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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_671/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 3. Mai 2016  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin, 
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Luzern, 
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Kantonsgerichts Luzern 
vom 17. August 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1973 geborene A.________ meldete sich wegen der Folgen einer Lungenembolie und einer intrazerebralen Blutung frontal rechts sowie konsekutiven neuropsychologischen Ausfällen am 15. Oktober 2007 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Luzern traf Abklärungen in medizinischer und erwerblicher Hinsicht. Am 1. März 2010 konnte die Versicherte eine Stelle mit einem Pensum von 50 % antreten. U.a. gestützt auf eine Verlaufsuntersuchung der Fachpsychologin für Neuropsychologie, B.________, vom 4. Mai 2011 sprach die IV-Stelle A.________ mit Verfügungen vom 13./28. September 2011 rückwirkend ab 1. Juli 2008 eine halbe Invalidenrente zu. Ab 1. August 2011 reduzierte die Versicherte ihr Arbeitspensum bei einer Präsenzzeit von nach wie vor 50 % auf 30 %. Im Juni 2013 leitete die IV-Stelle ein Revisionsverfahren ein. Sie veranlasste erneut eine Verlaufsuntersuchung bei der Neuropsychologin B.________. Mit Verfügung vom 8. Mai 2014 hielt sie fest, dass A.________ weiterhin aufgrund eines Invaliditätsgrades von 50 % Anspruch auf eine halbe Invalidenrente habe. 
 
B.   
A.________ liess Beschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung der Verfügung vom 8. Mai 2014 sei ihr mindestens eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung zuzusprechen. Im Laufe des Verfahrens reichte sie einen Bericht des Dr. med. C.________ vom 26. November 2014 ein. Mit Entscheid vom 17. August 2015 wies das Kantonsgericht Luzern die Beschwerde ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren um Gewährung mindestens einer Dreiviertelsrente erneuern; eventuell sei die Sache in Wiedererwägung zu ziehen. Ferner sei die IV-Stelle zu verpflichten, die Kosten für die von Dr. med. C.________ durchgeführten Abklärungen zu übernehmen. Sie reicht eine weitere neurologische Beurteilung des Dr. med. C.________ (vom 7. September 2015) ein. 
Das Kantonsgericht nimmt in ablehnendem Sinne Stellung zur Beschwerde. Die IV-Stelle schliesst auf deren Abweisung, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Art. 17 Abs. 1 ATSG und die Rechtsprechung (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349) die Voraussetzungen für eine Revision der Invalidenrente zutreffend dargelegt. Ebenso hat sie richtig festgehalten, welche Sachverhalte in zeitlicher Hinsicht für die Prüfung der Frage, ob eine Rentenrevision vorzunehmen ist, zu vergleichen sind (BGE 133 V 108). Darauf wird verwiesen. 
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat gestützt auf die medizinischen Stellungnahmen geprüft, ob im Zeitraum zwischen dem 13. September 2011 (ursprüngliche Rentenverfügung) und dem 8. Mai 2014 (verfügungsweise Ablehnung einer Rentenerhöhung) eine Änderung im Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin eingetreten ist, welche eine Erhöhung des Rentenanspruchs rechtfertigen würde. Dabei stützte sie sich auf die Verlaufskontrolle der Neurologin Frau Dr. med. D.________, Spital E.________, vom 23. Mai 2012 und den Verlaufsbericht der Neuropsychologin B.________ vom 6. April 2014 sowie den Bericht des Dr. med. F.________, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD), vom 9. April 2014. Aufgrund der neurologischen und neuropsychologischen Untersuchungsbefunde stellte das kantonale Gericht fest, dass im massgeblichen Beurteilungszeitraum keine dauerhafte und erhebliche Veränderung des Gesundheitszustandes eingetreten sei. Dies gelte auch für die Kopfschmerzproblematik, welche die Versicherte als hauptursächlich für die Beschwerden bezeichnet.  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin beruft sich - wie schon im vorinstanzlichen Verfahren - auf einen Bericht des Dr. med. C.________, Neurologe, vom 26. November 2014. Das Kantonsgericht nahm von den Ausführungen des Dr. med. C.________ Kenntnis, hielt jedoch dafür, bei dessen neurologischer Stellungnahme vom 26. November 2014 handle es sich um eine abweichende medizinische Beurteilung eines gleichgebliebenen Sachverhalts. Die mentalen Funktionsstörungen bestünden unverändert seit sieben Jahren. Soweit Dr. med. C.________ eine - aus seiner Sicht - bislang unentdeckt gebliebene frontale Blutung links und damit einhergehend ein postkontusionelles frontales Syndrom diagnostiziert, liege damit jedenfalls nur eine abweichende Einschätzung von im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen Verhältnissen vor, was revisionsrechtlich unerheblich ist.  
 
3.3. Der Bericht des Dr. med. C.________ vom 26. November 2014 wurde in die Beurteilung miteinbezogen, da er sich auch zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin äussert, wie er bereits vor Verfügungserlass (8. Mai 2014) bestanden hat (vgl. BGE 121 V 362 E. 1 S. 366 mit Hinweis, 99 V 98 E. 4 S. 102), und insbesondere auch zum neuropsychologischen Gutachten der Frau lic. phil. B.________ vom 6. April 2014 Stellung bezieht. Soweit das kantonale Gericht annimmt, Dr. med. C.________ bestätige unveränderte mentale Funktionen, kann ihm nicht gefolgt werden. Im Gegenteil: Dr. med. C.________ weist ausdrücklich darauf hin, dass sich sowohl für den klinischen Verlauf (chronische postkontusionelle Kopfschmerzen, kognitive Störungen) und die Lebenserschwernisse, einschliesslich die fehlgeschlagene berufliche Eingliederung und die Adipositas permagna, eine neue, zuvor nicht in Betracht gezogene Grundlage, nämlich ein postkontusionelles frontales Syndrom, ergebe. Diese klaren, von den übrigen fachärztlichen Stellungnahmen abweichenden Angaben des Dr. med. C.________, der mit Blick auf die gestellten Diagnosen keine Arbeitsfähigkeit im ersten Arbeitsmarkt als gegeben erachtete, durfte die Vorinstanz nicht übergehen. Im Übrigen ist die Einschätzung der Neuropsychologin Frau B.________ nicht überzeugend. Diese hat bei der ersten Beurteilung vom 4. Mai 2011 eine Arbeitsfähigkeit von 50 % angenommen, während sie im Bericht vom 6. April 2014 erklärt hat, ausserstande zu sein, eine Aussage über die zeitliche mentale Belastbarkeit der Versicherten im Verlaufe eines Tages zu machen. Sie könne nur bestätigen, dass die mentale Belastbarkeit für die 31 /4-stündige Untersuchung gegeben war. Im Lichte der von den bisherigen Untersuchungsergebnissen abweichenden Ausführungen des Dr. med. C.________ und der zurückhaltenden Angaben der Neuropsychologin Frau B.________ hinsichtlich mentaler Belastbarkeit wäre die Vorinstanz in Nachachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) verpflichtet gewesen, den medizinischen Sachverhalt, namentlich den Grad der Arbeitsunfähigkeit in einer leidensangepassten Erwerbstätigkeit, mittels einer zusätzlichen neurologischen Expertise zu klären. Dazu bestand umso mehr Anlass, als der Arzt des Regionalen Ärztlichen Dienstes, Dr. med. F.________, am 9. April 2014 zwar medizinisch theoretisch von einem unveränderten Gesundheitszustand ausging, der indessen weitere Massnahmen zum Arbeitsplatzerhalt notwendig machen könnte. Da die Vorinstanz dies unterlassen hat, ist das Versäumte nachzuholen. Die Sache ist an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie in neurologischer und neuropsychologischer Hinsicht zusätzliche Abklärungen zur Entwicklung des Gesundheitszustandes und des Grades der Arbeitsunfähigkeit treffe und gestützt darauf über die Revision der Invalidenrente neu verfüge.  
4. 
Der letztinstanzlich aufgelegte Bericht des Dr. med. Hiltbrunner (vom 7. September 2015) ergeht sich zur Hauptsache in einer Kritik am angefochtenen Entscheid und enthält keine neuen Erkenntnisse aus der für die richterliche Beurteilung regelmässig massgebenden Zeit bis Verfügungserlass, weshalb er ausser Acht zu bleiben hat, ohne dass zu prüfen wäre, ob es sich dabei nicht um ein im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG unzulässiges Novum handelt. Ein auf den Bericht vom 7. September 2015 gestütztes Gesuch um Revision des kantonalen Gerichtsentscheides zufolge neu entdeckter Tatsachen oder Beweismittel wäre nach Massgabe von Art. 61 lit. i ATSG bei der Vorinstanz einzureichen. Das Bundesgericht hat sich mit dem in der Beschwerde gestellten (prozessualen) Revisionsgesuch nicht zu befassen, weshalb darauf nicht einzutreten ist. Gleiches gilt mit Bezug auf die eventualiter beantragte Wiedererwägung gestützt auf Art. 53 Abs. 2 ATSG. Danach kann der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Im vorliegenden Fall wäre ein Wiedererwägungsgesuch an die IV-Stelle zu richten gewesen. Da die Verfügung jedoch zwischenzeitlich gerichtlich überprüft wurde, - die Revisionsverfügung tritt an Stelle der zu revidierenden Verfügung (BGE 140 V 514 E. 5.2 S. 520) - kommt eine Wiedererwägung nicht mehr in Frage (vgl. Art. 53 Abs. 3 ATSG). Sofern die Beschwerdeführerin das Bundesgericht darum ersucht, die Verwaltung zu einer Wiedererwägung ihrer Verfügung vom 8. Mai 2014 zu verpflichten, hat sie sich entgegenhalten zu lassen, dass das Gericht nicht befugt ist, die IV-Stelle zur Wiedererwägung einer rechtskräftigen Verfügung zu verhalten (BGE 133 V 50 E. 4.1 S. 52). Im Übrigen wirkt auch eine substituierte Begründung der Wiedererwägung lediglich ex nunc und pro futuro (statt vieler Urteil 9C_258/2014 vom 3. September 2014 E. 3.2). 
5. 
Zu prüfen bleibt, ob die Kosten des Berichts des Dr. med. C.________ vom 26. November 2014 der IV-Stelle aufzuerlegen sind. Wie erwähnt, wäre die Vorinstanz aufgrund der Ausführungen in dieser fachärztlichen Stellungnahme gehalten gewesen, zusätzliche medizinische Abklärungen zu veranlassen. Der von der Beschwerdeführerin beigebrachte Bericht des Dr. med. C.________ war notwendig und unerlässlich, damit das kantonale Gericht zusätzliche Abklärungen in die Wege leitet. Demzufolge bilden die Kosten des Parteigutachtens des Dr. med. C.________ vom 26. November 2014, dessen Darlegungen seitens der Vorinstanz zu Unrecht keine Beachtung fanden, bei bundesrechtskonformer Würdigung jedoch zu einem abweichenden Resultat geführt hätten, Bestandteil des Parteientschädigungsanspruchs (BGE 115 V 62; SVR 2011 IV Nr. 13 S. 35 E. 2, 9C_178/2010 vom 14. April 2010). Dass die Tragweite des im kantonalen Gerichtsverfahren aufgelegten Privatgutachtens des Dr. med. C.________ nicht bereits von der Vorinstanz, sondern erst im letztinstanzlichen Verfahren erkannt wurde mit der Folge, dass eine Aktenergänzung anzuordnen ist, ändert mit Bezug auf die Kostenauflage an die IV-Stelle als Gegenpartei nichts. Entscheidend ist einzig, dass das Privatgutachten des Dr. med. C.________ vom 26. November 2014 die Notwendigkeit einer Aktenergänzung aufgezeigt hat. Demgegenüber fällt eine Vergütung des letztinstanzlich eingereichten Berichts des Dr. med. C.________ vom 7. September 2015 durch die Beschwerdegegnerin ausser Betracht, da dieser, wie erwähnt (E. 4 hievor), nicht in die Beurteilung einbezogen werden kann. 
6. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat der obsiegenden Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 17. August 2015 aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle Luzern zurückgewiesen, damit sie, nach Vornahme ergänzender Abklärungen im Sinne der Erwägungen, über die Rentenrevision neu verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der IV-Stelle Luzern auferlegt. 
 
3.   
Die IV-Stelle Luzern hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung (einschliesslich der Kosten des Gutachtens des Dr. med. C.________ vom 26. November 2014) des vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Luzern zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 3. Mai 2016 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Glanzmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer