Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B_605/2021
Urteil vom 3. März 2022
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichterin Jametti,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Dold.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 2 Emmen, Rüeggisingerstrasse 29, Postfach 1948, 6021 Emmenbrücke 1.
Gegenstand
Strafverfahren,
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 24. September 2021 (2N 21 133 / 2U 21 47).
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 2 Emmen, verurteilte A.________ mit Strafbefehl vom 25. Juni 2021 wegen Ungehorsams im Betreibungs- und Konkursverfahren. Mit Verfügung gleichen Datums lehnte sie sein Gesuch um amtliche Verteidigung ab. Auf seine Eingabe vom 31. Juli 2021 hin teilte sie ihm am 4. August 2021 unter anderem mit, dass die Verfügung betreffend Abweisung der amtlichen Verteidigung in Rechtskraft erwachsen sei.
Am 16. August 2021 erhob A.________ Einsprache gegen den Strafbefehl. Am gleichen Tag erhob er Beschwerde gegen die Verfügung, mit der die Staatsanwaltschaft sein Gesuch um amtliche Verteidigung abgelehnt hatte. Mit Verfügung vom 24. September 2021 trat das Kantonsgericht Luzern auf diese Beschwerde nicht ein.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 5. November 2021 beantragt A.________ dem Bundesgericht, wegen Verjährung und wegen Aufhebung des Strafbefehls die Nichtigkeit der Verfügung des Kantonsgerichts festzustellen. Jedenfalls sei diese Verfügung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanzen zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Kantonsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesgericht hat die betreffenden Eingaben dem Beschwerdeführer per Einschreiben zugestellt. Der Brief wurde mit dem Vermerk "nicht abgeholt" von der schweizerischen Post zurückgeschickt.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde ans Kantonsgericht richtete sich gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft, mit der diese das Gesuch des Beschwerdeführers um amtliche Verteidigung abgelehnt hatte. Der angefochtene Nichteintretensentscheid des Kantonsgerichts betrifft somit eine Strafsache (Art. 78 Abs. 1 BGG). Ob die Beschwerdefrist von 30 Tagen (Art. 100 Abs. 1 BGG) mit der vom 5. November 2021 datierenden Eingabe eingehalten worden ist, ist nicht ohne Weiteres klar. Gemäss der "Sendungsverfolgung" der schweizerischen Post ("Track & Trace"), die der Beschwerdeführer seiner Beschwerde beigelegt hat, ging der angefochtene Entscheid bereits am 30. September 2021 bei der Abhol-/Zustellstelle in Rotkreuz ein und wurde am 6. Oktober 2021 zurück an den Absender gesandt. Der Beschwerdeführer beruft sich darauf, dass ihm keine Abholungseinladung zugestellt worden sei und deshalb auch ein entsprechender Vermerk auf der Sendungsverfolgung fehle. Der angefochtene Entscheid sei ihm erst am 11. Oktober 2021 per A-Post zugestellt worden. Wie es sich damit und mit den weiteren Sachurteilsvoraussetzungen verhält, braucht nicht geklärt zu werden, da die Beschwerde jedenfalls abzuweisen ist.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, die Frist für die Beschwerde ans Kantonsgericht eingehalten zu haben. Die Beschwerde gegen schriftlich oder mündlich eröffnete Entscheide ist innert 10 Tagen schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen (Art. 396 Abs. 1 StPO). Fristen, die durch eine Mitteilung ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen (Art. 90 Abs. 1 StPO). Die Formen der Zustellung sind in Art. 85 StPO geregelt. Die Zustellung erfolgt gemäss dieser Bestimmung unter anderem durch eingeschriebene Postsendung (Abs. 2). Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Abs. 4 lit. a). Die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akten zugestellt werden können, die das Verfahren betreffen (BGE 141 II 429 E. 3.1; Urteil 6B_1430/2020 vom 15. Juli 2021 E. 1.1; je mit Hinweisen). Mit einer Verlängerung der Abholfrist bzw. einem Postrückbehaltungsauftrag kann der Adressat den Fristenlauf nach Art 85 Abs. 4 lit. a StPO nicht hinauszögern (Urteil 6B_302/2020 vom 25. Juni 2020 E. 5.2 mit Hinweisen).
2.2. Das Kantonsgericht hat ausgeführt, dass der Strafbefehl und die Verfügung betreffend die amtliche Verteidigung im gleichen Kuvert eingeschrieben an den Beschwerdeführer gesandt worden seien. In den Akten befinde sich der ungeöffnete Briefumschlag. Gemäss dem darauf angebrachten Vermerk und der postalischen Sendungsverfolgung sei die Sendung am 28. Juni 2021 von der Post mit einer Frist bis zum 5. Juli 2021 zur Abholung gemeldet worden. Am 5. Juli 2021 sei ein Auftrag erfasst worden, die Abholfrist der Sendung bis zum 26. Juli 2021 zu verlängern. Am 27. Juli 2021 sei die Sendung schliesslich von der Post an die Staatsanwaltschaft retourniert worden. Die Beschwerdefrist habe am 6. Juli 2021 zu laufen begonnen und am 15. Juli 2021 geendet. Die Beschwerde vom 16. August 2021 sei somit verspätet.
2.3. Der Beschwerdeführer stellt diese Darstellung des Verlaufs der Ereignisse nicht in Abrede. Er macht jedoch geltend, dass es mangels eines Sendungsbilds unmöglich gewesen sei zu wissen, von wem das Einschreiben stammte. Zudem sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, weil ihm der verschlossene Umschlag nie vorgelegt worden sei. Diese Kritik ist unbegründet. Nach der Rechtsprechung ist ausreichend, wenn der Absender auf dem Briefumschlag vermerkt ist (BGE 142 IV 286 E. 1.6 mit Hinweisen). Dies trifft zu: Auf dem Briefumschlag, der dem Bundesgericht ungeöffnet mit den kantonalen Akten eingereicht wurde, ist die Staatsanwaltschaft mitsamt Adresse aufgeführt. Das Bundesgericht hat den Umschlag geöffnet und sich so auch vergewissern können, dass dieser, wie vom Kantonsgericht dargelegt, sowohl den Strafbefehl als auch die Verfügung betreffend die amtliche Verteidigung enthält. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ist ebenfalls nicht erkennbar. Die Sendung wurde dem Beschwerdeführer zugestellt und er hat es sich selbst zuzuschreiben, dass er sie nicht entgegennehmen konnte. Zudem hätte er die Möglichkeit gehabt, ein Akteneinsichtsgesuch zu stellen, um zu überprüfen, ob die Staatsanwaltschaft auf dem Umschlag als Absender aufgeführt war. Dass er dies getan hätte, macht er nicht geltend.
2.4. Weiter ist der Beschwerdeführer der Auffassung, er habe seine Abwesenheit mit Schreiben vom 10. Juni 2021 ordnungsgemäss gemeldet. Zutreffend ist insoweit, dass eine trotz Wissen um die Abwesenheit des Adressaten erfolgte Zustellung rechtlich unter Umständen unbeachtlich sein kann und die Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO nicht eintritt (Urteil 6B_704/2015 vom 16. Februar 2016 E. 3.2 mit Hinweisen). Das erwähnte Schreiben vom 10. Juni 2021 betrifft gemäss den Feststellungen des Kantonsgerichts allerdings ein anderes Verfahren, nämlich ein vom Beschwerdeführer selbst angestrebtes Strafverfahren. Zudem enthält es keine konkrete Ankündigung einer bevorstehenden Abwesenheit. Der Satz "Der Unterzeichnende ist derzeitig häufig abwesend und hat damit nicht immer Zugang zu den relevanten Unterlagen" kann jedenfalls nicht in diesem Sinne verstanden werden.
2.5. Das Kantonsgericht kam somit zu Recht zum Ergebnis, dass die Beschwerdefrist von 10 Tagen am 15. Juli 2021 ablief und dass sie der Beschwerdeführer verpasst hat. Das Vorbringen, der angefochtene Entscheid sei nichtig, weil die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl "zwischenzeitlich" aufgehoben habe und zudem am 12. September 2021 die Verjährung eingetreten sei, ändert daran nichts. Dass der Strafbefehl aufgehoben worden wäre, belegt der Beschwerdeführer nicht und ist auch nicht erkennbar. Der mit der gleichen Sendung verschickte Strafbefehl unterlag zudem einer Einsprachefrist von ebenfalls 10 Tagen, und ohne gültige Einsprache wird ein Strafbefehl zum rechtskräftigen Urteil, womit eine spätere Verfolgungsverjährung nicht mehr möglich ist ( Art. 354 Abs. 1 und 4 StPO , Art. 97 Abs. 3 StGB).
3.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Prozessführung ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 2 Emmen, und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. März 2022
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Der Gerichtsschreiber: Dold