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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_876/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 3. April 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiber Held. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Uffer, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 2. Mai 2016. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
X.________ beschleunigte, als die Ampel an der Verzweigung Birchstrasse/Binzmühlestrasse in der Zürcher Innenstadt auf grün sprang, mit seinem Audi RS 6 (580 PS) aus dem Stand innert 20 Metern auf 54 km/h und bog driftend nach rechts in die Binzmühlestrasse. Das Fahrzeugheck bewegte sich Richtung Kurvenaussenseite und das linke Hinterrad kollidierte mit dem Randstein einer Verkehrsinsel, wodurch es angehoben wurde. Infolge des Kontrollverlustes prallte das Fahrzeug auf einen Granitblock und kollidierte anschliessend mit einem Verteilerkasten und einer Strassenlaterne. Durch den Unfall erlitt X.________ ein Schädel-Hirn-Trauma, einen Schulter-Ellbogenbruch links, ein Wirbelsäulentrauma sowie multiple Schnittverletzungen; sein Beifahrer trug Schnittverletzungen davon. 
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 2. Mai 2016 fest, dass der Schuldspruch des Bezirksgerichts Zürich vom 1. September 2015 wegen fahrlässigen Fahrens in angetrunkenem Zustand in Rechtskraft erwachsen ist und verurteilte X.________ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG zu einer bedingten Geldstrafe von 270 Tagessätzen zu Fr. 800.-- sowie einer Busse von Fr. 2'000.--. 
 
2.  
Die Oberstaatsanwaltschaft Zürich führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin rügt, das Befahren einer Kurve wie ein Rennfahrer am physikalischen Limit sei mit dem grossen Risiko des Verlusts der Herrschaft über das Fahrzeug verbunden und stelle eine qualifizierte grobe Verkehrsregelverletzung im Sinn von Art. 90 Abs. 3 SVG dar. Der Beschwerdegegner sei sich des Risikos eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern bewusst gewesen und habe dieses durch seine Fahrweise zumindest billigend in Kauf genommen. Aufgrund des Kontrollverlustes über sein Fahrzeug habe er das Leben seines Beifahrers konkret und das anderer Verkehrsteilnehmer abstrakt gefährdet. 
 
3.  
 
3.1. Eventualvorsatz im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4 mit Hinweis).  
Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB; Urteil 6B_164/2016 vom 14. März 2017 E. 2.1, zur Publikation bestimmt, mit Hinweisen). 
 
3.2. Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit kann im Einzelfall schwierig sein. Die Erscheinungsformen stimmen in Bezug auf die Wissensseite überein und unterscheiden sich lediglich hinsichtlich des Willensmoments. Sowohl der eventualvorsätzlich als auch der bewusst fahrlässig handelnde Täter wissen um die Möglichkeit des Erfolgseintritts beziehungsweise um das Risiko der Tatbestandsverwirklichung. Während der bewusst fahrlässig handelnde Täter (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf vertraut, der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg werde nicht eintreten, das Risiko der Tatbestandserfüllung sich mithin nicht verwirklichen, nimmt der eventualvorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab (vgl. Urteil 6B_411/2012 vom 8. April 2013 E. 1.3 mit Hinweisen).  
 Für den Nachweis des Vorsatzes kann sich das Gericht - soweit der Täter nicht geständig ist - regelmässig nur auf äusserlich feststellbare Indizien und auf Erfahrungsregeln stützen, die ihm Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters erlauben. Hierzu zählen namentlich die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung und die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung. Je grösser dieses Risiko ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto eher darf gefolgert werden, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen (Urteil 6B_373/2016 vom 12. September 2016 E. 3.2.2 mit Hinweisen). 
 
4.  
Der angefochtene Entscheid verletzt kein Bundesrecht. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ergibt sich aufgrund der verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz nicht "zwingend", der Beschwerdegegner habe durch seine Fahrweise einen Unfall mit Schwerverletzten oder Todesopfer billigend in Kauf genommen. Sie verkennt, dass gemäss gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung insbesondere bei Unfällen im Strassenverkehr nicht ohne Weiteres aus der (hohen) Wahrscheinlichkeit des Eintritts des tatbestandsmässigen Erfolgs auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden kann. Ein Fahrzeuglenker droht - wie vorliegend auch - durch sein gewagtes Fahrverhalten meistens selbst zum Opfer zu werden. Erfahrungsgemäss neigen Fahrzeuglenker dazu, einerseits Gefahren zu unterschätzen und andererseits ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, weshalb ihnen häufig das Ausmass des Risikos der Tatbestandsverwirklichung nicht bewusst ist. Einen unbewussten Eventualdolus aber gibt es nicht (vgl. BGE 133 IV 9 E. 4.4 S. 20; Urteil 6B_411/2012 vom 8. April 2013 E. 1.3; je Hinweisen). 
Dass der Beschwerdegegner sich im physikalischen Grenzbereich befand, wie die Beschwerdeführerin mehrfach betont, ist dem "Driften" immanent und spricht nicht gegen die vorinstanzliche Annahme, der Beschwerdeführer habe in Selbstüberschätzung und Verkennung der aus seinem Fahrmanöver resultierenden Gefahren im Sinne bewusster (und grober) Fahrlässigkeit darauf vertraut, sein Fahrzeug kontrolliert durch die Kurve zu manövrieren. Die bewusste Beurteilung einer Kurve, um die Kurvengeschwindigkeit abschätzen zu können, ist nicht nur erforderlich, wenn der Fahrer durch die Kurve "driften" möchte, sondern auch, wenn er dies gerade nicht will, und stellt vorliegend keinen über die bewusste Verkehrsregelverletzung hinausgehenden Hinweis auf die billigende Inkaufnahme eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern dar. 
 
5.  
Die Beschwerde ist im Verfahren gemäss Art. 109 BGG abzuweisen. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. April 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Held