F.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwälte Sandro Tobler und Max Brändli, 
Beschwerdegegner 1-4, 
 
Regierungsrat des Kantons Zug, Regierungsgebäude am Postplatz, 6301 Zug. 
 
Gegenstand 
Strassenrecht (Perimeterbeiträge), 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 26. September 2016 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
In der Einwohnergemeinde Walchwil sind im Gebiet Ochsenrüti verschiedene Grundstücke gemäss Zonenplan der Wohnzone W1 zugewiesen, jedoch verkehrsmässig ungenügend erschlossen. Die im Eigentum der Korporation Walchwil stehende Geisswaldstrasse, welche rund 3,5 m breit ist und über keine Ausweichstellen verfügt, soll deshalb ausgebaut werden. Am 11. Juni 2011 beschloss der Gemeinderat Walchwil den Strassen- und Baulinienplan Geisswaldstrasse und liess ein Strassenprojekt ausarbeiten. Die Geisswaldstrasse soll auf einer Länge von ca. 310 m auf eine Breite von 4,0 m ausgebaut werden; für das Kreuzen von breiten Fahrzeugen sind zwei Ausweichstellen vorgesehen. Die Kosten für den Ausbau der Strasse betragen rund Fr. 900'000.-- und sollen vollständig auf die anstossenden Grundeigentümer überwälzt werden. Hierzu erstellte der Gemeinderat den Perimeterplan Geisswaldstrasse. Das Bauprojekt und der Perimeterplan lagen vom 25. Oktober bis zum 25. November 2013 öffentlich auf. Innert der Auflagefrist wurden verschiedene Einsprachen erhoben, welche der Gemeinderat am 17. Februar 2014 abwies. Gleichzeitig genehmigte er das Strassenbauprojekt und den Perimeterplan. 
Gegen die den Perimeterplan betreffenden Einspracheentscheide reichten A.A.________ und B.A.________, C.________, D.________, E.________ und die F.________ AG Verwaltungsbeschwerden beim Regierungsrat des Kantons Zug ein. Mit Beschluss vom 3. Mai 2016 hob der Regierungsrat die angefochtenen Entscheide des Gemeinderats sowie den Perimeterplan auf. Zur Begründung führte er aus, es fehle an einer Rechtsgrundlage zur Erhebung von Perimeterbeiträgen an den Ausbau der privaten Geisswaldstrasse. 
Gegen diesen Beschluss erhob die Einwohnergemeinde Walchwil am 6. Juni 2016 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug. Dieses wies die Beschwerde mit Urteil vom 26. September 2016 ab. 
 
B.   
Mit Eingabe vom 14. November 2016 führt die Einwohnergemeinde Walchwil Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und beantragt, das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Der Regierungsrat stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung. Das Verwaltungsgericht und die Beschwerdegegner 1-4 beantragen in ihren jeweiligen Stellungnahmen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Beschwerdeführerin hat auf weitere Bemerkungen verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid der Vorinstanz steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG).  
 
1.2. Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften sind nach Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt. Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie. Die beschwerdeführende Gemeinde ist durch den angefochtenen Entscheid in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt berührt und kann damit eine Verletzung ihrer Autonomie geltend machen. Ob eine solche tatsächlich besteht oder im konkreten Fall verletzt wurde, bildet eine Frage der inhaltlichen Beurteilung (BGE 135 I 43 E. 1.2 S. 45 f.; 129 I 410 E. 1.1 S. 412; je mit Hinweisen). In Verbindung mit dem Vorbringen der Missachtung ihrer Autonomie kann die Gemeinde auch eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) rügen.  
 
1.3. Das Bundesgericht nimmt gegenüber dem Entscheid der kantonalen Rechtsmittelinstanz eine freie Überprüfung vor, soweit es um die Handhabung von Bundesrecht oder kantonalem Verfassungsrecht geht. Es prüft deshalb frei, ob die kantonale Rechtsmittelinstanz einen in den Anwendungsbereich der Gemeindeautonomie (Art. 50 Abs. 1 BV) fallenden Beurteilungsspielraum respektiert hat. Bei einer eigentlichen Kognitionsüberschreitung durch die Vorinstanz ist zudem gemäss der Rechtsprechung von Willkür auszugehen (BGE 136 I 395 E. 2 S. 397 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt Verletzungen ihrer Gemeindeautonomie im Sinne von Art. 50 Abs. 1 BV und des Willkürverbots (Art. 9 BV), weil die Vorinstanzen das kommunale Strassenreglement vom 12. Dezember 2007 (StrR/Walchwil) nicht als genügende gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Perimeterbeiträgen von Anstössern für den Ausbau der Geisswaldstrasse als Privatstrasse erachtet haben. §§ 8 ff. StrR/Walchwil seien entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch auf Privatstrassen anwendbar.  
 
2.2. Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen (BGE 141 I 36 E. 5.3 S. 42 f. mit Hinweisen).  
Gemäss § 39 des kantonalen Gesetzes vom 30. Mai 1996 über Strassen und Wege (GSW/ZG; BGS 751.14) erlassen die Einwohnergemeinden Vorschriften über die Finanzierung der Strassen und Wege in ihrer Zuständigkeit (Abs. 1). Sie erheben für Erschliessungs- und andere Sondervorteile Beiträge, namentlich Perimeterbeiträge (Abs. 2). Die Regelung von Perimeterbeiträgen ist somit im Kanton Zug den Gemeinden überlassen. Nach § 44 GSW/ZG erlassen die Einwohnergemeinden innert fünf Jahren seit Inkrafttreten dieses Gesetzes und gestützt darauf Vorschriften für ihre Strassen und Wege. Die Beschwerdeführerin hat basierend auf dieser Bestimmung das StrR/ Walchwil erlassen, dessen Anwendung im zu beurteilenden Fall umstritten ist. Ist eine Gemeinde wie vorliegend in einem Sachbereich zu autonomer Rechtssetzung befugt, so kommt ihr auch bei der Anwendung dieses Rechts Autonomie zu (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, S. 420). 
 
2.3. Gemäss § 1 StrR/Walchwil mit dem Randtitel "Geltungsbereich" regelt das Reglement die Planung, den Bau, den Unterhalt, den Gebrauch und die Finanzierung von öffentlichen Strassen, Wegen und Plätzen in der Einwohnergemeinde Walchwil.  
§ 2 Abs. 3 StrR/Walchwil hält insbesondere fest, dass die Gemeindestrassen im Anhang zu diesem Reglement aufgeführt sind. Der Gemeinderat entscheidet über Änderungen. Für Privatstrassen und -wege gelten nach § 2 Abs. 4 StrR/Walchwil die baurechtlichen Vorschriften, insbesondere über die Erschliessung. Anwendbar sind auch Bestimmungen dieses Reglements, soweit sie für Privatstrassen und -wege ausdrücklich Geltung haben. 
Gemäss § 8 StrR/Walchwil mit dem Randtitel "Beitragspflicht Grundeigentümer" leisten die direkten und indirekten Anstösser angemessene Beiträge namentlich an die Kosten des Landerwerbs, der Erstellung und Änderung von Gemeindestrassen sowie an allfällige Massnahmen des Immissionsschutzes (Abs. 1). Bei der Erstellung leisten die Grundeigentümer an Sammelstrassen mindestens 45 Prozent, an Erschliessungsstrassen mindestens 70 Prozent und an Zufahrtsstrassen 100 Prozent der Kosten (vgl. Abs. 2). Bei den öffentlichen Strassen ausserhalb der Bauzonen legt der Gemeinderat allfällige Beiträge nach Massgabe des den Grundeigentümern erwachsenden Sondervorteils fest (vgl. Abs. 3). 
§ 9 Abs. 1 StrR/Walchwil bestimmt, dass im Perimeterplan diejenigen Grundstücksflächen bezeichnet werden, die zu Beitragsleistungen herangezogen werden. 
 
2.4. Wie vom Regierungsrat und der Vorinstanz im angefochtenen Urteil dargelegt, bezieht sich das StrR/Walchwil grundsätzlich einzig auf  öffentliche Strassen (§ 1 StrR/Walchwil). Gemäss § 2 Abs. 4 StrR/Walchwil gelten für Privatstrassen die baurechtlichen Vorschriften, insbesondere jene über die Erschliessung. Mit baurechtlichen Vorschriften sind etwa Abstands- und Gestaltungsvorschriften gemeint (vgl. § 15 und 16 StrR/Walchwil). Andere Bestimmungen des StrR/ Walchwil finden - ebenfalls gemäss § 2 Abs. 4 StrR/Walchwil - auf Privatstrassen hingegen nur Anwendung, soweit sie für Privatstrassen  ausdrücklich Geltung haben. § 8 StrR/Walchwil bezieht sich indes nicht ausdrücklich auf Privatstrassen, sondern im Gegenteil auf öffentliche Strassen. So wird in § 8 Abs. 1 StrR/Walchwil von "Gemeindestrassen", in § 8 Abs. 2 StrR/Walchwil von "Sammel-, Erschliessungs- und Zufahrtsstrassen" und in § 8 Abs. 3 StrR/Walchwil von "öffentlichen Strassen ausserhalb der Bauzonen" gesprochen. Gemäss § 2 Abs. 3 StrR/Walchwil sind die öffentlichen Strassen im Anhang aufgeführt. Darin wird ebenfalls zwischen Gemeindestrassen (Ziff. 1) und den Unterkategorien Sammelstrassen (Ziff. 1.1), Erschliessungsstrassen (Ziff. 1.2), Zufahrtsstrassen (Ziff. 1.3) und öffentlichen Strassen ausserhalb der Bauzonen (Ziff. 1.4) unterschieden (vgl. Anhang A zum StrR/Walchwil).  
Indem im Anhang zum StrR/Walchwil die gleiche rechtliche Terminologie verwendet wird wie in § 8 StrR/Walchwil, wird deutlich, dass sich das Recht der Gemeinde zur Beitragserhebung nur auf öffentliche Strassen bezieht, welche im Anhang A aufgelistet sind. Die Geisswaldstrasse ist als Privatstrasse im Anhang A nicht verzeichnet (vgl. zum Ganzen auch angefochtenes Urteil S. 13 f.). 
 
2.5. Wie für jede öffentlich-rechtliche Abgabe gilt auch für Beiträge (Vorzugslasten) das Legalitätsprinzip (Art. 127 Abs. 1 BV). Dieses gebietet, dass der Kreis der Abgabepflichtigen (Subjekt der Abgabe), der Gegenstand der Abgabe (abgabebegründender Tatbestand) und die Höhe der Abgabe in den Grundzügen (Bemessungsgrundlage) in einem Gesetz im formellen Sinn umschrieben werden. Eine Lockerung dieses Grundsatzes - allerdings beschränkt auf die Regelung der Abgabenbemessung - ist zulässig, wenn dem Betroffenen die Überprüfung der Abgabe anhand von verfassungsrechtlichen Prinzipien (Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip) offen steht (vgl. BGE 135 I 130 E. 7.2 S. 140).  
Aus dem StrR/Walchwil ergibt sich nach dem Gesagten nicht, dass Anstösser an Privatstrassen zum Kreis der Beitragspflichtigen gehören können und dass der Ausbau von Privatstrassen Gegenstand einer Abgabe bilden kann. Wie von den Vorinstanzen festgestellt, fehlt es damit an einer genügenden gesetzlichen Grundlage für die Erhebung von Perimeterbeiträgen von Anstössern an Privatstrassen für deren Ausbau. 
 
2.6. Die Beschwerdeführerin verfügt mithin zwar über Autonomie bei der Regelung der Erhebung von Gebühren für den Ausbau von Strassen (§ 39 GSW/Zug). Sie hat ihre Autonomie indes durch den Erlass des StrR/Walchwil wahrgenommen, welches gerade keine Gebührenerhebung für den Ausbau von Privatstrassen vorsieht. Die kantonalen Vorinstanzen haben die Autonomie der Beschwerdeführerin nicht verletzt und sind auch nicht in Willkür verfallen, indem sie geschlossen haben, es fehle an einer gesetzlichen Grundlage für die Erhebung von Perimeterbeiträgen von Anstössern für den Ausbau von Privatstrassen.  
 
3.   
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten nach Art. 66 Abs. 4 BGG der Beschwerdeführerin aufzuerlegen, da sie mit ihrer Beschwerde Vermögensinteressen geltend gemacht hat. Die unterliegende Beschwerdeführerin hat die obsiegenden Beschwerdegegner 1-4 für die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Beschwerdegegner 2 und 3 sind durch den gleichen Anwalt vertreten und haben eine gemeinsame Vernehmlassung eingereicht, weshalb es sich rechtfertigt, ihnen jeweils nur die Hälfte der Parteientschädigung zuzusprechen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegner 1 und 4 mit je Fr. 1'000.-- und die Beschwerdegegner 2 und 3 mit je Fr. 500.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Regierungsrat des Kantons Zug und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Februar 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner